Welt.
Die erste Nummer, die mit Orchester unterlegte Predigt "Stück vom Himmel", ist bereits seit Anfang des Jahres als Soundtrack zu unserer an Klimakatastrophe und Religionskrise krankenden Gegenwart bekannt (F.A.Z. vom 19. Januar). Grönemeyer kann noch so vehement fordern, man dürfe seine Texte nicht zu hoch hängen, er wird immer an ihrer Aussagekraft gemessen werden. Früher unterhielt er, heute wirkt er. Zu pathetisch, zu bedeutungsschwanger, zu bewusst gestreut sind diesmal die Botschaften, als dass der Hörer seinen Gesang als ein der Melodie dienliches Trällern abtun könnte. "Bibel ist nicht zum einigeln / die Erde ist unsere Pflicht / Sie ist freundlich, freundlich - / wir eher nicht."
Mit seinem normativen Ton stößt Grönemeyer in jene Lücke, die der gefallene Moralist Grass eben erst hinterlassen hat. Da der Streit über die Pflicht, nicht nur zu zeigen, was ist, sondern zu fordern, was sein soll, unter Popkünstlern nicht weniger giftig als unter Wissenschaftlern ausgefochten wird, ist Grönemeyer für seinen ehrgeizigen Aufklärungsversuch der Spott der Kollegen sicher. Das wird ihm und seinen Anhängern egal sein. Er ist der erfolgreichste Sänger Deutschlands, seit fast dreißig Jahren eine nationale Ikone, eine unumstößliche Institution. Mit seiner letzten Platte "Mensch", mit der er vor fast fünf Jahren auch viele Kritiker beeindruckte, näherte sich der Sänger seinen Hörern, es wurde persönlich. Auf "12" aber gibt sich Grönemeyer zuweilen unantastbar und belehrt uns mit Erziehungswut.
"Schärf deinen Blick, gib Vertrauen immer zurück / Schärf deinen Blick / Sei aus Unsicherheit nicht arrogant / Hab immer Mitgefühl als Unterpfand", empfiehlt Grönemeyer mit ernster Stimme auf "Zieh deinen Weg", der muezzinhafte Gesang zu Beginn des Stücks weist bereits auf seinen (freilich religionsübergreifenden) Gebetscharakter hin. Die Aneinanderreihung all der politisch korrekten Ratschläge des Liedes lassen sich einfacher auf eine CD pressen als auf zwei Steintafeln meißeln.
Die Vermessenheit Grönemeyers mag umstritten sein, wohlverdient ist sie allemal. Seine Karriere ist hart erarbeitet, sein Ansehen milieu- und generationenübergreifend über Jahrzehnte gewachsen. Das Bild vom bodenständigen Helden, der selbst auf der größten Stadionleinwand noch wie der Kumpel von nebenan wirkt, wird er selbst durch seine Stücke vom Himmel nicht zerstören können. Zumal er auch auf "12" seine bürgernahen Momente hat und Empathie für den einfachen Mann im Hier und Heute beweist. Egal, ob Sozialdarwinismus ("Keiner teilt mehr mit dir sein Brot - / Isolation"), Politikverdrossenheit ("Das Volk muss den Karren ziehen / Ihr habt uns nicht verdient / Dabei seid ihr nur ausgeliehen"), oder die ewige Sehnsucht nach Freiheit ("Und dann raus in die unendliche Weite / Was kümmert dich das morgen bloß"), der glaubhaft besorgte Herbert versteht.
Musikalisch ist die Platte keine Offenbarung, auch wenn die Kompositionen perfekt produziert und souverän eingängig sind. Denn statt Ecken und Kanten wählt Grönemeyer Geigen und Klavier (interessante Ausnahme ist das elektronische "Kopf hoch, tanzen", das an die neue Neue Deutsche Welle erinnert). Kraftvolle Harmonien werden durch Grönemeyers wie immer unwiderstehlich nölendem Gesang zu leidenschaftlichen Epen. Damit schafft der Fünfzigjährige einen Gegenpol zur momentan gefragten Radiomusik, die instrumental und textlich um die Wette reduziert wird.
Dieser Trotz ist löblich, manchmal aber wird das Werk so beflissentlich mit Bombast überladen, dass dem Hörer die Luft wegbleibt. Ein nettes Lied über richtige Liebe ("Du bist die") und ein weniger nettes über falsche Liebe ("Ohne dich"), immer wenn es menschelt auf der Platte, atmet man befreit auf. Es ist die Leichtigkeit, die gefällt und beim Konzert die vom langen Feuerzeugschwenken heiß gewordenen Daumen schonen wird. Die im Mai beginnende Tournee ist fast schon ausverkauft, die Stadien werden voll sein, wie im letzten Sommer. Und er geht danach nicht wieder zurück nach England, er zieht wieder nach Deutschland. Der verlorene Sohn kehrt heim als Vater der Nation.
MARTIN WITTMANN
Herbert Grönemeyer, 12. Capitol/Emi 733928
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