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Produktdetails
Trackliste
CD
1Make Light00:04:56
2Little Secrets00:03:58
3Moth's Wings00:04:16
4The Reeling00:04:47
5Eyes As Candles00:04:03
6Swimming In The Flood00:04:58
7Folds In Your Hands00:03:38
8To Kingdom Come00:04:07
9Sleepyhead00:02:54
10Let Your Love Grow Tall00:03:32
11Seaweed Song00:04:24
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2009

Vom Schlafzimmer zu den Sternen
Bart, Kopf, Stimme: Passion Pit, fünf junge Männer aus Boston, machen kitschigen Pop, der nicht clever sein will

Als die amerikanische Popgruppe Passion Pit, fünf mehr oder weniger behaarte junge Männer aus Boston, Ende vergangener Woche in London landete, wo sie das erste Konzert ihrer aktuellen Europatour gab, empfing sie als Erstes die Nachricht von Michael Jacksons Tod. "Aus jedem Auto, das vorbeifährt, dröhnt Michael Jackson", schrieb die Band in ihrem Blog, und dass sie es noch immer nicht fassen könne, dass er gestorben sei, dass er fehlen werde, dass es aber, "no disrespect to Mr. Jackson", jeden Tag Tausende andere tragische Todesfälle zu beklagen gebe: "Haben die Leute denn schon Neda vergessen?"

Passion Pit sind College-Studenten, das merkt man diesem gewissenhaften Blogeintrag gleich an. Sie heißen Michael Angelakos, Ian Hultquist, Ayad Al Adhamy, Jeff Apruzzese und Nate Donmoyer, was klingt, als würde man die Einwanderungsgeschichte der Vereinigten Staaten in einer Handvoll Nachnamen erzählen. So klingen auch ihre Lieder: Einflüsse kommen von überallher, ein bisschen Hiphop, ein bisschen Schwulendisko, ein bisschen weiße Gitarre, ein bisschen Fahrstuhlmusik. Aber vor allem kultivieren Passion Pit das Falsett, so wie Michael Jackson der King of Kiekser war.

Es gab in der vergangenen Zeit, dreißig Jahre nach den Bee Gees, fast so etwas wie eine Renaissance der Kopfstimme, die Scissor Sisters sangen so, Mica auch, und wenn man sich jetzt ansieht, wie mühelos Michael Angelakos, der Sänger und Komponist von Passion Pit, seinen Tenor wieder und wieder in die Höhe schraubt, fragt man sich besorgt, wie lange er das wohl noch aushalten wird. Er ist einundzwanzig Jahre alt.

Überhaupt ist die Band auf der Bühne interessant anzusehen: halb versunken über ihren Tasten und dem Bass und dem Schlagzeug, immer gleich mitgerissen vom eigenen Glamorama-Lärm. Früher hätten solche Jungs im Hobbykeller an Platinen herumgelötet, jetzt lassen sie sich Bärte wachsen, gründen eine Band und schreiben Lieder wie "Sleepyhead". Das ist im vergangenen Jahr schon auf einem großartigen Minialbum namens "Chunk of Change" erschienen, das in den Vereinigten Staaten für frühen Ruhm und große Aufregung sorgte, und ist auch jetzt wieder der Höhepunkt auf der ersten amtlichen Platte von Passion Pit. Sie heißt "Manners".

Jemand hat geschrieben, die Melodien der fünf klängen wie das hyperaktive Gepiepse von Videospielen. Das stimmt, aber nicht nur das: Zwischendurch flippert auch schon mal ein elektronisches Schlagzeug durch die Lieder - wie man es sonst eben nur noch von den Flippers kennt. Und überhaupt spart die Band nicht an Effekten und Pirouetten. Ihr amerikanischer, nächtlicher Großstadtsound erinnert für kurze Augenblicke und auch nur entfernt an das Duo Hall and Oates, das mit weißem Soul in den achtziger Jahren sehr erfolgreich war. Nur dass Passion Pit heute viel mehr machen in ihren Liedern als weißen Soul, sie lassen sie vielmehr zuwuchern mit immer noch einer Idee extra, einer Tonspur, einem Jingle. Oder um es so zu sagen: Hall and Oates waren ein Schnäuzer, Passion Pit sind Vollbärte.

Die Geschichte der Band begann im Frühjahr des vergangenen Jahres mit einer selbstgebrannten CD, die Michael Angelakos seiner Freundin zum Valentinstag schenkte, mit Liedern, die er in seinem Zimmer geschrieben hatte und die später "Chunk of Change" wurden. Danach beschleunigte sich alles, eine Band rund um Angelakos kam zusammen, vorige Woche haben Passion Pit schließlich im Vorprogramm der Killers gespielt und konnten das selbst kaum fassen. Wenn man so will, ist diese Karriere - in fünf Minuten vom Schlafzimmer zu den Sternen - typisch geworden, weil es mittlerweile leicht ist für junge Bands, zu Hause Musik zu schreiben, zu produzieren und unter die Leute zu bringen. Vielleicht klingt deshalb die Musik von Passion Pit auch so unbeschwert. Die Wege, solche Alben aufzunehmen, werden immer kürzer.

Aber es ist natürlich nicht nur Technik. Bei Youtube kursiert ein Video, das zeigt, wie Michael Angelakos mit den New Yorker Fünftklässlern von PS 22 probt. Das ist ein Kinderchor, der kürzlich auch auf Youtube Karriere machte, weil er für Tori Amos gesungen hatte, die davon zu Tränen gerührt war, dabei gefilmt wurde, was der Klatschjournalist Perez Hilton sah und bloggte und der Schauspieler Ashton Kutcher später getwittert hat. Dieser Kinderchor PS 22 also singt auf drei Liedern von "Manners". Hier aber, im Video, sieht man, wie Angelakos, über ein halb verstimmtes Klavier gebeugt, mit den Schülern "Sleepyhead" übt, sich verhaspelt, abbricht, dann kichern sie alle zusammen, schließlich setzt Angelakos noch mal neu in seinem erstaunlichen Falsett an, der Chor begleitet ihn, und wenn man es nicht schon vorher gewusst hat, merkt man es eben jetzt: wie wunderbar dieses Lied ist. Sogar wenn die Maschinen abgestellt sind. Gerade wenn die Maschinen abgestellt sind. Wenn die elektronischen Operettenfanfaren verklingen und nur die Melodie bleibt. Es macht einfach sehr gute Laune. Es ist zum Lachen schön.

Auf "Chunk of Change" hatte Angelakos noch von Diamantentränen gesungen und Passion Pit hin und wieder so blümerant aufgetrumpft, als würde Brüno die Band gern kennenlernen oder zumindest zu ihrer Musik tanzen. "Manners" ist etwas weniger exzentrisch geworden, wenn auch nicht weniger euphorisch. Ein Popalbum. Musik, zu der auch die Fünftklässler von PS 22 tanzen würden. "The Reeling", das ist die erste Single der neuen Platte, die vielleicht noch drei oder vier weitere hat, ist in fünf Minuten das ganze Geheimnis von Passion Pit: Es beginnt mit einem Sample, das verhackstückt wird, und man denkt: Jetzt bricht hier gleich das große Clubinferno aus, Hände hoch und in die Luft - aber dann legt das Schlagzeug von Nate Donmoyer los, und keine Minute ins Lied hinein kommt so eine kleine Melodie, die auch Lionel Richie gefallen würde, obendrüber trippelt das schon erwähnte Flippers-Schlagzeug, schließlich singt Michael Angelakos, dass er an Harmonie und Freundlichkeit glaubt, und all das krönt im Refrain der Kinderchor.

Kitschig ist "Manners" immer noch, wie es auch "Chunk of Change" war, aber niemals clever dabei, kalkuliert oder zynisch: Bei Passion Pit steckt kein Masterplan dahinter. "Let your love grow tall", singt Michael Angelakos beim gleichnamigen Lied, die Kinder von PS 22 antworten ihm, man schmilzt so ein bisschen dahin, da ist die Platte schon fast vorbei, und man hat sich noch kein einziges Mal gelangweilt. Mehr kann man gar nicht verlangen.

TOBIAS RÜTHER

"Manners" von Passion Pit ist bei Sony Music erschienen. Am 19. Juli tritt die Band beim Melt!-Festival in Gräfenhainichen auf.

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