Produktdetails
Trackliste
CD
1Molalatladi00:04:52
2Banna Ba Modimo00:05:11
3Standby00:04:52
4Lakeside00:04:08
5Taxidermy00:03:48
6Kwa Nqingetje00:07:58
7Skeleton00:04:39
8Cursor00:05:19
9Tselane00:06:32
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2009

Globalisierung war gestern

Die Weltmeisterschaft kann kommen: Die südafrikanische Progressive-Rock-Band BLK JKS hat ein Album aufgenommen, das den Weg ins neue Jahrzehnt weist.

Objects In the Rear View Mirror May Appear Closer Than They Are", der Bombastrock-Klassiker von Meat Loaf könnte einer ganzen Epoche die Überschrift liefern. Das zu Ende gehende Popjahr war ein passendes Finale für eine ganze Dekade, die vollständig vom Blick in den Rückspiegel beherrscht wurde. Es gibt keine popmusikalische Spielart, die in den vergangenen Jahren nicht wiederbelebt, zitiert oder wenigstens parodiert worden wäre. Mit New Wave und Garagenrock ging es los, Rückwärtsgang-Vorreiter wie Libertines und Franz Ferdinand fanden so viele Nachahmer und Mitstreiter, dass selbst härteste Rockisten Gitarrenriffs inzwischen so entzückt vernehmen wie einen Weckton für die Frühschicht.

Dann kamen Disco, Protestfolk, Schweinerock, Neue Deutsche Welle, Motown-Soul, Bluesrock, Psychedelic, Joy Division und Falco zurück, von den leibhaftigen Wiedervereinigungen jetzt mal abgesehen. So blieb also auch das letzte Jahr ganz konsequent und lieferte mit La Roux und Weggefährtinnen auf charmanteste Weise den Synthiepop der Achtziger nach. Was bleibt noch für künftige Leichenfledderer - außer Jazz, der vielleicht auch mal wieder ein massenwirksames Comeback verdient hätte?

Neben all den Rückblenden mit ihrem umstandslosen Appell ans akustische Langzeitgedächtnis kann man fast überhören, dass sich komplexe Spielarten experimenteller Popmusik entwickelt haben, die sich allenfalls durch absurde Bindestrichketten an bekannte Genres fesseln lassen. Etwa die elektronische Musik rund um das Londoner Hyperdub-Label oder die Klangtüftler der quicklebendigen Brooklyn-Szene wie TV On the Radio oder Grizzly Bear. Letztere haben mit "Veckatimest" eines der faszinierendsten Popalben des Jahres aufgenommen (F.A.Z. vom 23. Mai). Aus Südafrika kommt nun ein Werk, das diesem grandiosen Befreiungsschlag ebenbürtig ist.

BLK JKS (ausgesprochen "Black Jacks") haben mit "After Robots" ein Debütalbum aufgenommen, das das Zeug hat, eine neue popmusikalische Renaissance Afrikas jenseits der Weltmusik-Sackgasse einzuläuten. Welche Stiltraditionen hier aufgerufen, zerhackt und neu zusammengesetzt werden, mögen Historiker der kulturellen Globalisierung auseinanderklamüsern. Als Gesamteindruck übermittelt sich vom ersten Stück an vor allem eine Haltung: unbändige Neugier, die eigenes und fremdes Erbe mustert und entweder mitleidlos entsorgt oder behutsam in neue Zusammenhänge stellt. Seien es die antreibenden "Oheha-oh"-Gesänge und die Bläsersätze im ersten Stück "Molalatladi", orientalisch anmutenden Melodien über Progressive-Rock-Rhythmen in "Banna Ba Modimo" oder das immer wieder aufblitzende Gitarren-Geheule in memoriam Carlos Santana, das dann freilich doch wieder ein Retrotrend ist: die Rückkehr des Endlossolos.

Der Frontmann Lindani Buthelezi singt auf Englisch und Zulu und klingt in seinen besten Momenten wie ein Thom Yorke in Sektlaune. "Standby", der dritte Song, nimmt das Tempo zunächst heraus, um dann plötzlich in ein nervöses Rumpeln und Stampfen überzugehen. Die schweren, belastbaren Fundamente, die Bassist Molefi Makananise und der großartige Schlagzeuger Tshepang Ramoba legen, bilden immer wieder die Spannung zwischen afrikanischen und "westlichen" Wurzeln ab; oft scheinen, wie in dem ekstatischen "Lakeside" oder "Taxidermy", zwei Rhythmen fast unabhängig voneinander zu existieren - auch wenn im ersten Fall die im Klangbild offen ausgetragenen Konflikte in explosiven Lärm münden. Was aber heißt hier überhaupt "westlich"?

In "Skeleton" bedienen sich BLK JKS unbekümmert bei der Reggae-Kiste, um dann (via The-Police-Schlenker) im gemachten Indierock-Bett zu landen. Mit ihrem Hang zum Pathos und zum Effekt erinnern sie abwechselnd (aber nie den entscheidenden Tick zu lange) an ewiggestrige Jazzrocker, dann wieder an Bands wie Arcade Fire oder Eagle Seagull, die Hohepriester der realen Präsenz. Wie diese kennen auch BLK JKS in ihrer Musik keinen ironischen Modus, Künstlichkeit wird nicht ausgestellt, Zitate werden nicht in Anführungszeichen gesetzt. Das Eierkopfhaft-Komplizierte und das Authentische schließen sich hier nicht aus. Zum Abschluss, auf "Tselane", packt Buthelezi noch die akustische Gitarre aus und singt in seiner Muttersprache wie ein Straßenmusiker, der mit den Zuhörern Scherze macht, sie zum Mitsingen animiert. Das geht jetzt: sich als Afrikaner auf einem Indierock-Album ganz wie zu Hause fühlen.

Produziert wurde das Album von dem Ostküsten-Amerikaner Diplo, der schon M.I.A., die Londonerin mit Wurzeln aus Sri Lanka, zum Star machte und auch federführend hinter dem jüngsten Durchbruch brasilianischer Tanzmusik auf dem Popweltmarkt, dem Baile Funk, stand. Unter dem Projektnamen Major Lazer hat er 2009 selbst ein richtungweisendes Werk veröffentlicht.

Jetzt also Afrika. Ohne unterstellen zu wollen, dass der Zeitpunkt der Entdeckung dieser musikalisch zweifellos grandiosen Band etwas mit dem Festkalender des kommenden Jahres zu tun hat, so ist doch absehbar, dass die Fußball-Weltmeisterschaft auch für viel Flutlicht auf die Popmusikszene Südafrikas sorgen wird. Von BLK JKS, die aus diesem Anlass auch schon einen Song aufgenommen haben, wird man schon deshalb im neuen Jahr viel Gutes hören.

Vielleicht erscheinen die scheinbar so multikulturellen nuller Jahre einmal selbst im Rückspiegel wie ein letztes Gefecht des guten alten Pop gegen eine wirklich grenzenlose Musik. "Globalisierung" ist, wie die Robotik, von gestern. Jetzt ist der Weg frei für neue Musik aus aller Herren (und Damen) Ländern.

RICHARD KÄMMERLINGS

BLK JKS, After Robots. Secretly Canadian/Cooperative Music 7949956 (Universal)

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