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Produktdetails
  • Verlag: Audio Holdings
  • Gesamtlaufzeit: 660 Min.
  • Erscheinungstermin: 7. Oktober 2014
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-13: 9781491546536
  • Artikelnr.: 41252602
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.2014

Warum der 11. September 2001 kein Ende nimmt
Wem nützt der Krieg gegen den Terror? Warum hört er nicht auf? Der Journalist James Risen hat ein erschütterndes Buch darüber geschrieben

Falls irgendjemand die amerikanische Fernsehserie "Homeland", in der die CIA sich hauptsächlich auf die Intuition einer psychisch labilen Mitarbeiterin verlässt, für vollkommen unrealistischen Blödsinn hält - wie wäre es hiermit: In den von Panik und Paranoia aufgeheizten Zeiten nach 9/11 geriet die CIA mit einem Mann namens Dennis Montgomery in Kontakt, der herausgefunden haben wollte, dass die Al Qaida ihre Pläne für kommende Terroranschläge öffentlich kommunizierte - und zwar mithilfe geheimer Strichcodes, die sich im Nachrichtenbanner des arabischen Fernsehsenders Al Dschazira verbergen würden. Der Mann - ein ehemaliger medizinischer Techniker und selbsternannter Computerexperte - behauptete, eine Computersoftware entwickelt zu haben, mit der sich diese geheimen Botschaften entschlüsseln ließen. So habe sein Programm in Sendungen, die Videos von Bin-Ladin-Ansprachen zeigten, verborgene Buchstaben-Zahlen-Kombinationen im Banner aufgespürt, in denen wiederholt "AF" oder "AA" oder "UA" auftauchten, jeweils gefolgt von zwei oder drei Zahlen. Andere Zahlenserien sähen für ihn wie Angaben über Längen- oder Breitengerade aus. Montgomery überließ es dem Geheimdienst, eins und eins zusammenzuzählen. Seine Behauptungen wurden so ernst genommen, dass Präsident Bush um Weihnachten 2003 herum mehreren internationalen Passagierflugzeugen, die in den Vereinigten Staaten hätten landen sollen, die Starterlaubnis verweigerte. Angeblich wurde sogar der Abschuss mehrerer Linienflüge über dem Atlantik zumindest diskutiert.

Tatsächlich war die CIA auf einen Aufschneider hereingefallen. Es gab weder geheime Strichcodes, noch gab es ein Computerprogramm, das diese hätten aufspüren können. Und es gab auch nie einen Beweis dafür. Doch nach den Anschlägen vom 11. September, die der amerikanische Auslandsgeheimdienst weder vorausgesehen noch verhindert hatte, wollte man dort einfach an den Weihnachtsmann glauben, auch wenn sich dieser, wie im Falle Montgomerys, verdächtig gerne in Spielcasinos herumtrieb und in seinem Berufsleben schon die eine oder andere größere Sache in den Sand gesetzt hatte.

Dass er nicht der glaubwürdigste aller Zeitgenossen war, hätte sich vermutlich ziemlich schnell herausfinden lassen. Zumal von einem Geheimdienst. Als die französische Regierung, durch die Sache mit den annullierten Air-France-Flügen alarmiert, eine französische Hightech-Firma damit beauftragte, die vermeintliche Wunder-Software zu untersuchen, fanden deren Experten sofort heraus, dass die Geschichte ein Schwindel war: Es gab schlichtweg nicht genug Pixel im Fernsehbild, um darin geheime Strichcodes oder unsichtbare Nummern zu verbergen.

Dennis Montgomery hatte geschickt erkannt, dass sich im Post-9/11-Amerika mehr Geld mit der Voraussage von Terroranschlägen machen ließ als auf jedem anderen Gebiet. FBI, CIA und Pentagon waren dafür mit mehr Geld ausgestattet, als sie ausgeben konnten. Er hatte zuvor bereits dem US-Militär weismachen können, er habe eine Technologie entwickelt, mit der sich winzige Objekte in größter Entfernung erkennen ließen. Angeblich seien damit sogar Gesichter gestochen scharf zu sehen, die von einer hoch über den Bergen Afghanistans fliegenden Predator-Drohne aufgenommen würden. Als er seine Technologie Pentagon-Funktionären vorführte, tat er dies, indem er eine Spielzeug-Bazooka auf einem Feld versteckte, Videoaufnahmen des Feldes wurden den Militärs auf einem Bildschirm gezeigt. Hatte das Programm die Bazooka aufgespürt, tauchte sie auf einem zweiten Bildschirm auf. Das tat sie allerdings nur, weil Montgomery mithilfe eines in seiner Hosentasche versteckten Handys einem Mitarbeiter das Signal gab, auf dem Computer eine Taste zu drücken, die auf dem zweiten Bildschirm das Bild einer Bazooka aufflackern ließ. Nachdem er als Betrüger aufgeflogen war, tat die CIA so, als habe es ihn nie gegeben, das Pentagon arbeitete seelenruhig weiter mit ihm.

Dies ist nur eine der wahnwitzigen und erschreckenderweise wahren Geschichten, die James Risen in seinem neuen Buch über den War on Terror erzählt: "Pay Any Price - Greed, Power and Endless War". Risen, 59, ist Reporter bei der "New York Times", für die er über Geheimdienste und Fragen der nationalen Sicherheit schreibt. Er berichtete von Anfang an über den Krieg gegen den Terror, der im September 2001 von George W. Bush ausgerufen wurde und heute, dreizehn Jahre später, unter Obama vehementer ausgefochten wird, als sein Vorgänger es sich hätte träumen lassen. Zusammen mit einem Kollegen deckte Risen 2005 das NSA-Abhörprogramm gegen die eigenen Bürger auf - die beiden erhielten dafür den Pulitzerpreis. (Für Risen war es der zweite.) 2006 veröffentlichte er das Buch "State of War", was unter anderem Hausdurchsuchungen bei mehreren Geheimdienstmitarbeitern zur Folge hatte, die verdächtigt wurden, Risen vertrauliche Interna über das Abhörprogramm verraten zu haben. Einer von ihnen - Jeffrey A. Sterling - wurde wegen Geheimnisverrats angeklagt. Obwohl die US-Regierung Telefongespräche zwischen ihm und Risen abhörte sowie ihren Mailverkehr mitlas, wurde Risen anschließend mehrfach unter Strafandrohung aufgefordert, Sterling als seine Quelle zu bestätigen. Bislang weigerte er sich. Diesen Dienstag wurde richterlich angeordnet, dass Risen beim im Januar beginnenden Prozess gegen Sterling aussagen muss. Wird er dort Fragen nicht beantworten, könnte er wegen Missachtung des Gerichts ins Gefängnis kommen.

Risen hat Obama wiederholt den "größten Feind der Pressefreiheit in einer Generation" genannt. Er wirft ihm vor, den Krieg, den sein Vorgänger in einem Ausnahmezustand ausgerufen hatte, in die Normalität überführt - und dramatisch ausgeweitet - zu haben. Das harte Vorgehen gegen regierungskritische Journalisten und Whistleblower sei Teil davon. Sein neues Buch, schreibt er, sei seine Antwort auf den Feldzug der amerikanischen Regierung gegen ihn - und auf den endlosen Krieg. "Meine Antwort ist, weiterzuschreiben, weil ich glaube, wenn Journalisten jemals damit aufhören, Machtmissbrauch aufzudecken und öffentlich zu machen, verlieren wir unsere Demokratie."

Vor allem zwei Aspekte haben ihn am Krieg gegen den Terror interessiert: Wie sein Land, Amerika, sich in ihm verändert hat - und warum er kein Ende nimmt.

Heute, wo Al Qaida so gut wie zerschlagen und Amerikas Staatsfeind Nummer 1, Bin Ladin, längst zur Strecke gebracht ist, wird der War on Terror mit Mitteln geführt, die für Risen in keinerlei Verhältnis zur Bedrohung stehen, die nach wie vor von terroristischen Organisationen gegen die Vereinigten Staaten ausgehen. Er zitiert eine Studie, der zufolge sich der Krieg, was den Kostenaufwand angeht, erst rechnen würde, wenn jährlich 1667 Anschläge auf amerikanischem Boden verhindert würden, das wären täglich vier. Dennoch ist die um diesen Krieg herum entstandene Industrie sogar im Wachstum begriffen.

Natürlich geht es um Geld. An Krieg lassen sich Milliarden verdienen, weshalb es im Interesse sehr vieler an der Kriegsindustrie beteiligter Menschen liegt, ihn am Laufen zu halten, akute Terroranschlagsgefahr hin oder her. Es geht um Macht - wer im inneren Zirkel des Kriegszirkus nach oben kam, wird den Teufel tun, da freiwillig wieder aus- und herabzusteigen. Es geht um Ehrgeiz, Status und lukrative Ruhestandsposten, die ehemalige Politiker und Kriegsinsider in einem der vielen privaten Unternehmen zu ergattern hoffen, die mit Dienstleistungen, die im Umfeld des Krieges gebraucht werden, Vermögen verdienen.

Das Militär hat inzwischen viele seiner ehemaligen Kernaufgabenbereiche ausgelagert. Foltern beziehungsweise, wie es so perfide euphemistisch heißt, das Anwenden von enhanced interrogation techniques, wird zum Teil von Privatfirmen durchgeführt. Aber auch den Aufbau der im Kriegsgebiet benötigten Infrastruktur besorgt das Militär nicht mehr selbst. Risen schreibt über die bestürzende Schlampigkeit, mit der etwa eine Firma namens KBR dabei im Irak und in Afghanistan vorging. Amerikanische Soldaten zogen sich tödliche Lungenleiden zu, weil KBR Müll illegalerweise einfach in Gruben verbrennen ließ; mindestens 18 Soldaten starben aufgrund schlecht verlegter Stromleitungen, einige von ihnen beim Duschen. Doch die Firma ist mit über 50 000 Mitarbeitern too big to fail. Das Pentagon arbeitet weiter mit ihr zusammen, für KBR ist der Krieg bisher ein 40-Milliarden-Dollar-Geschäft.

Amerika, dessen einst fairer Umgang mit Kriegsgegnern nicht zuletzt den Deutschen nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg zugutekam, setzte unter Bush die Genfer Konventionen außer Kraft. Der Umgang mit Kriegsgefangenen verlor damit jede Moral. Unter Obama wurde der Einsatz unbemannter bewaffneter Drohnen, die, wie sich oft genug gezeigt hat, sehr oft auch Zivilisten töten, massiv ausgeweitet. Und in einer nie da gewesenen Weise richtete sich die Arbeit der Geheimdienste plötzlich gegen das eigene Volk: Im Namen der nationalen Sicherheit galt und gilt plötzlich jeder Bürger als potentiell verdächtig, Telefonate und Mails wurden und werden aufgezeichnet und gespeichert, wir alle sind längst Teilnehmer des Kriegs gegen den Terror, und zwar auf Seiten des mutmaßlichen Terrors. Und seltsamerweise lassen wir alle dies geschehen, ohne laut aufzubegehren, spielen brav mit in diesem vollkommen ungerechtfertigten Spiel, in dem, wie Edward Snowden in Laura Poitras' großartigem Dokumentarfilm "Citizenfour" (im Kino) so treffend bemerkte, sich Bürger und Regierung nicht länger als Wähler und Gewählte gegenüberstehen, sondern als Beherrschte und Herrscher.

Hin und wieder werden auch in den Vereinigten Staaten ernstzunehmende Stimmen laut, die fragen, ob der Krieg gegen den Terror nicht langsam mal als gewonnen betrachtet und beendet werden könne. 2012 hielt etwa der Chefsyndikus des Pentagon, Jeh Charles Johnson, eine Rede in der Oxford University, in der er sagte, man dürfe den anhaltenden Konflikt nicht als "neue Normalität" akzeptieren, sondern müsse nach Frieden streben. Knapp ein Jahr später wurde er von Obama zum Minister für Innere Sicherheit ernannt. Eine Rückkehr zur Normalität von vor 9/11 scheint undenkbar. Zu viele Menschen haben persönliche Interessen an diesem Krieg. Zu viele verlören an einem Sieg.

"Pay Any Price" ist eine beängstigende Lektüre.

JOHANNA ADORJÁN

James Risen: "Pay Any Price - Greed, Power and Endless War". Bisher nur auf Englisch, bei Houghton Mifflin Harcourt, 304 Seiten, 21,15 Euro

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