Dilettantismus verleiht ihren Folksongs einen emotionalen Mehrwert, der allzu oft unter brillanter, doch im Handwerk verharrender Virtuosität verloren geht.
Wie kann man diese Musik also beschreiben? Man könnte von ihren Bestandteilen reden: Independentrock, atmosphärischer Jazz und balladesker Soul. Oder auf seelenverwandte Schamanen-Sängerinnen wie Feist oder Cat Power verweisen. Oder man könnte ganz nüchtern den Vortragsstil analysieren, der stark vom Wort und dessen Klangzauber geprägt ist. Hunger singt englisch, französisch, hochdeutsch und in Schweizer Mundart. Immer sind es Lautfolgen und sprachliche Rhythmen, in die sie alle Kraft legt. Sie verleibt sich die Sprache ein, kostet jede Silbe aus, haucht ihren Songs eine Zärtlichkeit und einen Zorn ein, der keinen unberührt lässt. Es sind weniger Geschichten, die sie vertont, eher Wort gewordene Stimmungen wie Melancholie oder die Einsamkeit zu zweit. Und manchmal züngelt es einfach aus ihr heraus.
Dazu setzt Sophie Hunger, die mit bürgerlichem Namen Emilie Welti heißt und eine Diplomatentochter ist, gewagte Akzente am Piano, ihre Band unterfüttert einen Swing, der oft so warm-verschroben daherkommt wie bei Paolo Conte und kaum noch an die Rockvergangenheit der Sängerin erinnert: Nein, jetzt dürfen Posaunen, Celli und Vibraphone ihre Klangfarben beisteuern, es kontrastieren verhaltene Bläsersätze mit Latin-Perkussion. Zum Großteil sind Musiker dabei, die schon bei Hungers Debütalbum "Sketches On Sea" mitwirkten. Sie veröffentlichte es im Selbstvertrieb und verkaufte nur ein paar tausend Stück. Vor allem mit ihren intensiven Live-Auftritten machte sie sich einen Namen.
Heute klingt alles ausgereifter, orchestraler. Ob der Erfolg mit einer großen Plattenfirma nicht zur Verseichtung des Repertoires führen könne? Da ist die erratische Persönlichkeit der Sängerin davor. Nein, sagt Hunger, sie höre bis auf sechs, sieben Bob-Dylan-, Jeff-Buckley-, Radiohead- und Nina-Simone-Alben kaum fremde Musik: "Das würde mich zu sehr von mir selbst ablenken." Möge diese selbsterklärte Dilettantin noch viele Songs in sich finden, um uns ein bisschen mit ihrem Wort-Schamanismus anzustecken.
JONATHAN FISCHER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main