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Produktdetails
  • Verlag: HighBridge Audio
  • Gesamtlaufzeit: 999 Min.
  • Erscheinungstermin: 10. November 2015
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-13: 9781504672344
  • Artikelnr.: 43674497
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2015

Jeder hat ein Recht auf seine Joan
Moment, sie lebt doch noch! Was die erste Biographie über die große amerikanische Schriftstellerin Joan Didion so seltsam macht

In Deutschland ist die schöne, zarte Frau, um die es in diesem Text gehen wird, lange nicht so bekannt wie in Amerika, was, wann immer in Deutschland über Joan Didion (die schöne, zarte Frau) geschrieben wird, erwähnt wird; dass die inzwischen achtzigjährige Autorin in Amerika ein Star ist. Kein Schriftsteller-Star, der Salzstangen essen muss, sondern ein richtiger Star. Ein Star wie Jim Morrison, Janis Joplin oder, sagen wir, Harrison Ford (allen ist Didion begegnet). Ein Mensch, der so mysteriös und fern ist, dass er kein Mensch ist, sondern ein Wesen, das irgendwo traurig in einem riesigen Bett mit weißen Laken in Hollywood liegt, wo Didion ab Mitte der sechziger Jahre wohnte und wo einige ihrer berühmtesten Essays entstanden ("Slouching Towards Bethlehem", "The White Album").

Wird über Didion geschrieben, wird außerdem erwähnt, dass: sie fragil und verletzlich beziehungsweise zerbrechlich ist. Dass sie noch viel zerbrechlicher, verletzlicher und fragiler wirkt, wenn man ihr begegnet, nämlich unbeschreiblich zerbrechlich et cetera. Dass sie eine Stilikone war und immer noch ist, insbesondere nachdem sie sich 2014 für die französische Luxusmodefirma Céline mit einer schwarzen Sonnenbrille fotografieren ließ, hinter der ihr kleines Gespenstergesicht fast verschwand. Es wird außerdem erwähnt, dass: Didion glamourös ist, cool, unsterblich, zerbrechlich, eine Kultfigur. Schließlich wird erwähnt, dass Didion, die für ihr Buch "Das Jahr des magischen Denkens", in dem sie über den Tod ihres Mannes John Gregory Dunne und den Tod, also alles, schreibt, den National Book Award erhielt - schließlich wird also erwähnt, dass Didion über einen außergewöhnlich exakten Stil verfügt, geformt und gesetzt von ihrer messerscharfen (beziehungsweise: razor-sharp, ein Attribut, dass im Zusammenhang mit Didion regelmäßig verwandt wird) Intelligenz, die alles, was in Amerika zwischen den Sechzigern und den Achtzigern wichtig war, beobachtete und beschrieb (Charles Manson, Black Panthers, LSD, Shopping Malls).

All das wird hier erwähnt, weil es aus drei Gründen interessant ist. Zunächst, weil die für Didion verwandten Zuschreibungen vor allem ihr Auftreten und dessen Inszenierung betreffen. Erst danach kommt ihr Schreiben. Die diffuse und stilbezogene Beschreibung der Person Didions ist zweitens interessant, weil Didion in ihren nichtfiktionalen, journalistischen Texten meistens als Ich anwesend ist (eines ihrer Merkmale und einer der Gründe, aus denen sie dem New Journalism zugeordnet wurde), man aber, gemessen daran, wenig über sie weiß.

Man weiß, dass sie, die Marke Didion, zerbrechlich war, oft in Hotels wohnte, man kennt alle zuvor aufgezählten Bestandteile ihres Lebens (den Glamour, die Sonnenbrille, die messerscharfe Intelligenz), man weiß, dass sie ein Star ist, der so aussah, wie alle jungen Frauen, die schreiben wollen (die Didion-Verehrung ist eine weibliche), aussehen wollen, und dass dieser Star ein Leben gelebt hat, in dem viele Stars und einige sehr erfolgreiche Bücher vorkamen, was für eine junge Frau selbstverständlich keine schlechte Perspektive ist. Drittens ist die Didion-Rezeption interessant, weil es über diesen Star, der bücherweise "ich" geschrieben hat und dennoch ein Geheimnis bleibt, bislang keine Biographie gab.

Nun aber erschien in dem amerikanischen Verlag St. Martin's Press das mindestens drei Kilogramm schwere Buch "The Last Love Song", das sich mit dem Leben Didions beschäftigt, verfasst von dem amerikanischen Autor Tracy Daugherty, der neben einigen Romanen die Biographien der Schriftsteller Donald Barthelme und Joseph Heller geschrieben hat. Und nun die Joan Didions.

Dass es, trotz Didions Berühmtheit, so lange gedauert hat, bis jemand auf die Idee kam, ihr Leben aufzuschreiben, liegt möglicherweise genau daran: an ihrer Berühmtheit. An ihrer Größe, Aura, Unantastbarkeit. Daran, dass sie sich und eben diese von ihr erschaffene Erzählung von sich selbst so phantastisch schreiben konnte und theoretisch immer noch könnte, denn sie lebt ja noch. Was direkt zu der Frage führt, ob es sich im Allgemeinen gehört, Biographien von Menschen zu schreiben, die noch lebendig sind. Biographien, die so bombastisch und ernst daherkommen wie "The Last Love Song" von Daugherty, dass sie Endgültigkeit vermitteln und man Daugherty als Didion-Fan mit Tendenz zum Besserwissen kurz anrufen will, um mitzuteilen: Entschuldigen Sie, aber Joan Didion lebt noch. Sie können jetzt nicht einfach so auf ihr rumschreiben, wie es Ihnen passt!

Joan Didion war da, wollte aber mit Daugherty nicht reden, als der mitteilte, dass er eine Biographie über sie schreiben und dafür mit ihr sprechen wolle. Enge Freunde und Verwandte Didions sagten ebenfalls ab, wie Daugherty im Vorwort schreibt, in dem er sich tief und ausgiebig vor seinem Gegenstand verneigt und versichert, dass er nicht vorhabe, zu psychologisieren, sondern die von Didion in ihren Texten erschaffene Person Didion zu untersuchen. Das klingt zunächst nach einem seriösen Ansatz, wenn der Gegenstand, das heißt: die Hauptperson, nicht mitmachen will. Andererseits: Entweder der Gegenstand ist tot und man ist als Autor frei. Oder der Gegenstand lebt und redet mit einem. Unter den schlechten Umständen aber, unter denen Daugherty geschrieben hat, klingt sein Ansatz vernünftig und der Methode nach zulässig. Er klingt aber auch nach einer ziemlich langen Hausarbeit, über die sich Literaturprofessoren aufregen, weil sie biographisches Interesse nicht okay finden. Vor allem aber klingt das langweilig. Ich kenne keinen Daugherty, warum also sollte ich mir 600 Seiten Didion-Text-Exegese plus umfangreichem Anmerkungsapparat von Daugherty durchlesen?

Obwohl jeder Fan glaubt, seinen Star am besten verstanden zu haben, jene Vorstellung selbstverständlich Quatsch ist, dies den Fan aber nicht davon abhält, anderen Fans verbieten zu wollen, Biographien über den Star zu verfassen, muss ich mir nach der Lektüre des Buches in dem Langweiligkeitspunkt doch recht geben. Trotzdem sollten der Fleiß und die Sorgfalt des Autors erwähnt werden. Jedes der Werke Didions wird gründlich und kenntnisreich behandelt, muss man tatsächlich sagen, und an diesen Stellen ist das Buch am ehesten zu gebrauchen. Zunächst aber geht Daugherty chronologisch vor und beginnt mit der Geburt Didions im Jahr 1934. Er beschreibt, gewissenhaft und ohne wirklich viel zu wissen, das Aufwachsen Didions in Kalifornien, die Häuser, in denen sie mit ihren Eltern gewohnt hat und die er, soweit es möglich war, aufgesucht hat. Er beschreibt die Landschaften, die Didion damals umgeben haben. Die indifferente Mutter Eduene Didion, deren Lebensgrundsatz "What difference does it make?" war und die immer Wert darauf gelegt haben soll, einen respektablen Eindruck zu machen.

Er beschreibt den ruhelosen und risikoverliebten Vater Frank Didion, der wenig sprach, das Spielen liebte und als Versicherungsvertreter arbeitete. Er beschreibt all das, gestützt durch Didions Texte und durch Aussagen von eher entfernten Bekannten Didions. So rekonstruiert er zum Beispiel Didions Alltag während eines Stipendiums bei der Modezeitschrift "Mademoiselle" in den fünfziger Jahren, indem er eine Frau kontaktiert, die dort ebenfalls Stipendiatin war. Immer wieder erzählt Daugherty szenisch (Didion konnte es nicht glauben, Didion saß da und da), und dann denkt man als Leser: Moment, das geht zu weit, Sie waren doch gar nicht dabei!

Natürlich ist das szenische Schreiben beim Verfassen einer Biographie nicht verboten. Wenn aber der Mensch, um den es geht, lebt und nicht mit einem sprechen möchte, wirkt dieses Verfahren, als würde man mit ihm im selben Raum stehen und über ihn flüstern.

Absurd wird dieses Verfahren mit fortschreitendem Alter Didions, denn je älter sie wurde, desto mehr Texte von ihr entstanden und desto mehr Schlüsse kann Daugherty über jene Person ziehen, die er durch seine literarische Analyse freizulegen hofft. Absurd ist außerdem, dass es schließlich sie selbst ist, die sich in der Biographie anhand ihrer Texte erzählt. Die zerbrechliche, dem Nervenzusammenbruch nahe Frau mit der messerscharfen Intelligenz. Noch absurder ist, dass sie einfach viel besser erzählen kann als Daugherty.

Daugherty weiß, dass er als Biograph auch ein bisschen kritisch sein muss. Er weiß außerdem, dass das Ich, das Didion in ihren Texten erschaffen hat, eine sorgfältig konstruierte Inszenierung ist, die allein Didion kontrolliert hat. Er versucht dem gerecht zu werden, indem er regelmäßig darauf hinweist, dass: Didion ihr Text-Ich streng konstruiert und kontrolliert hat. Weil der Hinweis darauf allein nicht reicht, versucht Daugherty dem Ich-Bild aus Didions Texten durch literarisches Geraune und Suggestiv-Montagen etwas entgegenzusetzen, was manchmal ziemlich creepy wirkt. Am deutlichsten wird dies, wenn es um Didions Adoptivtochter Quintana geht, die 2005 nach einer schweren Krankheit starb. Didion schrieb auch darüber ein Buch, "Blue Nights", nach dessen Erscheinen das Internet und einige Rezensenten sich darüber beklagten, dass darin die Todesursache nicht vollständig aufgeklärt werde und man (Didion) angesichts der Alkoholprobleme Quintanas doch ruhig mal darüber hätte nachdenken können, ob da ein Zusammenhang bestünde zwischen Tod und Alkohol.

Daugherty beschreibt Quintana als emotional vernachlässigtes Kind, das zu viel Zeit in Hotels, Flugzeugen und auf Partys verbringen musste, und er tut dies, wann immer es um Quintana geht. In dem Schriftstellerleben des Schriftstellerpaares Didion/Dunne "was little, if any room for Quintana". Das Kind habe (von wem?) gelernt, dass Menschen immer dann erreichbar seien, wenn man ihnen einen Deal vorschlage. "Of course this wasn't Quintana's first experience with extended hotel stays and her mother's (...) work schedule." Und: "It took Didion many years to admit these business trips might have had a powerful (...) effect on her daughter." Sagt wer? Daugherty, mit dem Didion nicht reden will, Didion in ihren Büchern oder Daugherty nach der Lektüre von Didions Büchern?

Weiter: Quintana habe früh mit Depressionen zu kämpfen gehabt, und Didion habe es, wie sie in "Blue Nights" schreibt, versäumt, sie rechtzeitig in psychologische Behandlung zu geben, weil das damals nicht das war, was man in ihrer Familie mit Kindern machte. "Though, in fact it was (...)", schreibt Daugherty dazu, kann aber seine Andeutung, die sich auf die psychologische Behandlung des Vaters von Didion bezieht, auch nicht weiter vertiefen, weil er dazu nicht ausreichend Informationen hat. Und weil es indiskret und unverschämt wirken würde, weswegen Daugherty weiter und bis zum Ende des Buches um Quintanas schlechten Zustand herumschleicht, ohne viel mehr dazu schreiben zu können, als Didion es bereits selbst und besser in "Blue Nights" getan hat.

Die bislang in Amerika zu "The Last Love Song" erschienenen Rezensionen sind, wie diese, eher unzufrieden und ein bisschen zickig. Wahrscheinlich, weil jeder sein Recht auf seine Joan Didion verteidigt. Sicher auch, weil das Buch die genannten Mängel hat. Und vielleicht hat diese Unzufriedenheit auch etwas damit zu tun, dass Menschen Joan Didion beschützen wollen, diese Frau, die sich immer als zerbrechlich, verletzlich und fragil beschrieben hat.

ANTONIA BAUM

Tracy Daugherty: "The Last Love Song". St. Martin's Press, 728 Seiten, etwa 30 Euro

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