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Produktdetails
  • Anzahl: 2 CD+DVDs
  • Erscheinungstermin: 8. März 2012
  • Hersteller: Island / Universal Music,
  • EAN: 0602527939896
  • Artikelnr.: 34824328
Trackliste
CD + DVD Video 1
1Sturm00:03:22
2Fallschirm00:03:39
3Das Haus00:03:53
4Aufruhr00:02:47
5Immer wieder00:04:02
6Am Tag danach00:04:21
7Rien ne va plus00:03:47
8Der Einzige00:04:21
9Musik00:03:40
10Brüchiges Eis00:04:36
11La Boom00:03:43
12Die Frau00:03:10
CD + DVD Video 2
1Das Making of "Tacheles"00:36:26
2"Lost In Weltschmerz"00:04:04
3Mia. Foto-Slide-Show00:02:15
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2012

Alle Türen weit offen
Die Berliner Band MIA. spricht jetzt "Tacheles" zu jedem einzelnen Track ihres neues Albums

Popmusikfans glauben fest daran, dass Musik echte, im Leben des Sängers gewachsene Gefühle ausdrückt.

Die Berliner Band MIA. hat ein neues Album herausgebracht. Es ist ihr fünftes, heißt "Tacheles", und um auf wenige Sekunden herunterzukondensieren, was man an dieser Platte rein musikalisch einfach nur blöd finden kann, reichen die ersten Takte des dritten Albumtracks "Das Haus" schon aus.

Begleitet von einem fröhlich stampfenden Kirmes-Techno-Marsch und ein paar Tasten sägender Synthesizer-Töne reitet Sängerin Mieze Katz krakeelend auf einer Wohnungsmarktmetapher für die Liebe herum und besteht, wie übrigens in beinahe jedem Lied des Albums, auch diesmal partout darauf, dass Worte sich mit sich selbst reimen: "Ich hab mir ein neues Haus gesucht. / Ich hab mir deins ausgesucht. / Ich hab mir deins ausgesucht. / Weil es sturmfest aussah. / Ich hab nie weiße Wände gesucht. / Hab keinen Neubau gesucht. / Ich hab mir eins ausgesucht, / wo die Tür weit auf war."

Mieze Katz, der man schon immer angehört hat, dass sie gerne eine echte Charakterröhre wäre, versucht das, was ihr dafür an stimmlicher Substanz fehlt, verschiedentlich auszugleichen. Das eine Mal ("Am Tag danach") zieht sie alle "a"-Vokale übertrieben lang und spuckt dafür frech die Konsonanten am Wortende aus. Ein anderes Mal wird ein Liebeskummerlied namens "Brüchiges Eis" mit tränenerstickter Stimme gesungen und, allen Ernstes, mit dem Geräusch zerberstender Eisberge aufgepeppt. Das alles ist unelegant. Und es ist viel zu simpel gedacht, als dass je ein gutes Popalbum daraus werden könnte. Und es macht noch nicht einmal mehr richtig Spaß, sich darüber zu ärgern.

Sich aufregen über MIA., das fühlt sich ungefähr so an, als würde man sich, zum Beispiel, über die vielen schwäbischen Väter mit Kinderwagen im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg echauffieren. In beiden Fällen greift man Leute an, die einem ja eigentlich so direkt gar nichts getan haben, und beides ist ja in jeweils eigenen Kreisen schon zu einem so selbstverständlichen Volkssport geworden, dass sich die Kritik auf den Kopf stellt. Man kommt sich als MIA.-Kritiker selbst inzwischen schon schrecklich bieder vor, wenn man weiterhin in der Musik dieser Band und dem in ihr möglicherweise irgendwie ausgedrückten Kulturkonservativismus herumstochert, als letztendlich ein Hüter obskurer, alter Indie-Musik-Werte. Man erinnert sich: MIA. (der Abkürzungspunkt gehört zum Bandnamen dazu, früher hießen sie "Me In Affairs") brachten ihre ersten hitparadengängigen Veröffentlichungen etwa gleichzeitig mit den etwas erfolgreicheren "Wir sind Helden" und anderen, weniger erfolgreichen Bands wie "Virginia Jetzt!" heraus, und zwar in jenem eigentlich doch sehr kurzen Moment zwischen 11. September 2001 und Fußballweltmeisterschaft 2006, in dem die Frage wichtig erschien, ob eine deutsche Popband jetzt wieder ganz ungeniert auf Deutsch singen dürfe oder nicht.

Anders als ihre Altersgenossen gingen MIA. damals voll auf die Diskussion ein. Sie traten in schwarzrotgoldenen Kostümen auf, Sängerin Mieze sang über schwoofendem Piano kieksend von dem Plan, "neues deutsches Land" zu betreten. Damit brachte MIA. nicht nur die halbe, halbwegs politisch bewegte Branche gegen sich auf, sondern vor allem die Sängerin Christiane Rösinger dazu, diese Band in einem "taz"-Artikel öffentlichkeitswirksam zur "dümmsten und nervigsten Band Berlins" zu küren.

MIA., möchte man also meinen, ist durch. Diese Band ist ob der betonten Schrillheit ihrer Musik und der Wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Attitüde mancher Texte einfach schon viel zu selbstverständlich doof und uninteressant, als dass man es bei jedem Album noch mal extra erwähnen müsste. Das eigentlich Interessante an "Tacheles" ist aber nicht die Platte selbst, sondern das Drumherum. Weil in der Popmusik bekanntlich auch kleinste neue Hintergrundinformationen komplette Hörerlebnisse ratifizieren oder umwerfen können, ist die Idee, das müde Album mit mehr zusätzlichem Material zu befrachten, gar nicht schlecht. Selbst ein hartgesottener Deutschrockfeind, um ein bekanntes Beispiel zu nennen, hatte schließlich vor zehn Jahren Herbert Grönemeyers "Mensch" nicht mehr uneingeschränkt schlimm finden können, sobald er erfuhr, dass das ganze allgemeine Gerede von Wegen und Menschen zu tun habe mit der gar nicht so allgemeinen Trauer des Sängers um die verstorbene Frau. Was Popmusikfans jeglicher Couleur verbindet, das ist eine Grundsympathie mit dem Gedanken, Musik könne echte, authentische, weil im Leben des jeweiligen Songautors gewachsene Gefühle ausdrücken.

Vielleicht auch, um den ungeliebten, professionellen Musikerklärern zuvorzukommen, haben MIA. nun bei zwei von drei im Laden erhältlichen Versionen und der einzigen bei iTunes herunterladbaren Ausgabe von "Tacheles" ein "Hörspiel" beigelegt: Jedem der elf Lieder des Albums entspricht ein jeweils mit "MIA. reden Tacheles über . . ." betitelter Erklär- und Erzähltrack. Herausgekommen ist dabei ein absurdes Dokument: Man kann der Band jetzt ganze fünfzig Minuten beim Überhaupt-gar-nichts-Sagen zuhören.

Es sollen die "Geschichten hinter den Songs" erzählt werden, heißt es am Anfang, ja, dazu habe die Band "vielleicht sogar ein bisschen das Bedürfnis". Nach nur wenigen Sätzen aber wird klar, dass die Band eigentlich doch lieber nichts erzählen möchte. Ein Blick hinter die Kulissen sei, heißt es da, doch eigentlich unnötig: "Und . . . so sind am Ende doch zwölf Perlen, die ganz, ganz klar für sich selbst und für uns und für ,Tacheles' stehen, dabei rausgekommen." Eine knappe Stunde lang beschränkt sich die Band darauf, zu erklären, dass die eigenen Songs "eine Million Emotionen" auslösen und dass die Texte "krass" und "nah dran und emotional" und "ehrlich" und "total geil, aber überhaupt nicht fiktiv" seien.

Das neunte Stück auf dem Album heißt einfach nur "Musik". Der Erzähltrack dazu geht so: "Ich weiß noch genau, dass ich über den Dächern Berlins diese Zeilen geschrieben habe und ich das einfach so gefühlt hab' . . . Ich hab' nicht groß um die Ecke gedacht, sondern einfach aufgeschrieben, was ich gefühlt habe."

Großartig. Alle Wände weiß, alle Türen weit offen. Ich hab' gemacht, was ich gemacht habe, es ist, was es ist. Schluss aus. Nun ist natürlich nicht jeder, der die typische Künstlertautologie bemüht, schon ein Künstler. Wie Roland Barthes einmal sagte: "Die Tautologie befreit von der Notwendigkeit, Ideen haben zu müssen, brüstet sich aber zugleich damit, aus dieser Freiheit ein hartes moralisches Gesetz zu machen. Die Trägheit wird in den Rang der Strenge erhoben."

Ja, am Ende ist es mit MIA. vielleicht doch wirklich so wie mit den schwäbischen kinderwagenschiebenden Vätern von Prenzlauer Berg. Sollen sie ruhig machen, was sie wollen, solange sie nicht anfangen, sich einzubilden, anders gehe es nicht.

GREGOR QUACK

Das neue Album "Tacheles" von MIA. ist bei Island/Universal erschienen.

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