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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.02.2008

Chorknaben mit Laserschwert

Heißer kann man im Augenblick nicht tanzen: Hot Chip aus London mischen auf ihrem neuen Album einen verführerischen Cocktail aus Techno, Funk und schwelgerischem Pop.

In der Popmusik wird meist nicht Wage-, sondern Wankelmut belohnt. Die britische Band Hot Chip etwa sitzt äußerst erfolgreich zwischen den Stühlen. Einem Genre lassen sich die fünf Londoner nicht zuordnen. Sie verbinden vielmehr den einschüchternden Schick elektronischer Tanzmusik mit der einladenden Emphase des Pop. Ihre Lieder sind hedonistisch und einfühlsam; hart wie ein Rave und zugleich zart wie das Pflänzchen aufkeimender Verliebtheit. Nun erscheint "Made In The Dark", ihr drittes und bislang bestes Album.

Der eröffnende Track "Out At The Pictures" beginnt langsam und sanft, und doch schwingt vom ersten Takt an die Verheißung einer großen Nacht mit. Ein ungeduldiges Schlagzeug mahnt das träge Keyboardspiel zur Eile und löst das Versprechen ein, das Hot Chip seit ihrem Bestehen geben: die Tanzfläche zu füllen. Auf ihrem letzten Album "The Warning" stellte vor allem der Hit "Hold On" die Disko-Tauglichkeit der Formation unter Beweis. Ein Jahr später kompilierten Hot Chip für die Reihe "DJ-Kicks" des Berliner Labels K7 einen Mix, der abermals ihren ebenso weitgefassten wie geschmackssicheren Musikbegriff zeigte.

Den Kern von Hot Chip bilden Joe Goddard und Alexis Taylor, die sich noch aus der Schule kennen. Mit zwölf Jahren freundeten sich die beiden an, durchlebten eine gemeinsame musikalische Sozialisation zwischen Plattenläden, Konzerten und Clubs, zwischen Northern Soul, Folk und Tanzmusik. Ihre Schulkameraden Al Doyle, Owen Clarke und Felix Martin stießen später dazu und erweiterten den musikalischen Horizont um ihre Leidenschaften Techno und Minimal House.

Trotz dieser mannigfaltigen Einflüsse haben die Londoner ihren eigenen Stil gefunden, der sich auf "Made in the Dark" auch von naheliegenden Vorbildern wie LCD Soundsystem entfernt. So finden sich auf "Made in the Dark" abermals Reminiszenzen an den Hip-Hop, als wolle man beweisen, dass man neben Funk, Soul, House, Techno auch das draufhat. So entleihen die Prahlhansl in "Wrestlers", einem halbernsten Beziehungsstreit, Beat und Angebertum aus diesem Genre und lassen Letztere zu Blödeleien anschwellen, bis sie kollabieren.

Und neuerdings öffnet sich der Eklektizismus der Band außerdem gen Rock: Dominante Verstärker spielen sich auf, und neben technoidem Geknarze finden sich verzerrte Gitarren, die den Liedern einen härteren Charakter verleihen. Dem Song "Shake A Fist" etwa, in dem Alexis Taylor singt wie ein Thomaner kurz vor dem Stimmbruch: "I'm Ready To Try This". Schließlich lädt der geschmeidige Bariton seines Kollegen Goddard ihn zu einer Partie Chorknaben-Pingpong, bis der Song zugunsten eines kruden Treibens namens "Sounds of the Studio" abbricht, wobei das volle Spektrum der Effektgeräte inklusive des Jungsspielzeugs Laserschwert die Harmonik des Lieds übernimmt.

Darauf folgt "Ready For The Floor", höchst hitverdächtig, höchst eingängig. Auch später, bei dem Lied "Hold On", stutzt man. Kennt man das nicht? Hat man zu diesen beiden Songs nicht schon kurz vergangenes Jahr getanzt? Tatsächlich; eine Nachfrage beim DJ des Vertrauens ergibt, er habe die Vorzeigestücke des Albums schon im Dezember aufgelegt. Zwar wurde alle Vorabkopien mit Störsignalen versehen, um Raubkopieren zu verhindern. Allerdings sind diese mit einer gängigen Software einfach herauszuschneiden - sehr zum Ärger der Musiker und der Plattenfirma EMI, der ohnehin ja gerade wegen eines strikten Sparkurses die Zugpferde wegzulaufen scheinen.

Solche Trennungsabsichten (wie zuvor etwa Radiohead oder die Rolling Stones) haben Hot Chip noch nicht bekundet. So könnten die Briten bald zur liebsten Gattung eines jeden Plattenlabels avancieren, nämlich zum Goldesel. Das neue Album bietet einen noch größeren Fundus an massenkompatiblem Stoff als die Vorgänger. Auch Balladen wie das Titelstück schmeicheln Ohr und Herz; Taylors sanfte Stimme zeichnet die Soul-Klischees noch weicher. Man fürchtet schon fast, sich am Schmuseelixier zu verschlucken, ehe etwas ironische Distanz im Text den romantischen Aufguss verdünnt: "Since I stole this song, we have made a new start." Ob aus dem entzweiten Pärchen wieder eines wird, bleibt ungewiss, das Lied glimmt aus. Indes, im elegischen Italo-Disko-Lied "Touch Too Much" sind sich die flatterhaften Bleichgesichter von Hot Chip ganz sicher: "I would hold you up again, if you'd passed me."

CHRISTINA HOFFMANN

Hot Chip, Made in the Dark. EMI 51791728

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