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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.2011

Schwedische Elektrik
Mehr Sommer geht nicht: Little Dragons Clubmusik

Es ist sonderbar: Wenn eine Country-Band aus Umbrien oder eine Funk-Band aus dem Schwabenland ein neues Album veröffentlicht, ist dies vor allem bei Musikredakteuren gehobener Kultur-Radiosender bisweilen immer noch ein Grund, so zu tun, als wären derlei musikalische Präferenzen außerhalb Nashvilles oder der amerikanischen Hochburgen schwarzer Musik völlig exzentrisch: "Lupenreiner Westcoast-Rock aus Bad Salzuflen - da kommt man schon ins Stutzen", heißt es dann etwa, ganz so, als wäre es vorrangig eben nicht die Plattensammlung eines Musikers, sondern die Scholle, auf der er diese Plattensammlung sortiert, die sein Schaffen prägen müsste.

Reggaegefärbter Club-Pop aus Schweden aber - das verwundert niemanden, auch wenn man ähnliche, den Tanzläden in Richtung Hitparade entkommene Musik üblicherweise eher mit, sagen wir, London in Verbindung bringen mag. Denn den Schweden, so die landläufige Meinung, ist alles zuzutrauen. Wobei die meisten schwedischen Musiker, die in den vergangenen Jahren auch im übrigen Europa erfolgreich waren, sich vor allem durch Sixtiespop- und Britpop-Nachbauten hervortaten.

Nicht so das Quartett Little Dragon aus Göteborg: Elektronische Popmusik nennt man gemeinhin das, was die 1996 gegründete Band fabriziert. Wobei es wohl, nach "Indie-Rock", kein langweiligeres Etikett geben dürfte. Überhaupt, was soll das heute noch genau heißen: "elektronische Popmusik"? Nennen wir es doch einfach "typische Melt-Festival-Musik": Musik, die von drei T-Shirt-Schluffis mit legerem Verhältnis zu Gesichtsbehaarung und einer charismatischen Sängerin zu gleichen Teilen mit dem Laptop und mit klassischem Instrumentarium produziert wird und zu der mehr oder wenige berauschte Menschen in einheitlicher Berlin-Uniform (Leggins, MGMT-Brille, lappiges Shirt, gerne auch eine Jutetasche) tanzen, trinken und zelten können.

"Ritual Union" ist nach dem selbstbetitelten Debüt von 2007 und "Machine Dreams" von 2009 das dritte Album und wird der Band, nicht zuletzt aufgrund euphorischer Besprechungen in allen einschlägigen Blättern, einen beträchtlichen Fan-Zuwachs verschaffen. Etliche Prominente zählen längst zu ihren Bewunderern: Es ist schlicht unmöglich, einen Artikel über Little Dragon zu verfassen, ohne Damon Albarn zu erwähnen, der von den musikalischen Zulieferungen der Band auf dem letzten Gorillaz-Album stark profitierte. David Sitek (TV On The Radio) und die beiden Herren von Outkast sind auch ganz aus dem Häuschen. Eigentlich fehlen nur noch Bowie oder Byrne, die beiden hauptberuflichen Junge-Band-Gutfinder.

Hört man "Ritual Union", das Titelstück des neuen Albums, fällt es aber auch wirklich schwer, nicht in die Begeisterung einzustimmen: Ein synthetischer Bass, den man gar nicht laut genug drehen kann, bollert, akustische Blubberblasen steigen auf, und Yukimi Nagano singt eine Melodie, in der mehr Sommer steckt als im ganzen deutschen Juni und Juli zusammen. Ansonsten stechen das niedlich-verträumte, auf einen hoppelnden Casio-Rhythmus gegründete "Seconds" und das karge und dennoch poppige "Little Man" heraus.

Manches klingt wie nebenbei auf dem iPad zusammengesampelt, aber es ist immer wieder erstaunlich, wie subtil hier Clubsounds und dem Reggae von der Schippe gesprungene Rhythmen in so tatsächlich noch nicht gehörte Popmusik eingewoben werden. Little Dragon gelingt es, Musik zu machen, die den Popfreund und den Clubgänger gleichermaßen beglückt. Der Trumpf der Band ist natürlich Yukimi Nagano, deren Gesangsstil in Kombination mit der elektronisierten Funkyness irritierenderweise dafür sorgt, dass die Platte ein ums andere Mal klingt, als hätte Prince doch noch einmal seine ganz progressiven fünfundvierzig Minuten bekommen.

Ganz so gut wie der imposante Auftaktsong, der die verknappten Klänge der Bands und eine gute Melodie unter einen Hut bringt, wird es, das muss allerdings gesagt werden, dann nicht mehr. Dazu lassen sie es trotz der erfreulich knappen Album-Laufzeit zu oft soundverknallt dahindümpeln. Doch man freue sich an dem, was da ist: Little Dragon machen hochgradig jetzige, retrovorwurfsresistente Popmusik, die man, wenn alles richtig läuft, diesen Sommer an den Stadtstränden Berlins oder Hamburgs und aus den Baggersee-Soundsystemen hören dürfte (die man aber besser daheim oder im Club genießen sollte). Vergessen Sie schwäbischen Funk!

ERIC PFEIL

Little Dragon,

Ritual Union

Peacefrog 4927527 (Rough Trade)

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