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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.03.2007

DAS HÖRBUCH
Lämmer, Löwen
Atemberaubend: Goethes „Novelle” in der Regie von Max Ophüls
Johann Wolfgang von Goethe ging auf sein achtundsiebzigstes Jahr, als er die „Novelle” binnen weniger Monate schuf. Anno 1827 war sie fertig. Schon seit Jahren war des alten Meisters Werk eine unerhörte Lässigkeit eigen, eine seltene Nonchalance. Eben mit diesem Gestus setzte im Jahr 1953 der in dieser Zeit schon berühmte Regisseur Max Ophüls die Novelle für den Südwestfunk ins Hörspiel, wofür er begnadete Schauspieler gewann: den noch jungen Oskar Werner, der zwar die Bühnenerfolge am Burgtheater, in Zürich und Salzburg schon hinter sich, den Filmerfolg mit Truffaut aber noch vor sich hatte, und der als Erzähler die Goethesche Dichtung unter der sicheren Führung des nicht hörbaren Ophüls voranbringt: das Tempo atemberaubend, es gibt kein Aufhalt, kein Hemmnis, die Worte strömen; und man muss sich dann doch einmal den Text vornehmen, um seinen Autor zu bewundern für dieses Tempo der Erzählung, wie sie in Geschwindigkeit auf ihren Punkt zuströmt.
Auch wenn Ophüls kürzen und umstellen musste, so gehört doch die Rasanz bereits zur Natur des Originals. Diese Wirkung hat Ophüls mit dem Hörspiel verstärkt. Er hat den Erzähler hineingestellt in die Dialoge, die für die Adaption zum großen Teil neu gefasst werden mussten. Käthe Gold (sie wäre im Februar dieses Jahres 100 Jahre alt geworden) als Fürstin, Willy Birgel als Oheim spielen sich mit Oskar Werner ihre Partien zu, nehmen sich Satzanfänge aus dem Munde und bewirken so die Dynamik des Stückes. Karl Sczuka hat für die Musik zeitgenössische Motive von Joseph Haydn verwendet.
Die kurze Besinnlichkeit einer Pause des Ausfluges, die Naturschilderung in wenigen, aber kraftvollen Worten bildet nur den ruhigen Moment, der einen Paukenschlag erst donnern lässt. Denn nun kommt es zur unerhörten Begebenheit: Der Brand flammt im Dorfe auf, wo auf dem Marktplatz die Buden stehen, und darunter auch der hölzerne Verschlag mit den vermeintlich wilden Tieren. Tiger und Löwe brechen vor den Flammen aus, retten sich hinauf in den Wald, wo die Fürstin unterwegs mit dem Oheim, welcher aber schon strebt auf den Rückweg zum Brandort, und dem jungen Honorio, der sie – diese große Nebengeschichte erzählt Goethe mit ganz wenigen zarten Strichen – scheu anbetet und sie also nun, in der Sekunde vermeintlich größter Gefahr, vor dem zahmen Tiger mit seiner Pistole und vermeintlich unter Einsatz seines jungen Lebens rettet. Goethe lässt ihn bei dieser Gelegenheit gleich erwachsen werden und deutet unerfüllte Liebe und bevorstehende Abenteuer auf Reisen an.
Von Felsen zu Felsen stürzend
Jetzt aber der wiederum atemberaubende Auftritt von Therese Giehse: Sie gibt die Mutter des Knaben, welcher später den Löwen zähmen und ihm den Dorn aus der Tatze ziehen wird. Sie wirft sich heulend über den Leichnam des königlichen Tigers, der weinende Knabe mit der Flöte kniet neben ihr; und Goethe beschreibt ihr Sprechen, als sie versucht, Fassung zu gewinnen, als Strom von Worten, der „wie ein Bach sich in Absätzen von Felsen zu Felsen stürzt” und gibt nur den Inhalt der Rede wieder, denn „vergebens würde man sie in unseren Mundarten übersetzen wollen”. Dieses zitternde Geheul, dieses Schluchzen, das silbenweise Herauswürgen und Herausstürzen, dieses stammelnde Elend bricht fremd in die Fürstengeschichte ein. Hier prallen Gegensätze in mehreren Dimensionen aufeinander, wie sie größer kaum vorstellbar sind.
Dem bereiten und geneigten Hörer steigt das Wasser in die Augen, laufen Schauer über den Rücken, stellen die Haare sich zu Berge, greift der Vorgang abschnürend in die Kehle. Nun freilich ist diese Novelle in all ihren Teilen immer wieder Symbol, gelegentlich aufgelöst in dem Lied, welches den Löwen freundlich stimmen muss, wie er es aus dem Munde des Knaben vernimmt: „Denn der Ewige herrscht auf Erden, / Über Meere herrscht sein Blick; Löwen sollen Lämmer werden, / Und die Welle schwankt zurück. / Blankes Schwert erstarrt im Hiebe” usw. Aber ohne diese Symbole würde uns die Botschaft ja nicht erreichen, und doppelt möchte man für doppelt Meisterwerk zurückdanken in die Jahre 1827 und 1953. Wenigstens ist dem Hörverlag Anerkennung zu zollen für diese Ausgabe, die ihm mit einem informativen Begleitheft Ehre macht. MARTIN Z. SCHRÖDER
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: Novelle. Hörspiel von Max Ophüls. Mit Oskar Werner, Otto Collin, Käthe Gold, Erik Schumann u.a. 56 min. Produktion: Südwestfunk 1953/1955. Hörverlag, München 2007. 1 CD, 14,95 Euro
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