Andere Kunden interessierten sich auch für
Produktdetails
Trackliste
CD
1Untitled
2Archangel
3Near Dark
4Ghost Hardware
5Endorphin
6Etched Headplate
7In McDonalds
8Untrue
9Shell Of Light
10Dog Shelter
11Homeless
12Uk
13Raver
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.12.2007

Die Oper des Phantoms

Seine Tonspuren wechseln schneller, als man "Dubstep" sagen kann: Burial, der Schattenmann der Londoner Clubszene, hat mit "Untrue" ein Meisterwerk der elektronischen Musik eingespielt.

Ein sanftes Rauschen umreißt den akustischen Raum, schwillt leicht an, verdichtet sich zu einer Rückkopplung. "I saw your lightnin'", sagt eine verbrauchte Frauenstimme, die klingt, als hätte sie schon viel mitgemacht und noch mehr getrunken. Ein Echo lässt ihre gebrochene Stimme nachhallen. Ein Auto surrt in der Ferne, nähert sich, fährt brummend vorbei. Das leichte Rauschen wie von einem ungenau eingestellten Radiosender schwillt zu einem deutlichen Störgeräusch an. Plötzlich verliert der Raum seine Kontur, die eben noch zarten Akkorde prallen disharmonisch aufeinander, verkünden Unheil. In einem Film brächte an dieser Stelle eine schemenhafte Gestalt einen harmlosen Gutmenschen um. Doch der Film läuft nur im Kopf.

Metallene Maschinenblätter klappern in unregelmäßigen Zählzeiten, ein dominanter Bass stampft einen Rhythmus auf das unheimliche Intro. Synthetische Stimmen singen, werden verlangsamt, zerschnitten, zusammengeschrumpft, beschleunigt. Sie ändern schneller Geschlecht und Gewicht, Anzahl und Alter, als man "Dubstep" sagen kann. So heißt das Genre, zu dem das düstere Epos "Untrue" von Burial zählt. Dubstep scheint zu gleichen Teilen in der Architektur und in der Musik zu Hause zu sein: In dieser elektronischen Tanzmusik geht es vor allem um Räumlichkeit und Bass, den man in all seiner Spektralität nur im Club erleben kann. Die heimische Anlage oder gar ein schnöder MP3-Player schmälern das Vergnügen an atemberaubend tiefen und schwindelerregend hohen Basslinien.

Die flüchtigen Geräuschkulissen der Lieder erinnern an Burials Heimat, das zwielichtige Südlondon. Wie bei einer nächtlichen Autofahrt ändert die akustische Landschaft ständig ihr Gesicht: Plötzlich schafft ein Hall ungeahnte Weite, ein vorbeifliegender Songfetzen definiert ein Gefühl für das Tempo, mit dem man durch die Nacht rast, Anrufbeantwortersprüche stecken einen narrativen Rahmen ab. Lieder wie "In McDonald's" oder "Dog Shelter" spielen an realen Orten. Die Songs rauschen und rascheln zuweilen, als sei mindestens eine der vielen sich überlappenden Tonspuren tatsächlich in einer heruntergekommenen Frittenbude aufgenommen worden: Selbst die CD knistert wie altes Vinyl. Regen, der die ganze Platte hindurch immer wieder auf Asphalt prasselt, macht die Atmosphäre noch ungemütlicher, noch verlorener. "Untrue" ist ein Album aus einem Guss, und es entfaltet einen solchen Sog, dass sich die Frage des Vor- und Zurückspulens gar nicht erst stellt.

Burial ist ein großer, romantischer Wurf gelungen. Seit seinem vielfach bejubelten Debüt vor einem Jahr bleibt offen, wer sich hinter dieser gespenstisch-phänomenalen Musik verbirgt. Mythen ranken sich um den Produzenten, denn er verweigert sich konsequent den Medien und seinem Publikum: keine Interviews, keine Fotos, keine Auftritte.

Manche vermuten hinter den Alben den Soundbastler Aphex Twin, dessen Musik einen so schön über die Tanzfläche stolpern lässt, wie es nur wenige seiner Breakbeat-Kollegen vermögen. Andere munkeln, Burial sei das Alter Ego der Berliner Mark Ernestus und Moritz von Oswald, immerhin veröffentlichen sie eine Reihe namens "Burial Mix". Vielleicht verbirgt sich hinter dem Londoner Phantom auch eine Frau, setzen sich die zarten, höchst narrativen Dubstep-Alben doch klar von den Presslufthammerbässen ab, die das Genre mitunter prägen und vor allem für "Härter!" und "Schneller!" stehen.

Aber letztlich ist es egal, ob hinter dem Namen ein Mann, eine Frau oder eines der Zwischenwesen steckt, die "Untrue" ihre Stimme leihen. Burial entzieht sich der Öffentlichkeit, weil es eben nicht um die Person des Künstlers geht, sondern um seine Musik. Und selbst die besteht bei Burial zu großen Teilen aus Andeutungen: "Raver" heißt etwa das letzte Stück des Albums, in dem nur noch der Hall der Nacht ausschwingt, denn der Rave ist zu Ende.

CHRISTINA HOFFMANN

Burial, Untrue. Hyperdub 002 (Cargo)

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr