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Humorvoll und zärtlich zugleich unternimmt Illies eine Zeitreise in die Provinz und erinnert sich daran, wie sich zu Hause anfühlt. Sein Ziel ist Schlitz, ein Dorf, das sich mit gallischer Hartnäckigkeit erst dem Kaiser, dann den Russen und schließlich auch der Moderne widersetzt ein Ort, der sich in Google Earth findet und doch ein ganz eigenes, faszinierendes Universum deutscher Befindlichkeiten darstellt. Einer der besten Kommentatoren des Zeitgeists über das vielfach diskutierte Thema: die Provinz im Wandel. Florian Illies liest sein Buch selbst und gibt ihm damit die authentische Würze.

Produktbeschreibung
Humorvoll und zärtlich zugleich unternimmt Illies eine Zeitreise in die Provinz und erinnert sich daran, wie sich zu Hause anfühlt. Sein Ziel ist Schlitz, ein Dorf, das sich mit gallischer Hartnäckigkeit erst dem Kaiser, dann den Russen und schließlich auch der Moderne widersetzt ein Ort, der sich in Google Earth findet und doch ein ganz eigenes, faszinierendes Universum deutscher Befindlichkeiten darstellt. Einer der besten Kommentatoren des Zeitgeists über das vielfach diskutierte Thema: die Provinz im Wandel. Florian Illies liest sein Buch selbst und gibt ihm damit die authentische Würze.
Autorenporträt
Florian Illies, geboren 1971 in Schlitz bei Fulda. Bis Dezember 2002 Leitung des Feuilletons der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und davor die Berliner Seiten der "FAZ". Derzeit freier Autor in Berlin. 1999 Auszeichnung mit dem "Ernst-Robert-Curtius Förderpreis für Essayistik" und 2014 mit dem "Ludwig-Börne-Preis".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.09.2006

Falsch verbunden
Florian Illies führt mit seiner Heimat ein Ortsgespräch

Chuck Berry beantwortet Fragen nach seiner Vergangenheit so: "Jeder war mal Kind, da gibt's nichts zu erzählen." So redet der Rock 'n' Roller, der weiß, was er hinter sich hat. Mit der Heimat verhält es sich genauso: Jeder hat eine. Aber man muß nicht unbedingt darüber reden. Es ist ein Irrtum der jüngeren Generation - nennen wir sie Generation Kuschelrock -, anzunehmen, daß Jahrgangszugehörigkeit und Herkunft schon gemeinschaftsstiftende Elemente wären.

Florian Illies zitiert in seinem neuen Buch, in dem er sich in seinen hessischen Heimatort zurückversetzt, gleich am Anfang Bruce Springsteen - auch so ein Rock 'n' Roller, der, wenn er von "my hometown" singt, mit Sicherheit weiß, wovon er redet. Als Springsteen den Song herausbrachte, war er so alt wie Illies jetzt, nämlich fünfunddreißig. Da fängt man an, sich älter zu machen, als man ist. "My Hometown" handelt von einer Kleinstadtjugend, die zwar fast alles hatte - Freundin, Auto und Geld fürs Kino -, die aber jetzt, angekommen in der Elterngeneration, keinen Grund sieht, sich nach einem Ort und einer Zeit zurückzusehnen, die voller Konflikte und Unsicherheiten waren. Doch Illies erwähnt den Song ersichtlich nur deswegen, weil das Thema "Heimat" darin vorkommt, und leitet aus der Tatsache, daß er selbst aus einer Kleinstadt kommt und jetzt schon länger in Berlin wohnt, die Notwendigkeit ab, von einer kollektiven Sehnsucht nach der Provinz zu sprechen.

Es ist nicht ungewöhnlich, daß sich Großstädter hin und wieder nach etwas Ländlichkeit, Langsamkeit und Ruhe sehnen. Aber warum aus einer rein persönlichen Sehnsucht gleich eine allgemeine machen? Hier liegt das Problem der Popliteratur-Generation, die zwischen Identifikation und Erwähltheitsbewußtsein schwankt: Wenn es allen anderen nicht auch so geht mit ihren Konsumgewohnheiten, täglichen Verrichtungen und dem bereits daraus abgeleiteten Lebensgefühl, dann wird es für sie uninteressant, oder sie meinen, unsicheren Boden voller Abgründe, Ängste und Animositäten zu betreten, obwohl darauf schon ganz gute Bücher entstanden sind. Grundsätzlich ist es ja so, daß jeder schon einmal Apfelsaft getrunken, Torte und Nutella gegessen und ferngesehen hat. Sich darüber zu verständigen, zielt auf eine Zeitgenossenschaft, die nichts bedeutet.

Aber mit solchen Erwägungen stört man das souverän und hermetisch vor sich hin plätschernde "Ortsgespräch" (guter Titel übrigens!) nicht; auch nicht mit einer Kritik an Begriffen wie "Provinz" und "Moderne": "In der Provinz schließen sich Herzlichkeit und Pragmatismus also nicht aus." Das tun sie auch sonst nicht, möchte man meinen. Um die Unzeitgemäßheit einer Tante zu belegen, berichtet Illies, daß diese "die Technik der modernen Automobile gar nicht erst zu verstehen versuchte". Dies dürfte bis heute und auch in der Großstadt die Regel sein: Niemand außer den Lesern von Fachzeitschriften interessiert sich dafür; Hauptsache, das Ding läuft. An anderer Stelle steht: "Heimatgefühl war lange verboten, höchstens das Grundgesetz durfte man lieben, sein Auto oder seine Frau." Gemeint ist das Heinemann-Zitat; aber da geht es nicht um Liebe zum Grundgesetz (Verfassungspatriotismus), sondern zum Staat.

Doch dürfen die bedächtigen Ausflüge ins Zeitdiagnostische eines nicht verdecken: die Freundlichkeit, mit der sich Illies einer Provinz nähert, über die man schon verächtlicher hat reden hören. Sie ist beim Autor persönlich beglaubigt und die Voraussetzung für eine Weltläufigkeit, die mit diesem Buch auffallend kontrastiert; und sie ist, als Weltoffenheit, die sich nicht zu fein dafür ist, sich auch ums Abgelegene, wenig Glanzvolle zu kümmern, die Voraussetzung seines Gespürs für Trends oder seiner Fähigkeit, welche zu setzen. Die darauf konsequent zugeschnittene Perspektive wird an zwei Stellen verräterisch durchbrochen: "Angeblich gehöre ich ja der letzten Generation an, die sich noch an Winter mit Schnee erinnert." Vielleicht ist alles ganz anders und der Alltag immer und überall grau? Dann korrigiert er sich und spricht von der "Sehnsucht nach der Sehnsucht nach dem Land". Ja, wenn das so ist?! Nicht zufällig will Illies nur ein Gespräch mit seinem Ort führen; von Um- und Rückzug ist keine Rede.

Die Erzählhaltung bringt es mit sich, daß niemand aus dem zahlreichen Heimatpersonal Kontur bekommt, keine Tante, kein Bademeister und kein Heizungsmonteur, erst recht kein näherer Angehöriger. Sie alle sind Statisten, die das auf harmloses Wohlgefühl getrimmte Provinzbewußtsein auspolstern. Warum das so ist, darüber zu mutmaßen verbietet sich, genauso wie über die Frage, ob der Autor eigentlich unter irgend etwas gelitten habe oder - immerhin sind wir in der Provinz - mit körperlicher Arbeit in Berührung gekommen ist. Der Mangel an Konflikten ist das Erstaunlichste an diesem überhaupt nicht unangenehm zu lesenden, die Sicht seltsam kunstvoll verengenden Buch.

Was also frommt uns das alles? Nietzsche wollte von den Griechen, die in der Sonne lagen und dem Wein zusprachen, wissen, sie seien oberflächlich aus Tiefe gewesen. Auch Florian Illies läßt es sich im ganzen recht gutgehen, viel auszustehen hat er nicht. Dies auf unangestrengte Weise vermittelt zu haben, mag sein Buch abgründiger erscheinen lassen, als mancher meinen wird.

Florian Illies: "Ortsgespräch". Blessing Verlag, München 2006. 206 S., geb., 16,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.08.2006

Machst du das zu Hause auch?
„Ortsgespräch”: Florian Illies, der Erheischer des Kopfnickens, malt die Idylle seiner ländlichen Heimat
In seinem Buch „Ortsgespräch” zählt Florian Illies verschiedene Möglichkeiten auf, die man als Kind auf dem Land hatte, um Lärm zu machen. Eine davon waren die weißen Knallerbsen, „die, von den kahlen Sträuchern gepflückt und auf der Straße zertreten, plupp machen, zumindest manchmal.” Man liest so einen Satz und denkt sich: „Ja genau, so war es, die weißen Knallerbsen.” Aber die eigentlich gespenstische Wirkung geht von einem kleinen Detail aus - nämlich von diesem nachgestellten „zumindest manchmal”. Denn tatsächlich - und man sieht sich selbst als Kind in Gummistiefeln erwartungsvoll auf eine Knallerbse treten - machten diese keineswegs immer „plupp”, sondern eben nur manchmal. Das ist das eigentliche Déjà-vu-Wunder dieses Buches, dass sogar ausdrückliche Vagheitsangaben erst recht das Gefühl konkret geteilter Vergangenheit verstärken.
Wieder grün werden!
Florian Illies’ „Ortsgespräch” ist - darin dem Erfolgsrezept von „Generation Golf eins und zwei” und auch der „Anleitung zum Unschuldigsein” folgend - ein Buch mit maximalem Wiedererkennungseffekt. Die Vorstellung, dass irgendetwas am eigenen Leben individuell sei und nicht typisch, wird man sich nach der Lektüre getrost abschminken. Ob Naturerlebnisse oder Konsumträume, ob pädagogische Phrasen („Machst du das zu Hause auch?”) oder Gefühle erster Verliebtheit, ob technologische Errungenschaften oder Freizeitrituale - in Florian Illies’ Museum der bundesrepublikanischen Moderne ist alles zwischen Arschbombe, Höhensonne und dem Blauweiß der Aral-Tankstelle geteilte Erinnerung und kollektive Erfahrung. Selbst das breite Warenangebot des rheinischen Kapitalismus führte lebensweltlich also zur gleichen Typizität wie die Mangel-Planwirtschaft östlich der Elbe.
Das hat natürlich auch etwas mit Florian Illies’ Art, die Welt zu beschreiben, zu tun, mit den Dingen, die er in den Blick nimmt. Man könnte auch sagen: Florian Illies ist der größte lebende Zustimmungserheischer. Und zwar auf völlig anstrengungslose Weise. Noch weit unterhalb jener Ebene, auf der es um Ansichten, Meinungen, zustimmende oder abweichende, gehen könnte, rufen seine Bücher ein undramatisches, dafür kontinuierliches Kopfnicken hervor. Es sind Bücher, die gewissermaßen die Wahrheitsfrage und den konfliktuösen Ernstfall so grundsätzlich ausschalten, dass so etwas wie Widerspruch schlechterdings nicht möglich ist. Man kann auf diese Zustimmungsgeneratoren, wenn man ein Bedürfnis nach Abgrenzung verspürt, nicht mit „Das ist falsch!” reagieren, sondern nur mit „Das interessiert mich nicht”.
Nur so sind die zwei gegensätzlichen Wirkungen von Illies’ Büchern zu verstehen: Ihre hohen Verkaufszahlen, die sich dem suggestiven Wiedererkennungseffekt verdanken, auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite die frostig aufgebrachten Distanzierungs-Bedürfnisse, die diese Bücher zur selben Zeit hervorgerufen haben. Man erinnere sich, mit welcher entrüsteten Hingabe Florian Illies zeitweise seine Aufmerksamkeit für Nutella-Goldfolien, „Wetten, dass . . .” und Geha-Füller vorgehalten wurde, als sei das der Anfang vom Ende des aufgeklärten Bewusstseins; als sei er der Rattenfänger von Schlitz, der eine verführungsanfällige Spät-Jugend in die künstlichen Paradiese ewiger Kindheits-Nostalgie locke. Es war wohl vor allem ein rabiater Abwehrreflex, sich nur ja nicht von dem Illies’schen Zustimmungssog erfassen zu lassen. Man wäre sich sonst irgendwie zu unautonom und herdenmäßig vorgekommen.
„Ortsgespräch” ist die Erkundung der deutschen Provinz. Es ist eine Provinz, die so sehr die Züge eines biedermeierhaften Genre-Bildes angenommen hat, wie dies nur dem Blick des Städters geraten kann. Zum zentralen Helden hat Florian Illies seinen Heimatort, das hessische 5000-Seelen-Städtchen Schlitz bei Fulda, erhoben. „Liebe ist, wenn es Landliebe ist”, kalauert der Autor einmal - und diese Landliebe ist natürlich ein Großstadtphänomen. Erst wenn der urbane Lifestyle in Hamburg, Berlin oder München zu hundert Prozent (selbst-)verwirklicht ist, setzt die Sehnsucht nach der Provinz ein. Erst jetzt, gewissermaßen als metropolitaner High-Performer, muss man sich für seine Heimat mit den dreistelligen Telefonnummern nicht mehr schämen. Erst jetzt, schreibt Illies, könne er mal punkten mit seinen Jugendjahren als Landei. Und in der Tat punktet er damit. Liebenswürdigkeitspunkte vor allem sind es, die er einheimst. „Bei der Sehnsucht nach dem Land”, schreibt er, „geht es ja vor allem darum, dass man wieder grün werden will hinter den Ohren.” Und diesem Regressionsbedürfnis frönt Illies hemmungslos.
Die Kritische Theorie sei tot, hat ein ulkiger deutscher Philosoph mit dünnen langen Haaren vor einigen Jahren gesagt. Vermutlich hatte er recht. Florian Illies, Jahrgang 1971 und mithin aufgewachsen unter der Kuratel eines pädagogischen Programms, das seinen Zöglingen vor allem das kritische Hinterfragen mit auf den Weg geben wollte, ist wild entschlossen, Heimat nicht als Ort der Enge, Zurückgebliebenheit und neurotischen Sozialkontrolle zu beschreiben, sondern ihr als einer Oase der Entschleunigung einen versöhnten Lobpreis zu singen. Denn Illies ist ein Idylliker von Format. Dass das negative, das schwarze Bild der Wirklichkeit automatisch das wahrere ist, diesem intellektuellen Reflex unterliegt er nicht. Und so erzählt er voller Anhänglichkeit von der Brummfliege, die mit den ersten Sonnenstrahlen ihren dröhnenden Flug durch das Schlafzimmer startet; vom chorischen Klang der Motorsägen, die den lieblichen Sommertag orchestrieren; von der Feuerwehrsirene, deren Probenalarm dem Samstag seine akustische Besonderheit verleiht; und vom Lärm der Schneeschippen, die noch vor Morgengrauen vom Wintereinbruch Zeugnis ablegen.
Illies ist eben ein echter Konservativer. Nicht im Sinne irgendwelcher politischer Ideologien. Sondern in seinem innersten Empfinden: Er hat eine tiefsitzende Pietät vor allem Vergangenen. Ganz einig ist er sich mit Tante Ria, die technischen Neuerungen gegenüber skeptisch gewesen war, die Geistererscheinung eines Grafen aus dem 18. Jahrhundert hingegen freundlich-gelassen hingenommen hatte. „Sie empfand”, schreibt der Neffe sichtlich angetan, „solche Besuche aus der Vergangenheit grundsätzlich als sympathischer als solche aus der Zukunft.”
Am Ende des Buches wünscht man sich auch eine Kindheit in Schlitz. „England is the countryside and the countryside is England”, sagen die Briten. Vermutlich gilt das ebenso für Deutschland. Und so liest man dieses Buch mit dem Wohlgefühl geteilter Erinnerung - und fragt sich nur manchmal, ob es nicht doch ein bisschen Ressourcenverschwendung ist, soviel Witz, Beobachtungsgabe und sprachliche Intelligenz zu verwenden, um ausgerechnet die Brummfliege von Schlitz ins Bild zu setzen.IJOMA MANGOLD
FLORIAN ILLIES: Ortsgespräch. Karl Blessing Verlag, München 2006. 206 Seiten, 16,95 Euro.
Schlitz bei Fulda. In der Mitte hinten ist der Funkturm zu sehen, rechts der Palast der Republik, im Hintergrund der Grunewald.
Foto: imago/McPHOTO/Diehl
Ein echter Konservativer: Florian Illies, Jahrgang 1971
Foto: Verlag
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