Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 3,00 €
  • DVD

Produktdetails
  • Hersteller: Chen Kaige
  • FSK: ohne Alterseinschränkung gemäß §14 JuSchG
  • EAN: 7321925000863
  • Artikelnr.: 20912467
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2006

Das gedünstete Brötchen
Eine Internet-Parodie auf Chen Kaiges "Wu Ji" erheitert China

PEKING, im Februar

In China wird ein Rumoren immer stärker, das ausnahmsweise keinen politischen oder sozialen Grund hat, sondern einen ästhetischen. Es geht um den jüngsten Film des berühmten Regisseurs Chen Kaige, einen Film, der bei seinem Auftritt kürzlich auf der Berlinale auch die westlichen Kritiker in schiere Fassungslosigkeit versetzte (F.A.Z. vom 13. Februar). Das Fantasy-Melodram "Wu Ji - Die Reiter der Winde" ist von einer stofflich, dramaturgisch und technisch derart gigantischen Unbedarftheit, daß unter gewöhnlichen Umständen kein weiteres Wort darüber verloren werden müßte.

Dummerweise sind die Umstände des Werks aber alles andere als gewöhnlich. Erstens hat es ein Mann vollbracht, der in den achtziger Jahren und noch bis zu seinem Film "Lebewohl, meine Konkubine" - der im Jahr 1993 die Goldene Palme von Cannes gewann - der wichtigste Regisseur Chinas war. Zweitens hat "Wu Ji" 340 Millionen Yuan (rund 42 Millionen Dollar, die Angaben schwanken allerdings) gekostet und damit mehr als jeder chinesische Film vor ihm. Und drittens wird der Film von offizieller Seite mächtig protegiert, als aktuelle Speerspitze der heimischen "Kulturindustrie" im Wettbewerb der Kulturen, insbesondere mit Hollywood; der Film war Chinas Beitrag zur diesjährigen Oscar-Konkurrenz, kam allerdings nicht unter die letzten Fünf. Das war damals auch "Lebewohl, meine Konkubine", was nicht nur den Niedergang eines Regisseurs bezeugt, sondern auch den einer nationalen Kinematographie, zumindest ihrer offiziellen Seite.

So kam es, daß in den chinesischen Medien über diesen Film, der seit Dezember in den Kinos läuft, zwar jede Menge geschrieben und gesprochen wurde, jedoch durchaus nichts Kritisches. Freilich ging die Selbstverleugnung auch nicht so weit, daß er direkt gelobt wurde. Aber es wurde doch immer wieder wohlgefällig auf die beeindruckenden Kosten und den nicht weniger beeindruckenden "Bilderreichtum" der Produktion hingewiesen. Das fiel nicht weiter auf, denn eine wirkliche, ästhetisch argumentierende Filmkritik ist bei den großen chinesischen Zeitungen und Sendern auch sonst kaum zu finden, wo das Kino weithin in das kulturindustriell betriebene Lifestyle-Ressort fällt. So blieb das Publikum mit diesem Film jenseits von Gut und Böse allein und konnte seinen Unmut nur privat - oder in der öffentlichen Intimität des Internets loswerden.

In dieser Lage wurde nun ein junger Webdesigner aus Schanghai wider Willen zum Star einer kulturellen Gegenöffentlichkeit. Nachdem er umgerechnet zehn Dollar für den Eintritt ausgegeben hatte und beim Heraustreten aus dem Kino einigermaßen entgeistert war, fertigte Hu Ge am Computer einen eigenen Film an mit dem Titel: "Der blutige Fall, der mit einem gedünsteten Brötchen anfing". Dabei integrierte er Szenen aus Chen Kaiges Film in einen kriminologischen Rahmen, den er sich aus dem täglich im Staatsfernsehen ausgestrahlten "Rechtsreport" (eine Art "Aktenzeichen XY") auslieh. So wurde aus dem mythischen Epos ein quasidokumentarischer Kriminalfall, bei dem ein maskierter Reiter den Direktor eines Unterhaltungsparks umbringt. Der harmlose Spaß wurde binnen kurzem zu einem der heißesten Themen im chinesischen Internet. Unter den fünfzig am häufigsten angeklickten Themen der Internetsuchmaschine "Baidu" rangiert das "gedünstete Brötchen" auf Platz 24 und läßt damit "Wu Ji", das Vorbild, weit hinter sich. Hu Ge hatte mit seiner Parodie ein Ventil geschaffen, durch das sich der Überdruck des gesellschaftlich-ästhetischen Ärgers in fröhlichem Gelächter entladen konnte.

Erst recht wurde Hu Ge aber zum Volkshelden, als Chen Kaige auf der Berlinale gegenüber der chinesischen Internetagentur "Sina" Hus Film als "unglaublich schamlos" und unmoralisch bezeichnete: "Ich glaube, diese Parodie hat die gewöhnlichen Grenzen des Kommentars und der Meinung überschritten; sie ist die mutwillige Veränderung des geistigen Eigentums eines anderen." Er kündigte an, rechtliche Schritte gegen die Copyright-Verletzung zu prüfen. Hu bekam es zwar gleich mit der Angst zu tun und bat Chen um Entschuldigung. Doch die Unterstützung für ihn wuchs beständig. Innerhalb von vier Tagen besuchten dreißigtausend Fans seine Blog-Seite und versicherten ihm, notfalls würden sie für die Gerichtskosten sammeln. Sogar Chen Kaiges ehemalige Frau fühlte sich unter dem gewaltigen sozialen Druck, unter den sie geriet, so unwohl, daß sie ihn öffentlich der Engherzigkeit bezichtigte. Eine Umfrage unter Internetbenutzern ergab, daß nur vier Prozent Chen Kaige unterstützten und 85 Prozent seinen jungen Parodisten.

Mittlerweile scheinen auch die offiziellen Medien, vielleicht unter dem Eindruck der westlichen Skepsis gegenüber dem Film, umgeschwenkt zu sein; selbst die englischsprachige "China Daily" rückte von Chen ab. Der Internet-Blogger "Massage Milk" bezeichnete das "gedünstete Brötchen" jetzt als einen "neuen Höhepunkt der dekonstruktiven Kunst für das Volk". Von Chen Kaige hat man unterdessen nichts mehr gehört.

MARK SIEMONS

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr