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1857: Die Welt windet sich in den Geburtswehen der Moderne. Das erste Transatlantikkabel soll verlegt werden, doch es reißt. Das größte Schiff aller Zeiten soll zu Wasser gebracht werden, doch es läuft nicht vom Stapel. Der Ingenieur Chester Ludlow ringt darum, zwei Kontinente zu verbinden, als er der schönen Katerina Lindt verfällt und erfahren muss, dass es menschliche Schwächen sind, die das Jahrhundertprojekt an den Rand des Scheiterns bringen. Die Sprachgewalt und epochale Wucht von John Griesemers "Rausch" versetzte die Kritik in einen Taumel und machte das Buch zum Bestseller.

Produktbeschreibung
1857: Die Welt windet sich in den Geburtswehen der Moderne. Das erste Transatlantikkabel soll verlegt werden, doch es reißt. Das größte Schiff aller Zeiten soll zu Wasser gebracht werden, doch es läuft nicht vom Stapel. Der Ingenieur Chester Ludlow ringt darum, zwei Kontinente zu verbinden, als er der schönen Katerina Lindt verfällt und erfahren muss, dass es menschliche Schwächen sind, die das Jahrhundertprojekt an den Rand des Scheiterns bringen. Die Sprachgewalt und epochale Wucht von John Griesemers "Rausch" versetzte die Kritik in einen Taumel und machte das Buch zum Bestseller.
Autorenporträt
John Griesemer, 1947 geboren, ist der Autor der Romane Rausch, der monatelang auf der Spiegel-Bestseller-Liste stand, und Niemand denkt an Grönland, der mit Jason Biggs in der Hauptrolle unter dem Titel Guy X verfilmt wurde. John Griesemer lebt mit seiner Familie in New Hampshire.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2003

Schäferstunden der Menschheit
Scheitern als Chance: John Griesemer rührt die Kabeltrommel / Von Richard Kämmerlings

Als Caesar Gallien eroberte, hatte er wenigstens einen Koch dabei. Neil Armstrong und Edwin Aldrin mußten sich zwar auf die Künste des Bodenküchenpersonals verlassen, aber auch die Mondlandung war eine reife Mannschaftsleistung. Daß historische Groß- ebenso wie Untaten nicht von einzelnen vollbracht werden, weiß man nicht erst seit Brecht oder der strukturalistischen Zeitgeschichtsforschung: Der historische Roman errichtete seine wuchtigen Erzählpaläste oft mit Hilfe von Randfiguren, der Leibärzte, Kammerdiener, Frisöre und Mätressen großer Männer. Wo Fakten der Fiktion Fesseln anlegen, beherbergt das Vorzimmer des Ruhms ausreichend Personal, das sich romangerecht in private Klüngel und Intrigen verwickeln läßt. Vor allem aber finden sich dort reichlich Frauen, um den Haupt- und Staatsaktionen Nebenbuhler und Liebeshändel beizustellen.

Wenn es im historischen Roman also vor allem darum geht, Verbindungen herzustellen oder zu lösen, welcher Stoff wäre dann geeigneter als die Kontaktanbahnung zweier Kontinente? John Griesemers Roman "Rausch", dank Elke Heidenreichs Empfehlung zu Bestsellerwürden gelangt, erzählt von einer der größten Ingenieursleistungen der Moderne - der nach mehreren bitteren Fehlschlägen 1866 schließlich gelungenen Verlegung eines transatlantischen Telegraphenkabels. Stefan Zweig hat die Geschichte des Projekts in seinen "Sternstunden der Menschheit" als den Augenblick beschrieben, in dem die moderne Telekommunikation endgültig den Sieg über Raum und Zeit davontrug und die Welt in die Epoche der Gleichzeitigkeit eintrat.

Schon im Prolog läßt Griesemer an der Bedeutung seines Stoffs keinen Zweifel. Er schildert den - ebenfalls zunächst mehrfach scheiternden - Stapellauf der "Great Eastern", des größten Schiffs seiner Zeit, das schließlich dem Kabelprojekt zum Erfolg verhelfen wird. Dabei läßt er niemand Geringeren als Karl Marx, technikeuphorisch und kapitalismuskritisch dozierend, durch den Uferschlamm stolpern. Ein schrecklicher Unfall weist auf die - meist namenlosen - Opfer des Fortschritts hin.

Gleich zu Beginn des Romans nimmt Griesemer damit einen tiefen epischen Atemzug, den er dann allerdings in vielen kleinen Pusterchen entweichen läßt. Held des historischen Projekts war der Unternehmer Cyrus W. Field, der unermüdlich um Geldgeber, Regierungsvertreter und Ingenieure warb und sich auch durch Fehlschläge nicht entmutigen ließ. Bei Griesemer ist Field nur eine Nebenfigur, deren Bedeutung vor den Technikern verblaßt: Der amerikanische Ingenieur Chester Ludlow ist die - erfundene - Lichtgestalt, deren Charisma die elektrischen Ladungen zwischen den Kontinenten zum Fließen bringt und zugleich die Herzen der Frauen schneller schlagen läßt als jeden Morseticker.

Überhaupt weicht die Technikbegeisterung des furiosen Auftakts bald einer ausgiebigen Messung seelischer Aggregatzustände. Ludlows Frau Franny war eine aufstrebende Schauspielerin, die ihre Karriere aus gesundheitlichen Gründen aufgeben mußte. Das junge Paar erlitt einen schweren Schlag, als die an Epilepsie leidende vierjährige Tochter nach einem Anfall auf den Klippen neben ihrer Villa zu Tode stürzte. Schon diese Vorgeschichte läßt den Rührungsanzeiger mächtig ausschlagen. Eigentlicher Motor der Handlung ist so nicht die Schiffsturbine, sondern eine gewaltige Bühnenmaschinerie: Ein amerikanischer Mitfinanzier des Unternehmens will eine effektvolle Panorama-Darstellung des geplanten Unternehmens auf England-Tournee schicken, um zusätzliche Geldgeber zu beeindrucken. Statt seiner technischen Fähigkeiten muß Ludlow dafür sein theatralisches Talent einsetzen und zieht mit einer Varieté-Truppe durch London, während die depressive Franny in Amerika zurückbleibt. Dort kümmert sich Chesters Bruder Otis um sie, ein esoterischen Lehren anhängender Sonderling, ein Weltenbummler mit dem Reiseziel Jenseits. Während Chester zum Star der Londoner High Society avanciert und ein Verhältnis mit der verheirateten Pianistin seiner Truppe beginnt, läßt sich seine Frau spiritistisch unterweisen, um Kontakt mit der verstorbenen Tochter aufzunehmen. Briefe über den Atlantik brauchen eben noch Wochen, wo für den Kontakt mit dem Jenseits die passenden Medien stets bereitstehen. Chesters Kabelprojekt hat eine ziemlich lange Leitung. Otis dagegen überwindet Raum und Zeit mit der Kraft seiner Gedanken (und ein paar halluzinogenen Pilzen).

Der Originaltitel des Romans lautet "Signal & Noise"; das deutsche "Rauschen" hätte sein zentrales Motiv besser getroffen. Die doppelte Faszination jener Epoche von technischer und übersinnlicher Kommunikation wird am ungleichen Bruderpaar demonstriert. Wie in einer Easy-Reading-Ausgabe von Pynchon will Griesemer an dieser Urszene des Kommunikationszeitalters bereits das Internet vorwegnehmen - Otis träumt von einer "Wissenshülle, die den Planeten eines Tages überziehen wird". Doch dieses Motiv wird einerseits zu stark angeschlagen (Ludlows Haus heißt "Willing Mind", der Expeditionszeichner stellt sich vor, wie seine Bilder durch das Kabel geschickt werden et cetera), zugleich aber durch viele andere Themen verwässert. Der Roman selbst produziert soviel "noise", Stör- und Nebengeräusche, das seine zentralen Botschaften nur noch mit Mühe herauszuhören sind.

Die Entfremdung unter den Ehegatten, die Trauer über den Verlust des Kindes, Eifersüchtelei und Neid unter den Wissenschaftlern, diverse Formen der Spiel-, Ruhm- und Drogensucht - all diese Stoffe, aus denen Melodramen gemacht sind, hat Griesemer seinem Roman in den Frachtraum gepackt. Damit hat er ihn genauso überladen wie den Dampfer, der im Sturm durch die riesigen Kabeltrommeln ins Schlingern gerät, weil sein Schwerpunkt nicht mehr stimmt. Als im Unwetter das ganze Unternehmen auf der Kippe steht, taucht plötzlich Ludlows Geliebte als blinde Passagierin an Bord auf: "Chester bückte sich und packte Katerina, bevor sie an ihn vorbeirutschen und gegen das Backschott geworfen werden konnte. Er stützte sich mit den Beinen am Großmast und an der Ladeluke ab und hob sie in seine Arme, während eine weitere Woge über sie hinwegspülte. Die Mannschaft brach in spontanen Jubel aus." So wird aus dem Kampf mit den Elementen plötzlich eine filmreife Posse: Wackeln im Sturm.

Überhaupt knirscht für einen Ingenieursroman die Feinmechanik ganz erheblich. Die unwahrscheinlichsten Zufälle müssen herhalten, damit sich die Wege der Figuren selbst im Getümmel des amerikanischen Bürgerkriegs kreuzen. Das Problem der Darstellbarkeit historischer Prozesse wird zwar im Roman reflektiert - so trägt sich der Zeichner mit dem Plan eines gewaltigen Wandgemäldes, das den Titel "Fortschritt" tragen soll -, doch hat Griesemer selbst daraus keine Konsequenzen gezogen. Denn nicht im Panorama wird eine Epoche greifbar, sondern in der Reduktion auf das Exemplarische.

Am stärksten ist dieser Roman immer dann, wenn er das heroische Scheitern beschreibt, so gegen Ende, als das gerissene Kabel immer wieder in den Fluten versinkt. Letztlich machen eben doch die Kraft und Ausdauer einzelner die Geschichte. Griesemer knüpft aber viel zu viele Verbindungen, bis man den Überblick verliert und der Leselampe wütend den Stecker rauszieht. Wenn die transatlantische Leitung schließlich steht, hat der Roman vor allem eines produziert: Kabelsalat.

John Griesemer: "Rausch". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ingo Herzke. Marebuchverlag, Hamburg 2003. 686 S., geb., 24,90 [Euro].

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