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Trackliste
LP 1
1Chromatische Fantasie und Fuge d-moll BWV 90300:09:16
2Arabic-Gypyish Fantasy (Fantasie)00:11:46
3Das Wohltemperierte Klavier II BWV 870-893 (24 Präludien und Fugen) (Auszug)
4For Rico00:03:22
5Italienisches Konzert F-Dur BWV 971 (aus Clavierübung II)00:11:35
6Aria (Version 1)00:04:37
LP 2
1Introduktion und Tanz00:05:56
2For Paul00:03:56
3Variationen00:12:12
4Präludium und Fuge00:03:39
5Variationen über Light my Fire00:11:58
LP 3
1Blues for Joe Venuti00:06:32
2Fantasie für Klavier Nr. 2 d-moll KV 397 (385g)00:05:18
3Fantasie für Klavier Nr. 3 c-moll KV 47500:12:38
4Sonate für Klavier Nr. 17 B-Dur KV 57000:19:56
5Aria (Version 2)00:04:38
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2017

Der Grenzuntergänger

Im Niemandsland zwischen Liszt und Last: Ein Rückblick auf den Wiener Pianisten Friedrich Gulda, der am liebsten zwischen allen Stühlen saß.

Von 1950 an machten zwei junge Pianisten Furore, geographisch konträr, sonst in vielem parallel, bis in die Divergenz: Friedrich Gulda (geboren 1930 in Wien) und Glenn Gould (geboren 1932 in Toronto) waren gleichaltrig, sogar die Namen alliterierten, ihre manuelle Technik war enorm, als Interpreten waren sie der "moderne" Typ: sachlich, pathoslos, motorisch, strikt, auf Johann Sebastian Bach und Ludwig van Beethoven fixiert, mit Distanz zu romantischem Überschwang, zu Virtuosen- wie zu Priester-Posen. Am Star-Betrieb lag ihnen nichts, sie suchten anderes: Gould die Schule Arnold Schönbergs, Gulda den Jazz. Gould, vom Konzert-Ritual genervt, zog sich 1964 ins Aufnahmestudio zurück, Gulda provozierte die Klassik-Gemeinde mit freier Musik, aber auch verbal.

Hat man Guldas Laufbahn von den fünfziger bis in die späten achtziger Jahre verfolgt, so ging man mit ihm durch Wechselbäder: zuerst die ungebrochene Moderne-Faszination (eine unfehlbare Technik, ein Riesenrepertoire von Bach bis Sergej Prokofjew, dazu Distinktheit, motorischer Elan), dann das Doppelgesicht (wenn Gulda den Beethoven-Frack ab- und im Frankfurter Jazzkeller loslegte), das Einverständnis mit den Achtundsechzigern samt Skepsis gegen die reine Klassiker-Feier. Doch ab Mitte der siebziger Jahre flachte die Begeisterung ab: das Programm anspruchsvoller Werke schrumpfte; Disengagement, ja Routine, selbst im Jazz, war zu bemerken.

Doppelabende gab es da mit ein wenig Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Claude Debussy, gefolgt von nicht immer spontan inspirierten Improvisationen mit der Tendenz auch zum komponierten Jazz-Idiom. Gleichwohl blieb das Klavierspiel immer wieder mitreißend, wenn auch das Interesse nachließ an einem Künstler, der sich den tradierten Anforderungen an einen E-Musik-Pianisten entzog, aber bei Anhängern "freier" Musik nur mäßig Anerkennung fand. Wenn Dylan Thomas meinte, die richtige Position des Künstlers sei die "zwischen den Stühlen", so traf dies auf Gulda zu. Zugleich drängte sich die fatale Formel Felix Draesekes auf: Robert Schumann habe sich "vom Genie zum Talent" entwickelt. So sind denn auch die Erinnerungen an Gulda, sein oft Außerordentliches, manchmal Belangloses, leicht elegisch umflort. Zumindest ist man im Rückblick über die eigene Euphorie von einst irritiert.

Da sind einige CD-Veröffentlichungen geeignet, das Bild des enormen Musikers zu klären, zumal die Aufnahmen den Neunzehn- bis fast Fünfzigjährigen dokumentieren, also vielerlei Aufschluss geben. Der junge Gulda hat zwischen 1950 und 1959 für Rias Berlin Mozart, Beethoven, Frédéric Chopin, Debussy, Maurice Ravel, ja Prokofjews siebte Sonate eingespielt: makellos perfekt, virtuos ohne Allüre, bestechend stilsicher, in jeder Hinsicht kontrolliert, dabei mit energischem Drive - ein Musterschüler mit Überschuss (vier CDs bei audite). Kann man damals schon eine Jazz-Affinität heraushören? Am ehesten wohl in der rhythmischen Pointiertheit von Debussys "Poissons d'or", mehr aber noch im Faible für Variatives: Beethovens "Eroica"- und c-Moll-Variationen, die Sonaten op. 14 Nr. 2 und op. 109, Mozarts c-Moll-Konzert. Sogar die Reprise des kargen A-Teils von Chopins c-Moll-Nocturne op. 48 Nr. 1 erweist sich als rhythmisch wie akkordisch phantastische Variante. Er selbst wies darauf hin, dass im Jazz "chorus" dasselbe bedeute.

Spielte Gulda Joseph Haydn, Georg Friedrich Händels g-Moll-Suite oder Franz Schuberts viersätzige a-Moll-Sonate, so stieß man ebenfalls auf "Veränderungen". Kein Zufall war es, dass ihm Beethovens Diabelli-Variationen 1970 in ihrer kaleidoskopischen Kinetik besonders stringent gerieten, wie in einem Zuge (eine CD bei MPS/Edel). Igor Levit geht in seiner aktuellen Aufnahme (Sony) etwa harmonischen Abweichungen stärker nach, gliedert nach Charakteren.

Spielte Beethoven in den Siebzigern eine immer geringere Rolle, so wurde Bach zentral: 1972/73 nahm er beide Bände des "Wohltemperierten Klaviers" auf, faszinierend nach wie vor (vier CDs bei MPS/Edel). Was ist das "richtige" Instrument dafür? Klavier oder Cembalo? Für Gulda ganz klar: der große Flügel mit all seinem Anschlags- und Pedal-Potential. Da hört man die Farben von Laute und Orgel, Nahes und Fernes, quasi eine Enzyklopädie des "Claviers". Später nahm er die dialektische Volte, wendete Historisches ins Futuristische, entschied sich 1978 in Wien für das ihm einzig authentische Clavichord, dessen fragilen Klang er verstärkte bis zum blow up. Bachs Lieblings-Clavier, das Tonmodifikationen erlaubte, erinnert mal an die indische Sitar, dann an die Gitarre von Jimi Hendrix. Man hört Bach neu und ist gebannt.

Die drei Wiener Abende sind als "Message from G." nun wiederveröffentlicht worden (vier CDs bei MPS/Edel): ein zwiespältiges Dokument. Große, kompositorisch wie technisch fordernde Sonaten oder Zyklen fielen weg, überschaubare Abläufe blieben übrig. Bei Bachs zweiter d-Moll-Fuge lässt er das Präludium aus, desgleichen die "fantasierende" Einleitung von Mozarts d-Moll-Fantasie. Man glaubt zu ahnen, dass manche Attacken auf den Kulturbetrieb eher dem Verdruss an kompositorischer Komplexität entsprangen, so berückend Bach, Mozart, Debussy auch klangen. Erfuhr man so die "Light"-Version Guldas, so zeugten die jazzoiden Nummern, bei aller Bravour, von der Lust am sogar Bombastischen, das er bei Franz Liszt, Peter Tschaikowsky, Sergej Rachmaninow vehement ablehnte.

Hörte man einen großen Jazz-Pianisten wie McCoy Tyner, so spürte man die anarchische Dramatik vitaler Improvisation. Bei Gulda hörte man enormes Klavierspiel. Eine Jazz-Sängerin meinte anlässlich von Guldas "Concerto for myself": Riesig sei die Distanz zu James Last nicht mehr. In der Überspitzung ahnte man das Niemandsland, in das er gelangt war.

GERHARD R. KOCH

Friedrich Gulda: The Early RIAS Recordings 1950-1959

4 CDs. audite 21.404 (Edel).

Johann Sebastian Bach: Das Wohltemperierte Klavier. Gesamtausgabe.

Friedrich Gulda. 4 CDs. MPS 0300650MSW (Edel).

Ludwig van Beethoven: Diabelli-Variationen op. 120.

Friedrich Gulda. 1 CD. MPS 0300723MSW (Edel)

Friedrich Gulda: Message from G. 4 CDs.

MPS 0300688MSW (Edel)

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