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YukBook
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Insgesamt 325 Bewertungen
Bewertung vom 16.12.2025
Knausgard, Karl Ove

Im Augenblick


sehr gut

Ein wiederkehrendes Thema in den Werken von Karl Ove Knausgård ist, wie im scheinbar Alltäglichen eine tiefgehende Bedeutung liegen kann. Das hat mir schon in seinen Jahreszeiten-Bänden – eine Sammlung von Miniaturen über das Universum und den Alltag – sehr gefallen. In dieser Essaysammlung geht er weiter in die Tiefe und widmet sich vor allem flüchtigen Momenten, die unsere Erinnerung und unser Selbstverständnis stark prägen.

Spannend ist, wie unterschiedlich er dabei vorgeht. Mal reist er nach Russland, weil er genau die Welt, die Turgenjew in seinen Romanen beschrieben hat, sehen will. Mal analysiert er die Arbeitsnotizen von Ingmar Bergman, um dessen Filme besser zu begreifen. Er reflektiert über die Bedeutung von Literatur und Kunst für unser Weltverständnis und gibt interessante Denkanstöße: zum Beispiel, warum man vor einem Gemälde eines Baumstamms stehenbleibt, vor einem Baumstamm aber nicht.

Wie gewohnt gibt er viel Persönliches preis, zum Beispiel wie stark sein Wunsch war, Schriftsteller zu werden und welche Erlebnisse sein Schreiben blockiert und welche sie wieder in Fluss gebracht haben. Indem er sinnlich und detailreich beschreibt, wie bestimmte Romane, Filme und Erlebnisse seine Wahrnehmung geprägt haben, stellt er den besonderen Augenblick heraus, in dem man eine Beziehung zu etwas zuvor Unbedeutendem aufbaut.

Die Texte, in denen philosophische Fragestellungen überwiegen, waren für mich schwerer zugänglich als die, in denen Knausgård sie in typischer Manier mit realen Alltagserlebnissen kombiniert. Die lange Reise durch seine Gedanken und Beobachtungen lädt auf jeden Fall dazu ein, seinen eigenen Blick auf die Welt zu hinterfragen und empfänglich für das Unerwartete zu sein.

Bewertung vom 05.12.2025
Kollritsch, Ursula

Glücksorte rund um Weihnachten


ausgezeichnet

Im frostigen Dezember hat man die Wahl: Entweder man macht es sich zu Hause bei Kerzenlicht gemütlich mit Tee, Gebäck und einem guten Buch oder man sucht aktiv Orte mit vorweihnachtlicher Stimmung auf. Beides kombinieren kann man prima mit diesem Buch von Ursula Kollritsch. Tolle Tipps habe ich zuletzt in ihrem Buch „Glücksorte in der Welt der Bücher“ entdeckt. Auch diesmal bin ich fündig geworden.

Zu gern würde ich mal das weltgrößte Adventskalenderhaus in Gengenheim oder die internationalen Krippenlandschaften auf der Ars Krippana in der Eifel besichtigen. Märkte verschiedenster Art werden vorgestellt, darunter auch der Romantische Weihnachtsmarkt auf Schloss Thurn und Taxis – einer meiner Favoriten. Ein neuartiges Erlebnis wäre, die Adventszeit an der Ostsee zu verbringen, zum Beispiel auf der Fischers Wiehnacht in Niendorf oder beim Inselglitzern auf Usedom. Auch bei Orten wie Quedlinburg könnte ich mich nur schwer entscheiden, ob ich im Sommer hinfahren oder den „Advent in den Höfen“ erleben möchte.

Wer sich nicht nur besinnliche Stimmung, sondern mehr Action wünscht, kommt beim Weihnachtsliedersingen im Kölner Fußballstadion auf seine Kosten. Viele attraktive Ziele liegen leider im Norden und Osten Deutschlands, doch dank der schönen Texte und Fotos konnte ich aus der Ferne in die Atmosphäre eintauchen. Für uns habe ich als nächstes die Halsbacher Waldweihnacht bei Altötting und die Weihnachtsmärkte in Kaufbeuren ins Auge gefasst.

Bewertung vom 26.11.2025
Karl, Michaela

'Kluge Frauen bezahlen ihre Kleider selbst'


sehr gut

Coco Chanel ist jedem ein Begriff, aber nur wenige kennen ihre Rivalin Elsa Schiaparelli. „Warum?“ fragt man sich, wenn man diese Biografie gelesen hat. Zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg beherrschte die Italienerin die Modewelt und machte mit extravaganten Kreationen wie dem Schleifenpulli, dem Hummerkleid und ihrem Markenzeichen „Shocking Pink“ Furore.

Was machte ihre Mode so einzigartig und begehrenswert? Diese Frage beantwortet die Autorin sehr umfassend, indem sie die Wechselwirkungen zwischen Elsas Schaffen und den gesellschaftlichen, künstlerischen und modischen Strömungen in den Vordergrund stellt. Ich war beeindruckt von Elsas Mut, Konventionen zu brechen und zu provozieren, von ihrem Gespür für die Wünsche und Bedürfnisse der selbstbewussten Frau und ihrer Kreativität und Experimentierfreude, inspiriert von den Dadaisten und Surrealisten.

Im mittleren Teil kommen so viele Namen von einflussreichen Modejournalistinnen, Chefredakteurinnen und Hollywoodstars ins Spiel, dass ich manchmal den Überblick verlor. Andererseits waren sie als Influencerinnen der damaligen Zeit maßgeblich am Aufstieg und weltweiten Erfolg der Maison Schiaparelli beteiligt. Auch zum Ende hin schweift die Autorin ein wenig von der Hauptfigur ab, um die politische Lage sehr detailliert zu schildern. Davon abgesehen kann ich diese Hommage an eine außergewöhnliche Pionierin, die mit ihrer Mode die Individualität der Trägerin betonte und die Frauenemanzipation vorantrieb, sehr empfehlen.

Bewertung vom 22.11.2025
Illies, Florian

Wenn die Sonne untergeht


ausgezeichnet

Der 150. Geburtstag von Thomas Mann war für mich ein guter Anlass, um eines der vielen Sachbücher über ihn zu lesen – am liebsten von Florian Illies, der mich zuletzt mit seinem Buch über Caspar David Friedrich begeistert hat. Er legt den Fokus auf das Jahr 1933, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen und viele jüdische Familien, Künstler und Schriftsteller ins Exil trieben.

Thomas Mann ließ sich mit seiner Familie im Hafenort Sanary-sur-Mer an der Côte d’Azur nieder. Man spürt, wie er sich bis zur letzten Minute gegen sein Schicksal wehrt und wie schwer es ihm fällt, sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen. Dass ihm die Romane von Tolstoi mehr Trost spenden als seine Frau Katia, sagt viel über ihn aus. Aber auch die Beziehung zu seinen sechs Kindern und welche Wege diese einschlagen, wird einfühlsam erzählt. Trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere haben sie eines gemeinsam: Sie wünschen sich die Anerkennung ihres Vaters.

Mir hat es trotz der düsteren Zeit Vergnügen bereitet, in das Kosmos der Manns einzutauchen, die enge Beziehungen mit anderen Exilanten wie die Feuchtwangers pflegten. Viele Szenen sah ich förmlich vor mir: wie die Familie angestrengt versucht, Tischgespräche zu führen, um die Erwartungen des Vaters zu erfüllen oder die illustren Gartenparties und Leseabende. Florian Illies baut im Kleinen und Großen eine dichte Atmosphäre auf und lässt uns an den innerfamiliären Spannungen inmitten des politischen Umbruchs teilhaben. Stephan Schad unterstreicht mit seiner markanten Stimme sowohl den Humor und die Ironie als auch die zunehmende Bedrohung in diesem lehrreichen Hörbuch.

Bewertung vom 21.10.2025
Wemhöner, Karin

Glücksorte in Athen


ausgezeichnet

Die Reihe „Glücksorte“ lese ich sehr gern, um mich auf einen Städtetrip einzustimmen – diesmal Athen. Mit der Stadt assoziiere ich außer der Akropolis vor allem Hektik, Lärm und Trubel – den werden wir sicher am belebten Monastiraki-Platz oder in der Fußgängerzone Adrianou auch erleben. Dank der Autorin kenne ich aber nun einige verlockende Oasen – sowohl draußen wie den Nationalgarten als auch drinnen wie die Passage „Stoa tou vivliou“ für Buchliebhaber. Dort können wir die vielfältigen Eindrücke sacken lassen, denn Athen hat offensichtlich viel zu bieten: Imposantes wie das Odeon des Herodes Atticus, Märchenhaftes wie das Themencafé Little Kook und Kreatives wie moderne Deko-Objekte der Marke Sophia, die von der Antike inspiriert sind.

Karin Wemhöner gibt ihren Tipps einen persönlichen Touch, indem sie die Menschen vorstellt, die dahinterstecken und ihren Traum von einem bestimmten Laden oder Museum verwirklicht haben. Es sind auch Ausflugsziele in der Umgebung von Athen dabei, zum Beispiel die Insel Hydra, der kleine Hafen Mikrolimano oder der Yabanaki-Strand. Falls die Zeit dafür nicht reicht, haben wir einen guten Grund, noch einmal hinzureisen.

Bewertung vom 13.10.2025
Stern, Anne

Dunkel der Himmel, goldhell die Melodie / Die Dresden Reihe Bd.1 (MP3-CD)


ausgezeichnet

Nachdem ich erst kürzlich eine Biografie über Clara Schumann gelesen habe, konnte ich mich schnell in das Setting des Hörbuchs „Dunkel der Himmel, goldhell die Melodie“ hineinfinden. Schauplatz ist Dresden im 19. Jahrhundert vor der Kulisse der sich anbahnenden Revolution. Die Violinistin Elise möchte Musikerin werden, wird jedoch in ihrem Berufswunsch nicht so gefördert wie die Starpianistin Clara. Im Gegenteil: Elise soll den Freund der Familie heiraten und ihre Träume aufgeben. Dass hinter dieser arrangierten Ehe mehr steckt, erfahren wir im Laufe der Handlung.
Auch Christian, Malergehilfe am königlichen Theater, hadert mit seinen Zukunftsperspektiven. Als Waisenjunge machte er eine schwere Zeit durch und fühlte sich nie zugehörig. Als Christian und Elise sich ineinander verlieben, stehen die Chancen für ein Happy-End schlecht.
Anne Stern beschreibt anhand verschiedener Beispiele, wie Frauen damals in ihre Schranken verwiesen wurden. Die Ehre der Familie zu achten und den Anstand zu wahren stehen an oberster Stelle. Ein kleiner Fehltritt und man gerät in eine ausweglose Lage. Elise schwankt zwischen Gehorsam ihren Eltern gegenüber und Aufbegehren. Die Passagen, in denen ihre Leidenschaft für die Musik entfesselt wird, gefielen mir sehr.
Die Autorin beschwört in einer flüssigen und bildhaften Sprache die lebhafte Atmosphäre rund um die Semperoper und die Mitarbeiter mit ihren Sehnsüchten und Nöten in einer Zeit, die von Standesunterschieden geprägt ist. Wie schon in „City of Girls“ fand ich auch diesmal die Sprecherin Cathlen Gawlich hervorragend. Für mich war es die ideale Einstimmung auf unseren Städtetrip nach Dresden.

Bewertung vom 04.10.2025
Kollritsch, Ursula

Glücksorte in der Welt der Bücher


ausgezeichnet

Die Reihe „Glücksorte“ zählt mittlerweile zu meiner Pflichtlektüre, wenn ich eine Reise plane. Es gibt kaum eine schönere Methode, sich auf eine Stadt einzustimmen. Die Freude war groß, als ich dieses Buch entdeckte. Mit diesem Reiseführer kann man nicht nur einen, sondern gleich 80 literarische Orte in Deutschland bereisen.
Wenn man wie ich Bücher UND Museen liebt, kommt man umso mehr auf seine Kosten. Das Deutsche Romantik-Museum in Frankfurt hat ebenso meine Neugier geweckt wie das Erich Kästner Haus in Dresden oder die Grimm Welt in Kassel. In einem Literaturhotel zu übernachten oder sich von einer Schauspielerin, die in die Rolle von Irmgard Keun schlüpft, durch die Kölner Südstadt führen zu lassen, ist sicher auch ein Erlebnis.
Rundgänge, Bibliotheken und Literaturcafés laden zum Flanieren und Verweilen ein; an anderen kann man selbst aktiv werden wie auf dem Literaturfestival „texttage“ in Nürnberg. Der Untertitel „Wo Geschichten warten & Wörter zu Hause sind“ trifft es genau. Schon die Lektüre dieses Buches mit Fotos und Adressen hat bei mir jede Menge Glücksgefühle ausgelöst und meine Reiselust geweckt.

Bewertung vom 01.10.2025
Handorf, Anne

Es könnte so einfach sein


ausgezeichnet

Keine leichte Aufgabe, die Vera Albach zu bewältigen hat: Die Protagonistin muss innerhalb von vier Wochen einen Roman fertig haben. Wie gut, dass die Schriftstellerin so einen verständnisvollen Ehemann wie Leo hat, der ihr den Rücken frei hält. Trotzdem tut sie sich schwer, in den Schreibfluss zu kommen. Liegt es am Zerwürfnis mit ihrer geliebten Nichte, am bevorstehenden 65. Geburtstag, den Leo groß feiern möchte, oder daran, dass sie ihm versprochen hat, es werde ihr letzter Roman?

Ich konnte Veras Anstrengungen, den Aufgaben und Erwartungen im Alltag gerecht zu werden, und gleichzeitig ihr Bedürfnis, sich bei jeder Gelegenheit davonzustehlen, um zu schreiben, gut nachfühlen. Interessant fand ich aber vor allem, wie hart sie sich ihren Weg zur Bestsellerautorin in der von Männern dominierten Buchbranche erkämpft hat. Dass sie in den 1960er Jahren als Sekretärin vertretungsweise Heftromane schreiben und ihr Schreibtalent beweisen konnte, freute mich; wie lang es dauerte, bis ihr Talent auch honoriert wurde und sie unter ihrem eigenen Namen veröffentlichen durfte, empörte mich.

Dass der Abgabetermin mit der Wahl der ersten Kanzlerin und einem Ereignis zusammenfällt, das Vera zeigt, wieviel Halt sie bei Freunden und Familie findet, geben der Geschichte vom Autorenduo Carla Grosch und Volker Jarck einen schönen Rahmen.

Bewertung vom 26.09.2025
Gayle, Mike

Hope Street


ausgezeichnet

Nachdem mich „The Museum of Ordinary People“ begeistert hat, war ich gespannt auf diesen Roman. Es geht um die Lokaljournalistin Lila, die den Auftrag bekommt, einen mysteriösen Bewohner der Hope Street zu porträtieren – mysteriös deshalb, weil Connor der einzige Bewohner ist, der trotz eines großen Bauvorhabens partout in seiner Wohnung bleiben will, um auf die Rückkehr seiner verschwundenen Mutter zu warten. Dass er autistische Züge hat, macht die Sache nicht einfacher.
Jeder einzelne Handlungsstrang in diesem vielschichtigen Roman hat mich in den Bann gezogen. Ich war gespannt, welche Karriereentscheidungen die aufstrebende Journalistin trifft und ob ihre Fernbeziehung eine Chance hat, ob Connor aus seiner Wohnung vertrieben wird, aber vor allem wollte ich wissen, was aus seiner Mutter geworden ist und ob sie jemals wieder auftaucht.
Ich konnte mich gut in Lilas Dilemma hineinversetzen, die einerseits mit allen Mitteln Connor helfen will, andererseits von Zweifeln geplagt ist, ob sie sich zu sehr in das Leben eines anderen eingemischt und falsche Hoffnungen geweckt hat. Connors feste Überzeugung, dass seine Mutter zurückkehren wird, mag einem weltfremd und naiv vorkommen, aber ist es nicht genau das, was wir im Leben brauchen: ein unerschütterlicher Glaube, der uns in schwierigen Zeiten Halt gibt und uns Charakterstärke verleiht? Die emotional packende Geschichte zeigt zudem, wie wichtig Solidarität ist, und hat mich zum Lachen und zum Weinen gebracht.

Bewertung vom 21.09.2025
Noort, Tamar

Der Schlaf der Anderen (MP3-Download)


sehr gut

Die Schlafqualität sagt viel darüber aus, ob wir uns ausgeglichen oder gestresst fühlen, wir zufrieden oder unzufrieden mit unserer Lebenssituation sind. Die Schlaflosigkeit als Dreh- und Angelpunkt einer Geschichte zu machen, die zwei unterschiedliche Frauen zusammenbringt, ist daher ein gelungener Kniff.

Schon die erste Begegnung hatte eine Sogwirkung auf mich. Sina, Kunstlehrerin, Mutter und Ehefrau in einem scheinbar geregelten Leben, wünscht sich nichts sehnlicher als richtig durchschlafen zu können und sucht ein Schlaflabor auf. Janis, ehemalige Krankenschwester, hält dort Nachtwache, beobachtet ihren „Gast“ beim Schlafen und vertreibt sich die Zeit damit, im Internet mehr über Sina herauszufinden.

Bei einem gemeinsamen nächtlichen Abenteuer erzählen sie einander, wie erschöpft sie vom Leben sind und stellen fest, dass sie viele Gemeinsamkeiten haben. Selten wurde so schön erzählt, wie sich eine tiefe Verbindung zwischen zwei Frauen aufbaut. Auch an skurrilem Humor mangelt es nicht: Das Bild des grünen Sofas, das eine zentrale Rolle spielt, hat sich bei mir eingeprägt. Für Sina ist Janis die Königin der Nacht, die Ruhe ausstrahlt, Trost spendet und mit der man alles teilen kann. Janis dagegen fühlt sich durch die Nachtschicht einsam.

Geschichten über Frauen in der Lebensmitte, die an einem Wendepunkt stehen, gibt es zuhauf. Diese subtil und nachhallend erzählte Geschichte über zwei Frauen, die sich gegenseitig den Anstoß geben, mehr in ihrem Leben als ihre Schlaflosigkeit zu ändern, sticht angenehm hervor.