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Die Festanstellung gilt den meisten immer noch als alleiniger Weg zu beruflichem Erfolg. Doch für viele gut ausgebildete und engagierte junge Menschen stellt sie längst ein verzichtbares Zwangsregime aus Vereinnahmung und Unterordnung dar. Immer mehr tauschen diese freudlose Perspektive gegen ein »intelligentes Leben jenseits der Festanstellung« ein. Mit eigenen Ideen, Laptops und vernetzten Gleichgesinnten nutzt die »digitale Bohème« vor allem das Internet, um ihre Projekte und Spleens einem globalen Publikum zu präsentieren - und so mit selbstbestimmter Arbeit Geld zu verdienen. "Wir nennen…mehr

Produktbeschreibung
Die Festanstellung gilt den meisten immer noch als alleiniger Weg zu beruflichem Erfolg. Doch für viele gut ausgebildete und engagierte junge Menschen stellt sie längst ein verzichtbares Zwangsregime aus Vereinnahmung und Unterordnung dar. Immer mehr tauschen diese freudlose Perspektive gegen ein »intelligentes Leben jenseits der Festanstellung« ein. Mit eigenen Ideen, Laptops und vernetzten Gleichgesinnten nutzt die »digitale Bohème« vor allem das Internet, um ihre Projekte und Spleens einem globalen Publikum zu präsentieren - und so mit selbstbestimmter Arbeit Geld zu verdienen. "Wir nennen es Arbeit" berichtet davon, wie ein neuer Arbeits- und Lebensstil entsteht, der viele Menschen glücklicher macht als das Rattenrennen im Großraumbüro.
Autorenporträt
Holm Friebe ist Volkswirt, Geschäftsführer der Zentralen Intelligenz Agentur (ZIA) in Berlin und Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste. Er ist Autor mehrerer Sachbücher.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2012

Bitte nicht brüllen
Weder Technik noch Aufklärung werden alle Konflikte lösen: In der anstrengenden Debatte um die digitale Zukunft
weisen Kathrin Passig und Sascha Lobo den Weg – mit ihrem Buch „Internet – Segen oder Fluch“
VON JENS BISKY
In einer Fernseh-Talkshow behauptete Helmut Schmidt vor Kurzem, wir seien „eine Welt von Twitterern geworden, von Internetnutzern und Fernsehzuschauern. Wir sind eine oberflächlichere Gesellschaft als noch vor zwanzig Jahren.“ Das dürfe nicht sein. In dieser Klage mischt sich Sorge mit Klischees. Da werden sehr verschiedene Formen, miteinander zu kommunizieren, über einen Kamm geschoren. Manches stimmt einfach nicht. Twitter zählt in Deutschland rund 2,4 Millionen aktive Nutzer, das ist dann doch eine Minderheit, verglichen mit der Zahl derer, die eine Tageszeitung abonniert haben. Und waren wir nicht bereits vor zwanzig Jahren eine Gesellschaft der Fernsehzuschauer? Trägt man bereits durch Verfassen von E-Mails zur Kultur der Oberflächlichkeit bei? Und was meint das überhaupt, „oberflächlicher“? Wie wird die Tiefe gemessen, wer eicht den Maßstab? Besonders tief geht diese Art der Kulturkritik nicht, dennoch wäre es ein Trugschluss, so zu tun, als sei die digitale Welt ohne Probleme, zumindest für die, die sich auskennen in ihr.
  Die formelhafte Verbindung von Twitter und Oberflächlichkeit taugt nicht zur Beschreibung, aber das will sie auch nicht. Sie soll ein Unbehagen artikulieren, Verunsicherung ausdrücken, da schon wieder Gewissheiten schwinden. Dieses Unbehagen wäre ernst zu nehmen, denn es wird den Umgang mit dem Internet prägen. Der Bestseller „Digitale Demenz“ des Psychologen Manfred Spitzer mag alle Schwächen alarmistischer Streitschriften in sich vereinen. Der Hinweis darauf beantwortet jedoch die Frage nicht, wie man Kinder erziehen soll, damit sie inmitten der digitalen Revolution souverän agieren und ihr Glück finden können. Revolutionen erhöhen nun einmal den Deutungsbedarf. Der bleibt, auch wenn man erst einmal wenig Lust verspürt, einer Debatte zu folgen, in der Schwarz-Weiß-Malerei vorherrscht und in der die Diffamierung Andersmeinender oft Argumente ersetzen muss.
  Nach dem Zank um Zensursula, Acta, das Urheberrecht und unsere allgemeine Oberflächlichkeit scheint ein griechisches Wirtschaftswunder wahrscheinlicher als eine Versachlichung des Streits zwischen Netzoptimisten und Skeptikern. Aber wer weiß? Immerhin liegt nun ein Wegweiser durch die Untiefen der Diskussion vor. Verfasst haben ihn Kathrin Passig und Sascha Lobo. Beide arbeiten dort, wo die interessanteren Gegenwartsfragen auftreten, im Grenzverkehr zwischen digitaler und analoger Welt. Beide sind gleichermaßen netz- wie buchaffin, erfahrene Blogger, Twitterer und erfolgreiche Sachbuchautoren. Kathrin Passig hat obendrein 2006 in Klagenfurt den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen, in dem Jahr also, in dem Sascha Lobo gemeinsam mit Holm Friebe die Lage der digitalen Bohème beschrieb. Das neue Buch von Passig und Lobo, „Internet – Segen oder Fluch“, taugt zur Austreibung des Unproduktiven, bloß Reflexhaften. Sie beginnen mit einer kleinen, angewandten Diskursethik. Fragt mich einer in einer fremden Sprache nach dem Weg zum Bahnhof und ich verstehe die Frage, kann ihm aber nur auf Deutsch antworten, was er nicht versteht, dann hat es wenig Sinn, die Antwort immer lauter zu wiederholen und dann ins Brüllen überzugehen. An diese Szene erinnern die Autoren viele Auseinandersetzungen um das Netz und die Folgen. Was dagegen tun? Erstens wäre zu begreifen, dass wir ein uraltes Stück wieder aufführen, es heißt „Das Alte und das Neue“, manche würden es „Die Natur des Menschen und der Fortschritt“ oder „Wir und die da“ nennen. Zweitens kann man sich von der Illusion verabschieden, dass Technik oder Aufklärung die Probleme lösen werden oder die nächste wissenschaftliche Studie. Drittens ist davon auszugehen, dass „Weltanschauung oder Lebensweise anderer Menschen“ nicht dadurch falsch werden „dass diese Menschen einsam, gestresst, frustriert, introvertiert, ängstlich, schlecht frisiert, arm oder hässlich sind“. Es hat also keinen Zweck zu behaupten, „wer was anderes behauptet, ist dick!“. Auch wäre der trügerischen Evidenz von Metaphern zu misstrauen.
  Was also tun? Passig und Lobo zerlegen die großen Erzählungen vom unaufhaltsamen Fortschritt durch die digitale Revolution oder vom notwendigen Rückzug auf das ewig Gute, Wahre, Menschen Angemessene und ersetzen sie durch die Beschreibung von Konfliktfeldern, auf denen es um Interessen geht. Sie erinnern daran, dass „online“ und „offline“ temporäre Zustände bezeichnen. Jeder, der sich neugierig in der Gegenwart bewegt, ist mal Nutzer, mal Urheber, mal datengierig, mal privatheitsschutzversessen, mal oberschlau und mal oberflächlich, will heute im Netz anonym kommentieren und morgen als Person, die er ist, Freunde und Geliebte finden.
  Der Leser merkt dem Ton des Buches an, wie sehr weltanschauliche Verhärtungen, Einseitigkeiten und Dummheiten in der Debatte die Autoren nerven. Dagegen bieten sie Listen nicht so guter Argumente und möglicher Szenarien, Spott und einige Pointen auf, von denen nicht jede zündet. Aber dem Streit um Oberflächlichkeit mit dem Wort „Unterflächlichkeit“ zu begegnen, das hat Witz. Am besten sind Passig und Lobo dort, wo sie informieren. Ein Professor für Arbeitsorganisation ließ die Facebook-Profile von Berufseinsteigern analysieren, um herauszufinden, wie geeignet sie für ihren Job waren. Die Anfänger hatten auch die seit Jahrzehnten vervollkommneten üblichen Tests absolviert. Nach einem halben Jahr wurden die Personalchefs über die tatsächlichen Leistungen befragt. Und siehe da: „Die Einschätzungen anhand der Facebook-Profile erwiesen sich als signifikant treffsicherer als die standardisierten Tests“. Mit dem Gegensatz von „Oberfläche“ und „Tiefe“ ist das nicht angemessen zu beschreiben.
  Die Vielfalt im digitalen Wandel wird noch eine ganze Weile anstrengend bleiben, wer da behauptet, er besitze den Überblick, schummelt, um es milde zu sagen. Das Netz ist für Lobo und Passig ein Motor der „schöpferischen Zerstörung“, der Disruption. Der Zwang zur Veränderung, zum Neuentwurf von Geschäftsmodellen, Karriere- und Lebensplänen wächst, Zeitungsgewerbe oder Verlagswesen werden in zwanzig Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr anders aussehen als heute. Wer da nicht in der Nostalgienische verschwinden will, sollte seine Kraft nicht im Gezänk zwischen „Contentmafia“ und „Raubkopierern“ vergeuden. Statt von „geistigem Eigentum“, so Passig und Lobo, wäre besser von „Immaterialgütern“ zu sprechen, statt über „Besitz“ besser über „Zugang“: „Ein Lied ist kein Fahrrad“. Wer dieses Buch kauft, findet auf dem Schutzumschlag auch einen Download-Code für die E-Book-Version. Die kann auf den verschiedensten Geräten genutzt werden. Wer weiter uninformiert und verbiestert argumentiert, hat also keine gute Ausrede mehr.
  In der Gutenberg-Welt wurden viele Anstrengungen zur Kultivierung der Bewohner unternommen: Zahlreiche Bücher gibt es über die Kunst des Verlegens, des Lesens, des Schreibens, des Kritisierens. Wäre es nicht sinnvoller, statt unter Aufgeregten über Entweder-Oder-Fragen zu plappern, mehr über eine vernünftige Gestaltung der digitalen Welt zu streiten? Auch da wird es unvereinbare Wünsche geben, aber das Schöne an der digitale Revolution ist, dass sie noch läuft. Dieses Buch zeigt, wie man gut gelaunt die Chancen wahrnimmt, ohne die destruktive Seite der schöpferischen Zerstörung klein zu reden.    
Kathrin Passig, Sascha Lobo: Internet. Segen oder Fluch. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2012. 320 Seiten, 19,99 Euro.
„Online“ und „offline“ sind nur Daseinszustände, und durch Berlin kann man in jedem Zustand fahren.
FOTO: DPA
  
  
  
  
Sascha Lobo ist Strategieberater. Gemeinsam
mit Holm Friebe verfasste er 2006 das Buch „Wir nennen es Arbeit“.
FOTO: STEFAN BONESS/IPON
  
Kathrin Passig gewann 2006 den Bachmann-Preis in Klagenfurt. Gemeinsam mit Sascha Lobo schrieb sie zuvor das Buch „Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin“.
FOTO: JAN BÖLSCHE
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