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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.06.2012

Trauer, Schmerz und Zärtlichkeit

Bobby Womack hat wohl mehr durchgemacht als alle anderen Soulsänger. Jetzt ist er zurück und stimmt einen faszinierend modernen Überlebensgesang an.

The bravest man in the universe", so knarzt es der achtundsechzigjährige Bobby Womack auf dem Titelsong seines Comeback-Albums, "is the one who has forgiven first." Der vom Leben gekerbten Stimme dieses Soulmannes zu lauschen, das ist ein bisschen so, wie über die Schrunden eines sehr alten, mächtigen Baumstammes zu fühlen. Nichts schmeichelt über die Zerklüftungen, Risse und Wundmale hinweg. Und doch kommt Ehrfurcht auf: Denn in Bobby Womacks Überlebensgesängen schwingt alles mit, was Soulmusik stark macht: Trauer und Zärtlichkeit, Schmerz und Zuversicht. Vor allem aber: Großmut.

"Wo ein Herz schlägt, da lebt auch ein Traum", heißt es in einem der Songs von "The Bravest Man In The Universe", und dass Bobby Womack immer noch an diesen Traum glaubt, ist angesichts seiner Biographie nicht mehr unbedingt zu erwarten. Seine Freunde und Familienmitglieder sind ihm fast alle weggestorben, in jungen Jahren verunglückt, ermordet, an Drogen einfach krepiert. Sein Mentor Sam Cooke, sein Bruder Harry und zwei seiner Söhne starben einen gewaltsamen Tod. Und auch Bobby Womacks Karriere liest sich wie eine Aneinanderreihung von Verlusten - und von Songs, die diese Verluste elegant verpacken: "Nobody Wants You When You're Down And Out."

Down and out war Bobby Womack zwei Jahrzehnte lang, bevor ihn sein neues Album wieder in die Popschlagzeilen hievte. Damon Albarn und XL. Recordings-Plattenboss Richard Russell, der zuvor schon Gil Scott-Heron ein spätes Comeback beschert hatte, haben in Womacks Stimme einen seltenen Rohstoff entdeckt - Soul für die Gegenwart! Sie wollten nicht an dem alten Baum herumschnitzen, sondern ihn frei stellen, dem Mann, der bis heute mit seinen Siebziger-Jahre-Hits - "Woman's Gotta Have It", "That's The Way I Feel About Cha", "Daylight" oder "Across 110th Street" - identifiziert wird, ein elektronisches Klangbett verpassen. Es war ein Wagnis. Bobby Womack gilt als Prophet, der stoisch die Werte der alten Schule hochhält und wie kaum ein anderer schwarzer Sänger über vier Jahrzehnte lang Erdigkeit und Eleganz, Gospel und Funk miteinander zu versöhnen wusste. Kam er von diesem Kurs ab, musste er dafür büßen, etwa 1976, als er Country aufnahm: "BW goes C&W". Die Radiostationen ignorierten ihn, Fans waren offensichtlich geschockt, und die Verkäufe fielen so miserabel aus, dass seine Plattenfirma ihn feuerte.

Und nun nochmals der Versuch, diesen alten Soulkrieger auf ein neues Gleis zu wuchten und seine Jahrhundertstimme mit Hilfe programmierter Beats einem jugendlichen Club-Publikum nahezubringen? Bobby Womack jedenfalls hat einen langen Weg hinter sich: Während einer bitterarmen Kindheit in Cleveland, Ohio, gründete er mit seinen fünf Brüdern eine Gospelgruppe. Sam Cooke nahm sich der Valentinos als Mentor an, beschäftigte Bobby Womack in seiner Tourband, und bald war Bobby Womack ein gefragter Gitarrist. Er spielte mit dem jungen Jimi Hendrix, begleitete Ray Charles, James Brown und später als Sessionmusiker in Memphis auch Aretha Franklin, Dusty Springfield, Elvis Presley und Wilson Pickett, für den er unter anderem "Midnight Mover" schrieb. Dass sein Song "It's All Over Now" den Rolling Stones ihren ersten Hit lieferte, ärgerte ihn, bis ein 400000-Dollar-Scheck eintraf. Dann nahm er mit Janis Joplin am Tag ihres Todes "Mercedes Benz" auf, wechselte für die Aufnahmen von "There's A Riot Going On" in Sly Stones Koks-Zirkus und arbeitete mit Marvin Gaye zusammen, kurz bevor dieser vom eigenen Vater erschossen wurde.

Auch sein Familienleben verlief hoch turbulent: Als Bobby Womack nach der Ermordung Sam Cookes dessen Witwe heiratete, ächtete ihn ein Großteil der schwarzen Community - erst recht, nachdem noch eine Affäre mit der Schwiegertochter publik wurde. Erst Anfang der siebziger Jahre gelingt ihm mit Alben wie "Communication" und "Understanding" und dem von Quentin Tarantino wiederverwerteten "Across 110th Street" der Durchbruch als Interpret. Mindestens genauso großartig aber sind seine "The Poet"-Alben aus den Achtzigern, in denen sein Gesang sich an kühlen Modern-Soul-Arrangements rieb. Der kommerzielle Erfolg nützte Womack wenig: Seine Plattenfirma Beverly Glen enthielt ihm die Tantiemen vor, den Rest seines Vermögens verbriet er für Kokain. Sein letztes Album mit neuen Songs nahm er 1994 auf. Er fühlte sich in jeder Hinsicht ausgebrannt. Die meisten seiner Freunde hatte er mit seinem Drogenentzug Ende der neunziger Jahre verloren. "Ich wollte nicht mehr Teil der Musikwelt sein."

Bis Damon Albarn ihn vor zwei Jahren zurückholte, zunächst als Sänger für zwei Titel des Gorillaz-Albums "Plastic Beach", dann für eine Tournee und nun als Solist in Albarns Londoner Studio. Die Idee der Produzenten war, eine neue, zeitgemäße Verpackung für Womacks Stimme zu finden, mehr aus ihm zu machen als einen Retro-Sänger, also auf keinen Fall die rein akustische Rick-Rubin-Nummer zu bringen. Es hätte wohl auch mit Womack funktioniert, seine gegerbte, altersgezeichnete Stimme hochempfindlich zu mikrofonieren, um die Hörer in eine vertrauliche Kaminrunde mit aus der Zeit gefallenen Soulbotschaften zu entführen. Womack aber gab Albarn und Russell sein Einverständnis zu einem betont modernen Electro-Experiment.

Der Titelsong geht dabei noch am vorsichtigsten zu Werke: ein dunkles Cello, mollige Keyboard-Sprengsel, dezent stolpernde Beats. Mehr braucht Bobby Womack nicht, um zur Höchstform aufzulaufen. Er kreischt, er raspelt, er fleht. Und selbst wer keine Silbe versteht, spürt doch, dass es um Sünde und Erlösung, Tod und Wiederauferstehung geht, sich bald siebzig Jahre Lebenserfahrung in einen glühenden Gospel ergießen. Auch die Vorab-Single "Please Forgive My Heart" hält geschickt die Balance zwischen Soul-Glow und technoidem Electro-Gerassel, bevor Womack auf "Deep River" zur akustischen Gitarre greift.

Das Klangrezept erinnert an Gil Scott-Herons Comeback-Album. Und es funktioniert auch hier, in acht von zehn Fällen. Dass "Love Is Gonna Lift You Up" und Womacks Uralt-Gospelnummer "Jubilee" von autistischem Uptempo-Gedengel ruiniert werden: geschenkt. Dafür hat Womack das Songwriting nicht verlernt und verpackt, wie in der von einem Gil Scott-Heron-Sample eingeleiteten Rhythm-&-Blues-Nummer "Stupid", seine Weisheiten in wunderbar eingängige Melodien. Unerwarteter Höhepunkt: Ein Duett mit Lana Del Rey -"Dayglo Reflection" - kontrastiert den Ennui der jungen Pop-Chanteuse mit der gebrochenen Emotionalität Bobby Womacks, und beide gewinnen am Ende. Dies ist das mutigste Comeback, an das sich ein Soulsänger jemals wagte!

JONATHAN FISCHER.

Bobby Womack, The Bravest Man In The Universe.

XL Recordings/Beggars Group 561 (Indigo)

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