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Klänge, Geräusche, Stimmen und Texte fließen in einer von Heiner Goebbels' bisher ungewöhnlichsten akustischen Schöpfungen zusammen. Ist dies nun eine Komposition, eine Klanginstallation oder eine Sound-Skulptur im Großmaßstab? Der Schöpfer des Werks hat es einst als Komposition für fünf Flügel aber ohne Pianist beschrieben, als Theaterstück ohne Schauspieler, als Performancestück ohne Performer, "man könnte sagen eine No-Man-Show." Und doch wimmelt es vor unterschiedlichen Klangquellen - von Bach über Eingeborenengesänge aus Neu-Guinea bis zu griechischen Volksliedern - und den sich…mehr

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Produktbeschreibung
Klänge, Geräusche, Stimmen und Texte fließen in einer von Heiner Goebbels' bisher ungewöhnlichsten akustischen Schöpfungen zusammen. Ist dies nun eine Komposition, eine Klanginstallation oder eine Sound-Skulptur im Großmaßstab? Der Schöpfer des Werks hat es einst als Komposition für fünf Flügel aber ohne Pianist beschrieben, als Theaterstück ohne Schauspieler, als Performancestück ohne Performer, "man könnte sagen eine No-Man-Show." Und doch wimmelt es vor unterschiedlichen Klangquellen - von Bach über Eingeborenengesänge aus Neu-Guinea bis zu griechischen Volksliedern - und den sich überlagernden Stimmen von Claude Lévi-Strauss, William Burroughs, Malcolm X und vielen anderen. Inspiriert ist das Werk von den Büchern des österreichischen Schriftstellers Adalbert Stifter, der im 19. Jahrhundert die Zeichen und Klänge der Natur mit großer Sorgfalt beschrieb.
Trackliste
CD
1The Fog00:02:53
2The Salt00:02:12
3The Water00:03:19
4The Wind00:05:22
5The Trees00:10:04
6The Thing00:03:26
7The Rain00:06:23
8The Thunder00:05:06
9El Sonido00:05:41
10The Storm00:02:12
11The Coast00:10:57
12Exhibition of Objects00:04:33
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.08.2012

So knackt und kracht es im böhmischen Wald

Heiner Goebbels, Chef der Ruhr-Triennale, hat mit "Stifters Dinge" einzigartige Musik für die Bühne erfunden. Sie funktioniert auch als reines Hörtheater.

Von Barbara Zuber

Erklärt der Landarzt Augustinus in Adalbert Stifters Erzählwerk "Die Mappe meines Urgroßvaters", er habe "dieses Ding nie so gesehen wie heute". Genauso könnte er jetzt sagen, er habe das Ding so noch nie gehört. Denn man mag gar nicht davon ablassen, in die Passage mit der berühmten Eis-Geschichte hineinzuhören. Es rüttelt, knackt und kracht im Gehölz des böhmischen Winterwaldes. Es weht und braust durch Äste und Stämme. Eiszapfen klingeln, inmitten einer starren, menschenleeren Stille.

Der Text gehört zu den großartigsten Naturbeschreibungen Stifters. Da sieht einer, mit der Feder in der Hand, genau hin und öffnet die Ohren für die Witterungen der Natur. Das ist kristallklar formuliert, ganz nah bei den Dingen. "Stifter ist der erste Erzähler, der imstande ist, Menschliches und Nichtmenschliches auf gleichem Range zu behandeln", schrieb dazu Wolfgang Matz. Und, klar, das musste ein Fall für den Komponisten und Theatermacher Heiner Goebbels werden. Er schuf vor fünf Jahren mit "Stifters Dinge" eine audiovisuelle Bühnenkomposition, die bislang einzigartig ist.

"Stifters Dinge" ist keine Vertonung. Goebbels liest die Eis-Geschichte, die er wie alle anderen Texte vom Band sprechen lässt, wie eine szenische Partitur, deren Klänge und Objekte erst noch erfunden oder gefunden werden müssen. Die Akteure, die das Spektakel in Bewegung halten, sind nicht Schauspieler, sondern Bild-, Bühnen- und Beleuchtungsapparate, Musik- und Geräuschmaschinen. Aufmerksames Hinhören, ein wacher Blick auf unbewegte und bewegliche Objekte, mehr wird nicht erwartet. Das genügt in dieser seltsamen Landschaft von "Stifters Dinge", in der fünf computergesteuerte technisch präparierte Klaviere ihre klimpernden, klopfenden, klirrenden Eingeweide nach außen kehren, in der kahle Äste sich verzweigen, Plastikrohre, Steine und andere Objekte sich versammeln. Sie sind eigentümlich genug. Man muss sie nicht neu erfinden, nur neu sehen und hören lernen. Aber: Man kann sie auch nur mit den Ohren genießen. Das ist die verblüffende Überraschung, die uns jetzt der Zusammenschnitt von zwei Aufführungen aus dem Grand Théâtre de Luxembourg auf CD beschert. Wer "Stifters Dinge" 2007 in Lausanne, Berlin oder Frankfurt erlebt hat, könnte bezweifeln, ob der Soundtrack allein genügen wird. Doch er funktioniert. In diesem Hörtheater kann man die klangliche Artifizialität und famose Konstruktion in aller Ruhe bewundern und auch die winzigsten Geräusche zischender Rohre, wackelnder Bleche und ratternder Rädchen vernehmen.

Die Dinge sind, was sie sind (darin folgt Goebbels Stifter) - und zugleich sind sie ein anderes. Sie sind ihrem alten Kontext entrissen. Was sie verändert, ist eine offene polyphone Vielstimmigkeit, eine Klangpoesie des Disparaten. Deshalb holt Goebbels auch das Ausgegrenzte, Verdrängte ins Bühnenlicht, er sucht nach Gegenläufigem. Er weiß: Die Welt ist nicht nach jenem "sanften Gesetz" der Versöhnung eingerichtet, welches Stifter der neuzeitlichen Zivilisation entgegensetzte. Also blendet Goebbels in ein Radio-Interview mit dem Ethnologen Claude Lévi-Strauss, der von seinen frühen Exkursionen in die Pariser Industrie-Vorstädte berichtet, rieselnden Regen ein und das zarte Adagio aus Bachs Italienischem Konzert. Er konfrontiert uns mit Beschwörungsformeln der Papua aus Neuguinea und einem alten griechischen Lied der Insel Kalymnos. Er kombiniert einen aus weiter Ferne tönenden antiphonalen Gesang kolumbianischer Indianer mit dumpfem Klopfen der Klaviermaschinerie. Schließlich rattern, klirren, klimpern und sprühen die Klaviere eine furiose Toccata quer über alle Tastaturen und Saiten im Inneren, als gelte es, Sonderapplaus abzustauben.

Ist "Stifters Dinge" vielleicht nur eine Musikmaschine? Das könnte sein. Doch der "fait accompli" einer fragwürdigen Pseudomorphose, der scheinhaften Angleichung an das Ding Maschine und seine mechanische Betriebsamkeit, wird gebrochen durch die Montage heteronomer Klänge und Geräusche, die sich unentwegt in wechselnden Konstellationen und irregulären Perioden verschieben. Manifest wird allein die irritierende akustische Demontage dessen, was die Dinge versteinert: ihre Verdinglichung.

"Wer mit dem Auge auf dem Gegenstand liegt, sieht ihn nicht", zitiert Goebbels den anderen Heiner (Müller). Also rückt er Bilder in die Ferne, damit man sie besser betrachten kann. Daraus wurde der Titel einer Oper, die keine ist: Landschaft mit entfernten Verwandten. Hier, erklärt Goebbels, "wird über Bilder gesprochen (gesungen, getrommelt und getanzt), die sich weigern, das mächtige, oft gewalttätige Zentrum zu besetzen, oder es ausklammern, verschieben". Bei der Genfer Uraufführung des Werks (2002) beanspruchte das vieraktige Opus noch gute zwei Stunden Aufführungszeit. Goebbels kürzte, er stellte einige Teile um für eine Aufführung in Nanterre, deren Mitschnitt der SWR als Koproduzent 2006 erstmals sendete. Und ein Jahr später kam die gestraffte Version unter der musikalischen Leitung von Franck Ollu mit David Bennent, Georg Nigl, dem Ensemble Modern und dem Deutschen Kammerchor auf CD heraus ("Landschaft mit entfernten Verwandten", ECM New Series 1881/1476838). Zentral, aber nicht beherrschend ist das Thema des Krieges in dieser Welt, die sich beim Reisen mit den Ohren ganz neu eröffnet. Mit scharfen Kontrasten konfrontiert Goebbels die heterogenen Idiome. Und sie wechseln schnell, meist im kurzweiligen Zwei- bis Dreiminutentakt. Eine gehörig verfremdete Renaissance-Chormusik intoniert Ausschnitte aus Giordano Brunos ketzerischem Dialog über das Unendliche von 1584. Zwischen Folklore und Free Jazz changierend, wird Sufi-Musik tanzender Derwische für Bläser und eine wirbelnde Handtrommel adaptiert, bevor sich David Bennent mit einem rätselhaften Gedicht von Henri Michaux einschaltet. Ein Stück des martialischen Triumphmarschs aus T. S. Eliots "Coriolan" fährt dazwischen, gesprochen, getrommelt, geschrien und mit rabiaten Fanfarenstößen bewaffnet. Mit Leonardo da Vincis berühmter Schlachtenbeschreibung zieht Georg Nigl vokale Girlanden über die aggressiv zupackende Musik. Und dazwischen plappern Musikerinnen des Ensemble Modern rhythmisch getrimmte Passagen aus Gertrude Steins atemlosem, labyrinthischem Kriegsroman "Wars I Have Seen", den sie 1943 in Frankreich schrieb.

Steins Buch ist der Ariadnefaden, der das Ohr durch diese Landschaft mit entfernten Verwandten lotst. Leichtfüßig wie der Text balanciert auch die Musik hinweg über Jahrhunderte und Regionen, mit Banjo, Bass und Jazzbesen, mit gefiedelten Geigen, mit denen die Musiker sogar in den Wilden Westen wandern, wo sie gemeinsam "Out Where the West Begins" singen, den berühmtesten aller Cowboy-Songs von Arthur Chapman und Estelle Philleo. Doch Heiner Goebbels schiebt gleich einen schrägen Kontrapunkt nach, er setzt in das verblassende Westerngedudel ein weiteres Textfragment von Gertrude Stein, diesmal geht es über das Reisen im Zug. Dazwischen intervenieren absurde Erklärungen von Monsieur Michaux, der beschlossen hat, gar nicht mehr zu reisen. Fremde Länder? Die könne er sich selbst basteln, wenn ihm danach sei, dann verlege er China einfach in seinen Hof. Und sogleich klimpert das Banjo ein Vorspiel zum Gesang von Elizabeth Cottons Folksong "Freight Train", der von den Ärmsten im amerikanischen Süden singt, wie sie als schwarze Passagiere auf Güterzügen durchs Land fahren. Eine herrliche, bissige Collage, geboren aus den Improvisationskünsten des Ensemble Modern.

Es ist dies eine ganz besondere Kunst: Jenseits einer Dramaturgie, die sich nur um die Handlung oder Story kümmert, ein komplexes und musikalisch reiches Musiktheater zu entwickeln, das auch ohne die Performance der Bühne bestehen kann. Und es ist ein grandioses Abenteuer für jeden, der ein offenes Ohr hat.

Heiner Goebbels: Stifters Dinge. Klaus Grünberg, Hubert Machnik, Willi Bopp, Heiner Goebbels.

ECM New Series 2216/4764193 (Universal)

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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