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Produktdetails
Trackliste
CD
1Intro00:00:21
2We Don't Care00:04:00
3Graduation Day00:01:22
4All Falls Down00:03:44
5I'll Fly Away00:01:10
6Spaceship00:05:24
7Jesus Walks00:03:20
8Never Let Me Down00:05:24
9Get Em High00:04:52
10Workout Plan00:00:46
11The New Workout Plan00:05:23
12Slow Jamz00:05:16
13Breathe In Breathe Out00:04:07
14School Spirit Skit 100:01:19
15School Spirit00:03:02
16School Spirit Skit 200:00:44
17Lil Jimmy Skit00:00:54
18Two Words00:04:27
19Through The Wire00:03:42
20Family Business00:04:39
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2004

Coole Leute schnallen sich an

Rein äußerlich unterscheidet Kanye West kaum etwas von seinen auf MTV rotierenden Chart-Kollegen. Der Lieblingsproduzent von Musikern wie Jay-Z ("The Blueprint"), Ludacris und Alicia Keys trägt extravagante Brillen, fährt großspurige Limousinen und wirft - jetzt, wo er erstmals unter eigenem Namen ans Mikrofon tritt - auch gerne mit teuren Markennamen um sich. Und doch ist Kanye West mehr als nur ein weiterer HipHop-Prediger, der es verstanden hat, aus Ghettomythen sinnliche Luxusträume zu schmieden. Dieses Modell haben Jay-Z und andere bereits so weit ausgereizt, daß ihre Reime bisweilen den Gebeten von Konsumfetischisten ähneln - gefangen in der Selbstreferentialität der Warenwelt. Angesichts dieser Krise zündet der junge Chicagoer Produzent unverhofft eine neue Stufe des absturzgefährdeten Raketengeschosses namens HipHop. Er füllt die leeren Phrasenkanister mit dem explosivsten Treibstoff, der ihm zur Verfügung steht: dem eigenen Leben, mitsamt seinen Verstrickungen, Widersprüchen und unerfreulichen Begleiterscheinungen.

Ähnliches war dem Soul Anfang der siebziger Jahre widerfahren, als Marvin Gaye, Curtis Mayfield und Stevie Wonder sich aus den Hitsingle-Vorgaben der Musikindustrie lösten und nach den tieferen politischen und spirituellen Wahrheiten Afroamerikas und ihrer selbst suchten. Konzeptalben wie Gayes "What's Going On" hoben damals den schwarzen Pop aus den Angeln. Zweifellos ist Kanye West nicht nur mit deren Musik bestens vertraut. Als Sohn eines zum christlichen Eheberater bekehrten ehemaligen Black-Panther-Aktivisten und einer Englischprofessorin hat er in seinem Chicagoer Elternhaus die ideologischen Diskurse und Widersprüche afroamerikanischer Identität aufgesogen. Die packt er nun in unwiderstehliche Mitsingrefrains: "Dealing drugs just to get by, stack your money till it gets sky-high." Die Zeilen aus dem Mund eines Kinderchors geben das Leitmotiv von Kanye Wests Debüt "College Dropout" (auf Rocafella/Universal) vor: Der Produzent und Rapper benutzt die eigene Schulversagerbiographie als roten Faden für seine mal komödiantischen, mal schwer mit Geschichte bepackten Exkurse. Dabei entlarvt er manche Lebenslügen seiner Generation: "Die Mittelschicht hat ganze Gangs von Rappern hervorgebracht, die sich gegenseitig in roher Straßendiktion überbieten. Mein Text ist meine Realität." Eine Stripperin findet sich da ebenso wieder wie die Suche nach Jesus. Im Duett mit Soulsängerin Syleena Johnson analysiert West den seelenlosen shopaholic: "We'll buy a lot of clothes when we don't really need'em / things we buy to cover up what's inside / Cause they make us hate ourself and love they wealth" - Beobachtungen über den Zusammenhang von Minderwertigkeitsgefühlen und materieller Kompensation, die man wohl eher einem Martin Luther King oder Jesse Jackson zutrauen würde. Die Zurschaustellung von Selbstzweifeln gilt im HipHop nicht gerade als lässig. Wer möchte sich schon mit einem selbstproklamierten "first nigga with a Benz and a backpack" identifizieren?

Wenn Wests Album dennoch umgehend an die Spitze der US-Hitparade kam, dann muß es an anderen Qualitäten liegen. Nennen wir sie Soul. Eine Balance auf dem schmalen Grat zwischen Untergrundästhetik und Mainstreamappeal, die sich bereits in der Gästeliste niederschlägt: Von Jay-Z bis zu Mos Def, Talib Kweli und Common. Wie bei seinen zuletzt im Auftrag produzierten Tophits benutzt Kanye West jede Menge klassische Samples, kramt er tief in der Soulgeschichte beziehungsweise der elterlichen Plattensammlung. Doch er beläßt es nie beim Zitat. Vielmehr beschleunigt er Gesangsspuren von Chaka Khan, Luther Vandross und Marvin Gaye ins Mickymaushafte oder stellt sie zumindest in einen überraschend neuen Kontext. Am eindringlichsten wirkt die Collagetechnik bei "Jesus Walks": Vor dem Hintergrund dramatischer Trommelwirbel und eines vom Harlem Boy Choir inbrünstig geflehten Gospelchants meditiert der Rapper da über seine schwierige, weil oft sprachlose Beziehung zu Gott. Vielleicht hat ein beinahe tödlicher Autounfall vor einem Jahr die spirituelle Saite in West zum Klingen gebracht. "Through The Wire", mit verdrahtetem Kinn kurz nach der Entlassung aus dem Krankenhaus aufgenommen, jedenfalls gibt einen Einblick in die seelischen Erschütterungen des Patienten: "I must got a angel / Cuz look like death missed his ass." Dann kommt ein Satz, der einen vom Mythos der eigenen Zähigkeit lebenden Gangsta-Rapper wie 50 Cent die Karriere kosten würde: "Thank god I ain't too cool for the safety belt." Wann haben wir zuletzt ein HipHop-Album gehört, das soviel Raum zwischen Ambition und Alltag ausfüllt, zwischen spielerischer Philosophie und selbst auferlegtem Pragmatismus? HipHop kann wieder atmen.

JONATHAN FISCHER

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