"Electroclash" - einfach nicht aufhören? Als Zoot Woman aus London 2001 ein Album aufnahmen, das an den schönsten Stellen haargenau nach Human Leagues "Dare!" von 1981 klang, lösten sie für einen Moment das beinah größtmögliche Glücksgefühl aus, eine Euphorie, die einem wohl nur die Nostalgie geben kann. Einen Moment später und bei klarem Kopf allerdings wunderte man sich schon, wieso die Epigonen soviel glatter klangen als ihre Vorbilder, wie weichgespült. Und das, obwohl die Vorstädte, in denen Elektropop entstanden war, damals wie heute aus kaltem, rauhem Beton gebaut sind. Und das, obwohl die Produktionstechnik inzwischen so weit gereift ist, daß sich die urbane Erfahrung mit dem Sampler auf Tonspuren übertragen läßt in einem Ausdrucksreichtum, der Soft Cell, Japan und all den anderen mit ihren analogen Maschinen noch verwehrt gewesen war.
Client aus London schwimmt auf der nicht abebbenden Retrowelle obenauf. Das Frauen-Duo betreibt zum Beispiel eine Clubnacht in Notting Hill, die "Being Boiled" heißt, betitelt nach einem der größten Hits von Human League. Jetzt erscheint ihr schönes, zweites Album "City", produziert von Andy Fletcher von Depeche Mode, dessen Chef Martin Gore ebenso ein Gastspiel gibt wie zwei Jungs von den Libertines, deren Retropunkrock gerade einen mittleren Hype ausgelöst hat. Irgendwie genau im Hier und Jetzt, aber zugleich sehr oft gehört, so ist "City" geworden, mustergültig retro und sehr schick.
Client besteht aus "Client A" und "Client B": Die Brünette ("A" steht für "auburn", kastanienbraun) und die Blonde (also "B") verschleiern ihre Identitäten, als Rebellion gegen einen Markt, der seine Stars mit dem Airbrush poliert. Anfangs zeigten Client deshalb sogar ihre Gesichter nicht. A und B tragen Kostüme, die an stalinistische Stewardessen erinnern, ihre Lieder heißen "In It for the Money", "Don't Call Me Baby" oder "Pornography". Client spielen ihre Kulturkritik allerdings so, wie es wohl nur britischen Popmusikern gelingt: elegant, selbstironisch, wach.
Warum also hört diese Retrowelle nicht auf, Client B? "Die Technologie", antwortet Sarah Blackwood, die blonde Hälfte des Duos, "ist inzwischen so weit vorangeschritten, daß die Menschlichkeit darin verlorengegangen ist. Die Form folgt der Funktion, daran glaube ich. Wir müssen an die Essenz heran." Außerdem habe Daniel Miller, der Pate des Electropop, Entdecker von Depeche Mode und Chef ihrer Plattenfirma, die beiden ermutigt, "nichts am Stil zu verändern, naiv zu bleiben, back to basics zu gehen".
Anders als Zoot Woman zum Beispiel, deren Mitglieder gerade erst geboren wurden, als Ultravox im Jahr 1978 ihr elektronisches "Slow Motion" schrieben, sind Sarah Blackwood und Kate Holmes (alias Client A) mit der Musik aufgewachsen, die sie nun zitieren. Sarah Blackwood stammt aus Leeds, ihr nordenglischer Akzent schlägt gelegentlich kokett in ihren Gesang hinein, und sie gesteht freimütig, daß es ein großer Kompromiß für sie gewesen sei, nach London zu ziehen, und daß es lange gedauert habe, sich einzugewöhnen. Und so schwärmt sie von der großartigen Musik, die seit 25 Jahren aus Nordengland kommt, von Joy Division, deren nervöses "Transmission" sie bei den "Being Boiled"-Nächten auflegt.
Und wie Client B da schwärmt, wird einem klar: Für ihre Band ist Retropop nichts anderes als eine Zeitmaschine, um sich die eigene Jugend zurückzuholen, wenn auch nur für die Dauer eines Liedes. So wie "One Day at a Time", ein leicht verschmalzter Höhepunkt des neuen Albums, eben auch keineswegs ironisch gemeint ist, sondern als Trostspender für die einsamen Tourneetage, wie Sarah sagt. Client sind derzeit viel unterwegs, ihr Debüt von 2003 war überraschend erfolgreich, der Nachfolger dürfte es genauso werden.
"City" feiert den Augenblick im Club, auf der Tanzfläche, umgeben von Musik, es feiert das Endorphin und den Kater. "Soho", sagt Sarah Blackwood, um das neue Album zu beschreiben: Eine schlüpfrige Rotlichtwelt, besungen von zwei Frauen in Uniformen, die ihre Gesichter nicht zeigen. Es ist der kostümierte Sex von Soft Cells "Tainted Love": unterwürfig, aber unerreichbar. Nonstop erotisches Cabaret.
TOBIAS RÜTHER
"City" von Client erscheint am Montag bei Mute Tonträger.
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