Produktdetails
  • Hersteller: ORF,
  • EAN: 9004629311883
  • Artikelnr.: 33212642
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2023

Gebt euch hin
FRANKFURT Brahms in der Wartburgkirche

Die Psalm-Worte allein sind schon stark: "Herr, lehre doch mich, dass ein Ende mit mir haben muss, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muss." In der Vertonung von Johannes Brahms, mit der er sich in seinem "Deutschen Requiem" über den Tod seiner Mutter und seines väterlichen Freundes Robert Schumann hinwegtrösten wollte, gehen sie noch ungleich tiefer. Unter der Leitung von Winfried Toll hat die Frankfurter Kantorei das Werk in der Wartburgkirche nun keineswegs perfekt, dafür aber berührend menschlich und sehr würdig aufgeführt.

Vorangestellt waren die "Nänie", op. 82, in der Brahms den Tod seines langjährigen Künstlerfreundes Anselm Feuerbach verarbeitete, sowie zwei Lieder aus seinem letzten Zyklus, den "Ernsten Gesängen", op. 121. Ihn hatte Brahms unter dem Eindruck geschrieben, dass seine engste Seelenverwandte, Clara Schumann, bald sterben würde, hinzu kamen Ahnungen des eigenen Todes.

In "Nänie" und "Requiem" hat Brahms dem Chor ein teils opulentes Orchester zur Seite gestellt. Hier war es auf ein Solistenensemble mit an diesem Abend nicht nur intonatorisch suboptimalen Streichern reduziert. Aber insbesondere die Oboistin Magdalena Carbow und die Klarinettistin Naama Caspo Goldstein leisteten Enormes. Doch offensichtlich hatten die Proben nicht gereicht, um die Klangbalance auszuhören. So platzte etwa das Vorspiel zur "Nänie" mehr herein, als dass es sich behutsam über die Hörschwelle geschlichen hätte.

Für die beiden Gesänge op. 121 hingegen hatte Gerhard Müller-Hornbach eine Fassung für die gleiche Besetzung erarbeitet, die sich überaus klangsinnlich um Christoph Prégardien als Solisten schmiegte. Der Altmeister des Liedgesangs zeigte sich stimmlich und textausdeutend in Höchstform.

Im Chor beglückte das in luftigen Höhen zart schmelzende Pianissimo der vergleichsweise wenigen Soprane. Vor allem aber war zu spüren, dass die Sängerinnen und Sänger wussten, was sie sangen. Wie durchdacht die Interpretation insgesamt war, zeigte sich, wenn eine Gestaltung den Erwartungshaltungen zunächst zuwiderlief, um im Nachhinein voll einzuleuchten, etwa als der zweite Satz, "Denn alles Fleisch, es ist wie Gras", irritierend introvertiert begann, um dann regelrecht zu explodieren.

Talia Or war die Solistin im fünften Satz. Sie sang ihn ätherisch, sphärisch, als über Zeit, Raum und Kausalität erhabene Botschaft.

Dass der letzte Abschnitt im sechsten Satz des Werkes, "Herr, du bist würdig", wie fast immer, so auch hier Ermüdungserscheinungen zeigte, mag mithin ein Zeichen dafür sein, dass heutige Menschen diese Worte nicht mit der gleichen Überzeugung füllen können wie der bei aller Distanz zur Kirche doch zutiefst religiöse Komponist. DORIS KÖSTERKE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr