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Produktdetails
Trackliste
CD
1For Beginners00:02:47
2Never Had Nobody Like You00:02:26
3Jailbird00:02:31
4Hold Time00:03:05
5Rave On00:03:35
6To Save Me00:03:01
7One Hundred Million Years00:02:11
8Stars Of Leo00:03:18
9Fisher Of Men00:03:12
10Oh Lonesome Me00:06:05
11Epistemology00:03:49
12Blake's View00:02:29
13Shangri-La00:02:20
14Outro (Aka:I'm A Fool To Want You)00:03:47
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2009

Annäherung ans amerikanische Wurzelwerk

Sommerlieder, die an etwas erinnern, das es so niemals gab: Neue Folk-Platten von Alela Diane und M. Ward

Geigenwolken wehen, ein müdes Schlagzeug rührt einen Rest von einem Rhythmus, der Gesang klingt wie eine ferne Erinnerung an sich selbst. Man weiß nicht recht: Tapert der Sänger da durch einen purpurnen Drogennebel oder sitzt er in der Latzhose auf der Veranda und hat an einem heißen Sommertag ein paar Drinks zu viel genommen? So oder so will er nichts weniger als die Zeit anhalten - letztlich das, was wohl alle Künstler wollen. Er will die Grenze zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verwischen, mit Worten und mit Musik. "I wrote this song just to remember the endless, endless summer in your laugh", singt der große Matt Ward im nur scheinbar hingehuschten Titelstück seines neuen Albums "Hold Time".

Mit Musik des Genres Americana ist es wie mit Western: Es gibt viel zu viele davon, und dennoch könnte es nie genug geben. Obwohl natürlich unter Aufbietung des genretypischen Lapsteel-Gedudels und Wüstengezirpes auch viel generische Redundanz produziert wird, entspringen der amerikanischen Brauchtumspflege immer wieder Alben, auf denen durch äußerst eigensinnige Interpretation des Bekannten letztlich famose Popmusik mit sinnstiftendem Mehrwert entsteht. Dieser Tage sind mit den neuen Werken von M. Ward, wie er sich abkürzend nennt, und Alela Diane wieder zwei mehr als bemerkenswerte Platten erschienen.

"Hold Time" ist Matt Wards sechstes Album. Der begnadete Folk-Gitarrist aus Portland, Oregon, ist einer der umtriebigsten Musiker seiner Generation: Er spielte für Jenny Lewis, Cat Power und Norah Jones, unterhält mit der Schauspielerin Zooey Deschanel das Duo She & Him und wurde wiederholt an der Seite von Conor Oberst gesichtet. Seine eigenen Platten leben allesamt von einer seltsamen akustischen Patina, die er kunstvoll über seine rustikalen Produktionen legt und die seine Musik oft klingen lässt wie das akustische Gegenstück eines überstrahlten Super-8-Films. Der häufig bemühte Begriff "Lo-Fi" erklärt diesen Sound nur unzureichend, denn "Hold Time" ist mit seinen weiten Klangpanoramen und breiten Streichern eine Prunkproduktion; bloß integriert Ward, ähnlich wie etwa die Flaming Lips, eben auch bewusst vermeintliche Störgeräusche, gezielt verzerrt produzierte Sounds - jedoch nur, um diese nachher wieder zu lackieren.

Auf diese Art entstehen musikalische Schichtengemälde, die hörbar ihren Entstehungszeitpunkt verwischen wollen. Die Songs selbst sind purer Traditionalismus: "Never Had Nobody Like You" ist überbordender weißer Blues, "Jailbird" eine lakonische Folk-Meditation über einen zum Tode Verurteilten, und das eröffnende "For Beginners" ist sonnenwarme Strandmusik, von der man meint, sie schon immer zu kennen, wäre da nicht der leichtfüßig philosophische Text über das Glück aller Urzustände: "When you're absolute beginners / It's a panoramic view / From her majesty Mount Zion / And the kingdom is for you." Das Schönste an dieser die letzten Dinge verhandelnden Ineinanderblendung von Alt und Neu, von Gestern und Morgen ist, dass "Hold Time", M. Wards bisheriges Meisterwerk, eine echte Pop-Platte geworden ist: Americana-Pop, der sich anhört wie eine Erinnerung an etwas, das es so schön nie gab.

Ganz anders geht die in Nevada City aufgewachsene Alela Diane auf ihrem zweiten Album ans amerikanische Wurzelwerk heran. "The Pirate's Gospel", das Debüt der inzwischen Fünfundzwanzigjährigen, war vor einigen Jahren ein Achtungserfolg, eine lupenreine Folk-Platte im Grunde, die von spartanischen Songs und Alela Dianes außergewöhnlich klarer Stimme lebte. Viele sahen sich auf Grund der demoartigen Aufnahmen, die im Studio ihres Vaters entstanden waren, und Dianes geographischer Nähe zur kalifornischen Freak-Folk-Szene dazu veranlasst, die Sängerin als Teil dieses Kosmos zu begreifen. Dabei fehlt ihren Liedern weitestgehend das schratige Exzentriker-Element dieser Musik, die doch oft nach akustischem Knollenkochen in selbstgegrabenen Höhlen tönt.

Und so fällt das zweite Album der Sängerin, die inzwischen wie M. Ward in Portland lebt, viel prägnanter aus als der vergleichsweise spröde Erstling. Die Musik auf "To Be Still" ist von seltener Klarheit - und dabei doch traditionell bis in die Spitzen. Es sind Folk-Lieder mit Country-Begleitung, eigentlich eine eher unauffällige, dabei aber ganz und gar nicht selbstverständliche Verbindung. Die Melodien könnten aus den Appalachen stammen, die Pedal steel verweist deutlich auf Nashville. Wovon diese Musik lebt, ist jedoch die Art, wie Alela Dianes Gesang die Melodien auf neue Wege schickt. Es ist ihr äußerst dezentes, tief in den Stimmcharakter eingegangenes Jodeln, das Stücken wie "White As Diamonds" erst ihre Sogkraft verleiht. In "Dry Grass & Shadows" singt sie: "There are things that I've seen in my head while I'm sleeping in bed / that do not wither in the morning light." Was sich beunruhigend liest, hört sich aus dem Mund dieser Sängerin enorm tröstlich an.

Wie bei M. Ward ist auch Alela Dianes Thema letztlich der Mensch innerhalb der Tradition, denn nur in einer solchen Verortung ist Zeit letztlich in all ihrer Möglichkeit und Begrenztheit erfahrbar. Im Video zu "White As Diamonds" läuft Diane, in einen Poncho gehüllt, durch amerikanisches Gestrüpp an einem Bach entlang und einem handgebastelten Spielzeugschiffchen hinterher. Als sie es zu fassen bekommt und entfaltet, findet sich darin eine alte, handgeschriebene Nachricht. Sie findet weitere Schiffchen mit Nachrichten und dringt schließlich zu der Absenderin dieser Nachrichten vor: Es ist sie selbst.

ERIC PFEIL

M. Ward, Hold Time. Beggar 4AD 7346742 (Indigo)

Alela Diane, To Be Still. Fargo 9785136 (Rough Trade)

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