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Was bleibt? Biografien hinterlassen Spuren. Die Zeitläufte auch. Wie sich das eine zum anderen verhält untersucht Thomas Heise in "Heimat ist ein Raum aus Zeit".
Der Film folgt den biografischen Spuren einer zerrissenen Familie über das ausgehende 19. und das folgende 20. Jahrhundert hinweg. Es geht um Menschen, die einst zufällig zueinander fanden, dann einander verloren. Deren verbliebene Kinder und Enkel jetzt verschwinden. Es geht um Sprechen und Schweigen. Erste Liebe und verschwundenes Glück. Väter, Mütter, Söhne, Brüder, Affären, Verletzung und Glück in wechselnden Landschaften, die…mehr

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Produktbeschreibung
Was bleibt? Biografien hinterlassen Spuren. Die Zeitläufte auch. Wie sich das eine zum anderen verhält untersucht Thomas Heise in "Heimat ist ein Raum aus Zeit".

Der Film folgt den biografischen Spuren einer zerrissenen Familie über das ausgehende 19. und das folgende 20. Jahrhundert hinweg. Es geht um Menschen, die einst zufällig zueinander fanden, dann einander verloren. Deren verbliebene Kinder und Enkel jetzt verschwinden. Es geht um Sprechen und Schweigen. Erste Liebe und verschwundenes Glück. Väter, Mütter, Söhne, Brüder, Affären, Verletzung und Glück in wechselnden Landschaften, die verschiedene, einander durchwuchernde Spuren von Zeiten in sich tragen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.09.2019

Aus dem Dunkel der Vergangenheit
Thomas Heises Film "Heimat ist ein Raum aus Zeit" zeigt Familiengeschichte als Epochenbild.

Ein kleiner Junge mit einer Deutschlandfahne steht am Beginn von Thomas Heises Film "Heimat ist ein Raum aus Zeit". Es ist ein Foto, wie es in vielen Familienalben zu finden sein könnte. Aber in wie vielen Familien sind auch noch Schulaufsätze eines Großvaters aus dem Jahr 1912 überliefert. "Ein furchtbar wütend Schrecknis ist der Krieg", schrieb Wilhelm Heise im Alter von 14 Jahren, als ahnte er schon, was zwei Jahre später kommen sollte.

Es ist vielleicht wirklich das älteste Dokument, auf das Thomas Heise zurückgreifen konnte für einen Film, der im Wesentlichen drei Bestandteile hat: eine Familiengeschichte aus Briefen, Texten, gelegentlichen Fotografien; eine Bildspur, die oft nur assoziativ damit zusammenhängt; und dann noch die Stimme von Thomas Heise, die alles zusammenhält.

Er tritt hier keineswegs als der große Erzähler auf, sondern als einer, der in ruhigem Ton eine Reihe von Fragmenten aus dem Dunkel der Vergangenheit hervortreten lässt.

Es ist seine Familiengeschichte, und es ist eine bedeutende, deutsche, über wichtige Perioden hinweg auch deutsch-deutsche Familiengeschichte. Man muss nicht immer gleich an die "Buddenbrooks" als Vergleich denken, wenn irgendwo drei Generationen vor dem geistigen Auge erscheinen, aber im Fall der Heises kann man mit Fug behaupten, dass sie es an Geltung mit der fiktiven Familie aus der Feder Thomas Manns aufnehmen können. Mit dem Unterschied allerdings, dass Thomas Heise keinen Roman geschrieben, sondern einen Film montiert hat. Er überbrückt dabei einen Zeitraum von hundert Jahren: die Beziehung seines Großvaters Wilhelm zu der jüdischen Bildhauerin Edith Hirschhorn, ein Leben zwischen Berlin und Wien, in das immer stärker die Politik der Nationalsozialisten dringt; die Beziehung seines Vaters, des Philosophen Wolfgang Heise, zu Rosemarie Barke, die zu dem Zeitpunkt ihres Kennenlernens noch einen hocherotisch gestimmten, politisch hellwachen Korrespondenzpartner im Adenauer-Deutschland hat; und schließlich Andreas und Thomas, die beiden Brüder, von denen es in einem Brief einmal heißt, dass die beiden "gute Fighter" würden.

Wer mit dem dokumentarischen Werk von Thomas Heise ein wenig vertraut ist, wird diese Stelle nicht ohne Schmerz vernehmen. Denn dem schwierigen Verhältnis zu seinem Bruder hat Thomas 2005 schon einen kurzen Film gewidmet, wie sich auch in "Vaterland" aus dem Jahr 2002 bereits Motive fanden, die nun in dem größeren Zusammenhang noch einmal auftauchen, vor allem Briefe des Vaters aus dem Lager in Zerbst in der Zeit, in der die deutsche Niederlage 1945 gerade noch nicht endgültig besiegelt war.

Als Wolfgang Heise wenige Jahre später, nun schon in der DDR, mit Rosemarie zusammenkommt, schreibt sie: "Ich werde ihn mit seiner Arbeit zu teilen haben."

Sie meinte die Arbeit eines Philosophen in einem Staat, in dem freies Denken eigentlich nicht vorgesehen war. Insofern könnte man ergänzen: Rosemarie wird ihn auch mit dem Staat zu teilen haben, in dem sie leben, denn in der DDR gehörte einem nichts selbst, nicht die Arbeit, nicht die intimsten Beziehungen. Am ehesten gehörten einem noch die Utopien selbst. Christa Wolf, eine Freundin der Familie, schrieb 1995 im Rückblick auf die 1960er Jahre: "In immer neuen Beispielen, es war wie eine Sucht, maßen wir die Theorie an der Praxis." Die Theorie waren der Sozialismus, die Praxis war ein Staat und eine Staatssicherheit, die genau darüber Buch führten, wann bei Heises nachts das Licht ausgemacht wurde und welche Gäste davor dort den Abend verbracht hatten.

Auch die Passagen von Christa Wolf liest Thomas Heise. Er identifiziert sich mit seiner Stimme und mit seiner Anordnung des Materials nicht so sehr als Sohn und Enkel, der hier psychologische Rechnungen aufmachen würde. Er tritt eher so auf, dass man ihn als Teil einer Geschichte begreifen kann, die ihm das zweifelhafte Glück zugewiesen hat, als Archivar noch einmal an diese Geschichte gehen zu können. Schon 2009 hatte Heise einen Film montiert, den er schlicht "Material" nannte und mit dem er das Fragment gegenüber der epischen Erzählung privilegierte.

"Heimat ist ein Raum aus Zeit" ist ein Film, der von der Tonspur bestimmt wird. Die Bilder sind aber keineswegs belanglos. Sie sind nur keine Illustrationen, eher könnte man sie als eine Zeichensammlung für Geschichte in einem allgemeineren Sinn sehen: Alltagsszenen, Naturbilder, Ruinen. Aus seinem wuchtigen Antifamilienfilm "Barluschke" (1997) ist vielleicht noch in Erinnerung, dass Heise dem resümierenden Blick auf die Vergangenheit skeptisch gegenübersteht: "Identität ist eine Mythe", hieß es dort. Mit "Heimat ist ein Raum aus Zeit" bewegt er sich nun so nahe wie möglich an diese Mythe heran, immer unter der Voraussetzung, dass die Geschichte (die große wie die familiäre) ihr letztes Wort noch nicht gesprochen hat.

Diese Aufgabe eines letzten Wortes übernimmt am ehesten Heiner Müller, auch er ein Freund der Familie Heise. In diese intellektuelle Welt wuchs Thomas Heise hinein, seine "Karriere" in der DDR war dementsprechend bald zu Ende, gerettet wurde er durch die Wende. Heiner Müller schrieb 1992 einen großen Text "Die Küste der Barbaren", der in "Heimat ist ein Raum aus Zeit" eine Art vorletztes Schlusswort darstellt: "Jetzt steht der Sumpf", heißt es da über das gerade wiedervereinigte Deutschland, von dem Müller bedauert, dass die Revolution von 1989 eine entscheidende Qualität vermissen ließ: Gewalt.

Das ist eine Position, auf die man sich auch am besten nichtidentisch einlässt. Zumal man bei dem Stichwort Gewalt in "Heimat ist ein Raum aus Zeit" nicht nur an die (unvollendeten und nicht einmal richtig begonnenen) deutschen Revolutionen denken wird, sondern auch an die langen Listen von den Transporten aus Wien im Jahr 1942, die zwei Stunden davor eine gefühlte Ewigkeit lang über die Leinwand gelaufen waren und unter denen sich auch Verwandte der Heises fanden. 30 Jahre nach dem Fall der Mauer - oder 100 Jahre nach der revolutionären Periode am Ende des Ersten Weltkriegs - bekommt Deutschland von seinem größten Dokumentarfilmer dieses Werk geschenkt: ein radikales Manifest von Geschichtlichkeit und von konsequent um Aufgeklärtheit bemühter Perspektive darauf.

BERT REBHANDL

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