Autor: bücher.de
Datum: 01.05.2025
Tags: Empfehlung, Krimi des Monats


Du liebst ihn. Du vertraust ihm. Du hast keine Ahnung, wer er wirklich ist.
In der Hoffnung auf einen Neuanfang zieht Nancy mit ihrem Mann Calder auf eine kleine Insel vor der Westküste Schottlands. Es fällt ihr jedoch schwer, sich in der kargen Landschaft mit den verschlossenen Bewohnern einzuleben. Und dann wird auch noch ihr größter Alptraum wahr: Sie findet Calders umgestürztes Boot in …
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Krimi des Monats

Krimitipp Mai 2025: „Die Bucht“ von Liz Webb

Es soll ein völlig neuer Anfang werden für Nancy. Und zwar mit dem Menschen, der ihr noch etwas bedeutet: ihrem Lebensgefährten Calder. Weg von London, wo Calder mit seinem Freund Hamish eine Handwerksfirma und Nancy ein hektisches Leben als BBC-Radioreporterin geführt hat. Nun geht es auf Langer, eine Schieferinsel vor der Westküste Schottlands mit nicht einmal 100 Einwohnern.

Nancy freut sich riesig, obwohl die Bewohner als wortkarg und verschlossen gelten. Zu Anfang findet sie alles aufregend, und es fühlt sich für sie so an, „als würden wir uns in ein magisches, abgeschirmtes Reich begeben“. Doch schon auf der Fähre – nur die verbindet Langer mit dem Festland – sieht Nancy ein für sie schlechtes Omen. Eine Möwe treibt auf dem Wasser, doch plötzlich ist sie weg. Als hätte sie das Wasser verschluckt. Irgendwann, wie aus dem Nichts, taucht der Vogel allerdings wieder auf, und Nancy schimpft mit sich selbst: Schließlich hatte sie sich fest vorgenommen, nicht ständig das Schlimmste anzunehmen.

Calder kommt von hier, auf der Insel wird von fast nichts anderem mehr gesprochen als von seiner Rückkehr. Seine Mutter Isla ist vor einigen Monaten gestorben und hat ihm ein Cottage hinterlassen. Und dort zieht das Paar nun ein. Der erste Schock angesichts des heruntergekommenen und verdreckten Hauses muss erst mal verdaut werden. Da hilft alles nichts: Ärmel hochkrempeln, putzen und ausmisten. Die schwarze wilde Katze, die hier lebt, ist sofort auf Calder fixiert und faucht, wenn Nancy ihr zu nahekommt. Na gut, Nancy will tapfer bleiben und nicht schon wieder an böse Vorzeichen denken.

Aber wir ahnen: Die Vorzeichen sind kein Zufall. Autorin Liz Webb – ihr Erstling „Das Waldhaus“ war ein großer Erfolg – komponiert hier raffiniert eine Geschichte, die uns um den Schlaf bringt. Gerne schickt sie uns auf falsche Fährten; es ist aber vor allem der Hauptplot des Buchs, der Unheimliches und Verstörendes bereithält. Denn plötzlich wird Calder vermisst. Er ist an einem stürmischen Tag auf die See gefahren. Warum, weiß niemand. Und nun treibt er im eiskalten November im Wasser. Das überlebt niemand. Seine Schwimmweste verhindert, dass er untergeht. Und so schaffen es die panische Nancy und der seltsame, aber charismatische Pastor Arran, Calder aus dem Wasser zu ziehen.

Sein Herz hat wegen der extremen Kälte aufgehört zu schlagen. Sein Stoffwechsel arbeitet stark verlangsamt, und eigentlich, so sagen alle, kann er es nicht schaffen. Die Ärzte tun alles, um ihn zurückzuholen, Grad um Grad erhöhen sie seine Körpertemperatur, und er bekommt erwärmtes, sauerstoffreiches Blut. Das Wunder geschieht: Calder schlägt die Augen auf. Nancy ist überwältigt und glücklich. Doch ihre Freude hält nur kurz. Denn schon während alle noch glaubten, Calder werde nie mehr aufwachen, gab Nancy sich die Schuld an seinem Unfall. Sie sah in ihm die Rache des Karmas für ihre Sünden. Denn Nancy verschweigt Calder etwas. Und das belastet sie schwer.

Als Calder erwacht, wirkt er verändert. Zuerst erklärt Nancy sich das mit der Nahtoderfahrung, der totalen Erschöpfung und dem psychischen Ausnahmezustand, in dem sich Calder wohl immer noch befindet. Doch nach und nach kann Nancy nicht mehr glauben, dass dieser Mann „ihr“ Calder ist. Er ist gemein, abweisend, grob, raucht plötzlich und stopft Unmengen an Fleisch in sich hinein. Selbst der Sex, der sie verband und der immer großartig war, ist nun schmerzhaft und einzig auf Calders Befriedigung ausgerichtet. Nancy weiß nicht mehr, was sie glauben soll. Dann sieht sie einen Horrorfilm, und ihre diffusen Ängste wachsen noch mehr. Denn in dem Film erwacht ein Mann nach einer Herztransplantation – und ist ein anderer geworden. Böse und hinterhältig – sein neues Herz gehörte einem Mörder, der nun von ihm Besitz zu ergreifen scheint.

Was, wenn Calder das Blut eines anderen bekommen hat? Eines bösen Menschen? Denn genauso verhält er sich. Allerdings: Den Leuten auf der Insel gegenüber ist er freundlich. Nur wenn er Nancy sieht, scheint bei ihm eine Sicherung durchzubrennen. Langsam weiß Nancy nicht mehr, was sie glauben soll. Wird sie verrückt, oder ist Calder wirklich ein anderer geworden? Selbst die Katze kann ihn nun noch weniger leiden. Ein Zeichen?

Wie gut, dass Nancy die unkomplizierte und herzliche Janey von „Janeys Laden“ als neue gute Bekannte gefunden hat. Mit Janey kann sie offen sprechen, auch über den seltsamen Pastor Arran und den Rest der Inselbewohner. Das Verhältnis zu ihrer Londoner Freundin Gina kühlt hingegen ab. Nur Nancy weiß, warum. Als Gina und Hamish – sie sind ein Paar – den von den Toten auferstandenen Calder und Nancy besuchen, schickt uns Liz Webb erneut auf eine wilde Achterbahnfahrt mit überraschenden Wendungen. Und es gibt Tote. Mehr dürfen wir hier leider nicht verraten. Nur so viel: „Die Bucht“ ist unheimlich – und unvorhersehbar.

GLOSSAR


NANCY
Klein, gut ausgebildet, wortgewandt und Radioreporterin in London. Nun, nach ihrem Umzug auf die schottische Insel Langer, arbeitet sie vom Homeoffice aus als „Script Doctor“. Das heißt, sie motzt suboptimale Drehbücher auf. Ihr erster „Fall“ ist eine Neufassung des Frankenstein-Themas. Kennengelernt hat sie Calder in London: Nancy war betrunken und trat am Regent’s Canal scheinbar auf eine Rasenfläche. Doch die war ein Algenteppich, und sie versank. Calder zog sie nach oben. Das war ihre erste Begegnung. Für ihren Neuanfang auf der Insel hat Nancy einige Vorsätze: nicht immer das Schlimmste anzunehmen und natürlich ein tolles Leben zu führen mit Meditation, gesunder Ernährung, Joggen und Brotbacken. Die komplette Inselidylle eben. Doch Nancy hat ein Geheimnis, und oft wird ihr schlecht vor Selbstekel, wenn sie daran denkt, was sie getan hat …

CALDER
Groß, schwarze Locken und sehr praktisch veranlagt. Er wuchs auf der schottischen Insel Langer auf und ging mit 16 von der Schule ab. Mit seinem besten Freund Hamish betrieb er in London eine Firma für Dachbodenausbau. Nun, auf Calder, wird er fast wie ein verlorener Sohn, der wieder heimkehrt, begrüßt. Auch vom Inselpastor Arran, und das, obwohl Calder eigentlich nur Spott für Religion übrig hat. Ganz im Gegensatz zu seiner verstorbenen Mutter. Der Name „Calder“ bedeutet übrigens auf Schottisch „wildes Wasser“. Auf seiner Heimatinsel Langer will er sich selbstständig machen. „Loft Rooms“ heißt sein Unternehmen, und Nancy ist sich sicher, dass Calder mit seiner Art, geradeaus und ehrlich, hier gut ankommen wird. Doch warum ist Calder eigentlich damals von Langer weggegangen? Und warum hat er sich nach diesem schrecklichen Unfall so verändert?

JANEY
Wache braune Augen, groß, schlank und lange graue Haare – das ist Janey. Sie trägt gern Armeehosen und gebatikte Oberteile. Janey verkauft auf Langer alles, was so gebraucht wird – von „A“ wie „Angelbedarf“ bis „Z“ wie „Zigaretten“. Ihr Laden ist die erste Anlaufstelle auf der kleinen Insel – das heißt, sie weiß viel, hört viel. Aber sie kann auch schweigen, ist keine, die rumtratscht. Vielleicht, weil auch sie ein Geheimnis hat, das Nancy gleich bei ihrem ersten Besuch in „Janeys Laden“ entdeckt. Wird Nancy schweigen?

PASTOR ARRAN
Groß, ausdrucksstarke, durchdringende Augen und sehr charismatisch – Pastor Arran ist eine Erscheinung, die man nicht so schnell vergisst. Nancys erste Begegnung mit ihm war holprig. Denn Religion liegt ihr fern, und Pastor Arran scheint ihr irgendwie viel zu nahezukommen. Körperlich und seelisch. Er spricht von „gefallenen Schafen“ – und meint Schafe, die auf den rutschigen Schieferplatten, mit denen die Insel bedeckt ist, ausrutschen und tatsächlich fallen. Doch aus seinem Mund hört sich alles wie ein biblisches Gleichnis an. Jedenfalls für Nancy. Pastor Arrans Kirche ist klein und mit grauem Schiefer bedeckt. Hier wird eine altmodische, eigentümliche Form des Christentums zelebriert, der Nancy skeptisch gegenübersteht. Und Arran scheint außerdem alles über jeden auf der Insel zu wissen. Er gilt als „Kontrollfetischist“ und denkt, er wüsste, was für alle am besten ist. Aber was verschweigt er Nancy?

Autorenporträt

Liz Webb hat eine Ausbildung zur klassischen Tänzerin absolviert, arbeitete dann unter anderem als Sekretärin, Managerin eines Schreibwarenladens, Modell für Kunstkurse, Kellnerin, Stand-up-Comedian, Synchronsprecherin, Drehbuchautorin und Hörspielproduzentin, bevor sie ihr Thrillerdebüt »Das Waldhaus« schrieb. Sie lebt im Norden Londons.

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