Produktdetails
Trackliste
CD
1Rock and roll00:02:14
2Before the night is over00:03:39
3Pink Cadillac00:03:55
4Evening gown00:03:57
5You don't have to go00:04:00
6Twilight00:02:48
7Travelin' band00:02:01
8The kind of fool00:04:14
9Sweet little sixteen00:03:04
10Just a bummin' around00:02:43
11Honky tonk woman00:02:21
12What's made Milwaukee famous00:02:39
13Don't be ashamed of your age00:01:59
14Couple more years00:05:13
15Ol' glory00:02:05
16Trouble in mind00:03:49
17I saw her standing there00:02:21
18Lost highway00:02:59
19Hadacol boogie00:03:18
20What makes the Irish heart beat00:04:12
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2006

Er hängt nur an seinem eigenen Rockzipfel
Freie Fahrt für freie Männer: Jerry Lee Lewis führt auf seinem wohl letzten Album keinen Eiertanz auf

"Don't leave me all alone here in the twilight, 'cause twilight is the loneliest time of day": Robbie Robertsons Bitte, ihn in der einsamen Dämmerung nicht allein zu lassen, klingt aus dem Mund des inzwischen einundsiebzigjährigen Jerry Lee Lewis noch flehentlicher als im Original von "The Band". Aus der Dämmerung, die ihn lange umgab, ist Jerry Lee Lewis, genannt "der Killer" und mit Songs wie "Great Balls Of Fire" und "Whole Lotta Shakin' Goin' On" zu den Gründervätern des Rock 'n' Roll zählend, noch einmal zurückgekehrt. Sein neues und, wie die Dinge liegen, wahrscheinlich auch letztes Album "Last Man Standing" mußte ihm der Gitarrist und Produzent Jimmy Rip in mehrjähriger Arbeit abringen. Längst schien Jerry Lee Lewis, geboren am 29. September 1935 in Ferriday, Louisiana, in der Versenkung aus exzessiver Sucht und anderem Privatunglück für immer verschwunden.

Einundzwanzig Songs umfaßt "Last Man Standing" - es sind allesamt Duette, die Lewis mit ähnlich gut abgehangenen Schlachtrössern wie BB King und Little Richard oder musikalischen Zieh- und Stiefsöhnen wie Keith Richards, Bruce Springsteen, Rod Stewart und Neil Young singt. Klavierspiel und Hauptgesang läßt sich Lewis bei keinem Lied nehmen, er hat seinen Musikerstolz, will an niemandes Rockzipfel hängen und umgekehrt auch keinem Unwürdigen die Ehre erweisen.

"The Pilgrim", das Schlußlied der Platte und vom mitsingenden Kris Kristofferson geschrieben, könnte ein Abgesang auf das Leben des So-gerade-eben-noch-Rock-'n'-Roll-Überlebenden Jerry Lee Lewis sein: "He's a walking contradiction ... taking every wrong direction on his lonely way back home." Das klingt nach Selbstikonisierung, die Lewis ja auch überhaupt nicht fremd ist. Unbeirrbar nennt er sich selbst "einen der vier großen Stilisten der amerikanischen Musikgeschichte" und läßt auf gleicher Höhe neben sich nur Jimmie Rodgers, Al Jolson und Hank Williams gelten. Doch Lewis hat nicht nur eine große Rock-'n'-Roller-Klappe - die ihr Alter angenehmerweise nicht hinter klangtechnischer Politur versteckt -, sondern noch immer etwas dahinter. Seine Version von John Fogertys "Travellin' Band", gemeinsam mit der "C.C.R."-Legende gesungen, gibt der wilden Jagd des Musikerlebens noch einmal heftig die Sporen.

"Last Man Standing" tischt auch Unnötiges, Erwartbares auf - konventionelle Coverversionen wie Led Zeppelins "Rock and Roll" mit Jimmy Page oder "Sweet Little Sixteen" mit Ringo Starr. Sogar Ranziges wie das pathetisch-patriotische "Ol' Glory" mit Toby Keith bleibt einem nicht erspart. Das auf jugendlich getrimmte "Honky Tonk Women" mit Kid Rock ist regelrecht peinlich; die fast gespenstisch zwangsjuvenile Aufnahme zeigt, wie schwer es für einen Rock 'n' Roller ist, in Angemessenheit und Würde zu altern.

Untrennbar mit dem Mythos Rock'n'Roll verknüpft ist das Versprechen von Wildheit, ungezügelter Lebensweise und sexueller Kraft. Rock'n'Roll, das macht seinen Reiz für jede neue Generation aus, ist eben auch die Idee einer Männlichkeit, die sich nicht zu einer auf harmlos und dufte machenden, ankumpelnden Männchenhaftigkeit der Sorte "Der tut nichts, der will nur spülen" domestizieren läßt. Frauen, die sich zumindest sexuell einen Mann wünschen, der auch Mann sein will, bleibt bei diesem archaischen Rollenmodell die Eiertänzerei erspart, die der moderne, feminisierte Mann als Demonstration seiner Zivilisiertheit aufführen soll.

Wie aber wird ein Rock'n'Roller auf gute Weise alt? "Hey hey, my my, Rock'n'Roll will never die", sang Neil Young in "Out of the Blue"; vielleicht stirbt der tausendmal totgesagte Rock'n'Roll ja wirklich nie oder kann auch gar nicht sterben. Das Älterwerden jedenfalls fällt ihm am schwersten - gehört aber zum Leben und damit auch zur Männlichkeit nun mal dazu. Deshalb lösen Rock-'n'-Roll-Veteranen beim Betrachter auch sofort Betretenheit aus, wenn sie mit Habitus und Gestus ewiger Jugend herumwedeln.

Juvenilitätsprotzereien wie "Honky Tonk Women" aber sind auf "Last Man Standing" die Ausnahme - weshalb das Album insgesamt das erfreuliche Überlebenszeichen eines Mannes ist, der bereits gänzlich verirrt schien. Wenn er mit Don Henley von den "Eagles" den Van-Morrison-Song "What Makes The Irish Heart Beat" anstimmt und Paddy Maloney von den "Chieftains" die zarten Flötentöne dazu beisteuert, sind alle Rock'n'-Roll-Klischees sternenfern. Dann geht es um Musik als Ausdruck einer Lebenshaltung und um die Freuden, die Musik und Musikmachen spenden.

Eins der stärksten Stücke ist "Evening Gown" von Mick Jagger. Gemeinsam mit Ron Wood begleitet der Sänger der "Stones" einen hörbar amüsierten Jerry Lee Lewis durch dieses Bekenntnis eines ziemlich schmutzigen alten Mannes, der immerhin noch genügend Kraft für einen hübsch fiesen Herzenswunsch hat: "I'm waiting for your blond hair to turn grey."

WIGLAF DROSTE

Jerry Lee Lewis, Last man standing, Edel Records 0176682

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