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Über Helden und Freundschaft
Benjamin von Stuckrad-Barre erzählt eine Geschichte, wie man sie sich nicht ausdenken kann: Er wollte den Rockstar-Taumel und das Rockstar-Leben, bekam beides und folgerichtig auch den Rockstar-Absturz. Udo Lindenbergs rebellische Märchenlieder verführten und verdarben ihn, doch Udo selbst wird Freund und ist später Retter. Und nun eine Selbstfindung am dafür unwahrscheinlichsten Ort - im mythenumrankten »Chateau Marmont« in Hollywood. Was als Rückzug und Klausur geplant war, erweist sich als Rückkehr ins Schreiben und in ein Leben als Roman. Drumherum tobt der…mehr

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Produktbeschreibung
Über Helden und Freundschaft

Benjamin von Stuckrad-Barre erzählt eine Geschichte, wie man sie sich nicht ausdenken kann: Er wollte den Rockstar-Taumel und das Rockstar-Leben, bekam beides und folgerichtig auch den Rockstar-Absturz. Udo Lindenbergs rebellische Märchenlieder verführten und verdarben ihn, doch Udo selbst wird Freund und ist später Retter. Und nun eine Selbstfindung am dafür unwahrscheinlichsten Ort - im mythenumrankten »Chateau Marmont« in Hollywood. Was als Rückzug und Klausur geplant war, erweist sich als Rückkehr ins Schreiben und in ein Leben als Roman. Drumherum tobt der Rausch, der Erzähler bleibt diesmal nüchtern. Schreibend erinnert er sich an seine Träume und Helden - Bret Easton Ellis, Westernhagen, Courtney Love, Thomas Gottschalk, Kurt Cobain, Helmut Dietl. Stuckrad-Barre erzählt mit seiner eigenen Geschichte zugleich die Geschichte der Popkultur der letzten 20 Jahre.
Autorenporträt
Benjamin von Stuckrad-Barre, 1975 in Bremen geboren, ist Autor von Soloalbum, 1998, Livealbum, 1999, Remix, 1999, Blackbox, 2000, Transkript, 2001, Deutsches Theater, 2001, Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft - Remix 2, 2004, Was.Wir.Wissen, 2005, Auch Deutsche unter den Opfern, 2010, Panikherz, 2016, Nüchtern am Weltnichtrauchertag, 2016, Udo Fröhliche, 2016, Ich glaub, mir geht's nicht so gut, ich muss mich mal hinlegen - Remix 3, 2018 und Alle sind so ernst geworden (mit Martin Suter), 2020. Der neue Roman erscheint im April 2023. Benjamin von Stuckrad-Barre, 1975 in Bremen geboren, ist Autor von Soloalbum, 1998, Livealbum, 1999, Remix, 1999, Blackbox, 2000, Transkript, 2001, Deutsches Theater, 2001, Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft - Remix 2, 2004, Was.Wir.Wissen, 2005, Auch Deutsche unter den Opfern, 2010, Panikherz, 2016, Nüchtern am Weltnichtrauchertag, 2016, Udo Fröhliche, 2016, Ich glaub, mir geht's nicht so gut, ich muss mich mal hinlegen - Remix 3, 2018 und Alle sind so ernst geworden (mit Martin Suter), 2020. Der neue Roman erscheint im April 2023.
Trackliste
CD 1
1Neulich war ich mal wieder in Amerika00:05:26
2Neulich war ich mal wieder in Amerika00:04:13
3Wir heben ab00:04:17
4Wir heben ab00:05:00
5Wir heben ab00:04:56
6Schneller Junge00:05:02
7Schneller Junge00:02:56
8Schneller Junge00:03:12
9Auf Entdeckungstour00:05:00
10Auf Entdeckungstour00:05:16
11Abtörnstadt00:03:47
12Abtörnstadt00:04:44
13Abtörnstadt00:04:38
14Abtörnstadt00:04:26
15Hallöchen,DDR!00:04:40
16Hallöchen,DDR!00:05:58
17Hallöchen,DDR!00:05:23
CD 2
1Hollywoodschwüre00:04:18
2Hollywoodschwüre00:04:02
3Hollywoodschwüre00:04:58
4Hollywoodschwüre00:04:15
5Hollywoodschwüre00:05:46
6Hollywoodschwüre00:04:37
7Hollywoodschwüre00:03:32
8Hollywoodschwüre00:03:46
9An der Bar,auch wenn's nur Kaffee war00:04:19
10An der Bar,auch wenn's nur Kaffee war00:04:19
11An der Bar,auch wenn's nur Kaffee war00:03:50
12An der Bar,auch wenn's nur Kaffee war00:05:09
13An der Bar,auch wenn's nur Kaffee war00:04:54
14Der kleine Boxer00:03:29
15Der kleine Boxer00:03:39
16Der kleine Boxer00:03:46
17Der kleine Boxer00:04:56
CD 3
1Ein Hinterhof in Hamburg Altona00:05:21
2Ein Hinterhof in Hamburg Altona00:04:20
3Ein Hinterhof in Hamburg Altona00:05:28
4Ein Hinterhof in Hamburg Altona00:04:45
5So laut wie's geht00:03:57
6So laut wie's geht00:04:51
7So laut wie's geht00:04:24
8Spießertrance00:04:58
9Spießertrance00:05:11
10Spießertrance00:05:15
11Spießertrance00:05:02
12Spießertrance00:03:27
13Spießertrance00:03:24
14Die bunte Glitzerstadt00:04:40
15Die bunte Glitzerstadt00:03:54
16Die bunte Glitzerstadt00:05:01
17Die bunte Glitzerstadt00:05:30
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2016

Stark wie zwei

Benjamin von Stuckrad-Barre, das ist der mit dem Drogenproblem, der früher mal gut war. Dachte man. Aber jetzt kommt "Panikherz"

So ist das mit Helden. Bret Easton Ellis ist ein "irgendwie wurschtig" aussehender schwuler Mann mittleren Alters, der schon lange kein gutes Buch mehr geschrieben hat, dafür aber das Drehbuch für einen grauenhaften Film mit Lindsay Lohan. Benjamin von Stuckrad-Barre trifft sein Idol zum Abendessen in Los Angeles und stellt fest: Ellis, der "König der Kälte", ist heute "die wildgewordene Hausfrau aus Sherman Oaks" und verbringt viel Zeit auf Social Media.

Dies lesen und dann "American Psycho" noch mal zur Hand nehmen: ja, das muss man erst mal in den Kopf kriegen. Ist Ellis irgendwo falsch abgebogen, und wenn ja, wo? Das fragt man sich, weiß aber auch, was für eine ungesunde Erwartung das ist. Er schuldet einem ja nichts.

Benjamin von Stuckrad-Barre könnte, wenn alles anders gekommen wäre, mit Anfang vierzig ähnlich leben wie Ellis: auf dem Fundament frühen Ruhms und ohne größere Exzesse. Es kam anders, und davon handelt "Panikherz". Das Buch, das sein Comeback einläuten soll, ist kein Roman, sondern ein sogenanntes Memoir, das ist Amerikanisch für Lebensbeichte.

Die Besuche bei Ellis in Los Angeles fanden während eines monatelangen Aufenthalts in Los Angeles statt, einem langen Urlaub, den Stuckrad-Barre im "Chateau Marmont" verbrachte, dem teuren Wohnzimmer Hollywoods am Sunset Strip. Hier, genauer gesagt im dschungelartigen Garten des Hotels, wo die diskreten Bungalows stehen, fand der 41-jährige Schriftsteller die Ruhe, sein unruhiges, abgestürztes Leben aufzuschreiben. Das Buch "Panikherz" kreist ums "Chateau", so wie Udo Lindenbergs Leben um das "Hotel Atlantic" kreist, hierher kehrt die Erzählung immer wieder zurück. Udo Lindenberg war es auch, der Stuckrad-Barre dieses Hotel zeigte und ihm den entscheidenden Tipp gab, einfach so lange zu bleiben, wie es seine angedunkelte Seele nötig hatte. Ein Held, der ziemlich runter war und nach der Orientierung suchte, die er selbst auch mal gewesen ist.

"Soloalbum" kam 1998 in unserer Dorfbuchhandlung im Bergischen Land an wie ein Westpaket in der DDR: lauter einfache Kohlenhydrate, geht sofort ins Blut, ganz schlecht für die Zähne. Toll, dass es das gibt. Deutsche Literatur, das war doch dieses zähe, graue Brot aus der Schule gewesen, geschrieben von zähen, grauen Broten, die nicht sterben wollten. Sonst gab es nur noch die empfindsame Prenzlauer-Berg-Café-Literatur: Alle sitzen frierend am Fenster und denken an Pommern. Oder an noch zu schreibende Familienromane, grauenhaft. Dann lieber "American Psycho" auf Englisch lesen (auf Deutsch war es indiziert) und Albträume haben. Oder den lustigen Anarcho, der alle beschimpft. Der Erfolg von "Soloalbum" und der folgenden Bücher von Benjamin von Stuckrad-Barre erklärt sich ja auch daraus, dass es um 1998 in der Gegenwart nichts in deutscher Sprache zu lesen gab, das einen jungen Menschen irgendwie hätte interessieren können, außer vielleicht Christian Kracht.

Man konnte, vermittelten einem diese Bücher, schreiben und trotzdem cool sein. Es war möglich, der Typ mit dem langen Namen hatte das irgendwie geschafft, er wurde auch noch von den richtigen Leuten gehasst dafür. Und jetzt, fast zwanzig Jahre später, ist man erwachsen und liest, wie dieser Mann, der doch alles hatte, auf dem Höhepunkt des Erfolgs ein enges Verhältnis mit seiner Toilettenschüssel einging. Er, der immer ins Scheinwerferlicht wollte, findet sich zu dick. Und kotzt. Und isst. Und kotzt. Es klingt überhaupt nicht lustig, und es ist auch überhaupt nicht lustig, das zu lesen. Drogen und Bulimie sind der finstere Kern, um den sich das Leben des Schriftstellers bald dreht, der Autor schont sich nicht, wenn er das beschreibt.

Liebe und Sex, die großen Jugendthemen neben dem Exzess, kommen in "Panikherz" dagegen praktisch nicht vor. Die Frauen im Leben von Benjamin von Stuckrad-Barre hat er gentlemanesk beschwiegen, was diese ihm wahrscheinlich danken werden. Ein bisschen seltsam ist es trotzdem. Es geht umso häufiger um Männerfreundschaften, um bewunderte ältere Brüder und Jugendhelden, die Stuckrad-Barre eine steile Karriere ermöglichen: vom Autor für Friedrich Küppersbusch zum Gagschreiber von Harald Schmidt und Drehbuchcrack von Helmut Dietl bis hin zum Liedtexter bei Udo Lindenberg. Es sind ältere Männer, die ihn fördern und aufbauen. Helden. Und manchmal verstoßen sie ihn auch wieder, wie Harald Schmidt, der sich an der Selbstentblößung stößt, mit der sein drogenkranker Ex-Autor sich einer Dokumentarfilmerin ausliefert.

Elend, ja, aber immer noch im Scheinwerferlicht. Hauptsache, er kommt vor. "Panikherz" versucht zu erklären, warum. Stuckrad-Barre schreibt viel über sein Aufwachsen, seine Kindheit im Pfarrerhaushalt in Rotenburg und später in Göttingen. Es ist eine Kindheit, die nicht ohne Liebe ist, aber weitgehend ohne Belohnungen auskommen muss. Die Eltern sind "Müslis", protestantische Gutmenschen mit Dauerauftrag zum Weltverbessern. Zum Frühstück gibt es Hefeextrakt aufs Vollkornbrot und definitiv kein Nutella (die schickt man nur den Verwandten in der DDR). Beim kleinen Benjamin führen dieses ewige Verzichten und Gutseinmüssen dazu, dass er lernt, sich selbst zu belohnen. Erst mit Platten von Udo Lindenberg und anderen Popstars, dann mit Schreiben. Später mit Kokain, Alkohol und allgemeinem rockstarmäßigem Geldausgeben.

"Panikherz" ist die Autobiographie eines Adoleszenten. Stuckrad-Barre wird auf 565 Seiten einfach nicht erwachsen, sieht auch mit einundvierzig immer noch aus wie ein Achtundzwanzigjähriger in Berlin, dabei hat er doch schon ein Kind. Denkt man und merkt, dass man dem Memoir auf den Leim gegangen ist. Als würde man hier über eine Person schreiben, dabei geht es doch um ein Buch. Man kann ein Buch rezensieren, aber doch kein Leben. Wer garantiert, dass der Stuckrad-Barre aus dem Buch der Stuckrad-Barre ist, der durch Berlin geht? Eben: niemand. Aber man vermutet es, soll es auch. Das Memoir genießt prinzipiell alle Freiheiten des Romans, sie werden aber in einer Art literarischem Nichtangriffspakt mit dem Leser normalerweise nicht bis zum Letzten ausgeschöpft. Das Vermischen der Ebenen, der Kunst und des Lebens, ist das, was einen reizt, und das beherrscht Benjamin von Stuckrad-Barre sehr, sehr gut. Leider folgt das Leben nur selten einer gut gebauten Dramaturgie, und auch "Panikherz" wiederholt sich immer mal wieder, hat Längen und Obsessionen, wie das sicher sehr bedeutende musikalische Werk von Udo Lindenberg, das man so genau nun auch wieder nicht kennenlernen muss.

Am Schluss ist man vor allem gespannt, wie es weitergeht. Dieser Tage beginnt Stuckrad-Barre eine große Lesereise, steht wieder jeden Abend auf der Bühne, tingelt durchs Land wie früher mit "Soloalbum". Die Minibar im Hotel muss er dabei nicht leerräumen lassen, es geht auch so, schreibt er. ",Du hast so viel geschafft, das ist doch so toll, zehn Jahre nüchtern.' Jaaaaaaaaa. Supertoll. Time of my life." Eben nicht. Wenn man nichts mehr nimmt und trinkt, passiert nichts Aufregendes mehr, das offene Ende des Abends ist weg. Das Prinzip offenes Ende, das Stuckrad-Barre zu dem Schriftsteller gemacht hat, der er ist, dieses Prinzip kann er so wohl nicht fortsetzen. Er kann sich nicht auf sein Leben als Rohstoff verlassen, wenn dieses Leben dafür immer superwild sein muss. Oder doch? Sein Idol Bret Easton Ellis ist bekennender Knausgård-Fan, der ja nun die Langeweile zum Prinzip erkoren hat. "Da passiere ja gar nichts, und genau deshalb sei es so spannend. Schon die Treppe runtergehen und dann im Kühlschrank keine Milch vorfinden, dauere zwei Seiten lang, das sei großartig."

Die Milch-Momente sind aber nicht die stärksten in "Panikherz", sondern die harten, die Whisky-Momente. Es wird dann still, man kann nicht aufhören zu lesen, man will wissen, wie weit es noch nach unten geht, wie zum Teufel man aus so einem Loch wieder herauskommt. Und als was. Der Text ist an diesen Stellen, in den Kliniken für Sucht- und Essgestörte oder am Bodensatz der Sucht in Hamburg und in Zürich, wahnsinnig dicht und genau. So genau, wie er an anderen Stellen verlabert, überausführlich und voller Namedropping ist. Braucht es zwölf Seiten Poproutine über ein Klassentreffen, zu dem man nie gegangen ist? Nein, die braucht es nicht. Stuckrad-Barre jongliert bei solchen Ausflügen routiniert mit den Klischees der Sprache und des Denkens, die immer auch wahr sind, aber mehr ist das eben nicht: ein lustiges Spiel.

Berühmtheit, Boulevard und Fernsehen sind Leuchtfelder, von denen Stuckrad-Barre sich immer magisch angezogen fühlte. Vielleicht weil es das zu Hause nicht gab, vielleicht weil die Literatur-Graubrote es so hassen. Wo aber sind die Freunde, die nicht prominent sind? Warum spielt jemand wie Thomas Gottschalk eine Rolle, dem er in Los Angeles zum ersten Mal begegnet? Thomas Gottschalk kennt Stuckrad-Barre nicht, aber alle kennen Thomas Gottschalk, deshalb wird er schnell noch ins Buch eingebaut. Die Begegnung der beiden läse man gern in der Zeitung, das Buch wird dadurch schwächer, wässriger, egaler. "Stuckrad-Barre erzählt mit seiner eigenen Geschichte zugleich die Geschichte der Popkultur der letzten 20 Jahre", gibt der Klappentext an. Die eigene Geschichte hätte gereicht. Keine Stars sind nötig, wenn man etwas zu erzählen hat. Es ist ja auch ein kompliziertes, stereometrisches Verfahren, die Perspektive des Fans und des Vertrauten zugleich einzunehmen, ein Verfahren, das eigentlich nur bei Udo Lindenberg funktioniert. Da aber wiederum sehr gut.

"Panikherz" ist vor allem eins: eine Liebeserklärung an den Retter mit dem Hut. In ihm sieht Stuckrad-Barre, dass man als Künstler auch nach dem Absturz noch weitermachen kann. Machen muss. Auch um Udo Lindenberg war es einige Zeit still beziehungsweise zu laut, er war Alkoholiker, nicht bei sich, eine Karikatur seiner selbst. Mit der Nüchternheit kamen große Alben. Benjamin von Stuckrad-Barre, dachte man lange, das ist der nervöse Dandy mit dem Drogenproblem, der früher mal gut war. Dann kam dieses Buch.

BORIS POFALLA

Benjamin von Stuckrad-Barre: "Panikherz". Kiepenheuer & Witsch, 576 Seiten, 22,99 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.07.2023

Die Bücher
des
Sommers
21 Romane, Sachbücher
und Lyrikbände
für die Wochen daheim oder am Strand.
Die Empfehlungen des
SZ-Feuilletons
Bitte gib mir
nur ein Wort
In diesem Buch geht es um Wörter, darum, was sie bedeuten und wer das überhaupt entscheidet. Hauptperson ist Esme Nicoll, Tochter eines der Editoren des ersten Oxford Dictionarys. Als Kind sitzt sie unter seinem Tisch und sammelt Wörter, die weggeschmissen wurden. Als Jugendliche fängt sie an zu hinterfragen, welche Wörter warum nicht hineinkommen – oft solche, die die Lebenswelt von Frauen beschreiben oder von der Unterschicht, oder gar von Frauen aus der Unterschicht („Fotze“). Zur selben Zeit kämpfen die Suffragetten ums Frauenwahlrecht. Esme ist dafür, doch ihre Magd Lizzie sagt dazu: „Das is nichts für Frauen wie sie und mich. Sondern nur was für Ladys mit Geld, und solche Ladys werden immer jemanden haben wollen, der ihnen die Böden schrubbt und die Bettpfannen leert.“ Ein wunderbarer Roman über Macht, Sprache und auch über Liebe. Aber nur ein bisschen, denn: Frauenleben sind voller wichtiger Dinge, und nicht alle davon haben etwas mit einem Mann zu tun.
BARBARA VORSAMER
Komm in
den Garten
Lange bevor „farm to table“ zum eskapistischen Traum für High Performer wurde und urbane Restaurants ihre Gerichte wortkarg ankündigten („Schwarzwurzel / Flusskrebse / Brunnenkresse“), hat Sally Schmitt schon so gekocht. Weil es nahelag, in Kalifornien, wo die Natur alles Köstliche hergibt, im Napa Valley, bevor das eine gefragte Weingegend wurde. Zwei Wochen nachdem sie 2022 mit 90 Jahren starb, erschien das Kochbuch, in dem sie ihr Frauenleben entlang verschiedener Küchen erzählt, etwa der ihres berühmten Familienbetriebs „The French Laundry“. Dass die französisch-mexikanisch-asiatische „California Cuisine“ längst auch in Europa groß ist, muss man nicht wissen, um genussvoll der Vorstellung nachzuhängen, mit Sally einen Kräutergarten am Pazifik zu bewirtschaften. Oder eine kalifornische Großmutter zu haben, die einen mahnt, das Geschirr vor dem Kochen zu waschen, und daran erinnert, dass im Leben alles besser wird, wenn genug Butter dran ist.
MARIE SCHMIDT
Sehen und
darüber schreiben
Eigentlich ist eine Generallobpreisung der Autorin Manja Präkels mehr als überfällig, aber das wäre ihr erstens mutmaßlich unangenehm, und es würde zweitens der Platz hier nicht reichen, also sei jetzt erst einmal locker vom Hocker „Welt im Widerhall oder war das eine Plastiktüte?“ empfohlen. Diesen Band durchaus politischer, dabei erstaunlich poetischer Essays gibt es im Grunde nur, weil Präkels’ Roman „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ (erschienen ebenfalls im Verbrecher-Verlag) so erfolgreich war und sie deswegen so viel unterwegs. Man sitzt herum, an Bahnhöfen oder in Zügen, und das ist nun rückblickend ein Glück, weil Präkels es als eine der wenigen schafft, ohne jedes Geschrei und ohne jeden Selbstdarstellungseifer über den Osten zu schreiben, nicht nur den deutschen. Das klingt dann so wie in dem Essay „Hasshasenangst“, der beginnt mit dem fast erschütternd schlichten Satz „Was geschieht, das können alle sehen“ – und an dessen Ende man denkt: Schlimm genug, was alles so geschieht und gesehen wird; aber ein kleiner Segen immerhin, dass es auch aufgeschrieben nachzulesen steht wie bei Manja Präkels.
CORNELIUS POLLMER
Und dann verglüht
der Star
Wenn man 17 ist, wankt der Boden ja sowieso ganz grundsätzlich, und als sich herausstellt, dass Akaris Idol einen Fan geschlagen haben soll, darf man mit der Ich-Erzählerin 124 Seiten lang ins Bodenlose stürzen. Wie bitteschön Halt finden, wenn der Popstar ständig mit Blogeinträgen verteidigt, die Mutter beruhigt, die Schwester abgewehrt und die Kneipengäste bedient werden müssen? „Idol in Flammen“ von der japanischen Schriftstellerin Rin Usami, Jahrgang 1999, ist ein kleiner, rasanter und weiser Roman darüber, wie man sich möglichst stabil in der Welt einrichtet.
LAURA HERTREITER
Mehr Schatten als
glitzerndes Licht
Stadt der Träume? Stadt der Albträume. Nach einem blutigen Bandenkrieg in Teil eins von Don Winslows Gangstertrilogie („City on Fire“, 2022) bewahrheitet sich in Teil zwei: Geschichte wiederholt sich immer, erst als Tragödie, dann als Farce. Hollywood will einen Film über das Leben des Romanhelden Danny Ryan machen, seine blutigen Erlebnisse im Kampf gegen die italienische Mafia in Providence, Rhode Island, Mitte der Achtzigerjahre nacherzählen. Dannys Crew möchte gern mitmischen im Filmrummel, merkt aber schnell, dass es in Los Angeles mehr Schatten gibt als glitzerndes Licht. Eine Desillusionierungsgeschichte im typischen Stakkato-Ton Don Winslows, schnell, hart, erbarmungslos. In den schäbigen Motels rund um die großen Studios warten übermüdete Mütter darauf, ihre Kinder bei einem Casting unterzubringen, und auch ganz oben in Hollywood herrscht vor allem: Angst und Einsamkeit. Nächstes Jahr erscheint dann der letzte Teil: „City of Ashes“.
DAVID STEINITZ
Das Leben,
ungeschönt
Vergewaltigung und Magersucht, Fehlgeburten und Unfruchtbarkeit, das klingt nicht nach Sommerlektüre. Doch die so starken, weil bitter ehrlichen Essays, die Emilie Pine, Jahrgang 1977 und Professorin für „Modern Drama“ aus Dublin, in ihrem Band „Botschaften an mich“ zusammenbindet, erzählen aus dem Leben einer modernen Frau, ihrem eigenen Leben, und berühren den Leser, ohne dabei je ins Kitschwasser abzudriften. Das autobiografische Schreiben sei ein Kraftakt gewesen, so sagte es Pine 2021 der SZ; lange glaubte sie, das Manuskript ohnehin nie zu veröffentlichen. „Wir schweigen lieber, aus Scham und aus Taktgefühl, damit wir niemanden verletzen. Denn wir Frauen sind es gewohnt, die Gefühle von anderen wichtiger zu nehmen als unsere eigenen.“ Zu Recht wurde Pine 2018 mit diesem, ihrem ersten nicht akademischen Buch mit dem „Irish Book of the Year“ ausgezeichnet.
JULIA ROTHHAAS
Abschied von
Europa
Er hat schon über das besetzte Frankreich berichtet. 1947 schreibt Andrzej Bobkowski Feuilletons über den Frühling in Paris für die polnische Exilpresse. Er ist 34 Jahre alt, arbeitet in einer Fahrradwerkstatt. Sein leichter Ton enthält manchen Spott, dann wird er bitterer. Damit, dass Westeuropa sich mit dem in Jalta beschlossenen „Stummel-Europa“ abfindet, mag er sich nicht abfinden. Sein Abschied von Europa führt ihn nach Guatemala. Die Atlantik-Passage, die Ankunft, seine neue Welt beschreibt er, den Abschied begründet er. In Guatemala lebt er vom Modellflugzeugbau. Nur Autor wollte er nie sein. 1957 wird ein Tumor diagnostiziert, 1961 wird er ihm erliegen. Aufzeichnungen, in denen er über den Tod reflektiert, sind in diesen Band aufgenommen. Wer ihn nicht liest, dem entgeht viel.
LOTHAR MÜLLER
Bloß nicht anhalten,
nachdenken, reden
Ferien zu zweit, ein Mietwagen, Sizilien. Was nach besten Voraussetzungen für eine erholsame Zeit klingt, wird für Melvil und Luisa zum Albtraum. Und das, noch bevor ihr Luxusurlaub überhaupt begonnen hat. Auf der Fahrt vom Flughafen ins Hotel – es ist schon dunkel – ein kurzer Stop am Meer, dann kommt es zu einem dumpfen Aufprall. Was Melvil da genau gerammt hat, finden die beiden nicht heraus. Sie fahren nach einem kurzen Halt einfach weiter. Immer weiter.
Dieses Mantra verfolgt der Protagonist in Yves Raveys Roman „Taormina“ konsequent: bloß nicht anhalten, nachhaken, reden. Lieber ignorieren, schließlich will man ja Urlaub machen. In bester Krimi-noir-Art manövriert sich Melvil, ein grandioser Taugenichts, der von der wohlhabenden Familie seiner Frau schmarotzt, immer weiter ins Schlamassel. Und offenbart, wo das eigentliche Problem liegt. Das erinnert an das grauenvolle Idyll von „White Lotus“, nur dass Ravey kein Wort zu viel verliert, es ist ein ganz schmales Buch, nüchtern im Ton. Und genau deshalb verstörend gute Sommerlektüre.
CAROLIN GASTEIGER
Ein Tag in
Jerusalem
Ein Halbwaise, der fast ertrinkt, ein arabischer Müllmann, der vielleicht gar nicht so stumm ist, wie er tut. Eine Kanadierin, die sich von ihren Eltern emanzipieren möchte, ein deutscher Holocaust-Überlebender, der nicht mehr Hans heißen will, und ein Schreiner, der in einer Konditorei aushilft: Diese Geschichten webt Dori Pinto eher lose zusammen, eine Straße nahe dem alten Bahnhof Jerusalems und ein Tag müssen als Verbindung reichen: der 16. Juli 1969, an dem die Apollo 11 Richtung Mond startete. Doch was Halbwaise Charlie in einem Brief seines toten Vaters liest, gilt auch für Pintos Schnappschuss von Jerusalem kurz nach dem Sechstagekrieg: „Wie gerade die scheinbar marginalen Kleinigkeiten besonders wichtig sein können und wie gerade sie die großen Dinge verdeutlichen, die anders gar nicht zu begreifen sind.“
MORITZ BAUMSTIEGER
Das Unbegreifliche
klingt ganz nah
Stellen Sie sich vor, Sie sind auf der Suche nach einem Buch für den Sommer und ein etwas untertouriger Literaturredakteur drückt Ihnen ein Holocaust-Memoir in die Hand. In genauso einer Situation sind Sie hier gelandet, herzlich willkommen. Cordelia Edvardson wurde 1929 in München geboren und später nach Auschwitz deportiert. Sie überlebte das Vernichtungslager, weil sie für Joseph Mengele als Schreibkraft arbeiten konnte. Das Bestürzende an ihrem exzellent geschriebenen Rückblick auf ihre Zeit am Nullpunkt der Zivilisation sind aber gar nicht nur die Szenen im Lager selbst. Es sind zumindest auch die frühen Kontakte mit der Rassenbürokratie, die freundlichen Befragungen bezüglich der Frage, warum sie eigentlich ihren Judenstern nicht trage und ob sie bitte hier und da unterschreiben könne. Der Hanser-Verlag hat dieses überwältigende Buch jetzt von der glänzenden Ursel Allenstein neu übersetzen lassen, das Ferne und das Unbegreifliche klingen bei ihr nah und klar.
FELIX STEPHAN
Nichts als
Gedichte
„Der ewige Brunnen“ ist seit 1955 das poetische Hausbuch der Deutschen, immer wieder modernisiert und entnazifiziert. Jetzt hat der Dichter und Germanist Dirk von Petersdorff diesen Band neu und nach ewigmenschlichen Rubriken geordnet („Lebenskunst“, „Vergänglichkeit“, „Glauben und Zweifel“) und neues poetisches Leben neben das alte gepflanzt. Also darf Udo Lindenberg mit Neidhart von Reuental singen, Judith Holofernes mit Theodor Storm auftreten und Sven Regener sein Prenzlberg-Sommereis-Lied in der Nachbarschaft von Friederike Mayröcker anstimmen. Das ist ja der Reiz von Lyrik-Anthologien: Dichter, die man sonst nie miteinander vergleichen würde, stehen beieinander, weil sie das gleiche Lied haben. Das Hausinventar bleibt unberührt: die „Glocke“ ist drin, das Wichtigste von Rilke, der Radwechsel von Brecht, aber mit einer perspektivverschobenen Gegenstrophe von Yaak Karsunke hintendran. So ist das Buch, so ist die Poesie: Man findet zum Glück kein Ende.
HILMAR KLUTE
Zeitreise mit
Wwwusch
Dieses Buch spielt 1912 und 2020 auf der Erde, und 2401 auf dem Mond. Es geht um Straßenmusiker, eine obskure Behörde und britische Adelige. Zeitreise-Erzählungen zwirbeln Lesern ja oft Knoten ins Hirn. Diese Geschichte aber ist nicht nur meisterhaft in sich selbst gefaltet, sondern auch um die Autorin, die als Figur darin auftaucht: als Schriftstellerin, die mit einem Pandemie-Roman im Jahr 2203 einen Überraschungserfolg landet (genau wie Emily St. John Mandel 2014 mit ihrem postapokalyptischen Roman „Station Eleven“, der von HBO als Serie verfilmt wurde). Dieses Buch ist halb „Inception“, halb „Matrix“, einziger Special Effect ist die Erzählkunst der Autorin. Am Ende löst sich der Knoten zum „Wwwusch“ eines startenden Raumschiffs. Was für ein Vergnügen!
KAROLINE META BEISEL
Im Schloss mit
Journalisten
Was verbindet Markus Wolf mit Willy Brandt? Na klar, der eine hat als Chef der DDR-Auslandsaufklärung einen Spion, Günter Guillaume, auf den andren angesetzt und ihn damit als Bundeskanzler gestürzt. Aber es gibt noch mehr. Beide waren 1945/46 als Journalisten in Nürnberg, um über die Kriegsverbrecherprozesse gegen Rudolf Heß, Hermann Göring, Julius Streicher und andere Nazi-Größen zu berichten – Wolf für die Berliner Zeitung, Brandt für das Arbeiderbladet in Oslo. Beide lebten im Pressecamp Schloss Stein monatelang Seite an Seite. Uwe Neumahr erhellt dieses faszinierende Kapitel der Nürnberger Prozesse. Wie krass unterschiedlich Wolf, Brandt, John Dos Passos, Erika Mann oder Erich Kästner auf den Prozess blickten. Tagsüber konkurrierten sie um die schnellste Nachricht, den interessantesten Blick. Abends verzweifelten, tranken, feierten und liebten sie im Schloss Faber-Castell. Wer sonst keine Sachbücher liest, sollte hier eine Ausnahme machen.
WOLFGANG KRACH
Essen, lieben und
morden in Rom
Könnte man Rom auf Flaschen ziehen und zur Essenz verdichten, dann müsste am Ende ein Buch wie Carlo Emilio Gaddas Kriminalroman „Die grässliche Bescherung in der Via Merulana“ herauskommen. Jetzt, fünfzig Jahre nach dem Tod seines genialen Autors, hat der Wagenbach-Verlag dieses Hauptwerk der italienischen Moderne neu herausgebracht. Wie in archäologischen Schichten überlagern sich hier die Sprachen, Zeiten und sozialen Klassen der Stadt, vom Mythos bis zum Dialekt, vom Alten Rom bis zum Faschismus, vom Hungerleider bis zur Gräfin. In der Mitte ruht der träge, schlaue Kommissar Ingravallo, der diesen „Pasticciaccio“ kriminalistisch und philosophisch zu durchdringen versucht, mit Freud und Leibniz im Gepäck, mit Poe und Vergil, mit unnachsichtigem Blick auf einsame Frauen und noch einsamere Herren, die schönen Römern und Römerinnen verfallen. Augenlust, Körperlust, Lust am Essen und vor allem grenzenlose Lust an allen Formen der Sprache feiern hier ein üppiges Fest. Die Übersetzung von Toni Kienlechner behauptet sich glanzvoll. Es soll aber auch Menschen geben, die nur wegen dieses Buches angefangen haben, Italienisch zu lernen.
GUSTAV SEIBT
Pause vom
Wichtigtun
Wer für ein entspanntes Zwischen-den-Seiten-Versinken im Urlaub nicht genug Ruhe hat, wegen Kindern oder Weltschmerz oder beidem, neigt zum Kitsch. Möglichst doppelbödig und gebrochen sollte die Urlaubslektüre sein, aber bitte auch: tröstend. Ein solches Buch ist „Panikherz“, die Autobiografie von Benjamin von Stuckrad-Barre. Der schrieb zuletzt in „Noch wach?“ zum Beispiel, „MEINUNGSFREIHEIT“ bedeute eben auch „Deinungsfreiheit“, haha, aber weil es codiert um einen wichtigen Ex-Kumpelfreund des Autors ging, musste man das leider auch lesen. Was, fragte man sich bei der halbwachen Noch-Wach-Lektüre, würde Udo zu den geschilderten und schreiberisch performierten Wichtigtuereien sagen, Udo Lindenberg, die heimliche Hauptfigur, der wahre Freund, das schnodderig-cool säuselnde Erlösungs-Du von „Panikherz“? Besonders schön liest sich das Buch, wenn man es hört – also ihn, den Autor im Hörbuch, wie er seinen Udo imitiert, mit so viel Zärtlichkeit, dass man daraus mehr als ein Buch hätte machen können.
PHILIPP BOVERMANN
Urlaub im
Unterholz
Nein, handlich ist dieses Buch nicht und deshalb vielleicht eine ungewöhnliche Empfehlung für Sommer, Reisen, Rucksack, Strand. „Die verlorenen Wörter“ ist ein großformatiger, von der Künstlerin Jackie Morris farbig illustrierter Prachtband. Nicht dick, aber hoch, sperrig, und gerade deshalb vermittelt es schon physisch, was Robert Macfarlanes Gedichte wollen: erinnern, sich bemerkbar machen, Vergissmeinnicht rufen. Macfarlane, einer der Großen des Nature Writing, beschwört Naturnamen, die, so seine Sorge, aus dem Wortschatz der nachwachsenden Generationen verschwinden: Brombeere, Natter, Kastanie, Heidekraut, Otter, Wiesel, Star. Zu jedem steht hier ein Gedicht, toll aus dem Englischen übertragen von Daniela Seel, das längst nicht nur naturromantisch ist, sondern lautmalerisch, widerständig, witzig, wehmütig: „Natter ist, wie Natter zischt.“ Ein Buch, das den Blick fürs Kleine schärft, fürs Übersehene.
KATHLEEN HILDEBRAND
Flimmernd in
griechischer Hitze
Drei Schwestern, ein Dorf in der Nähe von Athen. Es sind die späten 1930er-Jahre, die Sommer sind lang und sie sind heiß, die Ziegen müssen gemolken werden, genauso dringend müssen die Schwestern ihre Zukunft diskutieren, die ihnen eigentlich so deutlich vorgezeichnet ist. Maria will heiraten, Infanta und Erzählerin Katerina träumen, es ihrer berüchtigten Großmutter gleichzutun, die einst mit einem Musiker durchbrannte. Schwer zu glauben, dass die griechische Autorin Margarita Liberaki „Drei Sommer“ schon 1946 veröffentlichte, denn diese Coming-of-Age-Geschichte ist voller schnellen Witzes und stürmischer Figuren, flirrend vor Sehnsucht. Kein bisschen kitschig, auch wenn das Cover anderes vermuten lässt.
CHRISTIANE LUTZ
Süchtig nach
der Sehnsucht
Diese Sommerdämmrigkeit, wenn die Sonne auf den Kopf knallt, die Menschen und Schirme vor den Augen zu flimmern beginnen, und sich das eigene Dasein allmählich im Schweiß auflöst, passt wie kein anderer Zustand zum Roman der israelischen Schriftstellerin Zeruya Shalev. Darin erzählt sie von einer jungen Frau, die eine Liebesbeziehung mit einem älteren Mann beginnt, die niemanden glücklich macht, nicht sie, nicht den Mann, nicht den Leser, aber die mit so viel Erotik, Schwung und Kommata geschrieben ist, dass man trotz aller Abgründe, trotz Kopfschüttel-Reflex mitgerissen wird in die Sehnsüchte eines jungen Lebens. Die Sehnsucht wird zur Sucht, von der die Protagonistin Ja’ara nicht mehr loskommt, „weil alles, was weniger war als das, mich nicht mehr begeistern würde“. Flirrend, unerhaben und poetisch rasen die Seiten vorbei und wie am Ende eines guten Sommers fragt man am Ende dieses Buchs: Was, schon vorbei?
MARLENE KNOBLOCH
Horror in
Hollywood
Im Los Angeles der Achtzigerjahre geht ein Serienkiller um. Der junge Bret Ellis, der gerade mit seinem Erstlingswerk „Unter Null“ begonnen hat, glaubt, diesen Killer in seinem neuen Mitschüler auf der Buckley Highschool erkannt zu haben – dem so dämonischen wie rasend gut aussehenden Robert Mallory. Für den Schriftsteller Bret Easton Ellis schließt sich mit diesem gewaltigen (auch gewaltig dicken) Roman ein Kreis: Fast 40 Jahre nach seinem gefeierten Debüt kehrt er zurück an den Ort des Geschehens, zu den Rich Kids von Beverly Hills, zu Kokain, Mercedes-Cabrios und innerer Leere, dem Soundtrack der Achtziger, zu homosexuellen und (irre lustlosen) heterosexuellen Begegnungen. Von einer Handlung kann nicht die Rede sein, das macht aber nichts, denn der Roman entwickelt einen dunklen Sog, der Thriller-Potenzial hat. All dies selbstverständlich mit klirrender Kälte erzählt. Fazit: Selten hat man so gerne viel Zeit mit wahnsinnig unangenehmen Menschen verbracht.
TANJA REST
Philosophieren
in der Sonne
Es ist eines der großen Missverständnisse, dass es unmöglich ist, etwas Anspruchsvolleres zu lesen, während einem im Urlaub die Sonne den Verstand ansengt. Bei philosophischen Büchern zum Beispiel, in denen es ja darum geht, neu und anders zu denken, kann es manchmal sogar ideal sein. In seinem letzten Buch „Pragmatismus als Antiautoritarismus“ plädiert der 2007 verstorbene amerikanische Philosoph Richard Rorty dafür, die Suche nach dem Unbedingten und Erhabenen von der Suche nach Gerechtigkeit und Glück streng zu trennen. Man darf ihn sich dabei aber auf keinen Fall als Kulturkämpfer vorstellen, von denen es gerade ja ein paar zu viele gibt, sondern eher als menschenfreundlichen Skeptiker, von denen es nie genug geben kann.
JENS-CHRISTIAN RABE
Bei höchstem
Wellengang
„Ein Schiff wird kommen, in welchem Schiffer sind, die du kennst.“ Diesen Trost bietet ein Geist, der Schlangenmann, vor 4500 Jahren einem ägyptischen Schiffbrüchigen auf einer unbekannten Insel. Der britische Historiker David Abulafia zitiert den alten Papyrustext in seiner monumentalen Weltgeschichte der Ozeane. Blendend geschrieben, ein Füllhorn des Wissens und durchweg spannend trotz seiner mehr als 1000 Seiten, wurde es deutsches Wissenschaftsbuch 2022. Abulafia vermeidet die übliche eurozentrische Sicht der Seefahrt und entwirft ein Bild vom Meer, das trotz aller Kriege die Kulturen weniger trennt als vielmehr verbindet. Dafür steht auch die Geschichte vom Schlangenmann samt Happy End: „Du umarmst deine Kinder und küsst deine Frau und siehst dein Haus wieder – sie sind das Beste von allem.“ Ideal für den Urlaub am Meer und viel Lesezeit – allerdings müssen Freunde des Analogen den ziegelsteinschweren Wälzer an den Strand schleppen.
JOACHIM KÄPPNER
Pip Williams:
Die Sammlerin der verlorenen Wörter;
aus dem Englischen von Christiane Burkhardt. Diana Verlag, 2022,
528 Seiten, 22 Euro.
Illustration: Lennart Menkhaus c/o kombinatrotweiss.de / Instagram: @lennartmenkhaus, @kombinatrotweiss_illustration
Sally Schmitt:
Six California
Kitchens. Chronicle Books, San Francisco 2022, 352 Seiten, 33,99 Euro.
Manja Präkels:
„Welt im Widerhall oder war das eine Plastiktüte?“ Essays. Verbrecher Verlag, Berlin 2022.
192 Seiten, 19 Euro.
Rin Usami:
Idol in Flammen. Roman. Aus dem Japanischen von
Luise Steggewentz. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023.
128 Seiten, 18 Euro.
Don Winslow:
„City of Dreams“.
Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch.
Harper Collins,
Hamburg, 2023.
368 Seiten, 24 Euro.
Emilie Pine:
Botschaften an mich selbst. Essays.
Aus dem Englischen von Cornelia Röser.
Btb, München 2022. 224 Seiten, 11 Euro.
Andrzej Bobkowski: Hinter dem
Wendekreis. Aus dem Polnischen von
Ron Mieczkowski.
Die Andere Bibliothek, Berlin 2023.
384 Seiten, 44 Euro.
Yves Ravey:
Taormina. Aus dem Französischen von Holger Fock und
Sabine Müller.
Liebeskind,
München 2023.
112 Seiten, 20 Euro.
Dori Pinto:
Der Mond über
Jerusalem. Roman.
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Kein und Aber,
Zürich 2022,
336 Seiten, 25 Euro.
Cordelia Edvardson: Gebranntes Kind
sucht das Feuer. Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein.
Carl Hanser Verlag, München 2023.
145 Seiten, 22 Euro.
Der ewige Brunnen. Deutsche Gedichte aus zwölf Jahrhunderten. Herausgegeben von
Dirk von Petersdorff.
C.H. Beck Verlag,
München 2023.
1167 Seiten, 28 Euro.
Emily St. John Mandel: Das Meer der
endlosen Ruhe. Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben. Ullstein Verlag,
Berlin 2023. 288 Seiten, 23 Euro. Erscheint
auf Deutsch am
27. Juli 2023.
Uwe Neumahr:
Das Schloss der
Schriftsteller.
Sachbuch. C.H. Beck, München 2023.
304 Seiten, 26 Euro.
Carlo Emilio Gadda:
Die grässliche Bescherung in der Via Merulana.
Krimi. Aus dem
Italienischen von Toni
Kienlechner.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2023. 352 Seiten,
26 Euro.
Benjamin von Stuckrad-Barre: Panikherz.
Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016.
576 Seiten, 22,99 Euro.
Robert Macfarlane und Jackie Morris:
Die verlorenen
Wörter. Aus dem Englischen von
Daniela Seel.
Matthes & Seitz,
Berlin 2018.
134 Seiten, 38 Euro.
Margarita Liberaki: Drei Sommer. Roman. Aus dem Griechischen von Michaela
Prinzinger. Arche
Literatur Verlag,
Hamburg 2021.
388 Seiten, 24 Euro.
Zeruya Shalev:
Liebesleben.
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Berliner Taschenbuchverlag, Berlin 2001.
384 Seiten, 12 Euro.
Bret Easton Ellis:
The Shards. Roman. Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023.
736 Seiten, 28 Euro.
Richard Rorty:
Pragmatismus als
Antiautoritarismus.
Aus dem Englischen
von Joachim Schulte. Suhrkamp, Berlin 2023. 454 Seiten, 34 Euro.
David Abulafia:
Das unendliche
Meer. Sachbuch. Aus dem Englischen von Michael Bischoff und Laura Su Bischoff. Fischer Verlag,
Frankfurt 2021. 1168
Seiten, 68 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

An der Autobiografie des Popliteraten Benjamin von Stuckrad-Barre beeindruckt den Rezensenten Klaus Bittermann vor allem eines: Wie es dem Autor gelingt, seine jahrelange Abhängigkeit von Alkohol und Kokain mitsamt ihren Auswirkungen nachvollziehbar zu beschreiben. Stuckrad-Barre bleibt dabei nach Ansicht des Kritikers "distanziert, analytisch, erscheint nie mitleidig", schafft es aber gleichzeitig, Bittermann die Sucht begreifbar zu machen. Die Fähigkeit, sein Publikum zu unterhalten, beherrscht Stuckrad-Barre wie kaum ein anderer, findet Bittermann. Auch deshalb sei das Buch reich an Höhepunkten. Besonders angetan haben es dem Rezensenten die Auslassungen über ein angstbesetztes Klassentreffen, zu dem Stuckrad-Barre eingeladen war. Auch die enge Freundschaft des Autors zu Udo Lindenberg hebt der Rezensent hervor. Alles in allem: "ein großes Buch, ein Buch, das bleiben wird", versichert er.

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»Damit das vorweg klar ist: Das Buch ist geil.« spiegel.de