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Produktdetails
Trackliste
Maxi-CD
1Stück Vom Himmel (Lied 1)00:04:07
2Zur Nacht (Lied 7)00:03:03
3Stück Vom Himmel (Lied 1) (Involtinis Remix)00:04:37
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.01.2007

Wir sitzen alle in einem Gott
Grönemeyer kann nicht irren: Zwei Wochen vor Veröffentlichung des neuen Liedes inszeniert der Popstar seinen Triumphzug

Deutschland hat, anders als das Vereinigte Königreich, leider keinen poeta laureatus, der zu gegebenen Anlässen ein passendes Gedicht zu verfertigen hat. Dafür haben wir Herbert Grönemeyer. Seit mehr als zwanzig Jahren, seit er 1984 mit seinem Album "4630 Bochum" den Durchbruch schaffte, begleitet uns diese Kreuzung aus Sang und Schrei. Grönemeyers Texte folgen den politischen und sozialen Zäsuren zuverlässig wie ein Echo, er ist der quasioffizielle Hinterhofdichter der Bundesrepublik. In dieser Funktion hat er längst einen singulären Status erreicht, der alle Übrigen haushoch überragt: Er ist der einzige wirkliche deutsche Popstar. Wenn Marcel Reich-Ranicki einmal sagte, dass ein Buch von Günter Grass immer ein Ereignis sei (egal, ob misslungen), so gilt das auch für Grönemeyers Platten.

Jetzt gibt es eine neue Single: das balladenhafte "Lied eins - Stück vom Himmel" ist erst vom 2. Februar an im Handel und füllt doch bereits die Rundfunkkanäle. Das ist mehr als eine geschickte Marketingstrategie (das natürlich auch) - es ist eine fast zwingende öffentlich-rechtliche Grundversorgung. Die neue Grönemeyer muss jeder kennen.

Und in der Tat ist "Stück vom Himmel" ein Zeitgedicht, ein Leitartikel als Popsong, in dem der Sänger die aktuellen Debatten um die politische Indienstnahme der Religion kommentiert: "Warum in seinem Namen? / Wir heißen selber auch / Wann stehen wir für unsere Dramen / Er wird viel zu oft gebraucht" - so hebt das Stück mit dem Selbstbewusstsein des Aufklärers an, beinahe wie Goethes "Prometheus"-Hymne (nur etwas ungelenker). Die Anspielung auf den "Idomeneo"-Skandal ist etwas undeutlich, aber immerhin. Es war ja nur eine Frage der Zeit, bis sich Grönemeyer dem schwelenden Kampf der Kulturen und der Renaissance der Religion widmen würde. In typisch ellipsenhafter Rhetorik meißelt er sein persönliches, pantheistisch-naturreligiöses Credo in Verse: "Welche Armee ist heilig / Du glaubst nicht besser als ich / Bibel ist nicht zum Einigeln, / die Erde ist unsere Pflicht / Sie ist freundlich, freundlich - / wir leider nicht."

Das ist Herbert Grönemeyer, wie wir ihn kennen, mit jenem auratischen Sound, der Gedanken und Emotionen mit seiner abgehackten, kompressorartigen Stimme zu etwas Drittem, etwas Höherem zusammenschmilzt, in der Regel zu einer eingängigen Synthese von brunnentiefen Einsichten und barem Unsinn. Man könnte sagen, das sei für Poptexte normal und auch nebensächlich (zumal es auf Englisch meistens nicht auffällt). Aber Grönemeyer selbst legt ja, Zwecklyrik hin oder her, auf seine Texte großes Gewicht; und gerade die sehr konventionelle Balladenform des Lieds lenkt zusätzlich alle Aufmerksamkeit auf die Botschaft. Die läuft, soweit man sie extrahieren kann, auf eine Brechts "Gegen Verführung" vergleichbare Religionskritik und Diesseitsfeier hinaus. Allerdings kommt sie nicht materialistisch daher, sondern wird befeuert von einer kryptischen Ökoesoterik, die der Natur ihre durchaus üblichen Unfreundlichkeiten wie Erdbeben, Tsunamis oder auch, gut biblisch, Heuschreckenschwärme leichtfertig nachsieht.

Als Verurteilung von gewaltbereiten Fanatismen und als Aufruf zu Verantwortungsbewusstsein und Menschlichkeit wäre das Plakative ja zu begrüßen. Leider schwächt sich die moralische Kraft des Plädoyers selbst durch ein neuheidnisches Wabern: "Hier ist dein Haus / Hier ist was zählt. / Du bist überdacht / von einer grandiosen Welt." Gut, dass wir überdacht sind - anders als der Text, der so fortfährt: "Es sind Geschichten, sie einen diese Welt / Nöte, Legenden, Schicksale, Leben und Tod ..." Huch, Herbert, wohin haben wir uns denn da verlaufen? Mehrfach gibt es schmerzhaft verhauene Zeilen wie diese: "Du bist ein Unikat, das sein eigenes Orakel spielt." Wenn der Seher singt, ist Delphi überall. Mit einem Wort: ein schwachbrüstiger Song mit bombastischem Arrangement, das an Nino de Angelos "Jenseits von Eden" denken lässt, und ein Text wie aus dem Brainstorming einer Reli-AG der Regenbogen-Ära: Wir haben die "freundliche" Erde nur geliehen - von unseren noch viel freundlicheren, zum Glück ja bald die Macht ergreifenden Kindern wahrscheinlich.

Den Erfolg wird das alles freilich nicht verhindern; die Popgeschichte in ihrem Lauf hält bekanntlich weder Ochs noch Esel auf. Seit Tagen läuft es im Radio rauf und runter, der Spitzenplatz in den Charts beim Erscheinen scheint schon reserviert; das neue Album folgt im März, die Stadiontournee im Mai - 2007 wird wieder Grönemeyer-Jahr, komme da textlich und musikalisch noch, was wolle: Er ist längst jenseits von Gut und Böse.

War er in den Achtzigern noch eine Art Dritter Weg zwischen dem Prolet-Heros Marius Müller-Westernhagen und dem Oberlehrer Heinz Rudolf Kunze, der currywurstige Bodenständigkeit mit textlastigem Stichwortgebertum verband, so kam er in den Neunzigern, als man ihn schon abgeschrieben hatte, mit überraschender Vehemenz und musikalischer Offenheit zurück. Schluss war's (man hoffte, für immer) mit dem illustrativen Schmalhans-Pop, der nur rockendes oder balladeskes Vehikel für kritische Gemeinplätze war - von der Parkplatzsuche bis zum nahenden Faschismus.

Lange waren sein Gesang und sein Gestus beliebte Zielscheibe von Parodien (unvergessen jenes "Grönemeyer kann nicht tanzen" von Wiglaf Droste und Bela B.), inzwischen scheint er unangreifbar. Dazu trugen auch private Schicksalsschläge bei, die Grönemeyer dann allerdings in der für ihn typischen Mischung aus anrührender Unverstelltheit und professionellem Kalkül zum Subtext seiner Lieder machte. Spätestens mit der "Mensch"-Platte von 2002 (die sich inklusive der Live-DVD über dreieinhalb Millionen Mal verkaufte) und der folgenden triumphalen Tour hatte Grönemeyer einen Gipfel erklommen, den sonst nur Figuren wie Madonna oder Bono erreichen - nämlich den gewöhnlichen Maßstäben von Geschmack oder gar Kritik nicht mehr zu unterliegen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: "Mensch" enthielt einige großartige Songs, allen voran das mitreißende Titelstück ("Momentan ist richtig, momentan ist gut"), bei dem auch die Textlogik keine Rolle spielte. Doch geht es bei Grönemeyer längst nicht mehr um die Qualität einzelner Lieder. Er ist eher ein Gesamtkunstwerk, einem antiken Orakel nicht unähnlich, dessen Rätsel noch wie Offenbarungen aufgenommen werden. Grönemeyer kann sich längst alles erlauben, Ausrutscher können ihm da nichts mehr anhaben - wie auch sein Song zur WM bewies ("Zeit, dass sich was drehehehet"), eine peinliche Ethnokitsch-Hymne.

Er ist inzwischen die einzige deutsche Popgröße, auf die sich alle einigen können, von der Bäckereifachverkäuferin bis zum Lautpoeten, vom Tankwart bis zum Theaterregisseur. Niemand hatte diesen Rang vor ihm, kein Lindenberg und kein Westernhagen, und niemand wird ihn auf absehbare Zeit haben, allen Verkaufserfolgen zum Trotz: "Rosenstolz" oder "Pur" blieben immer irgendwie Trash; die "Ärzte", die anderen großen Überlebenden der Achtziger, entkamen der Spaßpunk-Falle nie endgültig. Nur einer kam durch, und der singt allen Ernstes, wie weiland beim Waldsterben: "Wir sitzen alle in einem Boot" - und macht sich damit einen Reim auf Gott.

RICHARD KÄMMERLINGS

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