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Mitten in der Nacht wird Justin (Julien Rivière) vom Schreien seiner Mutter Marie (Catherine Deneuve) aufgeweckt - sein Vater Ivan ist tot. Er ahnt, dass ihm etwas verschwiegen wurde. Nach und nach erfährt der Junge die Wahrheit: über seinen Vater, über die Beziehung seiner Mutter zu seinem Onkel Alex (Daniel Auteuil), über seine Familie. Der Tod Ivans verändert zusehens alles ...

Produktbeschreibung
Mitten in der Nacht wird Justin (Julien Rivière) vom Schreien seiner Mutter Marie (Catherine Deneuve) aufgeweckt - sein Vater Ivan ist tot. Er ahnt, dass ihm etwas verschwiegen wurde. Nach und nach erfährt der Junge die Wahrheit: über seinen Vater, über die Beziehung seiner Mutter zu seinem Onkel Alex (Daniel Auteuil), über seine Familie. Der Tod Ivans verändert zusehens alles ...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.1997

Kabale und Karambolage
Kino als vielfach geschütteltes Kaleidoskop: "Diebe der Nacht" von André Téchiné

Unter all den typischen Szenen, aus denen sich André Téchinés Film "Diebe der Nacht" zusammensetzt, erscheint eine als ganz besonders typisch. Marie, die reife und schöne Philosophieprofessorin (gespielt von der reifen und schönen Catherine Deneuve), trifft darin auf ihren vormaligen Ehemann Lucien, einen Arzt. Marie hat inzwischen eine Beziehung zu einer ihrer Studentinnen angeknüpft, und auch sonst stehen, wie das in solchen Fällen zu sein pflegt, allerlei Fragen offen oder unausgesprochen im Raum. Die gespannte Atmosphäre im Behandlungsraum entlädt sich schließlich in einer trotzigen Frage, die Marie an Lucien richtet: ob er sie während ihrer beider Ehe je habe schlagen wollen. Der Mann überlegt kurz, um dann, selbst ein wenig überrascht, zu verneinen. Sie ihn vielleicht? Ja, entgegnet Marie, sie schon. Dann könne sie das jetzt ja nachholen, fordert sie der Arzt mit heroischem Trotz auf. Marie nähert sich ihm, holt aus - aber dann, parbleu!, wird aus der Karambolage doch ein schöner, nachehelicher Kuß.

Ach, die Franzosen, denkt da der Betrachter, sofern er auch nur im geringsten empfänglich ist für das Lebensgefühl, das eine Szene wie diese transportiert. Eine schöne Gelassenheit gegenüber dem Allzumenschlichen spricht daraus, ferner die ständige Bereitschaft zur Inkonsequenz und Spontaneität in Gefühlsdingen, drittens schließlich der Mut zum Klischee im biographischen wie im filmischen Plot: Wer Liebe und Haß sich so heftig aneinander reiben läßt, gestaltet seine Kunst offensichtlich nach dem Vorbild des Lebens, nicht nach den Vorlagen der Literatur.

Es ist kurioserweise gerade diese Lebensnähe, die "Diebe der Nacht" zu einem Fall von literarischer, zumindest von filmnarrativer Bedeutsamkeit macht. Die Gründe dafür lassen sich wiederum aus der geschilderten Szene ablesen. Der Arzt Lucien etwa tritt nur dieses einzige Mal auf - nach den dramaturgischen Faustregeln des Drehbuchschreibens wäre diese Nebenfigur durch den leidenschaftlichen Dialog mit seiner früheren Frau bereits übercharakterisiert. Doch der Fehler hat Methode, denn André Téchiné erzählt nicht so sehr eine Geschichte, die einer wie auch immer verknäulten Storyline folgt, als vielmehr in Form eines Kaleidoskops verschiedener Charaktere, deren wechselndes Verhältnis zueinander die wechselnden Tableaus dieses ungewöhnlich strukturierten Films formt.

Mehr noch: Man blickt in das Kaleidoskop mit den Augen verschiedener, aus dem Off kommentierender Filmfiguren. Und schließlich entzieht sich "Diebe der Nacht" der Linearität herkömmlicher Filme in jenem realistischen Sinn, in dem auch das wirkliche Leben antilinear ist, weil es dem Verstreichen der Zeit die aus Erinnern geformte Persönlichkeit entgegensetzt. So wie zwischen Lucien und Marie die Vergangenheit der gemeinsamen Ehe im Dialog mindestens ebenso gegenwärtig ist wie ihrer beider körperliche Präsenz im Raum der Gegenwart, so spielt fast jede Szene dieses Films auch an einem Ort jenseits ihres Schauplatzes. Dem "typisch französischen" Mut zum inkonsequenten "Dazwischen" der Gefühle entspricht also der Erzählraum, der sich zwischen Dialog und Bildpräsenz auftut.

Wollte man dem Film die Gewalt antun, ihn auf eine Storyline zu reduzieren, dann wäre es die eines gar nicht so ungewöhnlichen Kriminalfilms: Alex, ein desillusionierter Polizist, dessen Gesicht man das Leiden an der eigenen Gefühlskälte abzulesen meint (hervorragend: Daniel Auteuil), verhaftet die junge Diebin Juliette (Laurence Côte) und beginnt eine durch Lieblosigkeit gekennzeichnete Liebschaft mit der unscheinbaren, aber willensstarken Frau, die beide durch ungezählte Absteigen führt. "Ein Gefühl gegenseitiger Verachtung gab uns Raum für Lust", kommentiert Alex eine Spur zu literarisch aus dem Off. "Ich weiß nicht, warum ich mich mit dir noch abgebe", sagt Juliette.

Nachdem sie bei einem Überfall Zeugin und Mitschuldige eines Mordes wurde, verliert Juliette zunächst die Sprache und verschwindet schließlich spurlos. Alex, der erst in der Retrospektive die Tiefe seiner Zuneigung entdeckt, wird nun zum Ermittler in eigener Sache. Seine Untersuchung führt ihn zu Marie, der Philosophieprofessorin und zweiten Liebe Juliettes. In den Gesprächen, die Alex und Marie über das abwesende Objekt ihrer Zuneigung führen, wird die unscheinbare Juliette nach und nach zu einer fast magischen Person, die beider Leben auf stille Weise nachhaltig verändert hat. Auf der Ebene der Kriminalhandlung strebt indes alles dem "großen Coup" entgegen, der in der Rückblende erklären soll, was bisher geschah.

Es ist allerdings fraglich, ob bei "Diebe der Nacht" von einer Rückblende überhaupt die Rede sein kann, setzt sich der Film doch aus mehreren zeitlich versetzten Teilen zusammen, in denen die Handlung aus den Blickwinkeln Maries, Alex' und anderer Charaktere kaleidoskopiert wird. Dem in etlichen Szenen eingeschriebenen Bruch zwischen Gegenwart und Vergangenheit entsprechen also die Brüche in der Gesamtstruktur. Dennoch ist "Diebe der Nacht" kein angestrengtes Erzählexerzitium, sondern im Gegenteil ein Film des frei schweifenden Blickes, der den Zuschauer zum Teilhaber und Mitspieler der Handlung macht. Das hat einen einfachen Grund: Indem er im zeitlichen Ablauf hin-und herspringt, bereits Gesagtes wiederholt und von allen Seiten beleuchtet, ahmt der Film eine der natürlichsten Formen der Vermittlung nach - die mündliche Erzählung.

"Diebe der Nacht" ist auch im OEuvre seines Regisseurs ein Werk des "Dazwischen". Es vereint die literarisch ambitionierte Filmsprache früherer Arbeiten mit dem Blick auf soziale Wirklichkeit, wie er spätestens seit "Die Unschuldigen" (aus dem Jahr 1987) Téchinés Filme prägt. Auch ein bereits bekannter Hang zur Sozialkolportage macht sich in "Diebe der Nacht" wiederum bemerkbar - insbesondere in der dick aufgetragenen Familiengeschichte des Polizisten. Aber wer wollte einem anregend Fabulierenden solche kleinen Ausflüge ins Fabelhafte verübeln? STEFFEN JACOBS

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