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  • Hersteller: Nonesuch,
  • EAN: 9325583048418
  • Artikelnr.: 28134018
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2022

Schwarzes Spektakel mit Längen
MAINZ Das Musical "Sweeney Todd" im Staatstheater

Große Handwerkskunst und blutiges Verbrechen liegen nur eine Messerklingendrehung voneinander entfernt. Wenn Sweeney Todd in seinem Londoner Barbiersalon beginnt, seine Kunden zu rasieren, dauert es nur einen Wimpernschlag, bis er ihnen die Kehle durchgeschnitten hat. Eine Trickfilm-Animation hinten auf der Bühne im Staatstheaters Mainz zeigt dann, wie das Blut fließt, eine weitere, wie das Opfer über eine Rutsche in den Keller befördert wird, wo Todds Geschäftspartnerin Mrs. Lovett aus den Leichen Pasteten zubereitet. Denn frisches Fleisch ist knapp im London des 19. Jahrhunderts, sodass die beiden ganz im Sinne der frühen Industrialisierung skrupellos ihren Gewinn steigern.

Die fiktive Figur des Massenmörders stellte der amerikanische Komponist Stephen Sondheim in den Mittelpunkt seines Musical-Thrillers, der auf dem Buch von Hugh Wheeler basierend 1979 zum Erfolg am Broadway wurde. Die Verfilmung mit Johnny Depp in der Titelrolle des zu Unrecht verurteilten Barbiers, dem daher trotz seiner Taten alle Sympathien des Publikums sicher sind, sorgte von 2007 an für einen weiteren Popularitätsschub des Stücks, das nun in einer Neuproduktion in Mainz zu erleben ist. Offensichtlich nahm das begeistert applaudierende Premierenpublikum es Regisseur K. D. Schmidt nicht übel, dass er viel von dem schwarzen Humor, dem Schwung der Gesangsnummern und dem Esprit der für das Genre außergewöhnlich vielseitigen und tiefgründigen Handlung ausbremst.

Wer im Parkett sitzt, schaut den überwiegend dem Opernensemble angehörenden, mit Verstärkung und in deutscher Übersetzung singenden Darstellern aus der Froschperspektive zu. Denn im Bühnenbild von Thomas Drescher spielt sich fast alles auf einem Gerüst schräger, sich kreuzender Gänge ab. Was sie bedeuten, erschließt sich so wenig wie die Position des auf der hinteren Bühne noch höher platzierten Philharmonischen Staatsorchesters Mainz, das unter der Leitung des als Jazz-Interpret wie als Musical- und Operndirigent ausgewiesenen Kapellmeisters Samuel Hogarth akustisch immer eine Spur zu weit im Hintergrund bleibt.

Vor allem aber irritiert, wie Regisseur K. D. Schmidt die Dynamik des Makabren, das Zündende des Schwarzen aus dem Stück nimmt. Immer wieder formen die Darsteller etwas mit den Händen in der Luft, ungefähr so, wie Kinder beim Spielen etwas nicht Vorhandenes imaginieren. Aber warum? Warum führt die Regie das derb-deftige Spektakel nicht einfach als den spannenden Hingucker weiter, den die Kostüme von Maren Geers samt kunstvollen Haartürmen anbahnen? Orientiert ist das am Grusel-Stil des Pariser Grand-Guignol-Theaters, samt Gespensterszene im Irrenhaus. Das darf hier noch so heißen, und dort spürt Sweeney Todd die eigene Tochter Johanna (Alexandra Samouilidou) auf. Der Richter hatte sie zunächst eigennützig zu sich genommen, was das Musical eigentlich zu einer bitteren Gesellschaftskritik macht - auch ein Aspekt, der in Mainz eher unterbelichtet bleibt. Zeit genug wäre gewesen, denn der Abend dauert mehr als drei Stunden, und nicht alle Solisten vermitteln so viel Drive wie der wandlungs- und durchsetzungsfähige Mainzer Opernchor. In der Titelrolle überzeugt Derrick Ballard, weil er seinen eleganten Bass nie zum Forcieren treibt, während Collin André Schöning den jungen Gefährten Anthony Hope naiv und Verena Tönjes die Mrs. Lovett klar als Buffo-Rolle formt. Peter Felix Bauer als dämonisch tönender Richter mit Backenbart, der rasiert werden will, überlebt den Abend auf der Bühne ebenso wenig wie die grelle Bettlerin von Katja Ladentin, die sich tragischerweise als Todds verstorben geglaubte Gattin entpuppt. Das immerhin geht dann recht schnell, am Ende killt Gehilfe Tobi (Mark Watson Williams) den Barbier und muss das Kinderlied "Backe, backe, Kuchen" singen. Seltsam, seltsam. AXEL ZIBULSKI

Sweeney Todd Staatstheater Mainz, nächste Vorstellungen am 1., 6., 11., 26. und 30. November

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