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Benutzername: 
MrsCatastropy
Wohnort: 
Köln

Bewertungen

Insgesamt 46 Bewertungen
Bewertung vom 13.04.2024
Der Tag, an dem ich sterben sollte
Hashemi, Said Etris

Der Tag, an dem ich sterben sollte


ausgezeichnet

Der 19. Februar 2020 war der Tag, an dem 9 Menschen aus rassistischen Gründen ermordet wurden: Hamza, Ferhat, Gökhan, Mercedes, Kaloyan, Fatih, Vili, Sedat und Nesar. Es hätten noch einige mehr sein können, denn der Täter verletzte weitere Personen – darunter Said Etris Hashemi. Im Gegensatz zu seinem Bruder Nesar und einigen seiner Freunde überlebte er den Anschlag von Hanau schwer verletzt. Traumatisierend genug war es trotzdem, nicht zuletzt, wegen der vielen Versäumnisse, Fehler und schlecht versteckten Rassismen des Polizeieinsatzes und der anschließenden Ermittlungen.

Er ist aktiv in der Initiative 19. Februar Hanau, setzte sich mit den anderen Hinterbliebenen (leider erfolglos) für eine lückenlose staatliche Aufklärung des Anschlags im Rahmen eines Untersuchungsausschusses ein, klärt über rechten Terror und Rassismus auf und engagiert sich für eine Gesellschaft, in der die Opfer von Hanau nicht als Fremde wahrgenommen werden.

In "Der Tag, an dem ich sterben sollte" verbindet Hashemi sehr persönliche Einblicke in sein Aufwachsen, seine Erlebnisse des Anschlags und die Veränderungen, die Hanau für ihn, seine Familie und seine Freund*innen mit umfassender Gesellschaftskritik. Er berichtet von der schleppenden Aufklärung, von Gutachten, die die Hinterbliebenen anstreben mussten, um überhaupt bestimmte Erkenntnisse zu gewinnen, vom polizeilichen Umgang mit den Opferfamilien als potentielle Täter*innen, die den rassistischen Vater des Täter bedrohen könnten (obwohl der umgekehrt seit Jahren die Familien belästigt und bedroht). Er kritisiert die versäumte Chance, im Untersuchungsausschuss wenigstens ernsthaft zu versuchen, Fehler aufzuarbeiten um daraus künftig zu lernen. Das Buch macht wütend und traurig zugleich, traurig vor allem auch, weil Said Etris Hashemi mit so viel Liebe über seinen Bruder und seine Freund*innen spricht.

Und trotz all dem ist dieses Buch eines, das Hoffnung macht, das den wichtigen Zusammenhalt der migrantischen Communities betont, das sich fürs Weiterkämpfen ausspricht und die Angehörigen nicht als reine Opfer positioniert, sondern die unglaubliche Stärke und den Mut verdeutlicht, mit dem sie für Gerechtigkeit kämpfen - und das, obwohl jeder Frust, jeder Ärger mehr als nachvollziehbar wäre angesichts einer Gesellschaft, die sie und die Opfer des Anschlags im Stich gelassen hat.

Besonders bitter ist, dass Said Etris Hashemi, das wird im Buch deutlich, eine beeindruckende Person ist. Und es ist zynisch, dass das gerade dort deutlich werden musste, wo er um Gehör bittet, wo er und die anderen Familien immer wieder nicht ernst genug genommen werden. Denn es kann und sollte nicht die Aufgabe eines Anschlagsopfers sein, um Gerechtigkeit kämpfen zu müssen und es wäre zu wünschen gewesen, dass er diesen Anschlag und den Verlust nicht hätte erleben müssen.
Deshalb sollte das Buch gerade von denen gelesen werden, die bisher noch leise sind. Die als Teil der Mehrheitsgesellschaft kein Problem darin sahen, dass einen Tag nach Hanau fröhlich Karneval gefeiert wurde, die den Anschlag zwar schlimm fanden, aber sich denken "ja naja, sowas passiert, damit haben wir nichts zu tun". Doch, haben wir. Denn der Anschlag in Hanau war zwar ganz dezidiert kein Angriff auf "uns alle", sondern auf Menschen, die für den Täter aus rassistischen Gründen nicht dazugehörten. Die Frage, ob dieser Angriff aber als Angriff auf einen Teil unserer Gesellschaft verstanden wird, ist zentral für die Frage, ob man für eine plurale Gesellschaft einstehen möchte oder nicht.
Große Leseempfehlung!

Bewertung vom 13.04.2024
Spielfeld der Herrenmenschen
Blaschke, Ronny

Spielfeld der Herrenmenschen


ausgezeichnet

Fußball, der von den dahinterstehenden Institutionen so gern als völkerverbindend und dessen Geschichte als die eines friedlichen kulturellen Austauschs dargestellt wird, ist schon immer mit rassistischem Denken verbunden, das sich nicht auf rechte Hools reduzieren lässt. Er ist Machtmittel, spiegelt gesellschaftliche Einstellungen und ist gleichzeitig ein Ort, an dem sich politischer Widerstand formt.
Der Journalist Ronny Blaschke hat sich für sein Buch in ehemalige Kolonialmächte sowie ehemals kolonisierte Länder begeben und recherchiert, wie Fußball die jeweiligen Länder geprägt hat. Über den Titel mag man zunächst stolpern, aber er ist äußerst passend. Denn wie sonst als mit weißen Überlegenheitsideen lässt sich erklären, dass einige ehemals kolonisierte Länder nicht nur in Südamerika bis heute oft Fußballteams haben, deren Mitglieder der jeweils herrschenden, hellhäutigen Elite angehör(t)en? Dass einheimische Fußballclubs oft noch immer unbeliebter sind als bspw. die portugiesische Liga? Dass Schwarze Spieler nicht nur offen rassistische Anfeindungen ertragen müssen, sondern auch hinsichtlich ihrer Spieltaktik Stereotypen ausgesetzt sind (angeblich viel in den Beinen, weniger im Kopf)? Auch die "Schande von Gijón" 1982, bei der das algerische Team aus der WM herausgeklüngelt wurde, zeigt, dass sportliche Fairness endet, wo Rassismus beginnt.
Egal, wie rassismuskritisch sich Verbände geben: Ernsthafte Antirassismusarbeit, das verdeutlichen Blaschkes Gespräche mit Engagierten, wird oft eher behindert als gefördert.

Trotzdem hat Fußball ein herrschaftskrtisches Potential, nicht nur ausgehend von linken Ultras. So kann die Erinnerung an einen fußballerischen Sieg über Angehörige der ehemaligen Kolonialmacht in die antikoloniale Geschichtsschreibung eingehen wie in Indien. Und dass indigene Gruppen immer wieder erfolgreich darin sind, dass sich Fußballteams umbenennen und die Aneignung indigener Bezeichnungen wie "Chiefs" ablegen, ist zumindest ein Hoffnungsschimmer.
All diese Themen (und einige mehr) behandelt Blaschke in seiner Recherche. "Spielfeld der Herrenmenschen" gliedert sich in einzelne Kapitel, in denen meist jeweils ein Land im Fokus steht. Dort hat Blaschke Funktionäre und Aktivisten getroffen und historische Fotos mitgebracht.
Dass er dabei überwiegend mit Männern gesprochen hat, ist nicht Blaschke anzulasten, denn die noch immer sehr geringe Unterstützung weiblicher Teams bleibt ein reales Problem.

Was das Buch darüber hinaus lesenswert macht, ist, dass Blaschke Fachliteratur aus den jeweiligen Ländern mit einbezieht. Dadurch fundiert er seine eigene Recherche, bietet aber gerade auch denjenigen, die zur Forschung eher wenig Zugang haben, eine großartige Übersicht über die Literatur, die sich zu vertiefen lohnt. Und wer sich für Politik und Rassismus interessiert, wird das Buch vermutlich auch dann mit großem Interesse lesen, wenn sie*er nicht der größte Fußballfan ist. So ging es jedenfalls mir. Und deshalb möchte ich das Buch gerade auch denen empfehlen, die Fußball als System von Institutionen und als Ort der Korruption eher kritisch gegenüberstehen - während ich es gleichzeitig großartig finde, dass dieses Buch im Januar 2024 nicht in einem Sachbuch- sondern in einem der großen deutschsprachigen Fußballverlage erschienen ist, dem Werkstatt Verlag. Ich wünsche dem Buch definitiv viele Leser*innen, denn es ist relevant und gut geschrieben.

Bewertung vom 30.01.2024
Lichtungen
Wolff, Iris

Lichtungen


gut

Lev und Kato kennen einander seit früher Kindheit, sie leben im gleichen Dorf und blicken auf eine enge Freundschaft zurück. Doch als sie die Möglichkeit bekommt, Rumänien hinter sich zu lassen und in den Westen zu reisen, nimmt Kato diese wahr. Lev bleibt zurück, bis er einige Jahre später eine Karte von ihr erhält, verbunden mit der Bitte, sie in Zürich zu besuchen. Das Aufeinandertreffen der Beiden in Zürich bildet den Beginn von "Lichtungen", dem neuen Roman von Iris Wolff. Nach und nach entfaltet sich kapitelweise die Vergangenheit des ungleichen Paars, wobei Wolff die vielen Schattierungen der konkreten Freundschaft stets in Bezug setzt mit den gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen im Banat. Lev und Kato sind wie auch frühere Figuren Wolffs nicht ganz greifbar, werden aber authentisch gerade auch durch die nicht explizit ausformulierten, oft nur angedeuteten Eigenschaften und Erinnerungen. Was ich aber generell schade fand: Kato bleibt im Verhältnis zu Lev eher blass, weil die Geschichte aus seiner Perspektive erzählt wird.

Auf "Lichtungen" habe ich mich sehr gefreut, denn Wolffs vorheriger Roman "Die Unschärfe der Welt" zählt zu meinen Lieblingsbüchern. Auch die Leseprobe mochte ich sehr - doch obwohl das Buch sprachlich wieder sehr schöne Stellen hat, spannend konzipiert ist und natürlich auch das Cover wieder wunderschön ist, hat mich "Lichtungen" nicht ganz so überzeugen können wie der vorherige Roman. Ich habe sehr viel darüber nachgedacht und denke, dass dafür zwei Punkte besonders relevant sind:

Iris Wolffs Bücher sind aufgrund ihrer Themen, der poetischen Sprache, der puzzleartigen Anordnung ihrer Kapitel und dadurch bedingten Offenheit der Erzählung darauf angewiesen, dass man sich ihnen öffnen und sie auf sich wirken lassen kann. "Die Unschärfe der Welt" war ein Buch, das mich zu genau dem richtigen Zeitpunkt traf; ich habe es an einem Wochenende verschlungen, ausgekostet, unglaublich viele Zitate markiert und es wirkte lange nach. Bei "Lichtungen" war das - leider - anders, weshalb ich eine gewisse Distanz nicht überwinden konnte.

Das alles wäre vermutlich für mich weniger frustrierend gewesen, hätte ich nicht ihr vorheriges Buch als Vergleichsfolie - und das ist denke ich auch der dritte Punkt, der mir den Zugang erschwert hat: Meine Erwartungen waren wahnsinnig hoch, ich wollte gleichzeitig all die vertrauten Elemente und etwas ähnlich neues und Überraschendes. Vertrautes findet sich in dem Roman viel: Wieder ist die Sprache eine, die schwere Inhalte scheinbar leicht daherkommen lässt, ist die Handlung offen und unabgeschlossen. Die Unabgeschlossenheit ließ mich aber diesmal eher unbefriedigt zurück. Vermutlich auch wegen der gewählten Erzähstruktur, bei der die Geschichte von Lev und Kato von der Gegenwart bis in ihre Kindheit nach und nach offengelegt wird und sich der Blick daher in die Vergangenheit richtet, kam mir persönlich das Überraschende zu kurz, war die Handlung mir zu vorhersehbar. Dadurch blieb meine Spannung trotz der anfänglichen Begeisterung nicht dauerhaft hoch und das letzte Drittel las ich zwar immer noch interessiert, aber nicht mit dem Wunsch, das Buch möglichst intensiv auszukosten. Das war bei "Die Unschärfe der Welt" anders.

Mein Fazit zu der sehr persönlichen Rezension zu diesem Buch ist daher, dass ich zu einem nicht ganz passenden Zeitpunkt mit zu vielen Erwartungen an den Roman herangegangen bin. Ich denke, ich lese das Buch irgendwann nochmal und vermutlich ist mein Eindruck dann ein anderer. Dass man es mehrmals lesen kann, legt schon die Struktur nahe. Denn es könnte ziemlich spannend sein, "Lichtungen" zunächst in der beabsichtigten Reihenfolge von der Gegenwart in die Zukunft zu lesen und danach "rückwärts", d.h. beginnend in der Kindheit von Lev und Kato.

Bewertung vom 21.09.2023
Radio Sarajevo
Sila, Tijan

Radio Sarajevo


ausgezeichnet

Tijan Silas „Radio Sarajevo“ habe ich sehr ungeduldig erwartet, da ich schon den Vorgänger „Krach“ sehr mochte. „Radio Sarajevo“ ist allerdings deutlich persönlicher und ernsthafter: Auf 176 Seiten schreibt Sila über das Aufwachsen im Bosnienkrieg zwischen Comics und Bombardements, über die Gleichzeitigkeit von elterlicher Selbstaufopferung und körperlicher Züchtigung und über die Wirkung von Musik.

„Radio Sarajevo“ ist kein reißerisches Buch. Es belehrt nicht über moralische Appelle und es weckt kein Mitleid, sondern wirkt subtil und unmittelbar. Scheinbar nüchtern schildert Sila einzelne, oft heftige Erlebnisse, baut bissigen Humor auf und lässt einem dann das Lachen gefrieren, wenn deutlich wird, wie normal diese Ereignisse im Kriegszustand sind, wie normal es ist, dass Menschen durch Krieg zerbrechen. Die Blauhelmsoldaten, die den Kindern Süßigkeiten im Tausch gegen Pornografie geben, der prügelnde Lehrer, der wenigstens einmal bei einem Streich sein Fett weg bekommt und die prekäre Solidarität der Nachbar*innen stehen nebeneinander und bleiben im Gedächtnis.
Die kindliche Perpektive, die sich durch den Blick des zehnjährigen Tila ergibt, führt nicht zur plumpen Emotionalisierung. Sie verdeutlicht die vielen Paradoxien und Widersprüche im Krieg.Durch den Humor kommt „Radio Sarajevo“ scheinbar leicht daher und lässt sich zügig lesen.Gleichzeitig entsteht eine gewisse Distanz, die verhindert, dass das Publikum sich bequem aufs Mitleid zurückziehen kann. Zwar überlässt Sila die moralische Wertung den Leser*innen, macht aber klar, dass man sich vor vorschnellen Urteilen hüten sollte. Erst recht, wenn man selbst den Luxus hatte, im Frieden aufzuwachsen. Denn er nimmt dem Publikum jede Illusion, die Handlungen der Personen im Buch so einfach be- oder verurteilen zu können. Man kann sich in die Erlebnisse als Außenstehende*r schlicht nicht hineinversetzen. Und diese Bewusstwerdung führt bei „Radio Sarajevo“ nicht bloß zu trauriger Betroffenheit, sondern zwingt zur Reflexion der eigenen Position und Verantwortung. Bei mir hat das Buch Wut ausgelöst. Denn nach dem Lesen sind die vielen rassistischen und verachtenden Zeitungsartikel der Nullerjahre, die die faktisch sich selbst überlassenen Geflüchteten aus Ex-Jugoslawien als unsauber darstellen, noch verachtenswerter. So schwer das Buch an vielen Stellen zu ertragen sein mag: Es ist unbedingt lesenswert.

Bewertung vom 16.05.2023
Komplizin
Li, Winnie M

Komplizin


sehr gut

Noch ein Metoo-Roman? Ja, und ein wichtiger noch dazu.
Protagonistin (und „Komplizin“?) dieses Romans ist die ehemalige Produktionsassistentin Sarah Lai, die mittlerweile als Universitätsdozentin arbeitet.
Vor etwa 15 Jahren begann ihr hart erkämpfter Aufstieg, der sie bis zur faktischen Produktionsleitung eines Indie-Films in Hollywood führte. Eines Films, der die Hauptdarstellerin schlagartig bekannt machte und diverse Preise abräumte. Danach zog sich Lai aus dem Filmgeschäft zurück. 10 Jahre später wird sie von einem New York Times-Journalisten kontaktiert: Dem Finanzier des Indie-Films, Hugo North, werden sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch vorgeworfen.

Sarah hat die Chance, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Dabei muss sie sich mit den Mechanismen hinter den Kulissen auseinandersetzen, die diese Täter schützen und stützen, die Abhängigkeiten produzieren und die Betroffenen zum Schweigen zwingen – und mit ihrer Rolle darin:

„Ich denke an diese nervige existenzialistische Fragestellung: Wenn im Wald ein Baum umstürzt und niemand es hört… Ich frage mich, wie viele Bäume noch umstürzen müssen, bevor uns klar wird, dass der ganze Wald zusammenbricht.“ (S. 343)

Die Autorin Winnie M Li hat selbst Filme produziert und 2017 einen Roman über ihre eigenen Vergewaltigungserfahrungen geschrieben. „Komplizin“ bohrt tiefer und lenkt den Fokus auf die Strukturen, die trotz #metoo viel zu wenig erschüttert wurden.

Sprachlich reißt das Buch mit, ich habe es innerhalb weniger Tage gelesen. Die Charaktere sind vielschichtig und ambivalent. Die Figur und gesellschaftliche Position Sarahs, die es als Tochter chinesischer Immigrant*innen gegen diverse Widerstände zwar zeitweise geschafft hat, deren Erfolge aber immer wieder aufgrund klassistischer, rassistischer und sexistischer Klischees infrage gestellt werden, ist sehr überzeugend modelliert. Damit ist das Buch nicht nur ein weiterer Roman im Zuge der Metoo-Bewegung, sondern einer, der auch die spezifischen Auswirkungen von antiasiatischem Rassismus einbezieht. Dies jedoch nicht moralisierend oder viktimisierend, sondern durch die nüchterne Schilderung ziemlich entwaffnend und dadurch ungleich wirkungsvoller.

Mir hat der Roman, sofern man das bei diesem Thema sagen kann, sehr gut gefallen und auch das Cover finde ich sehr gelungen. Ich empfehle aber, bei Interesse die Leseprobe dem Klappentext vorzuziehen, denn mir persönlich spoilert der Klappentext deutlich zu viel. Und natürlich gilt bei diesem Roman: Es finden teilweise sehr grafische Übergriffsschilderungen statt, auf die man sich einstellen sollte.

Bewertung vom 07.05.2023
Madame 60a
Valet, Henriette

Madame 60a


ausgezeichnet

Auf der letztjährigen Frankfurter Buchmesse bin ich auf den mir bis dato völlig unbekannten „Verlag Das Kulturelle Gedächtnis“ gestoßen. Die dort verlegten Bücher sind oft Widerentdeckungen und kulturelle Bestandsaufnahmen. (Wieder-)Verlegt werden die Bücher mit Farbschnitt, tollem Einband und geprägtem Verlagslogo – also richtige Kunstwerke.

So auch „Madame 60a“ von Henriette Valet. 1900 in einfachen Verhältnissen geboren, kommt die Autorin in den 1920ern in Paris mit linken Intellektuellen in Kontakt – und heiratet 1936 den berühmten Henri Lefebvre. Im Gegensatz zu ihm hat man sie vergessen, obwohl sie erst 1993 starb. Selbst in seinen Texten erwähnt Lefebvre sie kaum – und das, obwohl ihre Bücher bei Erscheinen durchaus für Aufmerksamkeit sorgten.

„Madame 60a“ erschien 1934. Im Buch begleiten wir eine namenlose Protagonistin, die, mittellos und hochschwanger, im Hôtel-Dieu landet, deren Bett im Saal zwischen den Betten 60 und 61 aufgestellt wird – Madame 60a. Beim Hôtel-Dieu handelt es sich um eine Mischung aus Klinik und Frauenhaus, die ebensolchen Frauen Zuflucht und Versorgung bietet und ihnen eine halbwegs sichere Geburt ermöglicht. Was dieser Ort auch ist: Ein Ort, an dem Dutzende schwangere und verzweifelte Frauen aufeinandertreffen, die alle aufgrund ihres Geschlechts und der Schwangerschaft in dieser Situation sind, die untereinander eigene Kämpfe austragen, Hierarchien etablieren, aber auch einen wahnsinnigen Zusammenhalt leben.

Die Protagonistin beobachtet die Rituale der Frauen distanziert. Sie wertet, flicht politische Gedanken ein und viele dieser Wertungen sind zumindest aus heutiger Perspektive problematisch – etwa, wenn sie bei einer durch einen Unfall körperlich behinderten Frau deren Schwangerschaft kritisiert, wo das Kind doch sicher diese Behinderung erben würde. Zugleich blickt sie kritisch auf den auch unter den Frauen verbreiteten Antisemitismus. Sie beschönigt nichts, stellt sich moralisch wiederholt über die (noch) nicht politisierten Frauen und verrät über sich selbst kaum etwas. Man kann aber davon ausgehen, dass Valet hier auch persönliche Erfahrungen verarbeitet hat.

Ich habe das Buch an einem Samstagvormittag begonnen und an diesem Tag beendet, weil ich es nicht aus der Hand legen konnte. Die Figuren sind oft überspitzt, viele Stellen erinnern an ein absurdes Theaterstück, dann wieder folgt eine messerscharfe Beobachtung. Die Sogwirkung entsteht gerade auch durch die Sprache, die von Norma Cassau großartig übersetzt wurde. Dass „Madame 60a“ auf der Hotlist von 2022 stand, ist mehr als verdient – und wer eine vergessene, feministische Autorin entdecken will, deren Werk sich einbrennt, sollte dieses Buch hier definitiv lesen.

Bewertung vom 09.03.2023
50 Ways to Leave Your Ehemann
Nandi, Jacinta

50 Ways to Leave Your Ehemann


sehr gut

Über die strukturelle Benachteiligung von Müttern, häusliche Gewalt und mangelnde Solidarität

50 Ways to leave your Ehemann - klingt das nicht ultra lustig und leicht?

Der Titel, eine Anspielung auf einen Songtitel, ist nur vermeintlich leicht. Er hat auch bei mir sehr viel Irritation ausgelöst, aber er verdeutlicht bereits die Art und Weise, wie sich Jacinta Nandi den Themen häusliche Gewalt, alleinerziehende Elternschaft und Herauslösung aus gewaltvoller Beziehung nähert. Das tut sie nämlich trotz der Heftigkeit der Themen mit einer Sprachfertigkeit und einem Humor, die mir mehrfach die Sprache verschlagen haben und gleichzeitig Achtung dafür hervorriefen, wie viel Kraft sie an den Tag legt.

Wobei wir genau da schon bei der Wunde sind, in die Nandi genüsslich ihren Finger legt: Wie wir Betroffene häuslicher Gewalt und alleinerziehende Mütter wahrnehmen (wollen) - und "wir" meint hier eindeutig auch feministische Kreise, in denen klassistische Powermuttis mit reichen Exmännern wenig Raum lassen für die Thematisierung rassistischer Marginalisierung, finanzieller Benachteiligung und das Hinterfragen von Vorstellungen darüber, wie sich alleinerziehende Frauen und von häuslicher Gewalt betroffene Frauen zu verhalten haben. Oder welche institutionellen Hürden es gibt, die ihnen das Leben erschweren.

Denn, das macht Nandi deutlich: Das Problem ist nicht das alleinige Erziehen, das könne verdammt viel besser sein als eine unsolidarische Partnerschaft. Das Problem sind die Bedingungen, unter denen sich meistens Frauen dieses Alleinerziehen erkaufen: Ein ziemlich hohes Armuts- und Gewaltrisiko, gesellschaftliches Mitleid, Ächtung, aber keine strukturellen Verbesserungen. Und sie macht klar, wie häufig Frauen die Mittel fehlen, ihren gewalttätigen Partner zu verlassen.

Apropos Gewalt. Wen das alles noch nicht überzeugt, dem*der seien Nandis Auslassungen zum Prozess Johnny Depp vs. Amber Heard wärmstens empfohlen. Der Genuss, mit dem selbst und gerade feministische Kreise Amber Heard öffentlich fertiggemacht haben, war auch für mich im letzten Jahr erschreckend. Nandi dechiffriert schonungslos die Misogynie dahinter, Depp zu feiern und Heard zu dämonisieren: "Um zu glauben, dass Depp nur Opfer ist, darf man nicht sehen können, dass Amber Heard ein Mensch ist." (S. 219).

Der Satz richtet sich vor allem an jene, die während des Prozesses bissige Memes über Amber Heard geteilt und sehr klar Position bezogen haben. Denn es ist egal, ob man den Prozess verfolgt hat oder sie für eine Täterin hält: Die ungefilterte Misogynie im Umgang mit ihr und das Abfeiern von Depp sind und waren unerträglich.


That being said: An einigen Stellen hat man beim Buch gemerkt, dass es eine relativ lockere Essaysammlung war. Deshalb hat mir hier und da etwas der rote Faden gefehlt oder es gab vermeidbare Redundanzen. Das ändert nichts am wichtigen, ich habs gern gelesen und kann es nur weiterempfehlen. Im wie immer bereichernden Buddyread mit Jule @bionoema_blog wurde uns beiden aber klar, dass sich die Texte besser häppchenweise lesen lassen und eher eine Textsammlung darstellen, nicht von vornherein für die Buchform geschrieben sind. Wer also längere Auseinandersetzungen sucht, könnte bei Nandi irritiert sein. Wer knappe, pointierte, (selbst-)kritische und kluge Gedanken lesen will, sollte dagegen zu diesem Buch greifen.

Bewertung vom 24.02.2023
Wir verstehen nicht, was geschieht
Funk, Viktor

Wir verstehen nicht, was geschieht


ausgezeichnet

Eine hochaktuelle Auseinandersetzung mit der sowjetischen Vergangenheit

Der junge Historiker Alexander forscht zum Gulag, genauer gesagt zu der Frage, was die Menschen dort am Leben gehalten hat, Hoffnung, Liebe?
Dafür trifft er sich mit Lew Mischenko, der im Gulag saß und währenddessen Briefkontakt zu seiner Frau hatte. Alex soll diese Briefe bekommen. Einzige Bedingung: Er soll mit Lew nach Petschora reisen, tief in Russland, wo er noch einmal einen alten Lagerfreund treffen will.

Diese Reise wird auf knapp 150 Seiten, unterteilt in 9 Tage, nacherzählt. Gerade durch die klare Sprache, die nicht künstlich emotionalisiert, hat der Roman bei mir wahnsinnig viel ausgelöst. So viel, dass ich es immer noch nicht so ganz formuliert bekomme. Jedenfalls erhält man hier nicht nur einen Einblick in die Haft im Gulag selbst, sondern auch in das Leben danach, in die Verbindung aus beiden Leben. Die Freundschaften, die das Gulag überdauern, von außen nicht leicht nachvollziehbare Freundschaften zu den "freundlicheren" Wärtern.

Die Figur von Alex ermöglicht für Leser*innen, die vom Thema wenig Ahnung haben (so wie mich) eine Verbindung zu den Charakteren, die diese weder bloßstellt noch zu reinen Forschungsobjekten degradiert. Alex ist empathisch und seinen Blick auf Lew, Jakow und das moderne Russland transportiert Funk wahnsinnig eindrücklich, sensibel, nachdenklich und kraftvoll.

Am Ende des Buchs flossen bei mir die Tränen, was ziemlich selten passiert. Auch das aber nicht als Ergebnis erzwungener Emotionalität, sondern aus Fassungslosigkeit, Wut und Traurigkeit über die Unmenschlichkeit dieses Systems.

Nicht, dass ich Funk oder den Verbrecher*innen so etwas zugetraut hätte! Dass es hier aber gar nicht zur Debatte steht, weil der Roman und die Figur von Lew für sich sprechen, ist ein weiteres Argument für dieses Buch.

Funk hat in dem Roman viele eigene Erfahrungen verarbeitet, denn er schrieb seine Magisterarbeit über die Erinnerung Gulag-Überlebender und traf 2004 dafür Lew und Swetlana. Dementsprechend schreibt hier aber auch ein Historiker, ein Fachmensch, dessen Wissen den Roman zusätzlich fundiert und ihm Tiefe verleiht.

"Wir verstehen nicht, was geschieht" ist von trauriger Aktualität. Bis heute sind die Verbrechen Stalins in Russland unzureichend aufgearbeitet und unter Putins Großmachtfantasien hat sich das noch verstärkt. Die Menschenrechtsorganisation Memorial, die sich dieser Aufklärung verschrieben hat, wurde im November 2021 von der russischen Justiz aufgelöst und erhielt vergangenen Oktober den Friedensnobelpreis.

Funk schreibt im Nachwort, dass das heutige Russland ohne das Wissen um dieses Regime nicht verständlich sei.
Diese Aktualität und Relevanz des Romans wird vielleicht heute, am ersten Jahrestag des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, noch einmal deutlicher. Deshalb: Lest dieses Buch, ertragt die Emotionen, die dabei hochkommen. Bestenfalls beendet ihr den Roman mit unglaublich viel Wut und etwas mehr Verständnis für die Komplexität der osteuropäischen Geschichte - und den Wunsch der meisten osteuropäischen Staaten, von Russland unabhängig zu bleiben.

Bewertung vom 29.12.2022
Frenemies
Ajnwojner, Rebecca;Axster, Felix;Auma, Maisha;Mendel, Meron;Cheema, Saba-Nur

Frenemies


gut

Der Nahostkonflikt. Zwei Worte, mit denen ganze Politgruppen gespalten werden können. Bücher zum Thema gibt es viele, häufig entweder mit deutlicher Schlagseite oder einer oberflächlichen, performativen Glättung dieser Widersprüche. „Frenemies“ möchte keins von beidem sein.
Über 40 Beiträge sind zusammengekommen, wodurch der Sammelband eine reichhaltige Aufnahme der aktuellen Diskussion ist. Zugleich wird das zum Problem: Die häufig nur drei oder vier Seiten langen Beiträge bleiben oft oberflächlich und setzen doch häufig schon so viel Vorkenntnis voraus, dass sich die Frage stellt, an wen sich der Sammelband eigentlich genau richtet.
Das Problem ist auch, dass schon eine gemeinsame Definition von Antisemitismus und Rassismus nicht möglich ist. Denn während die postkolonial geprägte Seite auf die rassistische Ebene des Antisemitismus abzielt und diesen als eine Form des Rassismus versteht, ist ein Ergebnis der intensiven Antisemitismusforschung, dass Rassenantisemitismus eben nur eine spezifische Form ist, Antisemitismus sich aber in vielen Punkten von Rassismus unterscheidet.
Auch „Frenemies“ kann diese unterschiedlichen Verständnisse nicht umgehen: immer wieder folgt ein Text, der diese Unterscheidung benennt, auf einen, der Antisemitismus und Rassismus ganz selbstverständlich gleichsetzt. Es gibt aber kaum Dialog darüber, inwiefern genau das eines der Kernprobleme ist. Genau das wäre aber einer der Punkte gewesen, den ich gern viel ausführlicher thematisiert gesehen hätte.
Es stellt sich auch die Frage, wie gleichberechtigt zwei Positionen nebeneinandergestellt werden sollten, wenn der Umgang mit der „Gegenseite“ sich doch sehr unterscheidet. So hat die Antisemitismusforschung immer schon sehr differenziert auch den deutschen Kolonialismus mit behandelt, wird schon in frühen Texten der Frankfurter Schule ein hohes Maß an Differenzierung deutlich. Umgekehrt nehme ich aber eine solche konstruktive Lesart vonseiten postkolonial geprägter Autor*innen wie Zimmerer, Moses et cetera kaum wahr.
Kurz vor der Veröffentlichung wurde bekannt, dass einige Autor*innen ihre Beiträge aufgrund zweier eingeplanter, BDS-naher Personen zurückgezogen hatten - Monika Schwarz-Friesel, Karin Stögner, Steffen Klävers, also Namen, die in der gegenwärtigen Antisemitismusforschung nicht unbedeutend sind.
Insgesamt bleibt dadurch das Gefühl, dass auch Frenemies bestimmte Spannungen nicht überbrücken kann, dass nur bis zu einem bestimmten Punkt innerhalb des Diskurses vorgedrungen werden kann, obwohl gerade für Diejenigen, die sich mit dem Thema auskennen, der eine Schritt weiter der spannendste gewesen wäre.
Ich habe das Buch im Austausch gelesen und immer wieder wurde in unseren Gesprächen die Spannung deutlich zwischen Anerkennung und Lob für dieses Buchprojekt und der Frage, ob es nicht eigentlich auf vielen Ebenen scheitern muss, gerade weil die Diskussion so verfahren ist und sich nicht durch kurze Essays voranbringen lässt.
Trotz der hier geäußerten Kritik möchte ich diese Anerkennung betonen, denn ich halte solche Sammelbände für wichtig. Ungeachtet der damit verbundenen Probleme bietet „Frenemies“ einen Einstieg und zwingt die Leser*innen, sich mit der Vielstimmigkeit auseinanderzusetzen, wütende Notizen an den Rand zu kritzeln, aber auch ehrlich anzuerkennen, wenn ein Punkt der „Gegenseite“ nicht von der Hand zu weisen ist. Es ist bereichernd und ermutigend, dass über 40 Menschen mit ganz unterschiedlichen Positionen zu diesem Sammelband bereit waren. Ich würde mir wünschen, dass die Debatte hier nicht aufhört, sondern nun erst richtig losgeht – kritisch, solidarisch, nicht überheblich und vor allem tiefgehender.

Bewertung vom 28.12.2022
Maschinenstürmer
Mueller, Gavin

Maschinenstürmer


ausgezeichnet

„Breaking Things At Work – The Luddites Are Right About Why You Hate Your Job“- das ist der sperrige, aber auch wunderbar polemische Originaltitel dieser Streitschrift des Amsterdamer Assistenzprofessors Gavin Mueller, die ursprünglich im linken Kultverlag Verso Books erschien und nun im September in deutscher Übersetzung bei Edition Nautilus.

Mueller beabsichtigt mit der Flugschrift zweierlei: technikkritische Menschen zu Marx bringen und Marxfans zur Technikkritik. Wer sich mit linkem Denken und dem Verhältnis zu Technik etwas auskennt, weiß: Das ist kein leichtes Unterfangen. Denn von pauschaler, primitivistischer Ablehnung jeglichen technischen Fortschritts bis zum Luxury Gay Space Communism lässt sich im linken Denken so ziemlich alles finden – und viele Strömungen berufen sich explizit auf Marx. Denn auch Marx selbst hat im Lauf seines Lebens unterschiedliche Positionen zu Technikoptimismus vertreten.

Im Kern geht es um die Frage, ob durch und für den Kapitalismus hervorgebrachte Technik für linke Politik nutzbar gemacht werden kann oder nicht. Lassen sich Algorithmen statt für Werbung für eine funktionale Form der Planwirtschaft nutzen? Sind Maschinen nicht die perfekte Möglichkeit, Menschen vom Joch der Arbeit zu befreien?

Nö, sagt Mueller und zeigt auf, dass Automatisierung historisch betrachtet immer mit der Entrechtung und Vereinzelung von Arbeiter*innen einherging, weil eben Industrialisierung und technischer Fortschritt innerhalb des Kapitalismus immer auch nach dessen Logik funktioniert. Mueller möchte die zu Unrecht als plumpe Technikfeind*innen verschrienen Luddit*innen wieder aufwerten und ihre Kritik für heutige linke Politik nutzbar machen. Dabei richtet er sich auch und vor allem explizit an die sogenannte akzelerationistische Linke – Figuren um Nick Srnicek oder Benjamin Bratton, die den Kapitalismus auf globaler Ebene mit seinen eigenen technischen Waffen schlagen wollen.

Das Thema ist also auch innerhalb linker Theoriekreise aktuell und was man Mueller zugutehalten muss, ist, dass er die Diskussion nicht nur sehr respektvoll führt, sondern auch Theorie und Praxis miteinander in Verbindung bringt. Als jemand, die dem Akzelerationismus manches abgewinnen kann, hat Mueller mich herausgefordert und an vielen Stellen überzeugt – das spricht für ihn.

Trotzdem habe ich ein paar Einschränkungen. Ich habe Mueller nämlich in einer Gruppe gelesen und entgegen seiner Intention wurde dabei schnell deutlich, dass das Buch als Marx-Einstieg eher weniger taugt. Denn Mueller springt zwischen Autor*innen, setzt bezüglich linker Bewegungsgeschichte ebenso wie hinsichtlich linker Theoriebegriff einige Vorkenntnis voraus und für Nicht-Affine linker Theorie wirkt das schnell wie bloßes Namedropping. Viele Teile seiner Argumentation bleiben implizit und anekdotisch. Seine Argumente gegen den Bezug auf Marx‘ Maschinenfragment lassen sich schwer nachvollziehen, wenn man das Fragment selbst nicht kennt. Wenn man es gelesen hat, lassen sich wiederum auch Einwände gegen Mueller erheben. Das war für mich möglich und deshalb auch gewinnbringend, aber es zeigt auch: Wenn man die Theorien, Namen und Schriften, auf die sich Mueller bezieht, nicht zumindest (historisch) verorten kann, geht das zu Lasten der Feinheiten und Differenzierungen von Muellers Argumentation.

Um seinen innerlinks-kritischen Argumenten folgen zu wollen, sollte man deshalb Spaß an Theorie haben. Falls nicht, ist „Maschinenstürmer“ bestimmt trotzdem eine spannende historische Übersicht über die Geschichte der Luddit*innen und liefert Anstöße für die Gegenwart. Gerade die Theorieteile könnten sich dann aber beim Lesen eher ziehen. Umgekehrt wurde aber auch deutlich: Wer nicht schon Hals über Kopf in der Theoriedebatte steckt, kann ggf. umso mehr von der historischen Ebene mitnehmen.