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YukBook
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München

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Insgesamt 315 Bewertungen
Bewertung vom 29.08.2025
Gayle, Mike

The Museum of Ordinary People


ausgezeichnet

Es gibt viele Museen, die Kuriositäten ausstellen, doch ein „Museum of Ordinary People“? Darunter konnte ich mir zunächst gar nichts vorstellen, als ich auf diesen Roman stieß. Ähnlich geht es auch der Ich-Erzählerin Jess Baxter, die nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter diesen Ort aufsucht, um einen Platz für ihre Enzyklopädien zu finden. Sie waren ein Geschenk ihrer Mutter und verkörpern wertvolle Erinnerungen an sie.
Es stellt sich heraus, dass selbst Alex, Erbe einer Entsorgungsfirma, keine Ahnung von der Existenz dieser verborgenen Sammlung von Alltagsgegenständen in seinem Lagerhaus hatte. Jess ist so angetan von den sorgfältig beschrifteten Einzelstücken und die Geschichten, die sich dahinter verbergen, dass sie beschließt, ein Museum zu gründen. Da ich mich sehr für Ausstellungskonzepte interessiere, habe ich mit Spannung verfolgt, wie die gelernte Kuratorin mit Hilfe ihrer sympathischen Kollegen ihr Herzensprojekt umsetzt und die Werbetrommel rührt. Dabei fragte ich mich, welchen persönlichen Gegenstand ich gern an solch einem Ort sehen würde.
Mike Gayle erzählt warmherzig und feinfühlig, wie das Museum Menschen zusammenbringt und in welches Dilemma Jess gerät, als ihre Nachforschungen den Hinterbliebenen nicht nur Freude, sondern auch Kummer bereitet. Während sie einige Rückschläge verkraften muss, erfahren wir parallel in einem Rückblick, wie Jess das Haus ihrer Kindheit ausräumt und ihre Trauer verarbeitet. Wie schon in seinen Vorgängerromanen „Half a world away“ und „All the lonely people“ vermittelt Mike Gayle in einer berührenden und wendungsreichen Geschichte die Bedeutung von Verbundenheit und Wertschätzung jedes Einzelnen in einer auf Effizienz und Profimaximierung getrimmten Welt.

Bewertung vom 24.08.2025
Gabriel, Agnès

Die Malerin des Lichts / Außergewöhnliche Frauen zwischen Aufbruch und Liebe Bd.15


sehr gut

Berthe Morisot war die einzige Frau, die neben namhaften Künstlern wie Monet, Renoir oder Degas an den Impressionisten-Ausstellungen in Paris teilnahm. Über diese außergewöhnliche Malerin wollte ich mehr erfahren und stieß auf diese Romanbiografie. Sie beginnt mit einer zentralen Begegnung zwischen Berthe Morisot, die im Louvre einen Rubens kopiert, und Edouard Manet im Jahr 1868. Sie steht dem umstrittenen Künstler, der ihr imponiert, mehrere Male Modell, in der Hoffnung von ihm zu lernen und sich mit ihm als ebenbürtige Künstlerin auszutauschen. Doch es ist Edouards Bruder Eugène, der ihr nicht nur Respekt und Bewunderung entgegenbringt, sondern auch eine Zukunft ermöglicht, die sie sich nicht hätte erträumen lassen.

Berthes Familie nimmt in diesem Buch viel Raum ein: die enge Bindung zu Berthes älteren Schwester Edmé, mit der sie Malausflüge unternimmt; die Mutter, die jede Woche auf ihren Soirées die gehobene Gesellschaft empfängt … Auch Eugène, der eine erstaunlich moderne Einstellung zur Gleichberechtigung von Künstlern und Künstlerinnen hat und seinem Bruder auch mal die Stirn bietet, bekommt in dieser Geschichte klare Konturen. In Berthes Verhalten gegenüber der Familie, den Künstlerkollegen und Kritikern zeigt sich ihre starke Persönlichkeit. Sie ist selbstbewusst, überzeugt von ihren Fähigkeiten und geht unbeirrt ihren Weg zur anerkannten Malerin. Auch wenn sie mir als Hauptfigur manchmal etwas zu kurz kam, habe ich sie gern begleitet und nebenbei ihre Werke im Internet recherchiert.

Bewertung vom 16.08.2025
Kennedy, Margaret

Falscher Glanz


sehr gut

Dieser Roman enthält viele Zutaten, die mir aus dem Buch „Das Fest“ der gleichen Autorin bekannt vorkommen: eigenwillige Charaktere, amouröse Verflechtungen, fiese Intrigen und eine nahende Katastrophe. Diesmal ist keine Familienpension, sondern der britische Landadel dem Untergang geweiht. Symbolisch dafür steht ein skandalöser Mordprozess, in dem der Schriftsteller Norman Crowne verwickelt war, und das ruinierte Ansehen, das nach seinem Tod auf seinen Kindern William und Emily lastet.

Die weltfremden Zwillinge, die bei ihrer Tante Catherine aufwachsen und in ihrer eigenen Traumwelt leben, stehen im krassen Gegensatz zu Catherines Kindern Trevor und Charlotte. Diese sind von Rivalität, Eifersucht und Gier getrieben und wissen, jede Gelegenheit zu ihrem Vorteil zu nutzen. Auch wenn die Geschichte im 19. Jahrhundert spielt, behandelt die Autorin auf humorvolle und moderne Weise sehr aktuelle Themen wie Generationskonflikte, Geschlechterungleichheit und alternative Lebensformen, die zum Scheitern verurteilt sind.

Bewertung vom 13.08.2025
Godfrey, Rebecca;Jamison, Leslie

Peggy


sehr gut

„Je reicher man ist, desto weniger darf man auffallen.“ Nach diesem Motto wächst Peggy Guggenheim Anfang des 20. Jahrhunderts in einer der wohlhabendsten Industriellen-Familien Amerikas auf. Ihren Weg zur Kunstmäzenin können wir in dieser Romanbiografie verfolgen.

Jeder Ortswechsel geht mit einem Wandel ihres Lebensstils einher. Mit Anfang 20 befreit sich die Erbin vom dekadenten Leben in New York und zieht nach Paris auf der Suche nach Freiheit und Selbstverwirklichung. Dort lernt sie neben bekannten Intellektuellen und Künstlern wie Djuna Barnes, Marcel Duchamp und Man Ray auch ihren künftigen Mann kennen. Doch weder als Ehefrau noch als Bohemienne findet sie Sinn und Erfüllung. Mehrere Schicksalsschläge haben tiefe Spuren hinterlassen. Erst als sie beginnt, sich mit zeitgenössischer Kunst zu beschäftigen und ihre erste Galerie in London eröffnet, entdeckt sie ihre wahre Bestimmung.

Leslie Jamison hat das Manuskript ihrer Freundin Rebecca Godfrey, die früh verstarb, beendet. Für mich hat das Buch stark angefangen, aber im letzten Drittel leider nachgelassen. Statt der ausführlichen Beschreibungen ihrer Affären und Alltagsszenen hätte ich lieber mehr über Peggys Schaffen als Galeristin erfahren.

Bewertung vom 09.08.2025
Henneberg, Nicole

Gabriele Tergit. Zur Freundschaft begabt


sehr gut

Gabriele Tergit war mir als Autorin von „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“ ein Begriff. Dass die jüdische Schriftstellerin auch eine mutige Journalistin und Gerichtsreporterin war, die aus ihrer Heimat vertrieben wurde, erfuhr ich erst in dieser Biografie.

Zu Beginn werden Orte in ihrer Heimatstadt Berlin vorgestellt, an denen man Tergit nahekommen kann – eine gelungene Einstimmung, denn Ihre Wohn- und Wirkungsorte werden in diesem Buch noch eine wichtige Rolle spielen. Mir hat es gefallen, nicht nur ihre journalistische und schriftstellerische Karriere zu verfolgen, sondern auch in die Blütezeit der Berliner Presse zwischen 1925 und 1933 einzutauchen und die verschiedenen Zeitungshäuser mit ihren Eigenheiten kennenzulernen.

Nach der Machtergreifung der Nazis folgen jedoch schwere Jahre. 1933 emigriert sie widerwillig mit Mann und Kind nach Palästina. Ich war beeindruckt, wie Gabriele Tergit sich trotzdem die neue Umgebung schreibend erschloss. Auch im Londoner Exil schreibt sie unermüdlich weiter, kann jedoch nicht mehr an ihren einstigen Erfolg anknüpfen.

Minuziös stellt Nicole Henneberg heraus, in welchem Umfang persönliche Erlebnisse und reale Personen, politische und menschliche Krisen in Tergits Romane eingeflossen sind und wie wichtig ihr historische Genauigkeit war. Das fand ich einerseits bemerkenswert, andererseits etwas mühsam zu lesen, weil mir ihre Werke (noch) nicht vertraut sind. Die umfassende Biografie würdigt somit nicht nur Tergits bewegtes Leben, das durch Heimatlosigkeit und Ringen um Anerkennung geprägt war, sondern auch ihr beinahe in Vergessenheit geratenes Gesamtwerk.

Bewertung vom 05.08.2025
Weihser, Rabea

Wie wir so schön wurden (MP3-Download)


sehr gut

Spätestens bei der ersten Videokonferenz während der Corona-Pandemie hat jeder vermutlich schon mal kurz über die Möglichkeiten nachgedacht, sein Aussehen zu optimieren. Soziale Medien tun ihr Übriges, um unser Schönheitsideal zu prägen. Rabea Weihser beschäftigt sich also in ihrem Buch mit einem höchst aktuellen Thema und geht der Frage nach, für wen, warum und mit welchen Mitteln Menschen sich schön machen.

Dabei nimmt sie sich jede Gesichtspartie einzeln vor und erklärt, wie sich unsere Idealvorstellung von Hautfarbe, Augen, Brauen, Nase und Lippen seit der Antike bis heute entwickelt und verändert hat. Den Einblick in kulturgeschichtliche, psychologische und soziologische Hintergründe fand ich besonders interessant. Ich war fasziniert, wie der Ägyptenhype in den 1930er Jahren die Schminkkunst beflügelt hat, schockiert, wie verbreitet Hautaufheller in Nigeria sind, und erstaunt, was wir alles mit unseren Augenbrauen kommunizieren können und welche Ausmaße der Brow Craze annahm.

Die Autorin vermittelt Fakten und Kuriositäten mit viel Witz und beißender Ironie, zum Beispiel wenn es darum geht, wie lukrativ die Kosmetikindustrie unser Begehren nach Schönheit und die wechselnden Trends ausnutzte. Diese opulente, unterhaltsame Biografie des Gesichts verrät viel über menschliche Sehnsüchte und Schönheitstrends als Ausdruck von Lebensgefühl, Werten und kulturellen Strömungen.

Bewertung vom 28.07.2025
Jewell, Lisa

None of This is True


ausgezeichnet

Es gibt viele Podcasterinnen, die Frauen mit einer besonderen Lebensgeschichte porträtieren. Die Hauptfigur Alix Summer gehört dazu und hat damit viel Erfolg. Ihr Leben verändert sich schlagartig, als sie Josie Fair, einen Geburtstagszwilling, kennenlernt und sich darauf einlässt, einen Podcast über sie zu machen. Was Josie in ihrem Leben erleiden musste, ist so verstörend, dass Alix nicht anders kann als ihr zu helfen. Doch schon bald kommen ihr Zweifel, wer in Josies Familie das tatsächliche Opfer ist.

Dass Alix und Josie Geburtstagszwillinge sind und die Erzählperspektive zwischen ihnen wechselt, gibt der Geschichte einen besondere Kick. Man hat den direkten Vergleich zwischen zwei Frauen, die am gleichen Ort und zur gleichen Zeit geboren sind und völlig verschiedene Wege eingeschlagen haben. Dabei ist Alix‘ Leben längst nicht so perfekt, wie es scheint. Erst durch die Begegnung mit Josie wird ihr klar, was ihr im Leben wichtig ist. Nach „Der Fremde am Strand“ und „Was damals geschah“ ist Lisa Jewell wieder ein hochspannender Thriller voller psychologischer Tiefe gelungen, den ich kaum aus der Hand legen konnte.

Bewertung vom 20.07.2025
Schramm, Nora

Hohle Räume


sehr gut

Wer kennt sie nicht – die gemischten Gefühle beim Heimatbesuch. Bei Helene, Berliner Künstlerin und Ich-Erzählerin, wird die Lage dadurch erschwert, dass ihre Eltern vor einer Scheidung stehen. Bei der Sortierung des Besitzstands wird sie nicht nur mit vielen Erinnerungen, sondern auch mit der Gewissheit konfrontiert, dass das bürgerliche Familienideal gescheitert ist.
Bezeichnend ist, dass der wortkarge, passive Vater meist durch Abwesenheit glänzt, während die im Haushalt geschäftige und gesprächige Mutter omnipräsent ist. Und da wäre auch noch Molly, ein Pflegekind der Eltern, das einst ohne Erklärung die Familie verließ. Manche Situationen kamen wir bekannt vor: zum Beispiel, dass man auf eine Bemerkung oder auf ein Verhalten seiner Eltern nicht mehr unvoreingenommen reagieren kann, weil automatisch bestimmte Gedanken im gleichen Muster in Gang gesetzt werden.
Die Autorin seziert nicht nur messerscharf das Leben der einzelnen Familienmitglieder, sondern macht auch das Haus samt symbolhaftem Inventar zu einer zentralen Figur und verwandelt es in das künstlerische Abbild einer dysfunktionalen Familie. Wer Aufheiterung braucht, sollte das Buch nicht lesen, denn trotz Ironie und Sprachwitz macht es betroffen. Am meisten hat mich beeindruckt, wie kreativ und erfrischend Nora Schramm mit der Sprache umgeht und die Metapher des Hohlraums ausreizt.

Bewertung vom 12.07.2025
Dörrie, Doris

Wohnen (MP3-Download)


ausgezeichnet

Bei dem Titel „Wohnen“ habe ich nicht erwartet, dass ich in diesem Buch so viel in der Welt herumkomme. Das liegt daran, dass Doris Dörrie im Vergleich zu ihren drei Schwestern „nicht so sehr der Wohntyp“, sondern lieber unterwegs ist. Inwiefern bestimmt unsere Art zu wohnen auch unsere Art zu leben? Diese Frage beleuchtet die Autorin unter verschiedenen Aspekten und reflektiert über ihre eigenen bisherigen Wohnsituationen.
Sie erinnert sich an ihr erstes eigenes Zimmer mit Märchentapete und stellt fest, dass ihre Mutter nie einen Rückzugsort hatte. Als Hausfrau war sie ortlos, schaffte aber für die Familie einen sicheren Raum und feste Rituale wie das gemeinsame Essen am Esstisch. Interessant fand ich, dass sich die Schriftstellerin besser fühlte, wenn sie an einem nützlichen Ort wie der Küche etwas „Unnützes“ tat wie das Schreiben. Gedanken dieser Art, die den Wertewandel in unserer Gesellschaft widerspiegeln, gibt es viele in diesem Buch.
Spannend ist auch zu lesen, welche Rolle Räume in ihren Romanen und Drehbüchern spielen. Sie hat viele Filme in Japan gedreht und schätzt die dortigen Wohnkonzepte, die im krassen Gegensatz zu den Luxusvillen in Los Angeles stehen, die sie aus reiner Neugier besichtigt hat. Ihren klugen Gedanken über unseren Bezug zu Räumen, vom Safe Space für Frauen über digitale Räume bis hin zu einer politischen Haltung, bin ich sehr gern gefolgt.

Bewertung vom 05.07.2025
Greiner, Margret

'In mir tobt und brodelt stets etwas Gefährliches'


ausgezeichnet

Was Romanbiografien betrifft, zählt Margret Greiner zu meinen Lieblingsautorinnen. Diesmal war ich neugierig, eine mir unbekannte Lyrikerin kennenzulernen: die Wienerin Elsa Asenijeff. Ihre Liebesgedichte, die an mehreren Stellen zitiert werden und den Anfang des lyrischen Expressionismus markierten, sind mir etwas zu pathetisch, doch ihre Lebensgeschichte habe ich mit Spannung verfolgt.

Schon während ihres Studiums zur Lehrerin passte sie sich nur widerwillig dem weiblichen Rollenbild an. Aus einer finanziellen Notlage heraus heiratete sie einen vermögenden bulgarischen Diplomaten, fühlte sich in Sofia jedoch ausgegrenzt und lebte erst während ihres Studiums der Psychologie und Philosophie in Leipzig auf. Einen großen Raum nimmt die intensive Liebesbeziehung zu dem Künstler Max Klinger ein. So erfuhr ich nicht nur über Elsas bemerkenswerte schriftstellerische Karriere, sondern auch ihren bedeutenden Anteil am Erfolg ihres Lebensgefährten.

Margret Greiner schafft es erneut, durch ihre lebendige Sprache und Empathie sowohl dieser extravaganten Persönlichkeit als auch dem damaligen gesellschaftlichen und künstlerischen Umfeld Leben einzuhauchen. Sie stellt heraus, wie widersprüchlich Elsas Verhalten war: Einerseits setzte sie sich für die Bildung und Berufstätigkeit der Frau ein, andererseits glaubte sie an die unterschiedliche Bestimmung der Geschlechter. Ich möchte mir Elsas Porträtbüste von Max Klinger in der Neuen Pinakothek ansehen und werde mich dabei sicher an viele bewegende Szenen aus diesem Buch erinnern.