in der Warenwelt umgeben ist. Die alte, vielfach variierte und insgesamt undeutlich überlieferte Weisheit, dass man einen Film am besten mit einer Katastrophe beginnen lässt und dann langsam den Problemdruck steigert, wird von Dani Levy in "Die Welt der Wunderlichs" ganz und gar beherzigt. Nur dass bei ihm halt kein Vulkan ausbricht, sondern eine Familie.
Es ist die Familie einer jungen Frau, die einmal Sängerin war, dann aber versucht hat, etwas Vernünftiges zu tun. Dabei ist nicht viel mehr herausgekommen als der ganz gewöhnliche Stress einer alleinerziehenden Mutter, die sich mit einem Billigjob durchzubringen versucht und vor allem damit zu tun hat, ihrem eigensinnigen Sohn den Rücken freizuhalten. Dass mit dem Medikament Ritalin alles ein wenig leichter sein könnte, wie es eine Pädagogin vorschlägt, weist Mimi zurück. Denn Ritalin ist eine Droge. "Mama hat fast alle Drogen ausprobiert", bemerkt Felix aus dem Hintergrund. Er ist manchmal ein bisschen zu direkt.
Die Grenzen zwischen Psychopharmaka und Rauschdrogen müssen aber auch notwendigerweise verschwimmen, wenn man sich die weiteren Mitglieder der Familie Wunderlich ansieht: Johnny (Martin Feifel), der Vater von Felix, ist ein übel desorientierter Ex-Popstar, der seine Verwahrlosung wohl immer noch mit Rock'n'Roll verwechselt; Walter Wunderlich (Peter Simonischek), der Vater von Mimi, ist ein manisch-depressiver Schwerenöter, der sich auf Lithium ausreichend "eingestellt" wähnt und keinesfalls länger in einer Anstalt bleiben will; seine ehemalige Frau Liliane (Hannelore Elsner) ist eine trübsinnige Seele, bei der nicht ganz klar ist, inwiefern sie Symptom oder Auslöserin in diesem heillosen Zusammenhang ist.
Für Dani Levy, der Mitte der achtziger Jahre mit der Straßenmusikerkomödie "Du mich auch" im deutschen Kino auftauchte, ist "Die fabelhafte Welt der Wunderlichs" so etwas wie ein Potpourri seiner Lebensthemen.
Ein Spezialgebiet sind zweifellos dysfunktionale Familien, die bekannteste sind die Zuckers aus "Alles auf Zucker", mit denen Levy 2005 den jüdischen Humor in Deutschland wieder populär machte (und ihn zugleich als Abwehrstrategie gegen das Chaos jüdischer Familien auswies). Daneben interessiert Levy sich auch für das Showbiz, wobei er mit dem Versuch, Adolf Hitler als einen schlechten Schauspieler (seiner selbst) zu entlarven, Tabus brach, die gar nicht mehr bestanden. "Mein Führer" (2007) war aber trotzdem erfolgreich, denn Levy konnte eine Konstante bei der Figur Adolf Hitler erfolgreich besetzen: Er ist immer schon wieder da, wird aber nur selten von Helge Schneider gespielt. Bei den Wunderlichs ist nun niemand "meschugge" (wie in Levys gleichnamigem Film aus dem Jahr 1998), aber alle haben einen an der Waffel. Nur Mimi darf nicht.
Katharina Schüttler spielt die einzige Figur, die in dieser Komödie halbwegs bei Trost ist, mit starkem Hang zum Boulevard: Sie trägt die Gefühle (beim Anblick eines ansehnlichen Mannes oder beim Anblick ihres desaströsen Ex-Mannes) mit klimpernden Augenlidern nach außen. Sie muss aber auch ein wenig dick auftragen, denn sie ist umgeben von schrillen Typen. Dani Levy lässt dann ja sogar noch Christiane Paul zum Tross stoßen, denn Mimi hat eine Schwester namens Manuela, die in erster Linie als eine weitere Volte in einem Drehbuch erscheint, das ein paar dramaturgische Straffungen ausgelassen hat.
Das ist allerdings nicht weiter schlimm, denn auf so einer Reise - Mimi muss nach Zürich, wo sie vorsingen soll - lässt sich allerhand locker auffädeln, und ein Wohnmobil ist ein besonders trefflicher (Nicht-)Ort, um zwischen Klaustrophobie und Freiheitsdrang alles schön eskalieren zu lassen. Peter Simonischek spielt als Erzvater der instabilen Wunderlichs eine Rolle, die wunderbar zu seinem Schabernack in "Toni Erdmann" passt.
Und die beiläufige Konzentration auf Felix, das verhaltensauffällige Kind, das die Wunderlichs wie ein Testergebnis ihrer Pathologien mitführen, verweist auf die erbauliche Konsequenz: Besondere Menschen kommen nun einmal nicht aus dem Mittelmaß. Insofern ist "Die Welt der Wunderlichs" auch so etwas wie eine Markierung im deutschen Kino. Denn Dani Levy macht hier seinen Frieden mit einem Thema, das von Oskar Roehler bis Pia Marais so viele Regisseure aus der Generation der Kinder der radikalen Freiheit beschäftigt: Wie kriegt man all die Geister wieder eingesammelt, die in den wilden Jahren der Republik entkamen? Mit einem Roadmovie zu einer Casting-Show klappt das schon mal ganz gut.
BERT REBHANDL
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