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A Multitude of Angels ist ein 4-CD-Set mit Aufnahmen verschiedener Solokonzerte, die Keith Jarrett im Oktober 1996 in Italien gab. Die Veröffentlichung dokumentiert den Abschluss seiner Praxis weit ausgedehnter Soloimprovisationen, die bei Konzerten in Modena, Ferrara, Turin und Genua aufgezeichnet wurden. "Das waren die letzten Konzerte, die ich gespielt habe, ohne Pausen in einem Set zu machen", erläutert Jarrett in seinem Begleittext. Die Ästhetik seiner Musik ist charakteristischerweise weit gespannt: "Jazz ist hier immer präsent, neben meiner tiefen Verbundenheit zur klassischen Musik, modern und alt, Ives und Bach."…mehr

  • Anzahl: 4 Audio CDs
Produktbeschreibung
A Multitude of Angels ist ein 4-CD-Set mit Aufnahmen verschiedener Solokonzerte, die Keith Jarrett im Oktober 1996 in Italien gab. Die Veröffentlichung dokumentiert den Abschluss seiner Praxis weit ausgedehnter Soloimprovisationen, die bei Konzerten in Modena, Ferrara, Turin und Genua aufgezeichnet wurden. "Das waren die letzten Konzerte, die ich gespielt habe, ohne Pausen in einem Set zu machen", erläutert Jarrett in seinem Begleittext. Die Ästhetik seiner Musik ist charakteristischerweise weit gespannt: "Jazz ist hier immer präsent, neben meiner tiefen Verbundenheit zur klassischen Musik, modern und alt, Ives und Bach."
Trackliste
CD 1
1Part I (Live At Teatro Comunale, Modena / 1996)00:34:19
2Part II (Live At Teatro Comunale, Modena / 1996)00:31:20
3Danny Boy (Live At Teatro Comunale, Modena / 1996)00:05:01
CD 2
1Part I (Live At Teatro Comunale, Ferrara / 1996)00:43:48
2Part II (Live At Teatro Comunale, Ferrara / 1996)00:29:59
3Encore (Live At Teatro Comunale, Ferrara / 1996)00:03:27
CD 3
1Part I (Live At Teatro Regio, Torino / 1996)00:42:24
2Part II (Live At Teatro Regio, Torino / 1996)00:31:36
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2017

Tontrauben, überreif
Zwanzig Jahre Verspätung: Keith Jarretts "weißes Album"

Töne werden anders gehört, wenn man weiß, wann und wie sie zustande kamen. Vor zwanzig Jahren hat der außerirdische Pianist Keith Jarrett vier Solokonzerte in Italien gegeben. Danach verstummte er für fast drei Jahre. Chronisches Erschöpfungssyndrom wurde bei ihm diagnostiziert. Als er die Krankheit überwunden hatte, musste er nach eigenem Bekenntnis Klavierspielen wieder mühsam lernen, um es auf den Status quo ante zu bringen. Kürzlich sind nun diese letzten Solokonzerte vor der Zwangspause von seinem Münchner Label komplett auf vier CDs im weißen Plattencover veröffentlicht worden. Unbefangen wird man sie nicht anhören können.

Sind darin schon Vorboten des Handikaps auszumachen? Lassen sie sich als musikalischer Endpunkt begreifen, dem eigentlich nichts Substantielles mehr folgen konnte? Hat sich die Herkules-Aufgabe der Selbstinspiration erschöpft, das "Free Playing" ohne alle Vorbereitung, allein aus der Intuition des Augenblicks und den Möglichkeiten, die die Klänge selbst dem Künstler eröffnen? Man sollte diesen Fragen misstrauen und wird doch immer wieder von dem Wissen eingeholt, das sich über den ersten Klangeindruck legt.

Keith Jarrett hat vor diesen Konzerten unzählige Soloauftritte absolviert und nicht weniger als sechzehn entsprechende Aufnahmen herausgebracht. Dabei sind Höhepunkte der Jazzgeschichte, pianistische Kraftakte und - nicht nur das legendäre "Köln Concert" von 1975 - Sternstunden der Soloklavierliteratur, die in jede Anthologie der Musikgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts gehören. Aber dass man für alle Note, die der Titan aus den Tasten schlug, ästhetisch die Hand ins Feuer legen muss, wird niemand behaupten wollen. Die marginalen pianistischen Talsohlen lassen freilich die vielen phänomenalen musikalischen Geistesblitze umso heller erstrahlen.

So ist es auch bei diesen vier Live-Aufnahmen vom Oktober 1996 aus Modena, Ferrara, Turin und Genua. Sie sind die letzten gewesen, bei denen Jarrett jeweils nur zwei ununterbrochene Sets pro Konzert gespielt hat. Und genau diese Form einer oft mehr als vierzigminütigen, pausenlosen Klavier-Séance ist es wohl auch, die er physisch wie psychisch kaum mehr bewältigen konnte oder wollte. Spätere Konzerteinspielungen weisen alle die Gliederungen in Parts auf - von "Radiance" bis zu "Creation" aus dem Jahr 2014.

Wie problematisch diese Großformate geworden sind, spürt man etwa in dem mehr als vierzig Minuten langen Part 1 des Turiner Konzerts. Jarretts bewundernswerte Methode der weitschweifigen Erkundung des musikalischen Terrains, indem er Intervalle, Akkordverbindungen, Motive, Rhythmen vor sich ausbreitet und immer wieder hin- und herbewegt, um ihre Möglichkeiten für Zusammenhänge, Strukturen, wenn man so will: für die musikalische Logik eines ganzen Stückes zu verstehen, wirkt hier wie eine ästhetische Sackgasse, aus der er nur mit Mühe und nach langer Sinnsuche herausfindet.

Es ist im Grunde die einzige dieser problematischen Stellen, aber sie zeigt die Schwierigkeiten solcher Formate. Bei anderen grüblerischen "Soundstudien" der vier Konzerte findet er stets viel schneller Lösungen, die zu musikalischen Konstellationen schier unglaublicher Komplexität oder schlichter Schönheit, zu aberwitzigen Zusammenhängen oder magisch wirkenden Klangapotheosen führen. Hinreißend etwa sind die abstrakten Tontrauben zu Beginn von Part 1 aus Genua, die herabfallen wie reifes Obst von Schönbergs oder Bartóks Baum und in einen rhythmisch-motivischen Bebop-Gestus übergehen, bevor die komplexen Klangwogen zu einer Monsterwelle Hokusaischen Ausmaßes anwachsen.

Oder der erste Teil des Konzerts in Ferrara: Die afrikanische Methode der Kommunikation, nämlich die daran Beteiligten nicht durch direkte Ansprache zu beleidigen, vielmehr alles durch die höfliche Blume zu sagen, wird hier ins Musikalische gewendet. Keine Harmonie löst sich direkt auf, alles wird umspielt, angetippt, umgangen, mit Girlanden verschleiert, leise wie nebenbei gespielt. Es ist eine Musik auf Zehenspitzen, dann wieder mit ungeheuren Kontrapunkten, als würden die Hände einen virtuosen Pas de deux aufführen, der durch das permanente Fußstampfen und Mitkrächzen Jarretts zum vierstimmigen Satz ausgeweitet wird.

Solch intensive Begleitfiguren der linken Hand, wie sie Jarrett aus der Klaviatur schlägt, hat man seit den Tagen von uralten Worksongs aus Louisiana nicht mehr erlebt. Und diesen elegischen Tonfall wie zu Beginn des zweiten Teils des Auftritts in Genua hätte nur ein Robert Schumann komponieren können, wenn er einmal über das grüne Gras von Kentucky gewandert wäre. Keith Jarrett kennt keine Grenzen des musikalischen Ausdrucks. Auf dieser Anthologie wird es spürbar.

WOLFGANG SANDNER

Keith Jarrett:

"A Multitude of Angels".

4 CDs. ECM 2500-03

(Universal)

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