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Künstler will er werden, nichts anderes. Behrs hintergründig-komisch fabulierte Autobiografie beginnt Anfang der Fünfzigerjahre und endet, als das Landgut des wunderbar eigensinnigen Großvaters abbrennt. Dazwischen erfahren wir von einer unsentimentalen Reise zu Hermann Hesse ins Tessin und einem Volontariat bei Bertolt Brecht am Berliner Ensemble, von den Umtrieben im legendären Café Hawelka in Wien, einem einjährigen Orient-Trip und dem Beginn einer neuen Ära in London, die im Zeichen von Sex, Drugs und Rock 'n' Roll steht. Eine skurrile Reise durch die Nachkriegszeit, erzählt von einem…mehr

Produktbeschreibung
Künstler will er werden, nichts anderes. Behrs hintergründig-komisch fabulierte Autobiografie beginnt Anfang der Fünfzigerjahre und endet, als das Landgut des wunderbar eigensinnigen Großvaters abbrennt. Dazwischen erfahren wir von einer unsentimentalen Reise zu Hermann Hesse ins Tessin und einem Volontariat bei Bertolt Brecht am Berliner Ensemble, von den Umtrieben im legendären Café Hawelka in Wien, einem einjährigen Orient-Trip und dem Beginn einer neuen Ära in London, die im Zeichen von Sex, Drugs und Rock 'n' Roll steht. Eine skurrile Reise durch die Nachkriegszeit, erzählt von einem Unbeirrbaren, der sich die Freiheit und die Marihuana-Pfeife bis heute immer herausgenommen hat.
Autorenporträt
Hans-Georg Behr, 1937 in Wien geboren, studierte Medizin, Psychologie und Geschichte. Zunächst arbeitete er an verschiedenen therapeutischen Projekten mit. Als Journalist schrieb er für Zeitschriften wie Der Spiegel, Die Zeit, Stern oder GEO . Seit 1955 führten ihn viele Reisen in den nahen und fernen Osten; längere Zeit lebte er in Kathmandu. Als bekennender Konsument tritt Behr für die Entkriminalisierung von Cannabis ein. Er lebt in Hamburg. 2002 erschien sein hochgelobter Roman Fast eine Kindheit in der Anderen Bibliothek bei Eichborn.

Peter Simonischek wurde am 6. August 1946 in Graz geboren, besuchte die Akademie für Musik und darstellende Künste in Graz, trat im Grazer Schauspielhaus auf, danach in St. Gallen, Bern und Düsseldorf. In der Folge ging, mit dem Engagement an der Berliner Schaubühne, wo er 20 Jahre blieb, ein Lebenstraum in Erfüllung. 1999 holte ihn Klaus Bachler ans Burgtheater, wo er sich inzwischen ebenfalls als Publikumsmagnet etabliert hat. Für seine Dars

tellung in Hierankl wurde er 2006 mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet. 2008 erhielt er den Deutschen Hörbuchpreis in der Kategorie ''Beste Interpretation'' für den bei Hörbuch Hamburg erschienenen Titel Der Meister des Jüngsten Tages von Leo Perutz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2009

Sympathische Zigaretten

Aus dem Hilton in die WG: Hans-Georg Behr hat seine Autobiograpie fortgeschrieben. "Fast ein Nomade" erzählt von den Eskapaden des Heranwachsenden.

Fast eine Kindheit" - mit der Autobiographie seiner Kindheit im Bannkreis von Nazi-Prominenz und Krieg war Hans-Georg Behr ein ansehnliches Stück pikaresker Literatur gelungen. Die Fortsetzung erscheint spät, nach sieben Jahren, wandelt - "Fast ein Nomade" - den früheren Titeleinfall ab, sucht noch einmal Ton, Perspektive und sprachliche Mittel des Vorgängers und kann doch dessen jungenhaften Charme nirgends erreichen. Vielleicht liegt das nicht nur am fortschreitenden Alter des Pikaro-Nomaden, dem man seine Dauernaivität nicht mehr abnehmen will, sondern auch an der bekifften Leitmotivik - der Duft "sympathischer Zigaretten", den "man" seit dem sechzehnten Geburtstag genießt, wabert mit Penetranz durch das Buch und zeigt überdeutlich, dass der autobiographische Nicht-Held auch eine drogenpolitische Nebenabsicht verfolgt.

Zum Hanf verholfen hat ihm "Magnifizenz", und das ist Albert Paris Gütersloh, für ein paar Jahre Rektor der Wiener Akademie der Bildenden Künste und die Hand, die das Schicksal des Heranwachsenden lenkt, ohne dass der recht weiß, was ihm geschieht. Denn Magnifizenz, die den Flüchtling aus der Klosterschule umstandslos in der Akademie unterbringt, ihm alle Wege ebnet, viele Türen öffnet, für Wohnungen und Kontakte, steht im geheimen Bündnis mit dem Großvater, der als finanzielle Ressource im Hintergrund wirkt. So ergibt sich eine seltsame Konstellation: Der unbedingte Nonkonformist, der an seinem vierzehnten Geburtstag mit Schule und bürgerlichem Leben bricht, vollführt seine Eskapaden "auf freier Wildbahn" tatsächlich an der "langen Leine" des Großvaters und unter Aufsicht des großmächtigen Komplizen. Was kann schon passieren? Nomadentum mit Sicherheitsgarantie. Gelegentlich geht dem autobiographischen Subjekt die ironische Situation durchaus auf. "Er hatte sich feierlich vorgenommen, immer frei und unabhängig zu sein, schlank und reichlich bedürfnislos zu bleiben, natürlich auch schnell, beweglich und vorsichtig, ein nicht zu gefährliches Raubtier in freier Steppe, und war also samt dem üblichen granum salis ein ganz gewöhnlicher Jugendlicher, was er ganz anders sah."

Man kennt den Großvater aus dem ersten Buch: alter österreichisch-ungarischer Adel, Esterhazy-Familie, großer Herr noch aus der Kaiserzeit. Wohl dem, der einen solchen Großvater hat - er tröstet über die Nazi-Eltern hinweg, über die schreckliche Wiener Gesellschaft, die mäßige Matura, die auf Dauer doch langweilige Boheme. Seine Geschenke jedenfalls könnten großzügiger nicht sein.

Fast eine Kavaliersreise - so möchte man den großen, einjährigen Trip nach Asien nennen, den der Großvater für seinen Enkel finanziert und inszeniert. So gern der rigorose Bedürfnislosigkeit (nur ein Rucksack und eine Zahnbürste!) für sich reklamiert, darf er sich doch wie ein geheimer Prinz aufführen. Denn er geht in den Spuren des Großvaters, der vor dem Ersten Weltkrieg drüben war, dann die illustren Gäste von dort empfing und den "Adelsfrischlingen" den Zugang zum kaiserlichen Hof vermittelte, um sie schließlich "auf einen Bärenschuss" in seine Wälder zu führen. Das Sesam-öffne-dich sind Couverts mit beschrifteten Visitenkarten, und sie verrichten von Afghanistan bis Nepal überall Wunderdinge. Hotelboys werden bei ihrem Anblick blass, und umgehend melden sich die ersten Adressen des Ortes. Die Folge sind schwarze Limousinen, Paläste, Landsitze, Gästehäuser und eine nicht endende Serie von Einladungen und Gastmählern. Provinzfürsten, hohe Militärs, Prominente reißen sich um ihn, um im Enkel den Großvater zu ehren. Auch die Qualität der "sympathischen Zigaretten" nimmt zu. Der junge Prinz lässt alles mit sich geschehen - er kommt bis Katmandu, aber außer Spesen war nicht viel. Eingelullt vom Luxus seiner Gastgeber, belässt er es bei dessen Genuss und vielen "Sympathischen". Glücklicher kann der inzwischen zwanzigjährige Möchtegern-Nomade nicht werden: "Man fühlte sich wohl wie noch nie."

Auch zu Hause in Wien schätzt er den Reigen der Prominenten. Wo früher die großen Nazi-Onkels auftauchten, sind jetzt zeitgemäßere Größen oder Boheme-Onkels an der Reihe. Der Junge radelt zu Hermann Hesse ins Tessin und findet einen zerknitterten Morphinisten vor, der von Schweizer Schokolade spricht. Besser schneidet der Staatsdichter im kommunistischen Berlin ab: "Der Dichter war ein großer, ein richtiger Herr, und man fühlte sich so geehrt, dass man vom übrigen Berlin gar nichts mitbekam." Der Prominentenfimmel bleibt. Wand an Wand lebt der Abiturient mit einem schon berühmten, heftig übenden Beethoven-Spezialisten und Jazz-Pianisten, natürlich Friedrich Gulda; als er nach Asien zieht, übernimmt ein Maler die Wohnung, "der dadurch berühmt werden sollte, dass er aus Sto Hundert gemacht hatte"; plötzlich taucht Cocteau bei ihm zu Hause auf, ein äußerst unangenehmer Besuch, ein andermal das Ehepaar Huxley; beim Begräbnis des Großvaters spricht man selbstverständlich mit dem künftigen Wiener Kardinal.

Magnifizenz lässt ihre Verbindungen spielen. So wird man Regieassistent bei Kortner und gerät nach London, wo Martin Esslin bei der BBC die Rolle des Protektors und Mentors übernimmt. Irgendwie ist der junge Mann auch in Swinging London überall dabei. Versteht sich, dass ein gewisser John aus einer berühmten Band kiloweise Afghan bei ihm lagert. Kaum im Berlin von 1968 angekommen, um über Kinderläden zu berichten, stößt er in einer Sperrmüllwohnung auf "ein dürres Stück Elend", das Jan-Carl heißt (man weiß schon) und den Hilton-Bewohner in seine WG einführt.

Wer autobiographisch tätig wird, verlangt vom Publikum, dass es sich für ihn zu interessieren habe, und muss dafür Gründe liefern. Diese Rolle übernimmt bei Behr das althergebrachte Motiv "Künstler" (also Genie, also Nomade). Wiederholt wird versichert, dass "man" nun Künstler werden wolle, und zwar Dichter. Als Legitimation gilt ein Band mit "Geschichten", die ein Verlag dem Schüler noch vor der Matura geradezu entreißt. Was es damit und dem Jung-Künstlertum im Einzelnen auf sich hat, ist aber nicht zu erfahren. Reflexionen, Lektüren, Experimente kommen nicht vor. Da zeigt nun die rigoros durchgehaltene Wahl des Erzählpronomens "man" ihre ganze Sperrigkeit - so amüsant-verfremdend das beharrliche "man" sein kann, so sehr behindert es auch Innensicht, Selbsttätigkeit und Intellektualität. Und so meldet sich denn der Wunsch: Wo so viel "man" war, sollte endlich "ich" werden.

HANS-JÜRGEN SCHINGS

Hans-Georg Behr: "Fast ein Nomade". Paul Zsolnay Verlag, Wien 2009. 205 S., geb., 17,90 [Euro].

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