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Produktdetails
Trackliste
CD
1Como Um Rio00:06:08
2No Mar Das Tuas Pernas00:02:46
3A Lua Num Quarto00:04:33
4Amarrado A Saudade00:03:35
5Já Náo Da Como Esta00:04:12
6Se O Meu Amor Me Pedisse00:03:02
7Quando Te Vejo Sorrir00:06:54
8Casa Demarinquinhas00:06:00
9Beijos Ateus00:08:29
10A Gaivota00:03:47
11Jogo Da Vida00:06:20
12Adolescência perdida00:03:37
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.2008

Willst du meine bundlose Kurzhalslaute sein?
Füllhorns zarte Saite oder ein "Smoke on the Water" des Ethno-Jazz: Rabih Abou-Khalil vertont portugiesische Schmachtfetzen

"Al ud" bezeichnet im Arabischen sowohl das Material Holz als auch ein aus diesem hergestelltes Artefakt: die bundlose Kurzhalslaute, die ein wenig wie eine halbierte Birne in die Welt glubscht. Das maskuline Substantiv steht freilich nicht nur etymologisch am Ursprung des italienischen "liuto" oder der deutschen Laute; es bezeichnet auch einen Instrumententypus, der schon im Mittelalter von Persien bis in den maghrebinischen Mittelmeerraum bekannt war und als Vorläufer der Gitarre gilt. In der arabischen Musikwelt schätzt man den Oud aufgrund seines Schönklangs als überaus vornehmes Instrument. Die spanische Konzertgitarre kann diesem weich tröpfelnden und in sich flirrenden Klang näher kommen, wenn man sie etwas tiefer stimmt und glissando als Melodieinstrument spielt.

Im Jazz hat sich der Oud im vergangenen Vierteljahrhundert durchgesetzt. Während der Tunesier Anouar Brahem von Frankreich her auf sein Instrument aufmerksam machen konnte, hat der Libanese Rabih Abou-Khalil von Deutschland aus so international wie nachhaltig gewirkt. Beide Virtuosen haben gerade in den letzten Jahren auf ganz eigene Weise Elemente des Jazz in ihre Musik integriert, die dort gleichsam als Verflüssiger zwischen orientalischer und okzidentaler Musiktradition Wunder wirken. In ihrer Spiritualität als Oudis könnten Brahem und Abou-Khalil jedoch kaum verschiedener sein.

Mit Dave Holland am Bass und John Surman am Saxophon sind Brahem auf "Thimar" einige der außergewöhnlichsten Jazzaufnahmen der letzten Jahre gelungen. Seine Musik kommt ohne Schlagzeug aus, artikuliert sich in bald elegischem, bald meditativem Duktus und besticht durch eine Virtuosität des Weglassens, die die Einbildungskraft des Hörers beflügelt. Abou-Khalil hingegen hat 2002 auf "Il sospiro" zwar sanftere Töne angeschlagen; im Allgemeinen ist er jedoch ein Instrumentalist, dessen Musik stark von den An- und Abspannungen der Rhythmen lebt, die er so meisterhaft in irrwitzigen Metren zu komponieren versteht. Das mit traditionellen Klängen arbeitende Album "Tarab" und der mondäne Oriental-Swing von "Cactus of Knowledge" sind zwei Extreme dieser mit großer Schöpferkraft arrangierten Begegnungen zwischen Orient und Okzident, die der klassisch geschulte Abou-Khalil in immer neuen Projekten anzubahnen weiß.

Die Musik Anouar Brahems gewinnt ihre Intensität aus einem kontemplativen Rückzug in das "schwingende Zittern", welches der Ton als eigentümliches Material der Musik nach Hegel ist. Indem sie das tut, verweist sie den Hörer auf jenen Abgrund, in den alle Töne stürzen und welcher zugleich ein Füllhorn aller Klänge ist. Die Musik von Abou-Khalil hingegen ist ein positivistisches Schwelgen im Überfluss der Intensitäten und Interferenzen. Es ist eine Musik, die nie ganz zur Ruhe kommen will, ein frenetisches Sein-zur-Lust, das dem Gedanken an ein transzendentes Signifikat wohl mit Skepsis begegnen würde. Mehr als die Affirmation, die sie selbst ist, will diese Musik nicht bedeuten.

Es erstaunt daher nicht, wenn Abou-Khalil auf seinem jüngsten Album erotische Gedichte vertont, in denen "zwischen den Schenkeln der Geliebten die Saudade wohnt". Jenes portugiesische Schmachten nach verlorenen Paradiesen also, die dem Fado endloses Thema und für Proust ein Pleonasmus sind. Erstaunlich ist allerdings, dass Khalil für seinen ersten Liederzyklus eine Sprache wählt, die er nach eigenem Bekunden kaum versteht, geschweige denn spricht. Umso erstaunter ist man daher, wenn ein offenkundig selbstvergessen agierender Sänger mühelos Abou-Khalils Taktwechsel-Kamasutren und Skalen-Orgien folgen kann. Schnell begreift man: "Em Português" ist nicht nur Auftragsarbeit für das Nationaltheater in Porto. Es ist vor allem Liebe auf den ersten Blick.

In der Tat ist schwer abzusehen, ob Abou-Khalil diese zwölf Lieder hätte schreiben wollen, wenn er nicht in Lissabon auf den so stimmgewaltig wie samten intonierenden Fado-Sänger Ricardo Ribeiro gestoßen wäre. Dieser ist zwar erst sechsundzwanzig, fügt sich aber mit viel Instinkt und noch mehr Hirn in das inzwischen klassische Quartett des Libanesen ein, in dem der Amerikaner Jarrod Cagwin wieder trommelt, während der Franzose Michel Godard an Bass und Tuba tiefe Töne erzeugt, die der Italiener Luciano Biondini zurückhaltend mit seinem Akkordeon umspielt oder behutsam harmonisiert, um Abou-Khalils horizontalem Spiel harmonische Pausbäckchen zu verleihen.

Die Musik, die so entstanden ist, muss man sich als Hörer erarbeiten, so ungewöhnlich ist sie. Nach einer Weile beginnt man jedoch, gelöster mitzugehen, und entdeckt die Schönheit des sanft tuckernden Bötchens namens "Como un rio", auf dessen Jungfernfahrt Abou-Khalil schon bald ein brachiales Oud-Solo spielt und Godard seinen semiakustischen Gitarren-Bass verzerrt. Wie ein "Smoke on the Water" des Ethno-Jazz kommt gar "Amarrado à saudade" angerollt, das Ribeiro und Cagwin einiges an Bravour abverlangt. Zumeist herrscht jedoch die versonnene Diesseitigkeit, die in der superb dargebrachten Ballade "Já náo dá como esta" ihren Idealtypus hat: Hier fließen Empathie der Musiker, orientalische Melodiekunst Abou-Khalils und Fado-Inbrunst Ribeiros zu einer Kopfhörer-Erfahrung zusammen, die einzigartig ist.

ALESSANDRO TOPA

Rabih Abou-Khalil, Em Português. Enja Records 9520 (Soulfood)

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