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Im August 1918 kehrt Leutnant Billy Prior zum vierten Mal an die Front zurück. Er glaubt längst nicht mehr an einen Sinn dieses Krieges, kann es aber nicht aushalten, andere an seiner Stelle in Frankreich sterben zu lassen. Zusammen mit dem Dichter Wilfred Owen verbringt er einen merkwürdig idyllischen Nachsommer in einer verlassenen Villa bei Amiens, wo sie auf ihren Einsatz warten. Er überlebt die Schlacht von Joncourt und will unter allen Umständen einen jungen Soldaten retten. Doch letztlich kann er ihn nicht vor einem qualvoll langen Sterben bewahren. Rivers, Priors Therapeut, träumt sich…mehr

Produktbeschreibung
Im August 1918 kehrt Leutnant Billy Prior zum vierten Mal an die Front zurück. Er glaubt längst nicht mehr an einen Sinn dieses Krieges, kann es aber nicht aushalten, andere an seiner Stelle in Frankreich sterben zu lassen. Zusammen mit dem Dichter Wilfred Owen verbringt er einen merkwürdig idyllischen Nachsommer in einer verlassenen Villa bei Amiens, wo sie auf ihren Einsatz warten. Er überlebt die Schlacht von Joncourt und will unter allen Umständen einen jungen Soldaten retten. Doch letztlich kann er ihn nicht vor einem qualvoll langen Sterben bewahren.
Rivers, Priors Therapeut, träumt sich zu Hause in England im Fieberwahn zurück auf die melanesische Insel, wo er einst unter Kopfjägern gelebt hat. Die Geister der toten melanesischen Krieger vermischen sich in seinen Halluzinationen mit dem ständig wachsenden Heer der Gefallenen. Und über allem steht das grausame Fazit, das der sterbende junge Soldat herausschreit: "Es war's nicht wert."
Der dritte Band der Trilogie über den Er
Autorenporträt
Pat Barker wurde 1943 in Thornaby-on-Tees geboren. Sie stammt aus einer Arbeiterfamilie, studierte an der London School of Economics und unterrichtete Geschichte und Politik. Für den Roman "The Ghost Road", den letzten Band der "Regeneration"-Trilogie, erhielt sie 1995 den Booker Prize. 2001 wurde er mit dem "Welt"-Literaturpreis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2000

Der Feind im Auge des Feindes
Figuren in einer Versuchsanordnung: Pat Barkers Kriegsroman "Die Straße der Geister" · Von Klara Obermüller

Man stelle sich vor: ein zeitgenössischer deutscher Roman über den Ersten Weltkrieg, seine Protagonisten jene jungen Dichter, die auf den Schlachtfeldern Flanderns ihr Leben ließen. Der hohe Ton ihrer Verzweiflung, ihre Sprache, aus den Fugen geraten wie die Welt, die einmal die ihre war, mögen literarisch bedeutsam sein; als Figuren eines Romans vermöchten ein Alfred Lichtenstein, ein Ernst Stadler oder ein August Stramm heutzutage kaum zu interessieren. Zu fremd ist uns ihr Pathos geworden, zu fern ihr Schicksal. Namen wie Verdun und Ypern, wie Somme und Marne haben hier zu Lande anderen Chiffren des Krieges Platz gemacht.

In Großbritannien scheint die Zeit des Ersten Weltkriegs im Gedächtnis der Leser präsent zu sein und auch die Sprache der Dichter in ihrem Sarkasmus weniger zeitgebunden zu wirken als das Pathos der deutschen Expressionisten. Die englische Autorin Pat Barker hat mit ihrer aus Fiktion und dichterischen Zeugnissen jener Zeit kunstvoll gefügten Kriegstrilogie literarisch für Aufsehen gesorgt. Für den letzten Teil, "Die Straße der Geister", ist sie mit dem Booker-Preis ausgezeichnet worden. Nach "Niemandsland" und "Das Auge in der Tür" liegt dieser Roman auf Deutsch vor. Dem deutschen Leser steht ein irritierendes Abenteuer bevor: den Ersten Weltkrieg, gewissermaßen aus der Optik des einstigen Feindes, zu erleben. Manches mag sich unterschiedlich darstellen. Gleich bleibt sich das Ausmaß des Leidens, die Erfahrung der Sinnlosigkeit.

Die Unterschiede liegen im politischen Bereich. Da setzt sich eine Nation mit ihrer Vergangenheit auseinander, die zunächst einmal vom Bewusstsein getragen ist, stets auf der "richtigen", auf der Seite der Sieger und Befreier gestanden zu haben. Parallel dazu aber bahnt sich ein ganz anderer, ein zwiespältiger Prozess an: der Zerfall des Kolonialreichs, der das Selbstverständnis Großbritanniens in seinen Grundfesten erschüttern sollte. Zum einen erlebt das Land diesen Verlust als eine narzisstische Kränkung, zum andern sieht es sich mit einer Schuld konfrontiert, die ihm fremd gewesen war. Im Bewusstsein der Kriegsgeneration, vor allem jener "War Poets", die Pat Barker, zusammen mit fiktiven Figuren, zu Protagonisten ihrer Trilogie gemacht hat, hat diese komplizierte Gefühlslage ihren poetischen Ausdruck gefunden. Nichts hat mehr Bestand und nichts vermag darüber hinwegzutäuschen, dass Krieg und Eroberungen die Opfer nicht wert waren, die sie gefordert hatten.

Auch im letzten Band ihrer Trilogie stellt Pat Barker eine von Hass, Nationalismus und Schuldgefühlen zutiefst versehrte Gesellschaft dar. Eine Gesellschaft von Männern, müsste man präzisieren; denn Frauen kommen darin kaum vor. Männer sind es, die den Krieg anzetteln, Männer führen ihn, und Männer erleiden ihn auch: in den Schützengräben und später in jenen Lazaretten, wo sie an Leib und Seele notdürftig zusammengeflickt werden, um erneut hinausziehen zu können in jene Felder der Ehre, die nur neues Entsetzen für sie bereithalten - und manchmal, zwischendurch, diese dumpfe Kumpanei, die sich so leicht mit Freundschaft verwechseln lässt.

Pat Barker will wissen, warum Männer so sind, wie sie sind, Fehlkonstruktionen der Natur, die zerstören, was sie lieben - vor allem sich selbst. Dass sie diesen Fragen am Beispiel des Ersten Weltkriegs nachgeht, mag deutsche Leser, denen Namen wie Owen, Sassoon und Rivers wenig bedeuten, befremden. Doch wenn man die Romane liest, erkennt man, dass die Grundfragen dieses Jahrhunderts von dieser Dichtergeneration bereits gestellt worden waren: die Frage nach dem Warum des Krieges, nach seinen Auswirkungen auf die menschliche Psyche und vor allem die Frage nach dem Umgang mit Verklärung und Schuld, die Kriege in allen Nationen auf je unterschiedliche Weise umgeben.

Pat Barkers Ansatz ist ein psychologischer und ein anthropologischer. Beide Disziplinen hat sie in der Figur des Psychologen und Ethnologen W. H. R. Rivers verkörpert gefunden. In seinem Sanatorium im schottischen Craiglockhart laufen die Fäden des Geschehens zusammen. Hier, wo schwersttraumatisierte Kriegsteilnehmer nach den modernsten Erkenntnissen der Psychoanalyse wieder kriegstauglich gemacht werden, hat das Leiden einen Namen bekommen: Hysterie. Hier, wo der Begriff Heilung sich in sein zynisches Gegenteil verkehrt, liegt die menschliche Seele offen da und lässt sich studieren, wie Rivers einst im fernen Melanesien die Riten und Tabus der Eingeborenen studiert hatte.

Menschen, die nicht sterben dürfen, die nicht sterben können, Tote, die keine Ruhe finden - in Rivers' Bewusstsein fangen die Unterschiede zwischen hier und dort an, sich zu verwischen, und er wird gewahr, welche Schuld er als Forscher und Therapeut auf sich geladen hat. Dort, indem er als Angehöriger des britischen Kolonialreiches mithalf, eine fremde Kultur zu zerstören, hier, indem er Menschen heilt, um sie erneut der Vernichtung preiszugeben. Und beides, so realisiert er, geschieht im Namen einer Zivilisation, die jederzeit in Barberei umschlagen kann. Ernüchtert und desillusioniert, ein Verzweifelter, geht Rivers innerlich auf Distanz zu dieser Welt: eine Haltung, die sich auch die Autorin zu Eigen macht. Kalt und wie mitleidlos folgt sie ihren Figuren in die Hölle des Krieges. Vielleicht ist anders das Grauen nicht auszuhalten. Über weite Strecken aber wird die Lektüre des Buches zur Qual.

Gleichwohl hat Pat Barkers Methode etwas ungeheuer Verführerisches. Mit dem sezierenden Blick des Anthropologen lässt sich alles, auch das Ungeheuerlichste, erklären. Pat Barkers Männer sind Täter und Opfer zugleich: Opfer einer repressiven Erziehung, Opfer eines verbohrten Klassensystems, Opfer eines blindwütigen Nationalismus, der vor keiner Zerstörung Halt macht. Und, in einer Mischung aus Sadismus und Masochismus, geben sie weiter, was ihnen angetan wurde. Am deutlichsten wird dies in der erfundenen Figur des Billy Prior. Beziehungsunfähig geworden, kennt er Liebe nur als aufreizendes Spiel von Macht und Unterwerfung. Gefühle wie Anteilnahme, Einfühlung oder Mitleid sind ihm fremd. Ein letzter Rest Menschlichkeit scheint erst auf, als seine Psyche sich in die Krankheit flüchtet: Hysterie als letzte Möglichkeit, lebendig zu bleiben. Heilung bedeutet auch für ihn wie für die meisten seiner Kameraden Rückkehr in den Krieg und in letzter Konsequenz den Tod.

Menschen wie dieser Billy Prior suchen den Krieg, weil sie nicht gelernt haben zu leben. Sie sind Tote auf Abruf, Geister, die wiederkehren, weil sie keine Erlösung finden, genau wie jene Toten im fernen Melanesien, die Rivers bis nach Schottland verfolgen. Die Parallele ist offensichtlich. Sie überzeugt, wie auch die psychologischen Deutungen männlicher Verhaltensweisen überzeugen. Doch bleibt ein ungutes Gefühl. Es erscheint alles so geradlinig, so deterministisch, und es bleibt so wenig Raum für Widersprüche und Veränderung. Dass Menschen, dass Männer auch anders sein, reagieren und sich verhalten können als diese vom Krieg besessene Generation junger Engländer - das ist im Horizont dieser Romane nicht vorgesehen.

Was geschehen ist, kann jederzeit wieder geschehen - der weitere Verlauf der Geschichte hat es zur Genüge bewiesen. Nur, Pat Barkers Figuren haben keine andere Wahl. Sie sind Gefangene in einer Versuchsanordnung, die beweist, was zu beweisen war: Männer sind eine Fehlkonstruktion der Natur, die nicht lebensfähig ist und der kein anderer Ausweg bleibt als die Flucht in den Krieg oder die Flucht in die Krankheit. Ein wahrhaft niederschmetternder Befund. Aber ist er auch wahr?

Pat Barker: "Die Straße der Geister". Roman. Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Hanser Verlag, München 2000. 256 S., geb., 36,- DM.

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