Bonvivant, ein wenig dusselig und liebenswert wie so viele kleinbürgerliche Nachkriegs-Junggesellen. Es sind die Jahre, als man noch kein Telefon hat, als Wellensittiche noch "Koko" heißen, als noch jedes Kind mindestens einen Onkel Hans hat. Wie sich das gehört.
Onkel Hans nun ist die heimliche Hauptfigur der Erzählung. Er lebt bei seiner Schwester, spielt Doppelkopf, trinkt Schnäpschen und steht im muttergeprägten Leben der Elfjährigen für Abenteuer, Spiel und Spaß: "Und er streckte ihr (Mutter) hinter dem Rücken die Zunge heraus und zwinkerte mir zu." Dann macht er sein Glück in Gestalt eines kleinen Hofes im Weserbergland. Von einem Urlaub an diesem Wunschort handelt das Buch.
Es sind Ferien im Fabelland, denn die Tiere dort können sprechen - zumindest mit Katharina. Sie erzählen allerlei über Namen und über ihre Verwandtschaft zu gestiefelten Katern und anderen Kindertierweltberühmtheiten. Das ist schön, und sicher hat das auch ein wenig mit der sonstigen Einsamkeit des Mädchens zu tun. Schön ist auch, dass das Kind dem geliebten Onkel schließlich auf dem Umweg über einen sprechenden Hund die Frau ins Haus bringt, und so wird, jedenfalls im Weserbergland, schließlich noch alles gut. Da taut sogar die Mutter auf, wenn auch nur für einen Moment.
Im Großen und Ganzen ist das Buch flüssig erzählt und - abgesehen von einem unnötigen Bruch in der Chronologie - geradlinig aufgebaut. Aber jede Erzählung hat ihre Opfer, jede Poetik ihre eigene Ökonomie der Sympathien. Hier trifft es die Figur der Mutter, die es schwer hat und es auch keinem leicht machen mag. Außer einer das ganze Buch durchziehenden Litanei von Ermahnungen, Ratschlägen und Nörgeleien an Frisur, Zigarrenrauch und Junggesellenküche ist "Sonst noch was" das einzige, was sie von sich gibt. Die Abwehrhaltung, die ihr einer Satz ausspricht, zeugt ebenso von Trauer wie von Bitterkeit. Diese Mutter hat wahrlich genug von allem und sicher immer zu wenig bekommen. Das Kind wehrt sich, indem es seine Wünsche und Gedanken souverän hinter wiederholtem "ja, ja" verbirgt. Keine große Liebe, spürt man.
Trotzdem ist das Buch kein reines Dokument des Mutter-Tochter-Krieges aus der Perspektive der Jüngeren. Man ahnt die Verletzungen, die aus der Mutter machten, was sie ist, man spürt Armut, Einsamkeit und Verunsicherung hinter den hysterischen Ritualen der allein erziehenden Frau. Dass der zugehörige Mann aus dieser Anti-Idylle verschwand, mag Ursache oder Folge von Mutters tapfer ignoriertem Kummer sein. Dass aber das ewige "Sonst noch was" am Ende auch noch aus Mutters Grab tönen muss, soll sicher herzlich-schnoddrig wirken und der Erzählung den ganz großen sentimentalen Bogen geben. Da wäre weniger an hemdsärmeliger Konsequenz ein Mehr an Poesie gewesen. Und an Herz.
Neben und mit der Erzählung entfalten Bernd Pfarrs Bilder ihren eigenen poetischen Schmelz. Er leuchtet die Hell-Dunkel-Kontraste scharf aus; durch die klaren Linien verleiht er seinen Figuren komische Prägnanz. Zugleich umgibt er sie sparsam mit Details und beschwört mit leichter Hand jene an Dingen so viel ärmere Zeit herauf, so dass das Buch immer wieder jenen Hauch von Wehmut ausstrahlen kann, der erzählter Erinnerung so oft eignet.
HANS-JOACHIM NEUBAUER
Elke Heidenreich: "Sonst noch was". Mit Bildern von Bernd Pfarr, Carl Hanser Verlag, München 1999. 45 S., geb., 24,- DM. Ab 8 J.
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