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Produktdetails
Trackliste
LP
1Mirror, mirror00:05:53
2Candlelight00:06:13
3Keystone00:09:40
4Joe's bolero00:09:43
5What's new00:03:58
6Blues for Liebestraum00:07:56
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.2016

Lasst die Geisterköter von der Leine!

Das einzige Schubertlied singt Ian Bostridge idiomatisch perfekt: "An Sylvia" D 891, in deutscher Übersetzung von Eduard von Bauernfeld. Auch Kuckucksruf und Hahnenschrei, auch das Küchenlatein, die Vogel- sowie die Hundesprache beherrscht dieser britische Tenor wie im Traum. Und wenn nötig, im Albtraume, wobei ihm Klavierbegleiter Antonio Pappano weit mehr ist als nur ein getreuer Korrepetitor, beispielsweise in dem Lied des Ariel aus "The Tempest", als Theatermusik verkomponiert von Michael Tippett, darin das Klavier kräftig clustermäßig mitkläfft, wenn Prosperos Geisterköter von der Leine gelassen werden. Insgesamt hat Bostridge neunundzwanzig "Shakespeare-Songs" (Warner) aus vier Jahrhunderten ausgewählt für sein Recital von fünfzehn Komponisten aus fünf Ländern. Nicht nur das Rare, auch das Beliebte, in verschiedenen Versionen, ist interessant: etwa "It was a lover and his lass" (aus "As you like it"), einmal im (vermuteten) "Original" von Thomas Morley zur Laute, ein andermal als spätromantisch aufrauschendes Klavierlied von Gerald Finzi. Pappano schwelgt. Bostridge, hochexpressiv, zieht alle Register. Er taucht sonor ab in Bassnähe, kippt hoch ins Falsett, singt mit Überdeutlichkeit, übertreibt bis an die Grenze des Manierismus und manchmal darüber hinaus. Puristen mögen so was nicht. Andere freut es, Shakespeare wahrscheinlich auch.

eeb

*

Die erste Jazz-Schallplattenfirma in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg war "MPS" (Musikproduktion Schwarzwald). Auch nach dem Tod ihres Gründers Hans Georg Brunner-Schwer lebte sie weiter, mit steten Editionen wiederveröffentlichter und neuer Produktionen. So schön Letztere, etwa von Rolf Kühn und Lisa Bassenge, auch sind - wir ziehen aus dem gleichzeitig auf Vinyl wie auch als CD erscheinenden Haufen eine "historische" hervor, nämlich "Mirror Mirror" von Joe Henderson. Der damals, 1980, dreiundvierzigjährige Tenorsaxophonist "verkörpert die Essenz des Jazz", wie es ein Kritiker ausdrückte. In Gesellschaft einer Rhythmusgruppe der Stars (Chick Corea, Ron Carter, Billy Higgins) entfaltet Henderson seine Improvisationskunst in unerschöpflich poetisch oder dramatisch "erzählendem" Ideenfluss und mit einer Klangsinnlichkeit, in der sich viele Stadien der Jazzgeschichte zwischen Mainstream und freieren Ausbrüchen der Avantgarde spiegeln. Das Titelstück ist ein Walzer von Chick Corea; auch die anderen Kompositionen stammen von den Mitwirkenden, ausgenommen der Evergreen "What's New". Der Sound des Originals wurde noch einmal einem Remastering unterzogen, er ist jetzt in seiner Verbindung von Räumlichkeit und Präsenz nicht zu übertreffen.

u.o.

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Tonnenschwere Gesteinsbrocken aus Gitarren- und Keyboardklängen pflastern seit geraumer Zeit die Musik von Wovenhand - künstlerische Heimat des Sängers und Gitarristen David Eugene Edwards, der einst mit 16 Horsepower düstere Folk- und Country-Klänge mit glühender Intensität vermählt hatte. Auch auf "Star Treatment" (Glitterbeat/Indigo), dem neunten Wovenhand-Album, versucht Edwards die Sterne vom Himmel zu holen. Die Band jedoch verortet ihre staubigen Klänge mittlerweile mehr zwischen Wüstenrock und Industrial. Da surren die Synthesizer in der hochmütigen Ballade "Crook And Flail" wie wütende Hornissen, jeder Schlag auf die Snare hat so viel Hall, als ob das Schlagzeug in einer Waschküche stünde, und Edwards singt seine Texte wahlweise in der Pose eines verzweifelten Cowboys, etwa in dem ausgeleierten Exerzitium "The Quiver", oder in der eines aufgebrachten Extremisten, wie im energischen Auftaktsong "Come Brave". Doch Lärm und brachiale Wucht können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die elf neuen Songs ein wenig schwach auf der Brust sind.

roth

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Rätselhaft: Kleine Kinder lieben Mozartsche Musik. Wenn sie älter werden, wenden sie sich von ihr ab, nur, um Wolfgang Amadeus Mozart später restlos zu verfallen. Warum das so ist, wurde noch nicht erforscht. Es soll ja auch Sandkastenschmusereien geben, die sich als ultimative Liebe entpuppen. Vielleicht ist Mozarts Musik genau das: ein perfekter Einstieg, bedingungslos barrierefrei. Und später, viel später, entdeckt man Details, Harmoniefolgen, Trugschlüsse, die das Reich des Unheimlichen aufschließen. Daran erinnern wir uns, wenn wir das neue Album des Quatuor van Kuijk hören, eines noch sehr jungen französischen Streichquartetts, das von der BBC bereits mit dem Titel "New Generation Artists" geadelt wurde (Alpha/Note 1). Das Divertimento KV 136 wird gerahmt von späteren Stücken. Im Menuett des Es-Dur-Quartetts KV 428 geben sich die Musiker total dem Grundrhythmus hin, folgen demütig dem Violoncello und beginnen einen Tanz, der sich an sich selbst erfreut. Im Dissonanzenquartett KV 465 lehnen sich die vier dann weit aus dem Fenster, laden die Melodiebögen elektrisch auf, schwelgen in Überbordendem. Mozart rückt nach Moll, das Quartett reagiert dynamisch. Als sie ans Ende kommen, denken wir: Jetzt bitte da capo!

chris

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