jemand muss mitgezählt haben - soll die Band das Stück "Sorrow" gespielt haben.
Die Idee für den Auftritt im Ableger des Museum of Modern Art stammte von dem isländischen Künstler Ragnar Kjartansson, der mit seinen Ausdaueraktionen das Wesen der Zeit erkundet, wie es ja schon der schöne Film "Und täglich grüßt das Murmeltier" vormachte, in dem Bill Murray wieder und wieder denselben Tag durchlebt. Der beginnt damit, dass im Radio "I Got You Babe" von Sonny & Cher läuft. Dass The National ihren eigenen Murmeltiermoment im Museum hatten, passt für Freunde naheliegender Wortspiele fast zu gut zum Ruf von Sänger Matt Berninger als einem - neben Stuart Staples von den Tindersticks - Chefmurmeltier des Pop. Es passt aber auch zu einem Popbetrieb, dem der Autor Simon Reynolds in seinem Buch "Retromania" einen Hang zu Musealisierung, Kuratorentum und Zitierseligkeit attestiert.
Das zweiunddreißig Seiten starke Beiheft zu "Trouble Will Find Me", der neuen Platte von The National, stellt jedem Songtext ein Kunstwerk gegenüber. Wenn er im Liebesschwelger "Pink Rabbits" von Wahn und Wiedersehensfreude erzählt, erwähnt Berninger ein Soloalbum des ehemaligen Smiths-Sängers Morrissey: "Bona Drag was still on / Now I only think about Los Angeles when the sound kicks out". Durchs pulsierende "Don't Swallow the Cap" tanzen Plattentränenzeilen: "And if you want to see me cry / play Let It Be or Nevermind". Konzert im Museum, Kunst im Booklet, Plattenzitate in den Songs - also machen The National wohl Musikmusik für Popenzyklopädisten?
Die Band besteht aus Berninger, den Gitarristenzwillingen Aaron und Bryce Dessner sowie den Rhythmusbrüdern Bryan und Scott Devendorf an Drums beziehungsweise Bass. Bryce Dessner hat Gitarre an der Yale School of Music studiert, schreibt Stücke für Ensembles wie das Kronos Quartet und arbeitet mit Steve Reich und anderen zeitgenössischen Komponisten zusammen. Reich etwa lobte die Stücke "Sorrow" und "Vanderlyle Crybaby Geeks" von "High Violet" (2010), der letzten Platte von The National. Doch zugleich war das eben auch das Album, mit dem es die Gruppe in den amerikanischen Billboard-Charts auf den dritten Platz schaffte und hierzulande in die Top Ten. Von den Americana-Anleihen auf zwei wenig wahrgenommenen frühen Alben hatten sich The National mit den tollen Platten "Alligator" (2005) und "Boxer" (2007) entfernt. Dort und auf "High Violet" entstand dann dieser große, dichte Klang, der die Dröhner wie die Seufzer unter ihren Stücken trägt. Berningers Brummeltexte konnten surreal von Geheimtreffen im Keller des Gehirns handeln, zeigten aber auch sein Gespür für Skizzen über ausgebrannte Angestellte der Weißkragenwelt, über das allgegenwärtige Gift der Angst in Amerika und über Beziehungszerfall, den er in die Formel "Tell you miserable things after you are asleep" fasste.
Zieht man das seichte "Heavenfaced" ab, sind zwölf gute Stücke auf der neuen Platte, auf der The National wieder von Streichern und Bläsern begleitet werden. Dazu fanden die Dessners Gefallen an einem Korg-Synthesizer, und Sufjan Stevens steuerte Piano und Drum Machine bei. Mit "easygoing death", gelassenem Sterben, beschrieb Berninger ein Motiv des Albums. Im tragikomischen Jenseitshüpfer "Humiliation" malt er sich als morbider Bademeister sein Ende aus. Jetzt wisse er, was Sterben heißt, singt er im energisch voranfegenden "Graceless" mit den Lebensscherbenworten "There's a science to walking through windows without you". Zur Absturzchronik "Sea of Love" dürften die Gitarren ungezügelter stürmen. "Fireproof", "I Need My Girl" und "Hard to Find" sind prächtige Tränenzieher. In Letzterem könnten Popenzyklopädisten übrigens ein Zitat der Violent Femmes entdecken. Dass Musik auf andere Musik verweist, braucht man aber nicht als bloße Selbstbezüglichkeit abzutun. Es erinnert auch einfach daran, dass Songs ein Teil unseres Lebens werden - Songs wie die von The National.
THORSTEN GRÄBE
The National: Trouble Will Find Me.
4 AD/Beggars 3315 (Indigo)
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