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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.03.2000

Was jetzt ist
In seinem neuen Roman nimmt sich der Professor Gabriel Josipovici der Sprachmüdigkeit an
Die Sprache ist der schlimmste Feind des Schriftstellers. Kaum ist irgendwo etwas Wesentliches gesagt, gerinnt sie zur Floskel und macht alles zunichte.
Die Sprache ist der beste Freund des Schriftstellers. Bei ihrem Kampf, den Feinden aller essentiellen Verständigung (der Schablone, der eingeschliffenen Rede, der vorgestanzten Meinung) zu entkommen, verfallen sie auf immer wieder neue Techniken – eben der Sprache.
An der unübersichtlichen Front zwischen Sprachliebe und Sprachabneigung, hat der englische Schriftsteller, Literaturprofessor und Kritiker Gabriel Josipovici einen Roman geschrieben. Jetzt”, so der zunächst unverständliche Titel seines Buches, besteht ganz aus Dialogen.
Ganz neu ist auch der Dialog-Roman sicher nicht, im gleichen Schweizer Verlag – Haffmans in Zürich – ist zum Beispiel vor zehn Jahren Vladimir Sorokins Dialogbandwurm „Die Schlange” erschienen. Trotzdem ist die Technik ungewöhnlich genug, um den Fallstricken der Gemeinplätze erst einmal zu entkommen und uns genauer hinschauen zu lassen.
Vorschnell könnte man zu der Ansicht neigen, Josipovicis Roman sei eigentlich ein Drama. Aber auf der Bühne, mit ihren ganz anderen Gesetzen und Echoräumen, wäre banal, was gedruckt durchaus doppelbödig und aufschlussreich sein kann. Natürlich ist auch in diesem Roman zunächst einmal höchst alltäglich, was gesagt wird. Es hört sich zum Beispiel so an: „Manchmal versuchen Leute ja auszurechnen, wie viele Stunden man im Leben verschläft, sagt er. Aber es wäre mindestens genauso interessant zu wissen, wie viele Kilometer man läuft und wie viele Wörter man spricht. So im Durchschnitt. – Sie schweigt. – Das würde ungeahnte neue Erkenntnisse über die Menschheit zu Tage fördern, denk ich mal, sagt er. – Sie schweigt. – Man könnte sogar ausrechnen, wie oft bestimmte Wörter im Leben gebraucht werden, sagt er. ”
Die beiden Sprechenden sitzen auf einer Parkbank, das ist der einzige Ort, an dem sie sich treffen. Sie, vermutet der Leser schon eine Weile, ist jung und schön. Der Dialog gewinnt etwas Tiefe, weil er sich selbst reflektiert: „Man müsste aber alles aufnehmen, sagt sie. – Das dürfte nicht so schwierig sein, sagt er. – Ich weiß, sagt sie. – Ach ja? sagt er. ” Er will was von ihr, denkt der Leser weiter, aber ist er sicher, was? „Ich stell mir das auch manchmal vor, sagt sie. Vom ersten bis zum letzten Wort. ”
Da wird es brenzlig. Die junge Dame, Licia, beginnt das vorliegende Buch nämlich mit der Feststellung, dass sie müde ist. Dann wird sie immer redefauler. Darauf hatte er, unausgesprochen, Bezug genommen, als er die Schlaflebenszeit errechnen wollte.
Hier aber will sie jetzt alles aufzeichnen, was gesagt wird. Was will sie ihm damit sagen? Schließlich wird sie das Buch beenden, indem sie den Dialogroman quasi unterläuft. Sie sagt nämlich nichts mehr. Ihre Müdigkeit hat sich ihres gesamten Lebens bemächtigt. Warum noch reden? Warum überhaupt reden? So wird es dann im Kopf des Lesers arbeiten. Nichts sagende, wirklich banale Dialoge so setzen, dass sie dann doch noch etwas sagen, das beherrscht Gabriel Josipovici tatsächlich meisterlich.
Angst vor Spinnen
Sein Stimmenraum beschreibt einen kurzen Abschnitt im Leben einer jüdischen Familie in England. Es passiert nicht allzu viel: Eine alte Frau stirbt. Eine junge Frau wird immer müder. Ein alter Mann stirbt fast, geht allen auf die Nerven, fühlt sich danach aber gut. Ein junger Mann hat eine Frau, zwei Kinder und mehrere Liebhaberinnen. Als er keine mehr hat, will seine Frau ihn verlassen, tut es aber dann doch nicht. Familienleben eben.
Daneben werden die immer gleichen alltäglichen Dinge besprochen. Wer wen abholt zum Beispiel, wer wieviel Angst vor Spinnen hat, wer keine Zeit für wen hat. Dinge, Verrichtungen, die letztendlich unser Leben ausmachen. Das ist lustiger und spannender, als es sich hier anhört, und nebenbei zeigt Gabriel Josipovici uns, wie wir mit Sprache umgehen, was wir mit ihr tun, wie wir mit ihr handeln.
Natürlich handelt auch dieses Buch wie alle Bücher von Liebe und Tod. Hat man sich einmal eingehört, wird man sogar den Eindruck nicht los, hier werde von nichts anderem geredet als von Dingen wie Liebe, Tod, Abhängigkeit und Freiheit. Aber gleichzeitig kann die Familie definitiv nichts über diese Themen sagen. Nicht zueinander und nicht zu anderen. Neues wird der Leser also sicher nicht erfahren.
Es ist sogar eine Mitteilungsverweigerungsmacht in allen diesen Dialogen am Werk, die sich auf Dauer als Handschrift von Josipovici zu erkennen gibt. Alle, die hier sprechen, weichen dem bestimmten Wort, der Aussage aus. Sie sind einsilbig, fragen nach oder verstehen nicht, obwohl sie verstanden haben, sie schweigen einfach. Auch die permanente Nachfrage, wie es geht, wird zur Strategie der Nicht-Kommunikation. „Was hab ich denn gesagt, sagt Freddy. Sag mir, was ich gesagt hab. – Was du gesagt hast? sagt Petra. Na komm schon! Komm! – Nein, sagt Freddy. Sag’s mir. Sag mir, was ich gesagt hab. – Na komm! Sagt Petra. ” So wird noch die Sprachuntersuchung zur Sprachverweigerung.
Ist das alles? Gibt es nirgendwo eine Möglichkeit, aus diesem Spiel-Raum herauszukommen? Das einziges Mittel zur Transzendenz im gesamten Bereich ist das Grimmsche Märchen vom Fischer und seiner Frau. Hier darf die sonst so schwer an die Kandare der Banalität genommene Sprache mehr bedeuten. Anders als Günter Grass im „Butt”, wo die Unersättlichkeit der Fischersfrau in den Wahn des hybriden männlichen Welterschaffers und -vernichters umgedeutet wird, stellt Josipovici das – per se eben unersättliche – Begehren selbst in dem Mittelpunkt. Diesem Begehren gegenüber steht das zunehmende Versickern und Verstummen der müden Licia, sie verkörpert dadurch so etwas wie das negative, das vollkommen verstummte Begehren.
Ist man so auf das Wirken des Prinzips Begehren und Antibegehren – andere haben es Libido und Todestrieb genannt – einmal aufmerksam geworden, bekommen die Dialoge weiteren Sinn. Sie ergeben schließlich durchweg die Sprache einer Hilflosigkeit, die aus der grundsätzlichen Unmöglichkeit entsteht, dem Ausdruck zu geben, weswegen eigentlich etwas gesagt wird.
Zu kompliziert? Jedenfalls ist die Sprache der Feinde nicht nur der Schriftsteller. Denn auch wir bekommen nie, was wir mit ihr wollen. Hat Licia nicht Recht, die nichts mehr will, nichts mehr sagt, nichts mehr tut? Die nicht mal mehr zu ihrer Parkbank geht.
Warum aber heißt ein solcher Roman Jetzt”? Damit ist jedenfalls keinerlei Zeitdiagnose gemeint, etwa im Sinne: wie die Menschen heute so reden. Ein Erklärungsversuch: Jetzt ist der Zeitmodus des Dialogs. Er kennt keine Erinnerung, keine Voraussicht, er findet in der Gegenwart statt. Jetzt – oder gar nicht – erledigt sich, was das Begehren des Sprechens ist.
Was aber dieses Begehren ist, darüber soll man wohl – mit Gabriel Josipovici und in alter Feindschaft zu den Gemeinplätzen – am besten schweigen.
PETER MICHALZIK
GABRIEL JOSIPOVICI: Jetzt. Roman. Aus dem Englischen von Gerd Haffmans. Haffmans Verlag, Zürich 2000. 256 Seiten, 36 Mark.
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