ist? Dieser mürrische Typ, der von Folge zu Folge unsere gut versteckte Sehnsucht kitzelt, auch so ein heroischer einsamer Wolf zu sein und Frauen mit einem Blick aus Melancholieabgrundsaugen zu hypnotisieren? Klar, dass eben dieser Frauenflüstererblick - Hugh Laurie, wie sein Engagement als neuer Frontmann einer L'Oréal-Serie bezeugt, weiß genau um seinen Kurswert - das Cover seiner ersten CD dominiert. Ebenso klar, dass deren lakonischer Titel "Let Them Talk" den kollektiven Dr.-House-Nerv kitzeln soll. Und kristallklar, dass man zögernd nach der CD greift. Was sich aber nach wenigen Minuten als Voreingenommenheit herausstellt: Lauries grundsolide, astreine Blues-Rundreise macht alle strategischen Kniffs vergessen.
Genauer gesagt: der zweite Titel. Ihm, nämlich dem klassischen "St. James Infirmary", geht eine penetrante Ouvertüre voran, die vier Minuten lang fürchten lässt, hier werde der Blues in Bombastsoße ersäuft. Dann aber wird's ernst, es kehrt schnörkelloser Blues ein, manchmal jazzig, ab und an auch mit Country-&-Western-Klängen unterfüttert. Bei jeder Nummer legt sich Hugh Laurie mächtig lässig ins Zeug, spielt meistens Piano und ebenso oft den Sänger, gibt zuweilen neben Jay Bellerose den Perkussionisten und neben Kevin Breit und Greg Leisz den Gitarristen, lässt sich tragen und treiben vom Bass David Piltchs sowie Patrick Warrens Keyboards, Akkordeon und Orgel. Außer dieser Grundbesetzung gibt es bei Bedarf noch Bläser und Streicher, Klarinettisten und Hintergrundsänger. Mehr als das, nämlich Stargast, ist Tom Jones, der souverän wie immer bei "Baby Please Make a Change" stampft, röhrt und keucht, als hätte er nie irgendwo anders als im Cotton-Belt gelebt.
Genau das verneint Hugh Laurie für sich im Begleitheft: "Ich wurde nicht in den 1890ern in Alabama geboren, habe nie eine Ernte eingeholt, bin nie in einem Güterwaggon gefahren", schreibt er - und dementiert diese Aussagen mit jedem Blues. Denn sein Gesang braucht sich weder vor Tom Jones zu verstecken noch vor Irma Thomas und Dr. John, die bei "John Henry" und "After You've gone" gelebten Blues singen. Auch bei Laurie sind Schmerz und Wut, Resignation und Enttäuschung gut, ja, bestens aufgehoben.
Unrecht hat er trotzdem nicht mit seiner Feststellung, er breche "als weißer Mittelklasse-Engländer ganz öffentlich in die Musik und den Mythos des Südens" ein. Denn Hugh Laurie singt und spielt ungemein diszipliniert, korrekt, nicht intuitiv, aber bestens interpretierend. Das mag zwar charakteristisch für weiße Mittelklässler sein, gewinnt aber dem Blues neue, fesselnde Nuancen ab.
Bleibt nur noch festzustellen, dass der musizierende Schauspieler - man könnte es fast auch umgekehrt sagen - schlicht und einfach eine enorm anziehende, klare und ziemlich umfangreiche Stimme hat, um zu bekräftigen: Diese CD, von "You Don't Know My Mind" über "Swanee River", "Police Dog Blues", Tipitina (Hungarian Shuffle)" bis zum Titelsong ist mehr wert als das einmalige Hören in Funktion des nachdenklich machenden Absackers.
Hugh Laurie,
Let Them Talk
Warner Music 674078
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