Produktdetails
Trackliste
CD
1The First Touch00:04:14
2Vignette00:08:08
3Cinema Paradiso00:08:33
4Diamonds And Pearls00:05:49
5Balladyna00:06:46
6King Korn00:06:45
7The Cat00:09:58
8January00:08:38
9The Young And Cinema00:09:10
10New York 200700:02:46
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.04.2008

Segen der Erdung
Gruppenklang mit Herr: Marcin Wasilewskis Trio

Pianotrios kam in der Entwicklung des Jazz lange keine zentrale Rolle zu. Das Heranreifen neuer Stile vollzog sich in Bands, die auf die Ausdrucksmöglichkeiten von Bläsern zugeschnitten waren. Insbesondere Saxophonisten und Trompetern war es vorbehalten, das klanglich-dramaturgische Profil des Jazz zu prägen. Als Brad Mehldau 1998 bekannt wurde, zeugte der Untertitel seines Albums "Songs" von einer entschiedenen programmatischen Aufwertung des Pianotrios: "The Art of the Trio, Vol. 3" hieß es da, um deutlich zu machen, dass man nicht aus einer Laune heraus an dem Projekt arbeitete, die musikalischen Potentiale dieser Besetzung zu erforschen.

Welch herrliche Entdeckungen dem Trio gelangen, bezeugen Klassiker wie "Unrequited" oder "Convalescent", in denen der Amerikaner erstmals seinen kontrapunktisch die Melodiefäden verwebenden Improvisationsstil entfaltete. Lange vor Mehldau hatte Keith Jarrett begonnen, das Trio im Geiste von Bill Evans wiederzuentdecken. Als Jungbrunnen des American Songbook ins Leben gerufen, dient Jarrett das "Standards"-Trio heute auch als privilegiertes Medium seiner präziösen, aus reiner Improvisation geborenen Ideen.

Aus einer Besetzung, die lange eher die Funktion hatte, für gediegene Hintergründe und akustische Séparées zu sorgen, ist in letzter Zeit somit ein Genre geworden, in dem der Jazz nach den Exzessen postmoderner Bindestrich-Stile wieder zu sich selbst finden will; dies nicht zuletzt deshalb, weil das Trio ambitionierten Pianisten die Möglichkeit bietet, ein Maximum an kompositorisch-stilistischem Freiraum in der triadischen Essenz bandmäßigen Zusammenspielens zu erden. Dies gelingt dem Marcin Wasilewski Trio auf "January" nahezu vollkommen. Die zweite internationale Veröffentlichung der drei jungen polnischen Musiker lässt wenig Zweifel daran, in welcher Tradition sie musizieren und an welchen Maßstäben sie gemessen werden möchten: Es ist die Eleganz der Interaktion der Evans-Jarrett-Mehldau-Tradition, mit der das Trio seine Einfälle wie das Bandfeuerzeug kreisen und tausend Funken schlagen lässt.

Dass sie in diesem wogenden Geben und Nehmen schon zu eigenen Sitten und Bräuchen gefunden haben, mag daran liegen, dass Wasilewski und seine beiden Mitstreiter seit mehr als fünfzehn Jahren miteinander spielen. Mit ihrem Mentor Tomasz Stanko stehen sie seit 2001 auf der Bühne und haben auch drei vielbeachtete Alben mit dem polnischen Altmeister verwaschener Trompetenintonation aufgenommen. Wasilewski und Kurkiewicz spielen zudem in jenem Ensemble Manu Katchés, das zuletzt mit "Playground" Kritik und Publikum gleichermaßen überzeugte (F.A.Z. vom 13. Oktober 2007).

Das konzentrierte Gespräch des Wasilewski Trios verleiht den Stücken einen ganz eigentümlichen Dialekt und Duktus. Seien es melodramatische Filmmusiken ("Cinema Paradiso" von Morricone), Pop-Fingerübungen ("Diamonds and Pearls" von Prince) oder kantige Be-Bop-Phrasen ("King Corn" von Carla Bley) - das Prinzip kontinuierlich-organischer Stoffentwicklung, mit dem die Band ihr Spiel organisiert, bewährt sich scheinbar mühelos in allen Genres. Insbesondere bei Balladen wie dem versonnen reflektierenden "Vignette" wird freilich deutlich, dass es gerade die langsamen Tempi dem Trio gestatten, seine Kunst der steten atmosphärischen Verdichtung in aller Konsequenz zu verwirklichen. Demgemäß sind auch mit "The First Touch" oder "January" die markantesten der fünf Eigenkompositionen betont zarte und tastende Stücke.

Mehr noch als das Mehldau Trio ist das Wasilewski Trio in seinem Spiel am gleichberechtigten Dialog orientiert. So ergreift etwa der Bass von Slawomir Kurkiewicz immer wieder die melodische Führung, fungiert als zweite Stimme oder sorgt durch Einsatz des Bogens für subtile klangliche Nuancen. Das Schlagzeugspiel Michal Misikiewiczens hingegen waltet als eine oberste Instanz der Kontinuitätsstiftung, die nicht durch Lautstärken und Betonungen, sondern vielmehr durch Intensivierung oder Ausdünnung rhythmischer Texturen jene dramaturgischen Wellen zu schlagen versteht, auf denen Marcin Wasilewskis ausgeprägtes Rubato-Spiel balancieren kann. Dessen federndes, von der impressionistischen Harmonik und deren Klangfarben beeinflusstes Spiel bewegt sich nun endgültig auf dem Niveau des Brahmsschen Romantikers Mehldau oder des Prokofjewschen Ironikers Bollani.

"January" bietet mehr als die Summe der Qualitäten der Musiker. Gerade im Hinblick auf Kohärenz und Lebendigkeit des Zusammenspiels wird dieses Album womöglich als Meisterwerk in Erinnerung bleiben. Bis die Jazzgeschichte ein Urteil gefällt hat, bleibt allemal genug Zeit, dem Gespräch der drei Polen bei zünftiger Lautstärke in all seinen Verästelungen zu folgen und diese hier und da brummen und schreien zu hören. Vermutlich tun sie dies aus Vergnügen.

ALESSANDRO TOPA

Marcin Wasilewski Trio, January. ECM 2019 (Universal)

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