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Produktdetails
Trackliste
CD
1Here We Go Again00:04:00
2Sweet Potato Pie00:03:48
3You Don't Know Me00:03:55
4Sorry Seems To Be The Hardest Word00:03:59
5Fever00:03:31
6Do I Ever Cross Your Mind00:04:35
7It Was A Very Good Year00:05:00
8Hey Girl00:05:16
9Sinner's Prayer00:04:25
10Heaven Help Us All00:04:33
11Somewhere Over The Rainbow00:04:55
12Crazy Love00:03:45
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.09.2004

Das Genie liebt die Gesellschaft

Als hätte der Kapitän kurz vor dem Einlaufen in den letzten Hafen noch einmal die Signalflaggen gehißt, den in Sparten und Genres befangenen Kritikern ein letztes Mal eine Salve vor den Bug geknallt und bewiesen, was er eigentlich nicht mehr zu beweisen brauchte: "Hey, es ist doch nur Musik. Wir können das mitnehmen." So hatte Ray Charles gerne gepoltert. Und mit einem Handstreich alle Zweifel weggewischt, ob der Blues-Crooner, Country-Jodler, Jazz-Pianist und Rhythm&Blues-Shouter nicht ganz einfach nur ein verteufelt guter Musiker sein könne: ein Genie, das sich durch die Vorsilbe Soul keine Grenzen auferlegen läßt. Auf seinem posthum erschienenen Duett-Album "Genius Loves Company" (Liberty 8665412 im Vertrieb von EMI) jedenfalls kommt der preacher zum teacher. Ob Ray Charles sich an der Seite von Johnny Mathis durch einen elegischen, streicherwattierten Standard ("Over The Rainbow") croont, im Verein mit B.B. King den Blues rockt ("Sinner's Prayer") oder sich von Diana Krall durch eine Jazz-Version eines Country-Klassikers ("You Don't Know Me") geleiten läßt - hey, alles nur Musik! Verteufelt eingängig. Kinderleicht. Und doch so verdammt komplex.

Von welcher Seite man die Sammlung von Standards auch betrachtet - Ray Charles hinterläßt dank zeitlos eleganter Arrangements und gewohnt vulkanischer Gesangseruptionen durchweg verbrannte Erde: mit Elton John ("Sorry Seems The Hardest Word"), James Taylor ("Sweet Potato Pie") oder Bonnie Raitt ("Do I Ever Cross Your Mind"). Seine Version klingt nicht selten origineller als das Original. Und das ist kein Zufall, sondern das Gütesiegel eines Mannes, der es in einer Mischung aus Trotz und Intuition verstand, jeder Musik seinen ureigenen Brother Ray-Stempel aufzudrücken. 1960, als Ray Charles' Heldentum sich noch weitgehend auf das schwarze Rhythm&Blues-Ghetto beschränkte, hörte ihn sein Chauffeur während der langen Autofahrten von Auftritt zu Auftritt immer wieder diese eine Hoagy-Carmichael-Schnulze summen: "Georgia On My Mind". Warum er sie nicht aufnehme, wenn er sie schon nicht aus dem Kopf bekomme? "Weil mir die Worte dazu fehlen", entgegnete Ray Charles.

Der Mann am Steuer nahm die Sache schließlich selbst in die Hand - und schubste ohne daß er es ahnte die Karriere seines Bosses in eine ganz neue Richtung. Wenn Bruder Ray ein nostalgisches Südstaatenepos aus den dreißiger Jahren mühelos in einen zeitgemäßen Hit verwandeln konnte, dann stand ihm das American Songbook weit offen. Er sollte in seiner Musikwahl mühelos durch Zeit und Raum springen und sich das Gefundene in einer Weise aneignen, daß viele Fans glaubten, der blinde Sänger habe den Song bestimmt selbst geschrieben. Je abseitiger dessen Ursprung, um so besser.

Auf "Genius Loves Company" sind es denn auch weniger zeitlos gefällige Soul-Pop-Nummern wie Carole Kings "Hey Girl", die unbedingt eines Interpreten vom Schlage eines Ray Charles bedurft hätten. Vielmehr zeigt der Mann mal wieder, wo seine eigentliche emotionale Heimat liegt: im Country, in einer coolen, tiefschwarzen, eben blues-getränkten Spielart dieses Genres. Denn wo läßt er uns schon näher an sich und seine Narben heran als auf dem melodramatischen, orgelunterfütterten Duett mit Norah Jones? "Here we go again, you break my heart again." Wann hätte er uns mehr von seinen Gospelwurzeln, seinen spirituellen wie politischen Hoffnungen verraten als flankiert von Gladys Knight in "Heaven Help Us All"? Und welche Melodie könnte die bittersüße Lebensbilanz des früh erblindeten, im Waisenheim aufgewachsenen und zeitlebens mit Heroin, Rassismus und der eigenen Einsamkeit kämpfenden Sängers besser einfangen als das Willie-Nelson-Duett "It Was A Very Good Year"?

Der Kapitän - Ray Charles hält auch dieses allerletzte Mal das Steuer bis zur letzten Note fest in der Hand - ist von Bord gegangen. Sein Schiff allerdings ließ er nicht im Hafen zurück. Er hat uns blinde Passagiere auf eine Reise in offene, noch nicht auf Karten verzeichnete Gewässer geschickt: Hey, ist doch alles nur Musik!

JONATHAN FISCHER

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