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Okay - auch wenn sich das schottische Quartett Glasvegas bereits mit ihrem herzzerreißenden Scheidungs-Mini-Drama "Daddy's Gone" auf Position zwei der "NME-Jahrescharts 2007" platzieren konnte, der offizielle Durchbruch in Großbritannien gelang James Allan (Gesang, Gitarre), Rab Allan (Gitarre), Paul Donoghue (Bass) und Caroline McKay (Schlagzeug) im Juni 2008 mit "Geraldine". Der hymnische Uptempo-Song über die Sozialarbeiterin, die ihren Job aufgab, um auf Glasvegas-Konzertreisen Band-T-Shirts unters Volk zu bringen, brachte den Newcomern die erste Chartplatzierung in der UK Single Hitliste…mehr

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Produktbeschreibung
Okay - auch wenn sich das schottische Quartett Glasvegas bereits mit ihrem herzzerreißenden Scheidungs-Mini-Drama "Daddy's Gone" auf Position zwei der "NME-Jahrescharts 2007" platzieren konnte, der offizielle Durchbruch in Großbritannien gelang James Allan (Gesang, Gitarre), Rab Allan (Gitarre), Paul Donoghue (Bass) und Caroline McKay (Schlagzeug) im Juni 2008 mit "Geraldine". Der hymnische Uptempo-Song über die Sozialarbeiterin, die ihren Job aufgab, um auf Glasvegas-Konzertreisen Band-T-Shirts unters Volk zu bringen, brachte den Newcomern die erste Chartplatzierung in der UK Single Hitliste und peakte auf Position 16.

Mit der schmissigen Ode an ihre Merch-Lady entfachte das Quartett, das Creation-Legende Alan McGee als "die aufregendste Band seit Jesus And Mary Chain" adelte, endgültig einen landesweiten Glasvegas-Hype, der im September 2008 mit Platz zwei für das selbst betitelte Debütalbum seinen bisherigen Höhepunkt erreichte. Mittlerweile verkaufte sich der Longplayer, der unter der Regie von James Allan and Rich Costey (Muse, Franz Ferdinand etc.) in den Brooklyn Recording Studios entstand, allein in UK mehr als 125.000 Mal und erreichte damit Gold.

Trackliste
CD
1You Are My Sunshine
2Geraldine - Album Version00:03:45
3It's My Own Cheating Heart That Makes Me Cry00:04:25
4Lonesome Swan00:02:43
5Go Square Go00:03:23
6Polmont On My Mind00:03:51
7Daddy's Gone - Album Version00:04:23
8Stabbed00:02:21
9S.A.D. Light00:03:59
10Ice Cream Van00:05:56
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2009

Das Baby ist weg und Vati auch
Wer noch einmal "Britpop" sagt, fliegt raus: Glasvegas wagen es und bleiben im Spiel

Popalben, die mit einem mehr als einminütigen atmosphärischen Intro beginnen, sollte man mit Skepsis begegnen. Was danach kommt, ist selten das ganze mühsame Dröhnwerk zu Beginn wert. Wenn zudem im ersten Song der Platte einunddreißig Mal "Baby" gesungen wird, müsste man sich eigentlich, der rockmusikalischen Klischees überdrüssig, abwenden und weiter seltene Vinylhüllen sortieren. Bei der britischen Band Glasvegas kommt noch hinzu, dass man im ersten Song ansonsten fast kein Wort versteht, was am argen schottischen Akzent des Sängers liegt, der in dieser Rumpeligkeit im Pop noch nicht zu hören war.

Ein atmosphäreheischender Anfang also, inflationäres "Baby"-Gesinge und ein derber schottischer Akzent: Geht's noch schlimmer? Ja, so zum Beispiel: Die Musik, die sich zu diesen Mundartsveräußerungen gesellt, röhrt, fiept und bollert wie ein matschiges Open-Air-Festival in den frühen Neunzigern. Es ist englische Fahnenschwenker- und Thekenstuhlsturzmusik, dröhnend und sentimental. Und es ist tatsächlich kaum ein Wort zu verstehen. Immer nur "Baby". Es ist herrlich!

Man hört den Song namens "Flowers & Football Tops" noch einmal, denn da ist etwas zu spüren, was man lange nicht gehört, besser vielleicht: gefühlt hat. Da ist ein Sog in der Musik von Glasvegas, ein Beben und Drängen, vor allem aber ein Sehnen, das wehtut wie eine peinliche Krankheit. Sollte man noch einmal gebrochenen Herzens verlassen werden, dann bitte zu diesem Stück. Es gibt eine großartige Stelle gegen Ende des Songs, wo Sänger James Allan, ein Mann mit Haartolle und schwarzer Lederjacke, seinen ersten großen Moment hat: Das bombastische Schmettern bricht ab, und Allan schluchzt zur schlichten Schnulzenmodulation G / Bm / C / D mit seiner gleichzeitig wehmütigen und aufgekratzten Kneipencroonerstimme seine offenkundigen Lieblingswörter "Baby - my Baby". Sieben Mal. Dann, kurz bevor alles wieder einsetzt, flüstert er nur leise: ". . . is gone", und die ganze gewaltige Soundwelle schwappt wieder über den Song.

Schon zu diesem Zeitpunkt würde man diesem James Allan sein Vermögen vermachen: was für ein Abschiedslied, was für ein Schlussmachen-auf-der-Showtreppe-Moment! Dann liest man den unverständlichen Text genauer und erschrickt: Es geht um keine böse Freundin, der Song bildet unverschnitten den Schmerz eines Elternteils über den gewaltsamen, rassistisch motivierten Tod des Kindes ab - nicht eben das Material, aus dem Stadionhymnen gemacht werden.

So also beginnt die erfolgreichste, eigentümlichste britische Gitarrenrockplatte seit Ewigkeiten. Aber was macht diese Band wirklich so außergewöhnlich: das, was man beim Hören sehr diffus fühlt - dass es Allan ungewohnt ernst zu sein scheint, womit auch immer - oder das, was man erfährt, wenn man sich mit Glasvegas und ihrer kurzen Geschichte voller Schönheit und Irrwitz beschäftigt? Versuchen wir's mit Letzterem.

"Moment", wird mancher hier einwenden: "Was gibt es da nachzusinnen? Diese Glasvegas-Heinis machen doch nur britischen Prahlhans-Rock, der sich für keinen Kitsch zu schade ist." Stimmt fast genau - bloß wann gab es das zuletzt aus England: pathetischen, kitschfreudigen Prahlhans-Rock? Die Zeiten der großen britischen Gitarrenhymnen sind schließlich vorbei: Nachdem Franz Ferdinand mit dem Diktat des Windjackenrock, wie er von Oasis und The Verve perfektioniert und zu weit getrieben wurde, Schluss gemacht haben, scheint das Königreich in Pathos-Phobie erstarrt: nur noch wahnsinnig clevere, dabei aber seltsam kühle Bands, die gebetsmühlenartig von sich behaupten, eigentlich Tanzmusik zu machen, mathematische Strukturen auf Musik zu übertragen und ansonsten angeblich nur uralten Soul und elektronische Musik zu hören. Wer "Britpop" sagt, fliegt raus oder ist einfach nur schlecht wie Razorlight oder die Kooks. Die einstmals große Stärke der britischen Popmusik, blässliche Stumpfheit zu überlebensgroßer Musik zu transzendieren und stellvertretend für Tausende andere Verlierer den Mund aufzumachen, scheint in den verkoksten späten Neunzigern verlorengegangen zu sein. Vermutlich braucht es da einfach so einen wie diesen Glasvegas-Sänger James Allan, der behauptet, diese beherzt auf jede Drüse drückenden Dramen als Arbeitsloser geschrieben zu haben, Lieder, die immer wieder wie Liebeslieder klingen, den Hörer aber in die Abgründe der britischen Arbeiterklasse schubsen, Songs, die sich exakt so anhören wie der Bandname.

Es geht um tapfere Sozialarbeiterinnen (im Hit "Geraldine"), jugendliche Gewalt ("Go Square Go") und, im meisterlichen "Daddy's Gone", abwesende Väter - alles gesungen mit diesem Akzent, der eher nach einem wunderschönen Gebrechen klingt. Allans Zeilen sind dabei weitestgehend frei von Kitsch; der Pomp, das Triefende, das "Vegas" resultiert in erster Linie aus der Vortragsweise - hierin und nicht einfach nur in der Verschmelzung von süffigem Prä-Beatles-Teenie-Pop und Noise-Sturzbächen liegt das Genie der Band. Allan, ein ehemaliger Fußballer mit Profi-Ambitionen, wird in seiner Heimat längst als aufmüpfiger Proll-Poet gehandelt; dies sicherlich auch, weil er aussieht, als hätten sich Joe Strummer und der Komiker Ricky Gervais zu einem gemeinsamen Gesichtsausdruck verabredet. Der Rest der Glasvegas-Musiker erweckt den Eindruck, als wäre die Band für sie die letzte Gelegenheit gewesen, nicht als bester Dartspieler in einem Glasgower Pub zu enden.

Von James Allans besinnlicher Ader kündet auch das jüngste Glasvegas-Projekt: Als die Band, zu deren frühen Förderern der Oasis-Entdecker Alan McGee zählt, ihren Major-Vertrag unterschrieb, ließ sie sich zusichern, kurz nach ihrem Debüt gleich noch ein Weihnachtsalbum "in Transsilvanien" aufnehmen und nachlegen zu dürfen. Die Plattenfirma glaubte an einen Witz. Aber Glasvegas war es ernst.

So erschien Ende vergangenen Jahres, kurz nach der regulären Platte, die bei uns erst jetzt veröffentlicht wird, ein Weihnachts-Mini-Album, das tatsächlich zum Großteil in einer transsilvanischen Kirche aufgenommen wurde - eine Irrsinnsvision, die so viel Sinn ergibt wie der Bandname und das Konzept vom prolligen Pomp. Es sind eben letztlich nicht die Songs, die Glasvegas so besonders machen. Es sind der Ausdruck und der offensichtliche Wille, zu weit zu gehen, die diese Band so groß machen. Und ein bisschen der schottische Akzent. Denn ganz ehrlich: Wer braucht im Pop schon mehr als das Wort "Baby"?

ERIC PFEIL

Glasvegas, Glasvegas. Columbia 1012874 (Sony/BMG)

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