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Forti

Bewertungen

Insgesamt 217 Bewertungen
Bewertung vom 23.11.2025
Goga, Susanne

Die wilden Jahre (MP3-Download)


ausgezeichnet

"Die wilden Jahre" von Susanne Goga ist ein vielfältiger Roman. Die spannenden Settings Rheinland direkt nach dem Ersten Weltkrieg und Theater werden mit einer einfühlsamen Familiengeschichte, die gleichzeitig aber auch Krimi ist, verbunden. Das daraus entstandene Buch ist jedoch nicht zu komplex, sondern immer intelligent unterhaltsam. Die Umstände im (teils besetzten, teils 'neutralen') Rheinland im April 1919 werden eindrücklich und gut recherchiert beschrieben. Die Atmosphäre am Theater und der angeschlossenen Schauspielschule hätten für mich aber gerne ausführlicher behandelt werden können.
Mit der bei den Ermittlungen zum Mordfall über sich hinauswachsenden forschen Schauspielschülerin Thora habe ich mitgefiebert - auch ihr Bruder Hannes ist mir ans Herz gewachsen, auch wenn ich ihn aufgrund seines passiven Verhaltens manchmal hätte schütteln wollen. Zwei sympathische Hauptfiguren, deren gegenseitige Geschwisterliebe rührt.
Insgesamt ein Buch, das unterhält, aber nie seicht ist und bei dem man aber auch etwas über die beschriebene Zeit mitnimmt.
Gelesen wird das Hörbuch von Isabel Kluth. Ihre Stimme passt für mich gut zur Hauptfigur Thora. Sie gibt aber auch den anderen Protagonist*innen in der wörtlichen Rede jeweils eine zum Geschlecht und Alter passende Stimme, was meist gut passt, aber gerade bei der Darstellung älterer Männer manchmal an der Grenze zur (unfreiwilligen) Komik ist. Alles in allem habe ich ihr aber gerne zugehört, da sie in der Erzählung einen guten Ton trifft.

Bewertung vom 19.11.2025
Stetter, Moritz

Die Knef


ausgezeichnet

Moritz Stetter überlässt in seiner Comic-Biographie "Die Knef" meist der Protagonistin selbst das Wort, zitiert sie dabei aus Liedern, Büchern und Interviews. Das macht einen ganz eigenen Reiz aus, der mir sehr gut gefallen hat, auch wenn man so vermutlich eher ein von der Protagonistin selbst gezeichnetes also evtl. selektives Bild, als eine ganz unabhängige Biographie bekommt. Aber es ist ja nun mal auch kein Sachbuch, sondern eine Grapic Novel und dementsprechend ist es oft auch ein Schnelldurchlauf mit pointierten Szenen statt langer Schilderungen.
Die Bildsprache hat mir auch sehr gut gefallen. In Erinnerung werden mir vor allem die sehr passenden düsteren Bilder bleiben, aber sie machen mengenmäßig eher einen kleinen Teil aus, denn das Leben der Hildegard Knef hatte viele Tiefen, aber auch mindestens genausoviele Höhen.
Insgesamt wird das Leben dieser selbstbewußten, vielseitigen Künstlerin hier sehr gut gewürdigt.

Bewertung vom 03.11.2025
Schnalke, Christian

Ich bin der beste Freund des Menschen


ausgezeichnet

Christian Schnalke hat 100 Cartoons über Bücher gestaltet. Die jeweils einbildrigen Cartoons bilden eine große Bandbreite: Bücher als Protagonist oder als Objekt, ohne oder mit Text, sofort eingängig oder zum Nachdenken anregend, eigentlich immer witzig, aber selten flach, sondern oft hintergründig. Es ist dadurch trotz Monothematik vielfältig und wird nie langweilig. Mir hat das sehr gut gefallen. Ein schönes, abwechlsungsreiches Geschenk für Buchliebhaber*innen.

Bewertung vom 20.10.2025
Haas, Wolf

Wackelkontakt


sehr gut

"Wackelkontakt" ist kein gewöhnlicher Roman, sondern ein erzählerisches Experiment. Ansich wäre die Story über einen puzzlenden Trauerredner mit defekter Steckdose und einen zum Elektriker umgeschulten Ex-Mafioso eher mau, aber die Erzählweise macht den Unterschied: das Springen zwischen zwei sich gegenseitig bedingenden Erzählebenen, in den beide Protagonisten jeweils ein Buch über den anderen lesen. Dadurch ergibt sich ein Buch im Buch im Buch usw., das ich so noch nie gelesen habe und das ich erzählerisch spannend und unterhaltsam fand. Respekt vor Wolf Haas, dass das so klappt und sich insgesamt gut liest!
Die Geschichte für sich genommen und das Ende haben mich nicht restlos überzeugt, aber das stelle ich mir bei diesem Buch auch schwierig vor. Insgesamt passt es aber trotzdem und bekommt von mir eine Leseempfehlung!

Bewertung vom 10.10.2025
Louis, Édouard

Der Absturz


ausgezeichnet

Auch das neuste Buch, mit dem Édouard Louis seine autofiktionale Reihe abschließen möchte, hat mich wieder sehr berührt. In "Der Absturz" steht sein verstorbener älterer Bruder im Mittelpunkt. Obwohl Édouard Louis selbst sagt, dass er diesen namenslos bleibenden Bruder nicht geliebt hat, findet er doch auch immer wieder warme Worte und ein gewisses Verständnis für diese sehr ambivalente Figur. Der Bruder wird sehr reflektiert mit all seinen negativen Charakterzügen, aber auch mit kleinen Lichtblicken, seinen Träumen, dann aber auch mit dem alles bestimmenden Alkoholismus beschrieben. Immer wenn man denkt, man hätte jetzt ein Bild dieses Mannes, kommt ein weiterer überraschender Aspekt, der den Blick wieder wendet, dazu. Édouard Louis trifft hier sehr reflektiert den richtigen Ton: ist nie anklagend, nie mitleidig, aber doch mitfühlend. Die schwere Kindheit wird beschrieben, ohne dass sie als Entschuldigung für sein späteres Leben dient.
Von mir gibt es dafür Respekt für diese reflektierte Darstellung und eine Lesempfehlung!

Bewertung vom 14.09.2025
Vego, Kristin

Spät am Tag


sehr gut

Kristin Vego hat ein ruhiges, stimmungsvolles, poetisches Buch geschrieben. Die Beschreibung der Liebesgeschichte von Johanne und Mikael kommt ohne große Handlung aus, sondern zeichnet sich durch stimmungsvolle Naturbeschreibungen und poetische Gedanken aus.
Sowohl Ich-Erzählerin Johanne als auch ihr Vermieter und späterer Partner Mikael bleiben der Leserin (und vielleicht auch einander) ein Stück weit fremd, was für mich aber ok war. Die Liebesgeschichte hält sich auch nicht mit Verliebtheiten oder anderem Kitsch auf, sondern beschreibt eher den realistischen Alltag der beiden. Dabei ist aber auch noch viel Raum für die Protagonistin selbst und ihren Blick auf sich selbst und ihren Umwelt.
Der Mangel an Handlung und die Zeitsprünge in der Erzählweise sowie die kitschfreie Liebesgeschichte von " Spät am Tag" sind vermutlich nicht jederfraus Sache. Aber wenn man sich darauf einlässt, liest man ein lohnendes, entschleunigendes Stück Literatur.

Bewertung vom 27.08.2025
Georg, Miriam

Die Verlorene


sehr gut

Eine mitreißende Geschichte. Generationenübergreifend wird in "Die Verlorene" die Geschichte der Frauen einer deutsch-schlesischen Familie beschrieben. Zentrales Moment ist die Flucht Ännes in den Westen nach Ende des Zweiten Weltkriegs, die sich als generationsübergreifende unbewußte Prägung (vielleicht auch Trauma) erweist. Dazu wie üblich einige Familiengeheimnisse, denen Laura, die jüngste der Frauen, auf den Grund geht. Auch wenn eigentlich nur diese Enkelin Laura als sympathisch durchgeht, sind mir doch alle Frauen mit ihren Ecken und Kanten ans Herz gewachsen und ich habe mit ihnen in schweren Zeiten mitgefiebert. Das Gewichtung zwischen deutscher Schuld und deutschem Leid finde ich in dieser Darstellung gerade noch passend. Die schlesische Landschaft und den Gutshof fand ich sehr stimmungsvoll beschrieben. Vielleicht ist die Geschichte an manchen Stellen etwas einfach und dafür an anderen Stellen an den Haaren herbei gezogen, aber da lohnt es sich, großzügig zu sein, denn dann wird man gut unterhalten.
Die Geschichte ist von Miriam Georg sprachlich im besten Sinne einfach, aber dennoch fesselnd erzählt. Warum polnische Figuren in Büchern deutscher Autor*innen so selten einfach mal echte polnische Namen haben, bleibt allerdings auch in diesem Buch ungeklärt.
Kleine Kritikpunkte und leider blieb mindestens eine Frage offen, aber dennoch insgesamt für mich ein Pageturner.

Bewertung vom 22.08.2025
Erdmann, Kaleb

Die Ausweichschule


ausgezeichnet

Berührend, aber nie schwermütig, tatsächlich sowohl informativ als auch intelligent unterhaltsam und nie langweilig.
Eine Autofiktion über den Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium vor mittlerweile über zwanzig Jahren - das kann ja nur schief gehen und wer will sowas eigentlich lesen, könnte man denken, aber Kaleb Erdmann ist es tatsächlich gelungen, sich diesem Ereignis in seiner Kindheit zu stellen und mit "Die Ausweichschule" ein wirklich überaus gelungenes Buch darüber zu schreiben, das meiner Meinung nach immer den richtigen Ton trifft und die Begleitumstände des Amoklaufs persönlich und (selbst-)kritisch, aber ohne Schuldzuweisung darstellt.
Das Buch und sein namensloser Protagonist werden mir in Erinnerung bleiben und ich drücke Kaleb Erdmann die Daumen für den Deutschen Buchpreis!
Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung, es sei denn, die auf der Hand liegenden Trigger sind zu belastend.

Bewertung vom 19.08.2025
Lühmann, Hannah

Heimat


sehr gut

Ich konnte nicht mehr aufhören zu lesen. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was mich an "Heimat" so gefesselt hat, denn eigentlich ist die Geschichte eher erwartbar, aber irgendwie hat mich dieses Buch von Hannah Lühmann richtig gepackt, so dass ich es fast an einem Stück durchgelesen habe.
Das dystopische Deutschland, in dem die Handlung angesetzt ist, finde ich beklemmend gut beschrieben, denn ich habe mich an einigen Stellen gefragt, wie weit wir denn wirklich noch davon entfernt sind. Die Betäubung mit Social Media und der Strudel des Algorithmus, die Abgestumpftheit gegenüber schlimmen Nachrichten und die Salonfähigkeit rechter Parolen sind jedenfalls schon jetzt präsent.
Die Figuren sind ausnahmslos unsympathisch - trotzdem kommt die Faszination, die Karolin auf Jana ausübt, glaubhaft rüber. Auch den schleichenden Prozess zur Radikalisierung, den Jana durchläuft, halte ich durchaus für plausibel.
Geschrieben ist das alles sehr flüssig und eingänglich.

Bewertung vom 12.08.2025
Hewitt, Seán

Öffnet sich der Himmel


sehr gut

Das ist eine andere Liebesgeschichte. "Öffnet sich der Himmel" nimmt uns mit in das Jahr 2002 in Nordengland. Der jugendliche James ist auf der Suche nach sich selbst und seinen Platz in Familie, Schule, Gesellschaft. Er hat sich als schwul geoutet, was von seiner Umgebung nicht offen mit Ablehnung, aber auch nicht wirklich mit Unterstützung aufgefasst wird. Wenn ihm schon im Buch für diesen mutigen Schritt niemand Respekt zollt, so will ich das zumindest tun. Er findet keinen Anschluss, ist einsam und in der Familie wird ihm neben der Schule ein Job und die Betreuung des kranken kleinen Bruders abverlangt. Dann kommt Luke neu ins Dorf, dem nachgesagt wird, ein schlechter Umgang zu sein. Die beiden Außenseiter haben einen Draht zueiandern, ohne dass sich aber eine tiefere Beziehung entwickelt. Es ist weder eine Bilderbuchfreundschaft und wohl auch nicht die Liebesgeschichte, die James sich wünscht, was das ganze aber durchaus realistischer machte. Die Unsicherheit von James, was seine Liebe, sein Begehren und das richtige Verhalten allgemein und speziell gegenüber Luke betrifft, ist immer spürbar. Dabei verschwimmen auch die Grenzen zwischen Realität und (Wunsch-)Traum.
Es ist das Roman-Debüt von Seán Hewitt, der aber zuvor schon als Lyriker und Literaturkritiker publiziert hat. Ihm ist eine ruhige, manchmal traurige Coming-of-Age-Geschichte mit einem Hauptdarsteller, der in Erinnerung bleibt, gelungen. Hervorheben möchte ich noch die sehr stimmungsvollen Beschreibungen des nordenglischen Dorfes, der Natur und der Jahreszeiten, die die Geschichte begleiten. Diese Bilder haben mir auch sehr gut gefallen.