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Produktdetails
Trackliste
CD
1Oblivion00:05:46
2Divinations00:03:38
3Quintessence00:05:27
4Spiral
5Ghost Of Karelia00:05:24
6Crack The Skye00:05:54
7The Last Baron00:13:00
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2010

39. Wie ich bekehrt ward zu Mastodon

Diese Platte ist schon 2009 erschienen, aber letztes Jahr hätte ich sie noch nicht empfehlen können. Manche Dinge brauchen eben, bis sie ankommen, und diese Platte ist wie ein besonders komplexer Rotwein, den man erst einmal ein Jahr lang atmen lassen muss, damit er seine Aromen entfaltet. Zum Glück hat sie mir mein Metallfachmann die ganze Zeit über unnachgiebig zur Wiedervorlage gebracht. Er ist wirklich Metallfachmann, er restauriert Ritterrüstungen und solche Sachen, aber er versorgt mich auch regelmäßig mit seiner Ansicht nach Hörenswertem aus der Welt der musikalischen Metallurgie. So hatte er mich vor vielen Jahren geduldig in das Gesamtwerk des Chuck Schuldiner eingearbeitet, nur um heute mit mir diskutieren zu können, ob man auf der letzten Platte seiner Band Death nicht schon den Gehirntumor wirken hört, an dem er kurz darauf gestorben ist, so wie das ja etliche auch von Schumanns Spätwerk und dem syphilitischen Wahnsinn behaupten. Ich glaube das zwar übrigens nicht, aber wenn unter diesem Vorwand die Musik noch einmal komplett durchgehört werden kann, soll es mir recht sein.

Mit Mastodon hatte mir der Metallfachmann nun auch schon länger in den Ohren gelegen, eine der verheißungsvollsten Bands der Gegenwart sei das, von Experten hochgelobt, musikalisch anspruchsvoller als alles, was sonst auf dem Markt sei. Mir waren die früheren Alben immer ein bisschen zu brüllig gewesen, "Crack the Skye" aber wies ich als zu schönsingerisch und märchenwaldmäßig zurück; die vielen Harmonien und Melodien hatten mich überfordert. Dann war da das alte Problem Hörbarriere CD-Anfang: Das erste Stück ist immer das schwächste. Da hier aber von einer Konversion erzählt werden soll, ist die Frage die, was es eigentlich war, was mich letztlich durchfuhr wie Saulus sein Blitz. Womöglich war es das Banjo-Solo im zweiten Stück; voller Ernst: ein Banjo! Der Märchenwald lichtete sich hier abrupt zu den Stränden Kaliforniens hin, und die Musik begann zu surfen. Riffs und Melodiefetzen begannen im Kopf zu rumoren, als hätte man sie geträumt oder erinnert, als wären sie nicht komponiert, sondern kompostiert, prähistorisch wie das Urvieh, das Mastodon den Namen gab. Hilfreich war aber auch die DVD, die man zu "Crack the Skye" kaufen kann. Wie Mitarbeiter vom musikpädagogischen Dienst präsentieren die vier Mittdreißiger aus Atlanta in Georgia da die Einzelbestandteile ihrer im Ergebnis dann atomkraftwerksmäßig komplizierten Stücke, die mit jedem Mal Hören reicher und überraschender werden.

"Crack the Skye" ist am Ende das, was herauskommt, wenn junge Menschen sowohl Thin Lizzy als auch Death Metal mögen, wenn jemand unter der Sonne der Südstaaten von russischen Zarenmördern und den Geistern Kareliens träumt, wenn die Sümpfe des Southern Sludge über die Ufer treten und in die epischen Ebenen des Progressive Rock hineinschwappen - und wenn erst recht kein Begriff ausreicht, um die artistische Klasse dieser Musiker zu beschreiben. Vor allem Brent Hinds, ein Mann mit der Frisur einer sächsischen Konsumkassiererin und zusätzlich noch in die Stirn tätowierten Strähnchen, ist ein Paganini der E-Gitarre und, wie ich fest glaube, eines der größten musikalischen Genies der Gegenwart (jedenfalls seit Chuck Schuldiner; man kann nur hoffen, dass er eine bessere Krankenversicherung hat.)

Kunden, die Bach und Brahms, Rush und King Crimson, die Melvins und Melville, Tolkien und Tolstoi (Leo wie Alexei), "Herr der Ringe" und Thomas Hobbes kauften, gehen bitte auf der Stelle los und kaufen Mastodon.

Peter Richter

Mastodon: "Crack the Skye", CD und DVD, Reprise Records

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