Rüdiger Safranski
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Zeit (MP3-Download)
Was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen Gekürzte Lesung. 305 Min.
Sprecher: Arnold, Frank
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Unsere Zeit: ein wertvolles Gut! Uhren messen die Zeit physikalisch, doch wir erleben sie ganz anders und unterschiedlich: Etwa in der Langeweile, beim Spiel, im gesellschaftlichen Termingetriebe, in der Echtzeit-Kommunikation. Rüdiger Safranski beschreibt das Spannungsfeld zwischen Vergehen und Beharren und ermuntert uns, Zeitsouveränität zu erobern und zu bewahren — damit nicht nur die Zeit mit uns etwas macht, sondern auch wir etwas aus ihr. Frank Arnold liest Safranksi wunderbar klar und präzise.
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Rüdiger Safranski, geboren 1945, studierte Philosophie, Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte. Wissenschaftlicher Assistent, Herausgeber und Redakteur der »Berliner Hefte«, Dozent in der Erwachsenenbildung, seit 1986 freier Autor. Für sein in 26 Sprachen übersetztes Werk wurde er u. a. mit dem Thomas-Mann-Preis (2014), mit dem Ludwig-Börne-Preis (2017) und dem Deutschen Nationalpreis (2018) ausgezeichnet. Zuletzt erschienen: »Hölderlin. Komm! ins Offene, Freund! Biographie« (2019), »Klassiker!« (2019, mit Michael Krüger und Martin Meyer), »Einzeln sein« (2021) und »Kafka. Um sein Leben schreiben« (2024). Er lebt in Badenweiler.

Produktdetails
- Verlag: Random House Audio
- Gesamtlaufzeit: 306 Min.
- Erscheinungstermin: 31. August 2015
- Sprache: Deutsch
- ISBN-13: 9783837132236
- Artikelnr.: 43702550
Ein Zitatmeister aus Deutschland
Wo ein Bonmot ist, wächst das Belehrende doch auch: Der Philosoph Rüdiger Safranski plaudert über die Zeit
Das sechste Kapitel des neuen Buches von Rüdiger Safranski steht unter der bei Hans Blumenberg entlehnten Überschrift "Lebenszeit und Weltzeit". Safranski legt dar, durch die physikalische Prinzipienlehre Isaac Newtons habe sich "das Problem einer leeren Zeit" aufgetan, einer Zeit vor der Zeit, da Newton einerseits eine unendliche Zeit postuliert und andererseits an der Endlichkeit der mit der Schöpfung einsetzenden christlichen Weltgeschichte festgehalten habe. "Man kam hier selbstverständlich nicht weiter, weshalb Newton es ablehnte, sich mit den Fragen der Weltentstehung
Wo ein Bonmot ist, wächst das Belehrende doch auch: Der Philosoph Rüdiger Safranski plaudert über die Zeit
Das sechste Kapitel des neuen Buches von Rüdiger Safranski steht unter der bei Hans Blumenberg entlehnten Überschrift "Lebenszeit und Weltzeit". Safranski legt dar, durch die physikalische Prinzipienlehre Isaac Newtons habe sich "das Problem einer leeren Zeit" aufgetan, einer Zeit vor der Zeit, da Newton einerseits eine unendliche Zeit postuliert und andererseits an der Endlichkeit der mit der Schöpfung einsetzenden christlichen Weltgeschichte festgehalten habe. "Man kam hier selbstverständlich nicht weiter, weshalb Newton es ablehnte, sich mit den Fragen der Weltentstehung
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und ihres Zeitpunktes herumzuschlagen, und sich lieber auf seinen Deismus zurückzog." An diesem Satz ist vielleicht nicht alles falsch, aber fast nichts richtig. Er führt die Leser in die Irre.
In älteren Standardwerken findet man die These, Newton sei ein Deist gewesen. Sie geht zurück auf die enthusiastische Rezeption Newtons unter den radikalen Aufklärern, die ihn als Deisten verstehen wollten. Allerdings widerspricht Newton in seiner "Optik" ausdrücklich einem Deismus in dem auch von Safranski vorausgesetztem Sinne, dass Gott die Welt nur geschaffen und dann sich selbst überlassen habe: Die Regelmäßigkeit der Planetenbahnen konnte sich Newton nur damit erklären, dass der Schöpfer sie in Bewegung halte. Die öffentliche Gestalt von Newtons Theorien wich insoweit nicht von den Dogmen der anglikanischen Staatskirche ab. Aber der Deismus war auch nicht das Rückzugsgebiet des zur Diskretion genötigten Privatmanns, obwohl Newton mit den Deisten im Zweifel an der göttlichen Natur Jesu Christi übereinkam. Sein Nachlass ist voll von Notizen zu den biblischen Prophetien.
1728 erschien postum seine Untersuchung der Chronologie der ältesten Geschichte auf der Grundlage der biblischen Offenbarung. Newton unterbreitet da in der Tat keinen eigenen Datierungsvorschlag für die Weltentstehung; er setzt das von Erzbischof James Ussher ermittelte Schöpfungsdatum des Jahres 4004 vor Christus voraus und verengt den für die Ereignisse der antiken Überlieferung zur Verfügung stehenden Zeitraum weiter, indem er etwa den Trojanischen Krieg im Jahr 903 vor Christus beginnen lässt, 281 Jahre später als Ussher. Newtons Biograph William Stukeley urteilte, er habe die Jahre der Welt mit Recht verkürzt, dabei aber des Guten zu viel getan. Das kann man auch von Safranskis Behandlung Newtons sagen.
Ein philosophischer Essay mit dem Titel "Zeit - Was sie mit uns macht und was wir mit ihr machen" wird sich in der Darstellung auch der wichtigsten ideengeschichtlichen Stationen kurz fassen. Aber hier fällt der Verkürzung gerade das zum Opfer, was für Safranskis Fragestellung interessant sein müsste: Nie käme man darauf, dass Newton so viel Zeit in die Zeit gesteckt hat, in die Synchronisierung der Kalender der alten Welt. Als in Paris eine unautorisierte Ausgabe seines Urkulturfahrplans gedruckt wurde, bemerkte ein Witzbold, das Werk werde in der Wissenschaft von der Zeit Wunder wirken. "Warum hätte der große Mathematiker sonst so viele Jahre daran arbeiten sollen?" Das soll eigentlich Safranskis Thema sein: wie das Nachdenken über die Zeit die Zeitnutzung verändert.
Verräterisch ist die Formulierung, dass Newton mit Berechnungen zum Schöpfungsdatum "selbstverständlich" nicht weitergekommen wäre. Das ist vor dem Horizont der heutigen naturalistischen Weltanschauung gesagt, im Geiste jenes Reduktionismus, den Safranski gerade kritisieren möchte. Sein Vertrauen auf die vermeintliche Selbstverständlichkeit illustriert, was die Zeit mit unseren Erkenntnissen macht: Sie glättet und schleift ab, macht geschmeidig und geläufig. Viele Gedanken des Buches dürften den Verfasser über die längste Zeit seines Lebens begleitet haben; man erkennt prägende Motive seiner intellektuellen Generation wieder.
Die Ablösung des zyklischen Geschichtsbilds der Antike durch das lineare Geschichtsdenken des Christentums war die These von Karl Löwiths Buch "Weltgeschichte und Heilsgeschehen". Auf die Studien des von Safranski zitierten Historikers Reinhart Koselleck zur neuzeitlich bewegten Geschichte übte Löwiths Schema starken oder, wie Safranski wohl schriebe, nachhaltigen Einfluss aus. Das Auftauchen des Adjektivs "nachhaltig" in der Interpretation von Samuel Becketts Stück "Warten auf Godot" im Kapitel über die Langeweile ist ein einsames sprachliches Indiz dafür, dass dieses Kapitel nicht schon vor fünfzig Jahren niedergeschrieben wurde. Die Beliebtheit von Löwiths Figur in der Nachkriegszeit sollte man einmal als Symptom des damaligen Zeitbewusstseins erörtern; Safranski präsentiert die Geschichte des Übergangs vom Kreislauf zum Fortschritt als sicheres Wissen.
Seine Gewährsleute aus Literatur- und Geistesgeschichte bilden einen Zirkel von Olympiern, alterslosen Weltstars, die ihre berühmtesten Sentenzen zum Besten geben. Hofmannsthals Marschallin kommt gleich auf der ersten Seite zu Wort, gefolgt vom heiligen Augustinus. Nach Kant unter dem bestirnten Himmel und Brechts Marie A. unter der Wolke hat im vorletzten Kapitel endlich auch der Zauderer Hamlet mit "Die Zeit ist aus den Fugen" seinen Auftritt.
Wie ein Tick wirkt es, dass Safranski sich keine Gelegenheit zum Zitieren entgehen lässt. "Es mag sein, dass, wo Gefahr ist, auch das Rettende wächst, wie es bei Hölderlin heißt." Aber das geflügelte Wort ist das Emblem der Zeitlosigkeit, verbürgt die Fähigkeit des Geistes, alles Zeitliche hinter sich zu lassen, das Lokale und Bedingte, die "ganze alte Scheiße", um es mit einem Marx-Zitat Safranskis zu sagen, das auch Helmut Schmidt gern gebrauchte.
So nennt Safranski nach Heidegger im Titel seiner Biographie von 1994 und nach Beethoven, Nietzsche, Thomas Mann und sieben anderen Herren in einer Dankesrede von 2014 jetzt auch Goethes Faust einen "Meister aus Deutschland" - der mit diesem Zitat aus einem der meistzitierten deutschen Gedichte natürlich nicht für den Holocaust in Haftung genommen werden soll.
Das fatale Gesetz der Konsumgesellschaft gilt glücklicherweise nicht für den Zitatenschatz: "Die Schätze, welche die Vergangenheit angehäuft hat, werden verbraucht, und die Zukunft wird mit den Abfallprodukten belastet." Auch auf dem Mist der ökologischen Gefahr wächst das rettende Bonmot. "Alexander Kluge hat dafür den treffenden Ausdruck gefunden - er nennt diesen Vorgang den Angriff der Gegenwart auf den Rest der Zeit." Abgesehen davon, dass bei Kluge "die übrige Zeit" steht: Er hat keinen Vorgang so genannt, sondern einen Film.
Ähnlich sorglos verallgemeinert Safranski den Sinn eines bekannten Hegel-Worts. Warum täuscht sich Faust, wenn er - Rekordmeister aus Deutschland - verkündet, dass seine Erdenspur nie untergehen werde? "Die Weltzeit ist, wie ein schöner Ausdruck Hegels dafür lautet, eine Furie des Verschwindens." Dieser schöne Ausdruck steht aber in der "Phänomenologie des Geistes" nicht "dafür", für die Vergänglichkeit aller Dinge, sondern für eine historisch genau umrissene Erscheinung, die absolute Freiheit des Zeitalters der Revolution, die nichts Positives hervorbringt und in den Schrecken umschlägt. Um diese Dialektik unbekümmert, wünscht Safranski sich eine Revolution der Nachhaltigkeit herbei.
Der Zug ins Allgemeine ist charakteristisch für den Duktus des Buches. Nur verdeckt berichtet der Autor von seinen eigenen Zeiterlebnissen; ein "Wir" und "Man" ist zugleich Subjekt und Adressat bedächtiger Kulturkritik. Sage und schreibe sechsmal erscheint die Furie des Verschwindens, berechenbar wie Halleys Komet. Sie will bei Safranski partout nicht tun, was ihr Name sagt! Sollte in dieser Steigerung der Zitierfreude zum Wiederholungszwang die Haltung durchschimmern, die Goethe hinter der Selbstgewissheit Newtons ausmachte: eine Art von Ironie?
PATRICK BAHNERS.
Rüdiger Safranski: "Zeit". Was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen.
Carl Hanser Verlag, München 2015. 272 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In älteren Standardwerken findet man die These, Newton sei ein Deist gewesen. Sie geht zurück auf die enthusiastische Rezeption Newtons unter den radikalen Aufklärern, die ihn als Deisten verstehen wollten. Allerdings widerspricht Newton in seiner "Optik" ausdrücklich einem Deismus in dem auch von Safranski vorausgesetztem Sinne, dass Gott die Welt nur geschaffen und dann sich selbst überlassen habe: Die Regelmäßigkeit der Planetenbahnen konnte sich Newton nur damit erklären, dass der Schöpfer sie in Bewegung halte. Die öffentliche Gestalt von Newtons Theorien wich insoweit nicht von den Dogmen der anglikanischen Staatskirche ab. Aber der Deismus war auch nicht das Rückzugsgebiet des zur Diskretion genötigten Privatmanns, obwohl Newton mit den Deisten im Zweifel an der göttlichen Natur Jesu Christi übereinkam. Sein Nachlass ist voll von Notizen zu den biblischen Prophetien.
1728 erschien postum seine Untersuchung der Chronologie der ältesten Geschichte auf der Grundlage der biblischen Offenbarung. Newton unterbreitet da in der Tat keinen eigenen Datierungsvorschlag für die Weltentstehung; er setzt das von Erzbischof James Ussher ermittelte Schöpfungsdatum des Jahres 4004 vor Christus voraus und verengt den für die Ereignisse der antiken Überlieferung zur Verfügung stehenden Zeitraum weiter, indem er etwa den Trojanischen Krieg im Jahr 903 vor Christus beginnen lässt, 281 Jahre später als Ussher. Newtons Biograph William Stukeley urteilte, er habe die Jahre der Welt mit Recht verkürzt, dabei aber des Guten zu viel getan. Das kann man auch von Safranskis Behandlung Newtons sagen.
Ein philosophischer Essay mit dem Titel "Zeit - Was sie mit uns macht und was wir mit ihr machen" wird sich in der Darstellung auch der wichtigsten ideengeschichtlichen Stationen kurz fassen. Aber hier fällt der Verkürzung gerade das zum Opfer, was für Safranskis Fragestellung interessant sein müsste: Nie käme man darauf, dass Newton so viel Zeit in die Zeit gesteckt hat, in die Synchronisierung der Kalender der alten Welt. Als in Paris eine unautorisierte Ausgabe seines Urkulturfahrplans gedruckt wurde, bemerkte ein Witzbold, das Werk werde in der Wissenschaft von der Zeit Wunder wirken. "Warum hätte der große Mathematiker sonst so viele Jahre daran arbeiten sollen?" Das soll eigentlich Safranskis Thema sein: wie das Nachdenken über die Zeit die Zeitnutzung verändert.
Verräterisch ist die Formulierung, dass Newton mit Berechnungen zum Schöpfungsdatum "selbstverständlich" nicht weitergekommen wäre. Das ist vor dem Horizont der heutigen naturalistischen Weltanschauung gesagt, im Geiste jenes Reduktionismus, den Safranski gerade kritisieren möchte. Sein Vertrauen auf die vermeintliche Selbstverständlichkeit illustriert, was die Zeit mit unseren Erkenntnissen macht: Sie glättet und schleift ab, macht geschmeidig und geläufig. Viele Gedanken des Buches dürften den Verfasser über die längste Zeit seines Lebens begleitet haben; man erkennt prägende Motive seiner intellektuellen Generation wieder.
Die Ablösung des zyklischen Geschichtsbilds der Antike durch das lineare Geschichtsdenken des Christentums war die These von Karl Löwiths Buch "Weltgeschichte und Heilsgeschehen". Auf die Studien des von Safranski zitierten Historikers Reinhart Koselleck zur neuzeitlich bewegten Geschichte übte Löwiths Schema starken oder, wie Safranski wohl schriebe, nachhaltigen Einfluss aus. Das Auftauchen des Adjektivs "nachhaltig" in der Interpretation von Samuel Becketts Stück "Warten auf Godot" im Kapitel über die Langeweile ist ein einsames sprachliches Indiz dafür, dass dieses Kapitel nicht schon vor fünfzig Jahren niedergeschrieben wurde. Die Beliebtheit von Löwiths Figur in der Nachkriegszeit sollte man einmal als Symptom des damaligen Zeitbewusstseins erörtern; Safranski präsentiert die Geschichte des Übergangs vom Kreislauf zum Fortschritt als sicheres Wissen.
Seine Gewährsleute aus Literatur- und Geistesgeschichte bilden einen Zirkel von Olympiern, alterslosen Weltstars, die ihre berühmtesten Sentenzen zum Besten geben. Hofmannsthals Marschallin kommt gleich auf der ersten Seite zu Wort, gefolgt vom heiligen Augustinus. Nach Kant unter dem bestirnten Himmel und Brechts Marie A. unter der Wolke hat im vorletzten Kapitel endlich auch der Zauderer Hamlet mit "Die Zeit ist aus den Fugen" seinen Auftritt.
Wie ein Tick wirkt es, dass Safranski sich keine Gelegenheit zum Zitieren entgehen lässt. "Es mag sein, dass, wo Gefahr ist, auch das Rettende wächst, wie es bei Hölderlin heißt." Aber das geflügelte Wort ist das Emblem der Zeitlosigkeit, verbürgt die Fähigkeit des Geistes, alles Zeitliche hinter sich zu lassen, das Lokale und Bedingte, die "ganze alte Scheiße", um es mit einem Marx-Zitat Safranskis zu sagen, das auch Helmut Schmidt gern gebrauchte.
So nennt Safranski nach Heidegger im Titel seiner Biographie von 1994 und nach Beethoven, Nietzsche, Thomas Mann und sieben anderen Herren in einer Dankesrede von 2014 jetzt auch Goethes Faust einen "Meister aus Deutschland" - der mit diesem Zitat aus einem der meistzitierten deutschen Gedichte natürlich nicht für den Holocaust in Haftung genommen werden soll.
Das fatale Gesetz der Konsumgesellschaft gilt glücklicherweise nicht für den Zitatenschatz: "Die Schätze, welche die Vergangenheit angehäuft hat, werden verbraucht, und die Zukunft wird mit den Abfallprodukten belastet." Auch auf dem Mist der ökologischen Gefahr wächst das rettende Bonmot. "Alexander Kluge hat dafür den treffenden Ausdruck gefunden - er nennt diesen Vorgang den Angriff der Gegenwart auf den Rest der Zeit." Abgesehen davon, dass bei Kluge "die übrige Zeit" steht: Er hat keinen Vorgang so genannt, sondern einen Film.
Ähnlich sorglos verallgemeinert Safranski den Sinn eines bekannten Hegel-Worts. Warum täuscht sich Faust, wenn er - Rekordmeister aus Deutschland - verkündet, dass seine Erdenspur nie untergehen werde? "Die Weltzeit ist, wie ein schöner Ausdruck Hegels dafür lautet, eine Furie des Verschwindens." Dieser schöne Ausdruck steht aber in der "Phänomenologie des Geistes" nicht "dafür", für die Vergänglichkeit aller Dinge, sondern für eine historisch genau umrissene Erscheinung, die absolute Freiheit des Zeitalters der Revolution, die nichts Positives hervorbringt und in den Schrecken umschlägt. Um diese Dialektik unbekümmert, wünscht Safranski sich eine Revolution der Nachhaltigkeit herbei.
Der Zug ins Allgemeine ist charakteristisch für den Duktus des Buches. Nur verdeckt berichtet der Autor von seinen eigenen Zeiterlebnissen; ein "Wir" und "Man" ist zugleich Subjekt und Adressat bedächtiger Kulturkritik. Sage und schreibe sechsmal erscheint die Furie des Verschwindens, berechenbar wie Halleys Komet. Sie will bei Safranski partout nicht tun, was ihr Name sagt! Sollte in dieser Steigerung der Zitierfreude zum Wiederholungszwang die Haltung durchschimmern, die Goethe hinter der Selbstgewissheit Newtons ausmachte: eine Art von Ironie?
PATRICK BAHNERS.
Rüdiger Safranski: "Zeit". Was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen.
Carl Hanser Verlag, München 2015. 272 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Das ist die Stärke dieses Buches: Wie literarisch, literaturgeschichtlich und philosophisch zugespitzt erzählt wird: von der Zeit der Langeweile, der Zeit des Anfangens, der Zeit der Sorge und vieler anderer Vorstellungen." Hans-Jürgen Heinrichs, Deutschlandfunk, 18.01.16 "Dieses Buch ragt über alles hinaus, was heute über den Umgang mit der Zeit auf dem Markt ist. Mit Genuss lesbar! Ein Sachbuch, das auch zaubern kann." Sten Nadolny, Focus, 22.08.15 "Ein unterhaltsamer Gang durch das Labyrinth unserer zeitlichen Erfahrungen, von der Langeweile bis zur Vorstellung der Ewigkeit. ... Safranskis Kommentare schwanken virtuos zwischen ironischer Sottise und geistreichem Aphorismus." Romain Leick, Der Spiegel, 22.08.15 "Ein Kabinett der Denker und Dichter, quer durch die Zeiten, bis hin zur problematischen Gegenwart. Als Meister der Vermittlung sorgt Safranski für Orientierung." Angelika Brauer, Der Tagesspiegel, 22.08.15
Broschiertes Buch
Safranski spricht die unterschiedlichsten Themen an, die mal mehr, mal weniger offensichtlich mit der Zeit und ihren Facetten zu tun haben. Darunter ist manches, über das man sich vielleicht selber schon Gedanken gemacht hat, aber auch vieles, für das man sich erst einmal frei machen muss …
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Safranski spricht die unterschiedlichsten Themen an, die mal mehr, mal weniger offensichtlich mit der Zeit und ihren Facetten zu tun haben. Darunter ist manches, über das man sich vielleicht selber schon Gedanken gemacht hat, aber auch vieles, für das man sich erst einmal frei machen muss von festgefahrenen Vorstellungen - von dem, was man bisher schlicht als so unumstößlich und unveränderlich angesehen hat, dass es das Nachdenken nicht zu lohnen schien.
Zitat aus dem Kapitel 'Zeit der Langeweile':
"In dem Maße, wie die Ereignisse ausdünnen, wird die Zeit auffällig. Es ist, als käme sie aus ihrem Versteck, denn für unsere gewöhnliche Wahrnehmung ist sie hinter den Ereignissen verborgen und wird nie so direkt und aufdringlich erlebt. Ein Riss also im Vorhang, und dahinter gähnt die Zeit."
Der Autor lädt ein, um die Ecke zu denken, einen anderen Blickwinkel einzunehmen, den Gedanken über die Zeit ganz bewusst Zeit einzuräumen. Man sollte sich vom Klappentext aber nicht verleiten lassen, ein seicht-erbauliches Büchlein für den Kaffeetisch zu erwarten: es erfordert aktives Mitdenken, denn allzu einfach macht es einem dieses Werk nicht. Obwohl ich sonst eine rasche Leserin bin, habe ich ein paar Wochen dafür gebraucht; für mich ist es kein Buch, durch das man nebenher durchhetzen kann. Sätze wie den folgenden musste ich mehrfach lesen und in Gedanken in ihre Einzelteile zerpflücken, um wirklich zu verstehen, was sie aussagen:
Zitat aus dem Kapitel 'Lebenszeit und Weltzeit':
"Ähnlich hat Edmund Husserl das Erlebnis von Gegenwärtigkeit phänomenologisch als ein Zugleich von Protention und Retention analysiert: Nur deshalb fällt uns die Zeit nicht in Zeitpunkte auseinander und nur deshalb können wir sie als sukzessives Kontinuum erleben, weil im jeweiligen Moment das soeben Vergangene noch präsent ist (Retention) und man zugleich erwartend angezogen wird vom Künftigen (Protention)."
Aber die Mühe lohnt sich meines Erachtens, denn Safranski nimmt einen mit auf eine sehr umfassende Reise, die das Thema "Zeit" in all ihren Aspekten abdeckt.
In ruhigem Tonfall und anspruchsvoller, dennoch oft heiterer und unterhaltsamer Sprache teilt er seine Gedanken und Überlegungen mit, durchwebt sie aber stets mit Querverweisen, Zitaten und Quellenangaben. Er lässt sie alle zu Wort kommen: Dichter und Schriftsteller, Philosophen, Wissenschaftler, Psychologen - sprich, Denker und große Geister jeglicher Couleur, seien es nun Kafka, Heidegger, Einstein, Demokrit oder sogar literarische Figuren wie Hamlet.
Gelegentlich fand ich die Häufung anderer Quellen ermüdend. Zwar sind sie hilfreich, wenn man sich zu einem Thema weitergehend informieren will, aber ich hatte manchmal den Eindruck, dass Safranksi eigene Worte unter dem Berg von Zitaten begraben wurden, dann hätte ich lieber mehr über seine ganz persönliche Meinung erfahren. Selten verliert er sich auch ein wenig in Allgemeinplätzen, die dem sonstigen Niveau nicht gerecht werden.
Frank Arnold ist meines Erachtens eine gute Wahl für die Hörbuchumsetzung: seine Stimme klingt konzentriert und präzise, aber dennoch lebendig, mit einem sehr angenehmen Sprachrhythmus, dem man gut folgen kann, ohne dass es ermüdend wird oder man den Faden verliert.
Das Hörbuch ist als Download sowohl in einer gekürzten wie einer ungekürzten Version erhältlich, als Audio-CD nur in der gekürzten, die die Essenz des Buches aber ebenfalls gut wiedergibt.
Fazit:
"Zeit" ist kein Selbsthilfebuch; es gibt keine praktischen Tipps zur Entschleunigung des Alltags oder Ähnliches. Es ist eine philosophische Rundreise durch das Wesen der Zeit und all ihre Aspekte (von der Langeweile bis zur Unfähigkeit, sich den eigenen Tod vorzustellen), und als Reiseführer fungieren nicht nur Safranski selber, sondern auch eine Vielzahl an großen Denkern, die er ausführlich und mit Quellenangaben zitiert.
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