Ostberlin, 1989: Kurz vor dem Abitur fliegt Suzie (Marlene Burow) von der Schule und muss sich im Kabelwerk Oberspree als Arbeiterin bewähren. Ein zufälliges Foto in der Straßenbahn früh um halb fünf öffnet ihr die Tür in die glamouröse Welt der Mode von VHB Exquisit. Sie landet auf dem Cover des Modejournals Sibylle, der ,Vogue des Ostens, und Chefredakteurin Elsa Wilbrodt (Claudia Michelsen) eröffnet ihr so eine Chance, dem sozialistischen Fabrikalltag vielleicht doch noch zu entkommen. Suzie taucht ein in die schillernde Subkultur des Ostberliner Undergrounds, wo der schwule Rudi (Sabin Tambrea) und seine Freunde mit leidenschaftlicher Fantasie ihre eigene Mode aus Duschvorhängen und sonstigem verfügbaren Material erfinden. Sie verliebt sich in den rebellischen Fotografen Coyote (David Schütter), dessen Bilder alle verzaubern, aber trotzdem nicht gedruckt werden. Auf seiner ,Indian fliegen sie zusammen ans Meer, und Suzie erlebt die Freiheit, von der sie immer geträumt hat. Doch diese Freiheit hat ihren Preis: Was ist es Suzie wert, ihren Traum zu leben?
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Trailer Interviews BildergalerieFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2022Ostglamour
"In einem Land, das es nicht mehr gibt" im Kino
Seit dem Mauerfall sind Dutzende Filme über die DDR entstanden, aber noch keiner, der so aussah: Eine junge Frau sitzt im Frühsommer 1989 in einem Garten in Ost-Berlin; die Sonne scheint, die kleine Schwester tanzt, und die junge Frau träumt über einem Buch davon, Schriftstellerin zu werden. Stattdessen erwischt die Polizei sie mit Lektüre aus dem Westen, und sie muss "zur Rehabilitierung" in einer Fabrik arbeiten. Es sind die Bilder von der Arbeit der Frauen im Blaumann an großen Maschinen, die mit den Sehgewohnheiten brechen, die das Publikum in den vergangenen dreißig Jahren als typisch für die DDR abgespeichert hat. Kein Grauschleier liegt hier über den Farben, keine Entsättigung zeigt düster Vergangenheit.
Regisseurin Aelrun Goette gelingt es in "In einem Land, das es nicht mehr gibt", Schönheit im Alltag zu finden und von Mut und Freiheit zu erzählen, ohne in die DDR-Klischeefalle zu tappen. Goette ist selbst in Ost-Berlin aufgewachsen, musste jedoch für ihren Film die eigene Erinnerung überprüfen: "Heute hat man das Gefühl, man wisse so viel über diese Zeit: Im Osten war es grau, es hat nach Kohle gerochen, und hinter jedem Zaunpfahl stand ein Stasimann. Und diese Bilder muss man erst einmal wieder von seiner eigenen Erinnerungsschicht wegschleifen und sich erinnern, wie es sich wirklich angefühlt hat, wie es wirklich war", sagt die Regisseurin im Gespräch mit dieser Zeitung.
Vierzehn Jahre lang hat sie an dem Film gearbeitet, Archivmaterial, Fotos und Bildbände konsultiert. Immer wieder erhielt sie Absagen, denn die Geschichte von der jungen Frau, die auf der Straße entdeckt und zum Model wird, die für die Modezeitschrift "Sibylle" (die "Vogue der DDR") arbeitet und in die Avantgarde-Modeszene in Ost-Berlin eintaucht, wollte ihr zunächst niemand finanzieren. "Es mochte sich keiner vorstellen, dass es in der DDR Mode und Glamour gegeben hat. Und noch weniger konnte man sich vorstellen, dass dieses Thema visuell ansprechend auf die Leinwand gebracht werden könnte", sagt Goette.
"Der Film basiert auf meinem Leben. Ich wurde von der Polizei wegen des Aufnähers 'Schwerter zu Pflugscharen' verhaftet. Ich konnte erst nach der Wende mein Abitur machen, dass man es mir verweigerte, habe ich erst später aus der Stasi-Akte erfahren. Ich bin auf der Straße als Mannequin entdeckt worden und wollte das zuerst gar nicht machen. Doch dann wurde es für mich zu einer Welt, in der ich meine Sehnsucht nach Freiheit ausleben und meine eigene Identität finden konnte." Auf Fotos, die Ute Mahler von ihr schoss, entdeckte sie plötzlich eine Seite von sich selbst, die sie nicht kannte. "Ich sah das Foto und dachte mir: Wow, diese Frau wäre ich gern."
Auch dieses Frauwerden thematisiert ihr Film (nicht ohne Grund liest die Protagonistin zu Beginn Maxie Wanders "Guten Morgen, Du Schöne", ein Buch, in dem DDR-Frauen über Emanzipation in ihrem Alltag berichten). Marlene Burow spielt die Hauptfigur dieser Suzie als junge Frau, die sich ihrer Selbst noch nicht bewusst ist. Wenn sie für ein Modeshooting in der Fabrik im goldenen Seidenkleid neben ihren Kolleginnen in Arbeitskleidung posieren soll, blickt sie zunächst schüchtern zu Boden. Erst als der Fotograf sie bittet, die Handgriffe an ihrer Maschine zu zeigen, taut sie auf, wird selbstsicherer, beginnt zu lächeln.
"In einem Land, das es nicht mehr gibt" ist also auch ein Coming-of-Age-Film über den letzten Sommer vor dem Mauerfall. So warm wie die Farben, die Kameramann Benedict Neuenfels hier sowohl bei Ausflügen der Mode-Avantgarde an die Ostsee einfängt als auch in den Werkhallen und auf den Laufstegen, zwischen denen sich Suzies Alltag abspielt, so warm sind die Figuren gezeichnet: Sabin Tambrea spielt den androgynen Modeengel Rudi, der aus Duschvorhängen Hochzeitskleider näht, die Vivienne Westwood gefallen hätten, Jördis Triebel holt für ihre Fabrikarbeiterin Gisela den schönsten Ost-Berliner Akzent hervor. Und Claudia Michelsen als strenge "Sibylle"-Chefin spricht in Aphorismen, wenn sie mit Bestimmtheit ihre Arbeit definiert: "Schönheit ist ein Versprechen, dass es jenseits der Mittelmäßigkeit etwas gibt, wo Ruhe herrscht." Durch das Zusammenspiel von Darstellern, Kameraarbeit und den neuen Ton des Drehbuchs erweitert dieser Film die Möglichkeiten, Geschichten aus dem Land zu erzählen, das es nicht mehr gibt. MARIA WIESNER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"In einem Land, das es nicht mehr gibt" im Kino
Seit dem Mauerfall sind Dutzende Filme über die DDR entstanden, aber noch keiner, der so aussah: Eine junge Frau sitzt im Frühsommer 1989 in einem Garten in Ost-Berlin; die Sonne scheint, die kleine Schwester tanzt, und die junge Frau träumt über einem Buch davon, Schriftstellerin zu werden. Stattdessen erwischt die Polizei sie mit Lektüre aus dem Westen, und sie muss "zur Rehabilitierung" in einer Fabrik arbeiten. Es sind die Bilder von der Arbeit der Frauen im Blaumann an großen Maschinen, die mit den Sehgewohnheiten brechen, die das Publikum in den vergangenen dreißig Jahren als typisch für die DDR abgespeichert hat. Kein Grauschleier liegt hier über den Farben, keine Entsättigung zeigt düster Vergangenheit.
Regisseurin Aelrun Goette gelingt es in "In einem Land, das es nicht mehr gibt", Schönheit im Alltag zu finden und von Mut und Freiheit zu erzählen, ohne in die DDR-Klischeefalle zu tappen. Goette ist selbst in Ost-Berlin aufgewachsen, musste jedoch für ihren Film die eigene Erinnerung überprüfen: "Heute hat man das Gefühl, man wisse so viel über diese Zeit: Im Osten war es grau, es hat nach Kohle gerochen, und hinter jedem Zaunpfahl stand ein Stasimann. Und diese Bilder muss man erst einmal wieder von seiner eigenen Erinnerungsschicht wegschleifen und sich erinnern, wie es sich wirklich angefühlt hat, wie es wirklich war", sagt die Regisseurin im Gespräch mit dieser Zeitung.
Vierzehn Jahre lang hat sie an dem Film gearbeitet, Archivmaterial, Fotos und Bildbände konsultiert. Immer wieder erhielt sie Absagen, denn die Geschichte von der jungen Frau, die auf der Straße entdeckt und zum Model wird, die für die Modezeitschrift "Sibylle" (die "Vogue der DDR") arbeitet und in die Avantgarde-Modeszene in Ost-Berlin eintaucht, wollte ihr zunächst niemand finanzieren. "Es mochte sich keiner vorstellen, dass es in der DDR Mode und Glamour gegeben hat. Und noch weniger konnte man sich vorstellen, dass dieses Thema visuell ansprechend auf die Leinwand gebracht werden könnte", sagt Goette.
"Der Film basiert auf meinem Leben. Ich wurde von der Polizei wegen des Aufnähers 'Schwerter zu Pflugscharen' verhaftet. Ich konnte erst nach der Wende mein Abitur machen, dass man es mir verweigerte, habe ich erst später aus der Stasi-Akte erfahren. Ich bin auf der Straße als Mannequin entdeckt worden und wollte das zuerst gar nicht machen. Doch dann wurde es für mich zu einer Welt, in der ich meine Sehnsucht nach Freiheit ausleben und meine eigene Identität finden konnte." Auf Fotos, die Ute Mahler von ihr schoss, entdeckte sie plötzlich eine Seite von sich selbst, die sie nicht kannte. "Ich sah das Foto und dachte mir: Wow, diese Frau wäre ich gern."
Auch dieses Frauwerden thematisiert ihr Film (nicht ohne Grund liest die Protagonistin zu Beginn Maxie Wanders "Guten Morgen, Du Schöne", ein Buch, in dem DDR-Frauen über Emanzipation in ihrem Alltag berichten). Marlene Burow spielt die Hauptfigur dieser Suzie als junge Frau, die sich ihrer Selbst noch nicht bewusst ist. Wenn sie für ein Modeshooting in der Fabrik im goldenen Seidenkleid neben ihren Kolleginnen in Arbeitskleidung posieren soll, blickt sie zunächst schüchtern zu Boden. Erst als der Fotograf sie bittet, die Handgriffe an ihrer Maschine zu zeigen, taut sie auf, wird selbstsicherer, beginnt zu lächeln.
"In einem Land, das es nicht mehr gibt" ist also auch ein Coming-of-Age-Film über den letzten Sommer vor dem Mauerfall. So warm wie die Farben, die Kameramann Benedict Neuenfels hier sowohl bei Ausflügen der Mode-Avantgarde an die Ostsee einfängt als auch in den Werkhallen und auf den Laufstegen, zwischen denen sich Suzies Alltag abspielt, so warm sind die Figuren gezeichnet: Sabin Tambrea spielt den androgynen Modeengel Rudi, der aus Duschvorhängen Hochzeitskleider näht, die Vivienne Westwood gefallen hätten, Jördis Triebel holt für ihre Fabrikarbeiterin Gisela den schönsten Ost-Berliner Akzent hervor. Und Claudia Michelsen als strenge "Sibylle"-Chefin spricht in Aphorismen, wenn sie mit Bestimmtheit ihre Arbeit definiert: "Schönheit ist ein Versprechen, dass es jenseits der Mittelmäßigkeit etwas gibt, wo Ruhe herrscht." Durch das Zusammenspiel von Darstellern, Kameraarbeit und den neuen Ton des Drehbuchs erweitert dieser Film die Möglichkeiten, Geschichten aus dem Land zu erzählen, das es nicht mehr gibt. MARIA WIESNER
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