Produktdetails
Trackliste
CD
1Overture (original version)00:07:31
2"Gli arredi festivi giù cadano infranti" (Act 1)00:05:44
3"Qual rumore?"/"Come notte a sol fulgente" (Act 1)00:03:49
4Recitativo e terzettino: "Fenena! O mia diletta" - "Guerrieri, è preso il Tempio..." - "Io t'amava" (Act 1)00:08:24
5Chi s'avanza?/Salgo già del trono aurato (ZWEITER TEIL)00:03:59
6"Che si vuol?"/"Il maledetto non ha fratelli" (ZWEITER TEIL)00:02:35
7"S'appressan gl'istanti" - "S'oda or me!" - " Chi mi toglie il regio scettro?" (ZWEITER TEIL)00:08:32
8"Ah qual suon!"/"Deh, perdona" (DRITTER TEIL)00:04:51
9Coro: Introduzione - "Va pensiero, sull'ali dorate" (DRITTER TEIL)00:04:56
10"Dio di Giuda!"/"Cadran, cadranno i perfidi.." (Act 4)00:06:00
11"Oh! chi vegg'io?" - "Su me .. morente ...esanime" (Act 4)00:04:23
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Mein Vaterland, so schön und verloren
Kirill Serebrennikow inszeniert in Hamburg Giuseppe Verdis Oper "Nabucco"

Ort des Geschehens: der Plenarsaal der Vereinten Nationen in New York. Sicherheitsbeamte suchen den runden Tisch nach Wanzen ab. Erst danach machen sich Putzfrauen an die Arbeit. Einer der Beamten setzt per Fernbedienung ein Laufband in Bewegung, auf dem die alsbald sich einfindenden Abgeordneten und Gesandten in einer Endlosschleife und in roter Schrift lesen sollen (oder sollten), welch katastrophale Ausmaße die globale Erwärmung angenommen hat, dass Abermillionen Menschen auf der Flucht vor Kriegen sind und dass der "Herr spricht: Siehe, ich gebe diese Stadt in die Hand Nebukadnezars, des Königs zu Babel, und er wird sie mit Feuer vernichten und verbrennen".

Keine aktuelle Nachricht, sondern eine Prophezeiung, Jeremia 32, Vers 28, mit der in Giuseppe Verdis "Nabucco" das Unheilsgeschehen angekündigt wird: die Usurpation Jerusalems durch den babylonischen König und die Vertreibung der Hebräer, die im Exil jenen berühmten Gefangenen-Chor - "Va pensiero sull'ali dorate" - anstimmen, der in Italien schon während der Uraufführung von Verdis dritter Oper, der ersten erfolgreichen, als Manifest der Befreiungsbewegung aufgenommen und mitgesungen worden sein soll. Eine Legende, die sich dem kulturellen Gedächtnis offenbar unauslöschbar eingeschrieben hat - und inszenatorisch allzeit brauchbar.

Dass die Aufführung an der Staatsoper Hamburg zum "Ereignis" wurde, das zum Stolz des Intendanten Georges Delnon für internationales Interesse sorgte, verdankt sie der einem Gefangenen übertragenen Inszenierung: dem russischen Regisseur Kirill Serebrennikow, der am 22. August 2017 wegen des "Verdachts auf die Organisation von Unterschlagung" in Sankt Petersburg festgenommen und nach Moskau gebracht wurde, wo er seither unter Hausarrest steht. Gleichwohl ist es ihm auf wunderbare Weise gelungen, seine Arbeit unter bedrängenden Bedingungen, über die weltweit berichtet wurde und wird, fortzusetzen. Es ist eine Aufgabe, die, wie der für ihn in Hamburg arbeitende Dramaturg Sergio Morabito sagt, eigentlich auf das Gelingen des Unmöglichen angelegt ist. Sie wurde von dem auf elektronischen Schleichwegen ferngesteuerten Co-Regisseur Jewgeni Kulagin verwirklicht.

Serebrennikow gebraucht den Chor der Gefangenen mit seinem Flehen - "O mia patria, sì bella e perduta" (Oh mein Vaterland, so schön und verloren) - als einen "gewaltigen kollektiven Echoraum: dem Schicksal der gewaltsamen Vertreibung aus der Heimat" (Morabito), das von sechzig Millionen Menschen erlitten ward und wird. Die Protagonisten der Oper kommen als Wiedergänger scheinbar realpolitischer Figuren auf die Bühne: Der Titelheld trägt den Namen Nabucco Donoso, der, laut Steckbrief im Programmheft, mit der Kampagne "Assyria first" einen historischen Realsieg errungen haben soll. Donoso blickt und blafft wie Trump in Kamera und Mikrofon, wenn sich Nabucco als König ausruft. Wie er haben auch die anderen Protagonisten einen Sitz in den Vereinten Nationen. Der Dramaturg mag sich an den Satz Verdis erinnert haben, dass es besser sei, die Wahrheit zu erfinden, als sie nur abzubilden. Aber in der Inszenierung wird sie abgebildet, bis an und über alle Schmerzgrenze. Serebrennikow, Regisseur und Bühnenbildner in Personalunion, macht die Schreckensbilder, die von einer aus den Fugen geratenen Welt zeugen, zu den eigentlichen Trägern der Handlung von Verdis "Nabucco": die Bilder erschöpfter und verletzter Menschen, die sich von Booten an Land retten; von Flüchtlingen, die, mit Kindern auf den Armen, ins Ziellose wandern; mit Füßen auf ausgedorrten Böden; von zerbombten Städten und blutüberströmten Menschen in Krankenhäusern; von politischen Demonstrationen gegen die Aufnahme von Flüchtlingen; Videos mit den Versprechenslügen von Autokraten "I fulfill the will of the people" (ich erfülle den Willen des Volkes).

Das ist gut gemeint und wird in Hamburg mit großer Empathie aufgenommen, umso mehr, als der Regisseur alle Mittel der Gefühlsverstärkung einzusetzen weiß. Wenn auf einem Video vor dem Schlussbild der Oper "Die leeren Städte" mit ihren Ruinen zu sehen sind, versammelt sich vor schwarzem Vorhang ein Chor von syrischen Geflüchteten für ein Dacapo von "Va pensiero". Vor dem zweiten und vierten Teil der Oper schiebt er "Intermedien" ein, mit denen Hana Akourbah und Abed Harsony Appelle an die Menschheit richten: "Oh, du mit dem goldenen Herzen. Warum schenkst du mir keine Liebe? Warum nur Hass." Oder: "Derjenige, der seine Heimat verloren hat, wird nie wieder eine Heimat finden können. Wo könnte er seine Heimat finden?!" Wer würde wagen, mit Ubi bene, ibi patria zu antworten? Die Sänger der melismatisch klagenden und in Wehmoll getauchten Lieder bekommen für ihre Herzenstöne mehr Beifall als die Protagonisten.

Wie aber kann und soll über das Singen geschrieben werden, wenn durch die Inszenierung die ästhetische Distanz zwischen der Oper als Kunst und der Oper als politischer Parabel aufgehoben werden soll, wenn, so Morabito, "die Bühne geöffnet wird für Menschen, deren Leid wir allzu oft nur aus medial vermittelter Distanz wahrnehmen"?

So sei in einer knappen, ratlosen Coda angehängt, dass der Dirigent Paolo Carignani das Philharmonische Staatsorchester meist lustvoll schmettern ließ; dass die Sopranistin Oksana Dyka als Abigaille (als "Killerpartie" gefürchtet) mit gleichsam glasschneidenden Spitzentönen aufwartete, aber jedes Filigran bei melodischen Figurationen vermissen ließ; dass der russische Bass Alexander Vinogradov in dem für einen basso profondo geschriebenen Part des Hohepriesters klangliche Noblesse durch röhrendes Kraftsingen ersetzte; dass die französische Mezzosopranistin die "kleine" Partie der Fenena in eine große verwandelte, ganz so wie der famose Dovlet Nurgediyev die embryonale Tenor-Partie des Ismaele, dem Verdi keine einzige Arie zugestanden hat. Schlechthin großartig der griechische Bariton Dimitri Platanias, der stimmlich das ist, was Nabucco als Figur: eine Naturgewalt. Selbst er aber bekam weniger Beifall als das zum Schluss entrollte Plakat mit dem Appell: "Free Kirill."

JÜRGEN KESTING

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