Ian Kershaw
Audio-CD
Das Ende
Kampf bis in den Untergang - NS-Deutschland 1944/45. Mit Ian Kershaw und historischen Originalaufnahmen. Feature. 204 Min.
Übersetzung:  Binder, Klaus; Leineweber, Bernd; Pfeiffer, Martin
Nicht lieferbar
Weitere Ausgaben:
  
			      Warum kämpften die Deutschen im Zweiten Weltkrieg bis zum bitteren Ende? Warum funktionierte ein untergehendes System bis zum Schluss? Ian Kershaw erklärt in seinem neuen Werk, wie Hitlers Regime bis zum Ende durchhalten konnte, und analysiert die letzten Monate zwischen dem Stauffenberg-Attentat im Juli 1944 und dem Kriegsende im Mai 1945.
In diesem außergewöhnlichen Feature werden Auszüge aus dem Buch mit O-Tönen aus der Epoche angereichert. Ian Kershaw selbst liest auf Deutsch Kommentare, Analysen und Zusammenfassungen zu den verwendeten Passagen.
  In diesem außergewöhnlichen Feature werden Auszüge aus dem Buch mit O-Tönen aus der Epoche angereichert. Ian Kershaw selbst liest auf Deutsch Kommentare, Analysen und Zusammenfassungen zu den verwendeten Passagen.
				Kershaw, Ian
Ian Kershaw, geboren 1943, zählt zu den bedeutendsten Historikern der Gegenwart. Bis zu seiner Emeritierung war er Professor für Modern History an der University of Sheffield, seine große zweibändige Biographie Adolf Hitlers gilt als Meisterwerk der modernen Geschichtsschreibung. Bei DVA sind außerdem von ihm erschienen »Hitlers Freunde in England« (2005), »Wendepunkte. Schlüsselentscheidungen im Zweiten Weltkrieg« (2010) und »Das Ende« (2013). Der erste Teil seiner großen Geschichte des 20. Jahrhunderts in Europa, »Höllensturz« (2016), ist ein hochgelobter und preisgekrönter Bestseller.
		Ian Kershaw, geboren 1943, zählt zu den bedeutendsten Historikern der Gegenwart. Bis zu seiner Emeritierung war er Professor für Modern History an der University of Sheffield, seine große zweibändige Biographie Adolf Hitlers gilt als Meisterwerk der modernen Geschichtsschreibung. Bei DVA sind außerdem von ihm erschienen »Hitlers Freunde in England« (2005), »Wendepunkte. Schlüsselentscheidungen im Zweiten Weltkrieg« (2010) und »Das Ende« (2013). Der erste Teil seiner großen Geschichte des 20. Jahrhunderts in Europa, »Höllensturz« (2016), ist ein hochgelobter und preisgekrönter Bestseller.
Produktdetails
- Verlag: Dhv Der Hörverlag
 - Originaltitel: The End. Hitler's Germany, 1944-45
 - Anzahl: 3 Audio CDs
 - Gesamtlaufzeit: 204 Min.
 - Erscheinungstermin: 4. November 2011
 - Sprache: Deutsch
 - ISBN-13: 9783867177887
 - Artikelnr.: 33346493
 
Herstellerkennzeichnung
Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Eine Besonderheit bietet die Hörbuchfassung: enthalten sind hier nicht nur Auszüge aus dem Buch, die Kershaw mit Kommentaren und Analysen und anreichert, sondern auch O-Töne aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Da es sich hierbei also nicht um eine einfache Vertonung des Buches handelt, sondern um ein Feature, das weiterführende Informationen bietet, lohnt es sich diese Hörbuchfassung als Ergänzung zu kaufen.
© BÜCHERmagazin, Natalie Biskup (nb)
Nicht bis zum Ende hinter Hitler gestanden
Für die kriegsmüde deutsche Bevölkerung waren auch NSDAP und Wehrmacht eine gefährliche Bedrohung
"Ist denn niemand da, der dem Wahnsinnigen in den Arm fällt und Einhalt gebietet?", notierte sich ein Leutnant am 6. April 1945 an der mittlerweile rechtsrheinisch verlaufenden Westfront. "Sind das noch Generale? Schleimscheißer sind es, feige Memmen." Dieser Aufschrei während des ungebremsten Abschnurrens des Hitler-Systems bis zur totalen Selbstzerstörung des Vaterlands deckt sich in etwa mit dem historischen Urteil ein Menschenalter später.
Seit den achtziger Jahren sind eine Fülle von Arbeiten zum Kriegsende 1944/45 entstanden, doch erst jetzt halten wir eine
Für die kriegsmüde deutsche Bevölkerung waren auch NSDAP und Wehrmacht eine gefährliche Bedrohung
"Ist denn niemand da, der dem Wahnsinnigen in den Arm fällt und Einhalt gebietet?", notierte sich ein Leutnant am 6. April 1945 an der mittlerweile rechtsrheinisch verlaufenden Westfront. "Sind das noch Generale? Schleimscheißer sind es, feige Memmen." Dieser Aufschrei während des ungebremsten Abschnurrens des Hitler-Systems bis zur totalen Selbstzerstörung des Vaterlands deckt sich in etwa mit dem historischen Urteil ein Menschenalter später.
Seit den achtziger Jahren sind eine Fülle von Arbeiten zum Kriegsende 1944/45 entstanden, doch erst jetzt halten wir eine
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 Gesamtdarstellung in Händen, die diesem weltgeschichtlichen Vorgang gerecht wird. Es ist wahrscheinlich das beste Buch des besten Kenners des Nationalsozialismus, denn Ian Kershaw gibt in seinem Werk eine sorgfältig erarbeitete und alle Gegebenheiten von Belang abwägende Antwort auf die Frage, weshalb "das Regime, das auf allen Seiten zerrissen wurde, weiter operieren konnte, bis die Rote Armee vor der Reichskanzlei stand".
Kershaw konzentriert sich auf das Dreivierteljahr zwischen Sommer 1944 und der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 - als nach Stauffenbergs gescheitertem Attentat auf Hitler die Wehrmacht die gewaltigsten Niederlagen der Militärgeschichte einsteckte und Deutschland Zug um Zug von den Armeen der Anti-Hitler-Koalition erobert wurde. In diesen Monaten starben mehr deutsche Soldaten und Zivilisten als in den fünf Kriegsjahren zuvor; allein in Königsberg 70000. Die Städte, auf die von da an 60 Prozent der gesamten Bombenlast herabzuregnen begann, sanken endgültig in Schutt und Asche. Die militärische Eroberung ruinierte die Infrastruktur. Die panisch fliehenden Menschen aus dem Osten des Deutschen Reiches mussten die entsetzlichsten Rache-Orgien der Roten Armee über sich ergehen lassen und starben zu Hunderttausenden in Eis und Schnee.
In Kershaws anschaulichem und tief berührendem analytischem Gemälde werden die Gründe sichtbar, weshalb die Selbstzerstörung erst mit dem Selbstmord Hitlers gestoppt werden konnte. Dazu verknüpft der Autor die Strukturmerkmale der NS-Herrschaft jeweils mit den Einstellungen, die auf allen Ebenen von Führung und Bevölkerung anzutreffen sind. Die knapp dargelegten militärischen Operationen bilden den Rahmen dazu. Da allein die hohe Generalität über die Machtmittel verfügte, den Amoklauf des Regimes zu stoppen, schreibt Kershaw ihr eine Hauptverantwortung für den vollkommen sinnlos gewordenen Kampf bis zum Ende zu. In ihrer "völlig verqueren Pflichtauffassung" und Eidestreue zu Hitler (die mindestens so sehr Alibi wie Motivation für das "Verheizen" von Millionen war) übersahen die Militärs geflissentlich, dass Treue eine Beziehung ist, die beide Seiten verpflichtet. Das erlaubte es dem Gros dieser angeblich unpolitischen Nur-Soldaten, "politische Verantwortung zu verweigern", als die Not des Landes am größten war.
Seit Sommer 1944 konnte rationales Kalkül nicht mehr zu dem Schluss führen, Deutschland werde die inzwischen beinahe 50 Staaten umfassende Allianz wenigstens zu einem Patt zwingen können. Bereits ein Jahr zuvor konnte jeder erkennen, dass noch so große Tapferkeit gegenüber dem riesigen Potential des Gegners nicht ins Gewicht fiel. Freilich, die militärische Führung war tief gespalten in Pragmatiker und Fanatiker, nach dem 20. Juli 1944 unter verschärfter Kuratel und als Kollektiv mit so 150-prozentig Führertreuen wie Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel und Großadmiral Karl Dönitz an der Spitze handlungsunfähig.
Die einfachen Soldaten, bei denen sich aus kameradschaftlicher Bindung noch eine gewisse Kampfmotivation ergab, waren in der Endphase einem regelrechten Terrorregime ausgesetzt, dem sie sich mit viel Mut und Glück allenfalls durch Fahnenflucht entziehen konnten. 20000 Mann brachte allein die rasende Militärjustiz zu Tode; im Ersten Weltkrieg traf es nur 48 deutsche und 40 britische Armeeangehörige. Völlig anders als im Westen rührte die Bereitschaft zur Fortführung des Kampfes im Osten auch davon her, die Bevölkerung vor der Roten Armee schützen und keinesfalls in russische Gefangenschaft geraten zu wollen - aber auch von der Erinnerung an das eigene Wüten in der Sowjetunion, das nun zur Abrechnung anstand.
Übrigbleiben, Überleben lautete für die meisten Deutschen das innere Leitmotiv im letzten Kriegsjahr. Für die breite Bevölkerung gilt das trotz pflichtschuldig zur Schau gestellter Loyalitätsfassade ebenso. Kershaw stellt zutreffend fest, dass die aufs Äußerste strapazierten Menschen keineswegs eine "Volksgemeinschaft" bildeten und trotz des Trommelfeuers Goebbelscher Durchhaltepropaganda "nicht bis zum Ende hinter Hitler und dem NS-Regime gestanden haben". Die Parteibonzen, die den Bürger zum Selbstopfer aufforderten und sich beim Einrücken des Feindes dann aus dem Staube machten, waren längst zu Objekten von Hass, Verachtung und heimlichem Spott geworden. Ganze zwei der 43 Gauleiter starben mit der Waffe in der Hand.
Die breite Abwendung vom Regime, die mit Tausenden lokaler Koalitionen zur Verhinderung sinnloser Zerstörung einherging, mündete jedoch ebenso wenig wie bei den Soldaten in eine offene Wendung gegen das Regime. Dazu war der Griff der Gauleiter, Kreisleiter und Ortsgruppenleiter der inzwischen mit allen Vollmachten ausgestatteten und ideologisch revitalisierten NSDAP - von den Desperados der SS nicht zu reden - viel zu hart, der Staatsterrorismus, der an der Heimatfront zu einer veritablen Ära des Aufhängens und Totschießens führte, viel zu scharf. Für die kriegsmüde Bevölkerung waren Partei und Wehrmacht jetzt eine gefährliche Bedrohung.
Die NSDAP hielt jenseits der militärischen Sphäre den gesamten organisatorischen Raum einschließlich der in "gedankenloser Loyalität" weiter funktionierenden Verwaltung besetzt. Über den militärisch wertlosen Volkssturm stand die ganze männliche Bevölkerung seit Herbst 1944 unter militärischer Disziplinargewalt. Gerichte mutierten zu Vernichtungsinstrumenten in juristischer Drapierung und erreichten den Höhepunkt ihrer tödlichen Produktivität.
Kershaw führt auch vor Augen, wie das Quadrumvirat Bormann, Goebbels, Himmler und Speer die Machtstrukturen des NS-Regimes bis zuletzt aufrechterhielt. Im inneren Zirkel der Macht waren alle nach wie vor von der ungebrochenen Autorität Hitlers abhängig, der darauf hinzuweisen pflegte, das deutsche Volk habe den Untergang verdient, da es sich in diesem Ringen als die schwächere Rasse erwiesen habe. Der über zwei Jahrzehnte aufgebaute Nimbus des unfehlbaren "Führers" blieb bei den loyalen Spitzen des Staats- und Parteiapparats und der Wehrmacht bis zum Schluss wirksam, die extreme Personalisierung seiner Macht in dem ansonsten stark zersplitterten Machtsystem unangefochten.
Hitlers Dogma war immer gewesen, in Deutschland kein zweites 1918 zuzulassen: "Weltmacht oder Untergang". Die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation war für ihn deshalb irrelevant. Für den Diktator, seine engsten Gefolgsleute und die Lenker der Mordmaschinerie gab es ohnehin keine Zukunft. Sie hatten die Brücken hinter sich abgebrochen. Kershaw zieht diese Schlussfolgerung nicht explizit, aber der bis zuletzt aufrechterhaltene Kampf war für die NS-Spitze auch eine ganz ordinäre persönliche Strategie, das eigene Ende um ein paar Monate hinauszuzögern.
Für die fulminante Geschichtserzählung Kershaws wäre der Rückgriff auf das überstrapazierte Modell der charismatischen Herrschaft nicht nötig gewesen, weil es in einem modernen Industriestaat kein unmittelbar wirkendes persönliches Charisma geben und das Hitler-Regime daher nicht einfach als charismatische Herrschaft eingestuft werden kann. Der Autor, dessen Analyse ein einziges Dementi solcher simplen Vorstellungen ist, hat das wohl selbst gespürt. Denn ganz am Ende seines vortrefflichen Werkes überrascht er den Leser mit der paradoxen Feststellung, der NS-Staat in seiner Endphase sei "eine charismatische Herrschaft ohne Charisma" gewesen.
KLAUS-DIETMAR HENKE.
Ian Kershaw: Das Ende. Kampf bis in den Untergang. NS-Deutschland 1944/45. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011. 704 S., 29,99 .
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kershaw konzentriert sich auf das Dreivierteljahr zwischen Sommer 1944 und der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 - als nach Stauffenbergs gescheitertem Attentat auf Hitler die Wehrmacht die gewaltigsten Niederlagen der Militärgeschichte einsteckte und Deutschland Zug um Zug von den Armeen der Anti-Hitler-Koalition erobert wurde. In diesen Monaten starben mehr deutsche Soldaten und Zivilisten als in den fünf Kriegsjahren zuvor; allein in Königsberg 70000. Die Städte, auf die von da an 60 Prozent der gesamten Bombenlast herabzuregnen begann, sanken endgültig in Schutt und Asche. Die militärische Eroberung ruinierte die Infrastruktur. Die panisch fliehenden Menschen aus dem Osten des Deutschen Reiches mussten die entsetzlichsten Rache-Orgien der Roten Armee über sich ergehen lassen und starben zu Hunderttausenden in Eis und Schnee.
In Kershaws anschaulichem und tief berührendem analytischem Gemälde werden die Gründe sichtbar, weshalb die Selbstzerstörung erst mit dem Selbstmord Hitlers gestoppt werden konnte. Dazu verknüpft der Autor die Strukturmerkmale der NS-Herrschaft jeweils mit den Einstellungen, die auf allen Ebenen von Führung und Bevölkerung anzutreffen sind. Die knapp dargelegten militärischen Operationen bilden den Rahmen dazu. Da allein die hohe Generalität über die Machtmittel verfügte, den Amoklauf des Regimes zu stoppen, schreibt Kershaw ihr eine Hauptverantwortung für den vollkommen sinnlos gewordenen Kampf bis zum Ende zu. In ihrer "völlig verqueren Pflichtauffassung" und Eidestreue zu Hitler (die mindestens so sehr Alibi wie Motivation für das "Verheizen" von Millionen war) übersahen die Militärs geflissentlich, dass Treue eine Beziehung ist, die beide Seiten verpflichtet. Das erlaubte es dem Gros dieser angeblich unpolitischen Nur-Soldaten, "politische Verantwortung zu verweigern", als die Not des Landes am größten war.
Seit Sommer 1944 konnte rationales Kalkül nicht mehr zu dem Schluss führen, Deutschland werde die inzwischen beinahe 50 Staaten umfassende Allianz wenigstens zu einem Patt zwingen können. Bereits ein Jahr zuvor konnte jeder erkennen, dass noch so große Tapferkeit gegenüber dem riesigen Potential des Gegners nicht ins Gewicht fiel. Freilich, die militärische Führung war tief gespalten in Pragmatiker und Fanatiker, nach dem 20. Juli 1944 unter verschärfter Kuratel und als Kollektiv mit so 150-prozentig Führertreuen wie Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel und Großadmiral Karl Dönitz an der Spitze handlungsunfähig.
Die einfachen Soldaten, bei denen sich aus kameradschaftlicher Bindung noch eine gewisse Kampfmotivation ergab, waren in der Endphase einem regelrechten Terrorregime ausgesetzt, dem sie sich mit viel Mut und Glück allenfalls durch Fahnenflucht entziehen konnten. 20000 Mann brachte allein die rasende Militärjustiz zu Tode; im Ersten Weltkrieg traf es nur 48 deutsche und 40 britische Armeeangehörige. Völlig anders als im Westen rührte die Bereitschaft zur Fortführung des Kampfes im Osten auch davon her, die Bevölkerung vor der Roten Armee schützen und keinesfalls in russische Gefangenschaft geraten zu wollen - aber auch von der Erinnerung an das eigene Wüten in der Sowjetunion, das nun zur Abrechnung anstand.
Übrigbleiben, Überleben lautete für die meisten Deutschen das innere Leitmotiv im letzten Kriegsjahr. Für die breite Bevölkerung gilt das trotz pflichtschuldig zur Schau gestellter Loyalitätsfassade ebenso. Kershaw stellt zutreffend fest, dass die aufs Äußerste strapazierten Menschen keineswegs eine "Volksgemeinschaft" bildeten und trotz des Trommelfeuers Goebbelscher Durchhaltepropaganda "nicht bis zum Ende hinter Hitler und dem NS-Regime gestanden haben". Die Parteibonzen, die den Bürger zum Selbstopfer aufforderten und sich beim Einrücken des Feindes dann aus dem Staube machten, waren längst zu Objekten von Hass, Verachtung und heimlichem Spott geworden. Ganze zwei der 43 Gauleiter starben mit der Waffe in der Hand.
Die breite Abwendung vom Regime, die mit Tausenden lokaler Koalitionen zur Verhinderung sinnloser Zerstörung einherging, mündete jedoch ebenso wenig wie bei den Soldaten in eine offene Wendung gegen das Regime. Dazu war der Griff der Gauleiter, Kreisleiter und Ortsgruppenleiter der inzwischen mit allen Vollmachten ausgestatteten und ideologisch revitalisierten NSDAP - von den Desperados der SS nicht zu reden - viel zu hart, der Staatsterrorismus, der an der Heimatfront zu einer veritablen Ära des Aufhängens und Totschießens führte, viel zu scharf. Für die kriegsmüde Bevölkerung waren Partei und Wehrmacht jetzt eine gefährliche Bedrohung.
Die NSDAP hielt jenseits der militärischen Sphäre den gesamten organisatorischen Raum einschließlich der in "gedankenloser Loyalität" weiter funktionierenden Verwaltung besetzt. Über den militärisch wertlosen Volkssturm stand die ganze männliche Bevölkerung seit Herbst 1944 unter militärischer Disziplinargewalt. Gerichte mutierten zu Vernichtungsinstrumenten in juristischer Drapierung und erreichten den Höhepunkt ihrer tödlichen Produktivität.
Kershaw führt auch vor Augen, wie das Quadrumvirat Bormann, Goebbels, Himmler und Speer die Machtstrukturen des NS-Regimes bis zuletzt aufrechterhielt. Im inneren Zirkel der Macht waren alle nach wie vor von der ungebrochenen Autorität Hitlers abhängig, der darauf hinzuweisen pflegte, das deutsche Volk habe den Untergang verdient, da es sich in diesem Ringen als die schwächere Rasse erwiesen habe. Der über zwei Jahrzehnte aufgebaute Nimbus des unfehlbaren "Führers" blieb bei den loyalen Spitzen des Staats- und Parteiapparats und der Wehrmacht bis zum Schluss wirksam, die extreme Personalisierung seiner Macht in dem ansonsten stark zersplitterten Machtsystem unangefochten.
Hitlers Dogma war immer gewesen, in Deutschland kein zweites 1918 zuzulassen: "Weltmacht oder Untergang". Die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation war für ihn deshalb irrelevant. Für den Diktator, seine engsten Gefolgsleute und die Lenker der Mordmaschinerie gab es ohnehin keine Zukunft. Sie hatten die Brücken hinter sich abgebrochen. Kershaw zieht diese Schlussfolgerung nicht explizit, aber der bis zuletzt aufrechterhaltene Kampf war für die NS-Spitze auch eine ganz ordinäre persönliche Strategie, das eigene Ende um ein paar Monate hinauszuzögern.
Für die fulminante Geschichtserzählung Kershaws wäre der Rückgriff auf das überstrapazierte Modell der charismatischen Herrschaft nicht nötig gewesen, weil es in einem modernen Industriestaat kein unmittelbar wirkendes persönliches Charisma geben und das Hitler-Regime daher nicht einfach als charismatische Herrschaft eingestuft werden kann. Der Autor, dessen Analyse ein einziges Dementi solcher simplen Vorstellungen ist, hat das wohl selbst gespürt. Denn ganz am Ende seines vortrefflichen Werkes überrascht er den Leser mit der paradoxen Feststellung, der NS-Staat in seiner Endphase sei "eine charismatische Herrschaft ohne Charisma" gewesen.
KLAUS-DIETMAR HENKE.
Ian Kershaw: Das Ende. Kampf bis in den Untergang. NS-Deutschland 1944/45. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011. 704 S., 29,99 .
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wolfgang Schneider würdigt Ian Kershaws siebenhundert Seiten umfassendes Werk "Das Ende. Kampf bis in den Untergang" nicht nur als beeindruckende historische Analyse, sondern auch als große Empathieleistung, die dem Leser hilft, den "gefühlspolitischen Kontext" des Nationalsozialismus zu verstehen. Auch für die nun vorliegende Hörbuchfassung des Werks - ein vom Hessischen Rundfunk produziertes Feature - ist er voll des Lobes, auch wenn sich die drei CDs auf Ausschnitte des Buchs beschränken müssen. Dafür entwickelt das Feature in seinen Augen "eigene Qualitäten", etwa die packende Mischung von Sprechtexten und Orignialtönen oder die von Kershaw gesprochenen Kommentare.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
						 Broschiertes Buch																			
								
								Despotie, Auswüchse der Nazis am Ende --> Willkür-, Schreckens- und Gewaltherrschaft
Taufrisch ist Ian Kershaws Titel nicht. Die Ausgabe Nummer 1 in deutscher Sprache kam bereits 2011 auf den Markt.
Dennoch oder vielleicht gerade deswegen, so man sich die aktuelle politische …							
							
								Mehr
							
                			
                  				Despotie, Auswüchse der Nazis am Ende --> Willkür-, Schreckens- und Gewaltherrschaft
Taufrisch ist Ian Kershaws Titel nicht. Die Ausgabe Nummer 1 in deutscher Sprache kam bereits 2011 auf den Markt.
Dennoch oder vielleicht gerade deswegen, so man sich die aktuelle politische Entwicklung in manchen Staaten anschaut, ist es noch immer und immer mehr lesens- und bemerkenswert.
Ian Kershaw analysiert die Zeit zwischen Stauffenbergs Attentatsversuch auf A. Hitler am 20. Juli 1944 und den elf Monaten bis zur bedingungslosen Kapitulation des Dritten Reiches an allen Fronten.
"In den zehn Monaten zwischen Juli 1944 und Mai 1945 starben weit mehr deutsche Zivilisten als in den vorangegangenen Kriegsjahren, [...]" (Seite 514)
"In den letzten zehn Monaten dann starben 2,6 Millionen deutsche Soldaten (davon über 1,5 Millionen an der Ostfront): 49 Prozent aller im Krieg gefallenen. Gegen Kriegsende kamen jeden Monat 300 000 bis 400 000 Soldaten ums Leben" (S. 515)
Dass diese beiden Zitate deutsche Kriegsopfer erwähnen, soll keinerlei Geringschätzung der noch zahlreicheren Opfer der anderen von Deutschland überfallenen und attackierten Länder wie Holland, Belgien, England, Frankreich, in Skandinavien, Griechenland, den Balkanländern und vor allem auch Russland sein!
An der deutschen Wehrmacht und Bevölkerung besonders im Osten wurde das gerächt, was die Wehrmacht, oft gemeinsam mit der SS bei ihrem Überfall von Polen und Russland sowie dem deutschen Vorstoß bis kurz vor Moskau der dortigen Bevölkerung angetan hatte. Unsäglicher Terror.
Selbstverständlich geht Ian Kershaw auch den Entwicklungen an militärischen Fronten in Ost und West nach. Der Autor schildert, was nach zahlreichen Belegen versucht und aus damaliger deutscher Sicht oft falsche entschieden wurde.
Der Autor schildert, wie nicht nur die Mitglieder des Quadrumvirats Goebbels - Himmler - Göring - Bormann mit Ausnahme des Erstgenannten versuchten, sich zu retten. Himmler beispielsweise versuchte, mit einem Teil der auf die Todesmärsche geschickten Juden ein Druckmittel in die Hand zu bekommen, um die Westmächte zu einem separaten Waffenstillstand an der Westfront und nach seinen illusorischen Vorstellungen diese sogar zu einem gemeinsam geführten Krieg gegen die russische Front im Osten zu bewegen.
Es geht aber nicht nur um die 'Granden' der Nazis. Ebenso wird der von Gauleitern, Blockwarten, fliegenden Standgerichten organisierte und durchgeführte Terror zum Thema gemacht. Weswegen kam es trotz der offensichtlichen Sinnlosigkeit weiterhin Krieg zu führen, zu keiner Meuterei in Wehrmacht, Luftwaffe oder gar Marine? Wo liegen die Gründe, dass die deutsche Zivilbevölkerung sich nicht im grossen Umfang gegen den Nazi-Terror wehrte? Auf welchen Wegen (katholische Kirche...) haben die grossen und die kleinen 'Granden' versucht, ihre Haut samt ihrer zusammengeraubten Güter zu retten - ohne jede Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. 
Wie ging wo (Aachen, Bayreuth, Würzburg, Hamburg, Berlin, Breslau, Warschau etc. etc.) was zu Ende??
Dass Ian Kershaw als weltweit anerkannter Historiker diese umfangreiche Zusammenfassung der Monate Juli 1944 bis Mai 1945 nicht aus der Luft greift, versteht sich von selbst. Die Anmerkungen mit Quellenangaben umfassen117 Seiten (!), das Quellen- und Literaturverzeichnis weitere 26. Auch hinsichtlich der im Mittelteil zu findenden Reproduktionen von Originalfotos gibt Ian Kershaw deren Quelle an.
Wer sich also die Frage stellt, weswegen sich weder die damaligen Deutschen Militärkräfte und noch weniger die deutsche Zivilbevölkerung gegen die Nazi-Herrschaft und deren Terror gewehrt hat. Weswegen hat niemand ausser dem leider viel zu oft vergessenen Schreiner Georg Elser (Bürgerbräukeller München 1939) und Stauffenberg (Führerhauptquarter Wolfsschanze) ein Attentat auf Hitler und/oder sein Quadrumvirat verübt?                  				
                    				Weniger
                  				
                			
                			
						
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